und bestürmte die großen Mächte mit Vorschlägen, welche dem Hause Wit- telsbach den unsterblichen Ruhm des Wiederherstellers hellenischer Freiheit sichern sollten.
In der deutschen Politik dachte er sein Baiern stolz neben die beiden Großmächte zu stellen, als den größten der "rein deutschen Staaten", als den geborenen Führer der kleinen Höfe. Er haßte Oesterreich nach der alten Ueberlieferung seines Geschlechts und mehr noch um neuen Unrechts willen; niemals konnte er der Wiener Politik verzeihen, daß sie sein Haus um Salzburg und die Pfalz zugleich betrogen hatte. Zu Preußens kriegerischer Größe blickte er mit warmer Bewunderung empor. Dankbar gedachte er des Schutzes, den seine Vorfahren einst in Berlin gefunden hatten, und sagte oft: "Ohne Friedrich den Großen stände ich vielleicht nicht hier." Dabei kam er gleichwohl nicht los von jenem alten Familienaberglauben, der so viele Wandlungen der neu-bairischen Politik erklärt: "die historischen Parvenus" im Norden waren ja doch nur durch die blinde Laune des Zufalls hinaufgehoben zu einer Höhe, die von Rechts wegen dem vornehmeren Hause Wittelsbach gebührte! Er dachte mit Preußen im treuen Einvernehmen zu leben, nur in rein-deutsche Fragen durfte der "halb-slawische Staat" sich nicht mischen. Für seine deutschen Pläne rechnete er zunächst auf den König von Württemberg, der in der That seine persönliche Abneigung überwand und mit dem neuen Nachbarn in vertraulichen Verkehr trat.
Bernstorff betrachtete diese plötzliche Freundschaft mit Gelassenheit, da er sich über Ludwig's Charakter nicht täuschte, und wies den Gesandten an, den Münchener Hof der freundlichen Gesinnungen Preußens zu versichern, aber ohne allzu große Lebhaftigkeit, damit der König nicht übermüthig werde.*) Auch Metternich, der anfangs sehr argwöhnisch war, beruhigte sich bald und beschwichtigte die Besorgniß der badischen Regierung in seinem schwerfälligen Docententone also: "Wenn wir tiefer in die Sache ein- dringen, uns auf einen hohen Standpunkt erheben und sie vom selben aus in ihrer Wesenheit und in ihren wahrscheinlichen und möglichen Folgen berechnen, so löst sich bald das Machwerk in ein leichtes und luf- tiges Gewebe auf, dem es durchaus an innerem Gehalt und an jeder Art von Gediegenheit fehlt. Sie kann ihren Stützpunkt nicht in dem Charakter der beiden Fürsten finden, denn insofern bei ihnen von Cha- rakter die Rede ist, bietet derselbe die schroffsten Gegensätze dar. In einem einzigen Begriffe könnte ihr beiderseitiger Geist vielleicht eine Aehnlich- keit darbieten, in dem Drange nach zu spielenden Rollen. Die von dem König von Baiern geträumte Selbständigkeit umfaßt ein zu weites Feld, als daß die Selbständigkeit seiner mindermächtigen Nachbarn nicht aus selbem verdrängt werden sollte. Die beiden Fürsten geizen nach Popu-
*) Bernstorff, Weisung an Küster, 19. Nov. 1825.
Philhellenismus. Triasträume.
und beſtürmte die großen Mächte mit Vorſchlägen, welche dem Hauſe Wit- telsbach den unſterblichen Ruhm des Wiederherſtellers helleniſcher Freiheit ſichern ſollten.
In der deutſchen Politik dachte er ſein Baiern ſtolz neben die beiden Großmächte zu ſtellen, als den größten der „rein deutſchen Staaten“, als den geborenen Führer der kleinen Höfe. Er haßte Oeſterreich nach der alten Ueberlieferung ſeines Geſchlechts und mehr noch um neuen Unrechts willen; niemals konnte er der Wiener Politik verzeihen, daß ſie ſein Haus um Salzburg und die Pfalz zugleich betrogen hatte. Zu Preußens kriegeriſcher Größe blickte er mit warmer Bewunderung empor. Dankbar gedachte er des Schutzes, den ſeine Vorfahren einſt in Berlin gefunden hatten, und ſagte oft: „Ohne Friedrich den Großen ſtände ich vielleicht nicht hier.“ Dabei kam er gleichwohl nicht los von jenem alten Familienaberglauben, der ſo viele Wandlungen der neu-bairiſchen Politik erklärt: „die hiſtoriſchen Parvenus“ im Norden waren ja doch nur durch die blinde Laune des Zufalls hinaufgehoben zu einer Höhe, die von Rechts wegen dem vornehmeren Hauſe Wittelsbach gebührte! Er dachte mit Preußen im treuen Einvernehmen zu leben, nur in rein-deutſche Fragen durfte der „halb-ſlawiſche Staat“ ſich nicht miſchen. Für ſeine deutſchen Pläne rechnete er zunächſt auf den König von Württemberg, der in der That ſeine perſönliche Abneigung überwand und mit dem neuen Nachbarn in vertraulichen Verkehr trat.
Bernſtorff betrachtete dieſe plötzliche Freundſchaft mit Gelaſſenheit, da er ſich über Ludwig’s Charakter nicht täuſchte, und wies den Geſandten an, den Münchener Hof der freundlichen Geſinnungen Preußens zu verſichern, aber ohne allzu große Lebhaftigkeit, damit der König nicht übermüthig werde.*) Auch Metternich, der anfangs ſehr argwöhniſch war, beruhigte ſich bald und beſchwichtigte die Beſorgniß der badiſchen Regierung in ſeinem ſchwerfälligen Docententone alſo: „Wenn wir tiefer in die Sache ein- dringen, uns auf einen hohen Standpunkt erheben und ſie vom ſelben aus in ihrer Weſenheit und in ihren wahrſcheinlichen und möglichen Folgen berechnen, ſo löſt ſich bald das Machwerk in ein leichtes und luf- tiges Gewebe auf, dem es durchaus an innerem Gehalt und an jeder Art von Gediegenheit fehlt. Sie kann ihren Stützpunkt nicht in dem Charakter der beiden Fürſten finden, denn inſofern bei ihnen von Cha- rakter die Rede iſt, bietet derſelbe die ſchroffſten Gegenſätze dar. In einem einzigen Begriffe könnte ihr beiderſeitiger Geiſt vielleicht eine Aehnlich- keit darbieten, in dem Drange nach zu ſpielenden Rollen. Die von dem König von Baiern geträumte Selbſtändigkeit umfaßt ein zu weites Feld, als daß die Selbſtändigkeit ſeiner mindermächtigen Nachbarn nicht aus ſelbem verdrängt werden ſollte. Die beiden Fürſten geizen nach Popu-
*) Bernſtorff, Weiſung an Küſter, 19. Nov. 1825.
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telsbach den unſterblichen Ruhm des Wiederherſtellers helleniſcher Freiheit
ſichern ſollten.
In der deutſchen Politik dachte er ſein Baiern ſtolz neben die beiden
Großmächte zu ſtellen, als den größten der „rein deutſchen Staaten“,
als den geborenen Führer der kleinen Höfe. Er haßte Oeſterreich nach
der alten Ueberlieferung ſeines Geſchlechts und mehr noch um neuen
Unrechts willen; niemals konnte er der Wiener Politik verzeihen, daß ſie
ſein Haus um Salzburg und die Pfalz zugleich betrogen hatte. Zu
Preußens kriegeriſcher Größe blickte er mit warmer Bewunderung empor.
Dankbar gedachte er des Schutzes, den ſeine Vorfahren einſt in Berlin
gefunden hatten, und ſagte oft: „Ohne Friedrich den Großen ſtände ich
vielleicht nicht hier.“ Dabei kam er gleichwohl nicht los von jenem alten
Familienaberglauben, der ſo viele Wandlungen der neu-bairiſchen Politik
erklärt: „die hiſtoriſchen Parvenus“ im Norden waren ja doch nur durch
die blinde Laune des Zufalls hinaufgehoben zu einer Höhe, die von
Rechts wegen dem vornehmeren Hauſe Wittelsbach gebührte! Er dachte
mit Preußen im treuen Einvernehmen zu leben, nur in rein-deutſche
Fragen durfte der „halb-ſlawiſche Staat“ ſich nicht miſchen. Für ſeine
deutſchen Pläne rechnete er zunächſt auf den König von Württemberg,
der in der That ſeine perſönliche Abneigung überwand und mit dem
neuen Nachbarn in vertraulichen Verkehr trat.
Bernſtorff betrachtete dieſe plötzliche Freundſchaft mit Gelaſſenheit, da
er ſich über Ludwig’s Charakter nicht täuſchte, und wies den Geſandten an,
den Münchener Hof der freundlichen Geſinnungen Preußens zu verſichern,
aber ohne allzu große Lebhaftigkeit, damit der König nicht übermüthig
werde. *) Auch Metternich, der anfangs ſehr argwöhniſch war, beruhigte ſich
bald und beſchwichtigte die Beſorgniß der badiſchen Regierung in ſeinem
ſchwerfälligen Docententone alſo: „Wenn wir tiefer in die Sache ein-
dringen, uns auf einen hohen Standpunkt erheben und ſie vom ſelben
aus in ihrer Weſenheit und in ihren wahrſcheinlichen und möglichen
Folgen berechnen, ſo löſt ſich bald das Machwerk in ein leichtes und luf-
tiges Gewebe auf, dem es durchaus an innerem Gehalt und an jeder
Art von Gediegenheit fehlt. Sie kann ihren Stützpunkt nicht in dem
Charakter der beiden Fürſten finden, denn inſofern bei ihnen von Cha-
rakter die Rede iſt, bietet derſelbe die ſchroffſten Gegenſätze dar. In einem
einzigen Begriffe könnte ihr beiderſeitiger Geiſt vielleicht eine Aehnlich-
keit darbieten, in dem Drange nach zu ſpielenden Rollen. Die von dem
König von Baiern geträumte Selbſtändigkeit umfaßt ein zu weites Feld,
als daß die Selbſtändigkeit ſeiner mindermächtigen Nachbarn nicht aus
ſelbem verdrängt werden ſollte. Die beiden Fürſten geizen nach Popu-
*) Bernſtorff, Weiſung an Küſter, 19. Nov. 1825.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 619. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/635>, abgerufen am 26.11.2024.
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