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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine.
wurde überall begünstigt. Mit Alledem war der König keineswegs gemeint
die Freiheit der Protestanten zu beeinträchtigen oder gar den Staat der
römischen Kirche zu unterwerfen. Von der Zurückberufung der Jesuiten
wollte er nichts hören, "weil sie niemals teutsch gewesen", und unter den
anderen Orden gab er den milden, gelehrten Benediktinern den Vorzug.
Sein Liebling unter den Priestern war der ehrwürdige Sailer, der jetzt,
vom Papste wieder zu Gnaden angenommen, als Bischof in Regensburg
lebte. Wie that es dem Könige wohl, seinem greisen Lehrer, "dem deutschen
Fenelon" in dem nahen Schlößchen Barbing eine freundliche Sommer-
frische zu bereiten; zuweilen erschien er selber in dem geistlichen Kreise,
der sich dort zusammenfand, und erbaute sich an den ernsten Gesprächen
des alten Domherrn Wittmann und des jungen Westphalen Diepenbrock.
Doch fast ebenso gern wie mit diesen milden Regensburger Priestern ver-
kehrte er mit den Speyer'schen Domherren Geissel und Weis, den streit-
baren Mitarbeitern des clericalen "Katholiken". Zu seinen persönlichen
Vertrauten gehörte auf der einen Seite der gemäßigt liberale Freiherr
Heinrich v. d. Tann, ein Franke aus altprotestantischem Geschlecht -- auf
der anderen sein lieber kleiner "Muckel", der geistvolle Mediciner Nepo-
muk Ringseis, ein strengkatholischer Altbaier, Mystiker im Glauben wie
in der Naturwissenschaft.

Seit dem Thronwechsel erhoben die Clericalen ihre Stimme immer
lauter; sie pflegten in der Eos und anderen Zeitschriften mit beflissenem
Eifer das katholische Altbaiern als das Land wittelsbachischer Treue zu
verherrlichen, was wieder gereizte Entgegnungen aus Franken hervorrief.
Bald sprach man in den neuen Provinzen und selbst in der Diplomatie
allgemein von einer ultramontanen "Congregation", die in München nach
bourbonischem Muster ihr geheimes Wesen treiben sollte.*) Die meisten
dieser Gerüchte waren falsch oder übertrieben; jedoch bei dem unberechen-
baren Charakter des Königs schien ein Erfolg der Clericalen über lang
oder kurz nicht unmöglich. Der neue Minister des Innern, Eduard
v. Schenk, ein junger Rheinländer, der sich die Gunst des Monarchen
durch seine romantischen Dramen errungen hatte, war den Protestanten
schon als Convertit verdächtig und sicherlich nicht kräftig genug um einem
plötzlichen Angriff zu widerstehen. Solche Besorgnisse trübten den Libe-
ralen bereits in diesen ersten Jahren die Freude an dem neuen Regiment.

Dagegen fand die Verlegung der altbairischen Hochschule nach München
den Beifall aller Einsichtigen. Der glückliche Gedanke wurde zuerst von
Ringseis angeregt und dann durch den König mit gewohnter Raschheit
schon 1826 ausgeführt. Die Universität hatte sich in Landshut etwas
freier entwickelt als vormals in der Jesuitenburg Ingolstadt, aber nicht
sehr kräftig; die Gefahr der Verbauerung lag in dem Paradiese der nieder-

*) Küster's Bericht, 17. Febr. 1830.

III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
wurde überall begünſtigt. Mit Alledem war der König keineswegs gemeint
die Freiheit der Proteſtanten zu beeinträchtigen oder gar den Staat der
römiſchen Kirche zu unterwerfen. Von der Zurückberufung der Jeſuiten
wollte er nichts hören, „weil ſie niemals teutſch geweſen“, und unter den
anderen Orden gab er den milden, gelehrten Benediktinern den Vorzug.
Sein Liebling unter den Prieſtern war der ehrwürdige Sailer, der jetzt,
vom Papſte wieder zu Gnaden angenommen, als Biſchof in Regensburg
lebte. Wie that es dem Könige wohl, ſeinem greiſen Lehrer, „dem deutſchen
Fenelon“ in dem nahen Schlößchen Barbing eine freundliche Sommer-
friſche zu bereiten; zuweilen erſchien er ſelber in dem geiſtlichen Kreiſe,
der ſich dort zuſammenfand, und erbaute ſich an den ernſten Geſprächen
des alten Domherrn Wittmann und des jungen Weſtphalen Diepenbrock.
Doch faſt ebenſo gern wie mit dieſen milden Regensburger Prieſtern ver-
kehrte er mit den Speyer’ſchen Domherren Geiſſel und Weis, den ſtreit-
baren Mitarbeitern des clericalen „Katholiken“. Zu ſeinen perſönlichen
Vertrauten gehörte auf der einen Seite der gemäßigt liberale Freiherr
Heinrich v. d. Tann, ein Franke aus altproteſtantiſchem Geſchlecht — auf
der anderen ſein lieber kleiner „Muckel“, der geiſtvolle Mediciner Nepo-
muk Ringseis, ein ſtrengkatholiſcher Altbaier, Myſtiker im Glauben wie
in der Naturwiſſenſchaft.

Seit dem Thronwechſel erhoben die Clericalen ihre Stimme immer
lauter; ſie pflegten in der Eos und anderen Zeitſchriften mit befliſſenem
Eifer das katholiſche Altbaiern als das Land wittelsbachiſcher Treue zu
verherrlichen, was wieder gereizte Entgegnungen aus Franken hervorrief.
Bald ſprach man in den neuen Provinzen und ſelbſt in der Diplomatie
allgemein von einer ultramontanen „Congregation“, die in München nach
bourboniſchem Muſter ihr geheimes Weſen treiben ſollte.*) Die meiſten
dieſer Gerüchte waren falſch oder übertrieben; jedoch bei dem unberechen-
baren Charakter des Königs ſchien ein Erfolg der Clericalen über lang
oder kurz nicht unmöglich. Der neue Miniſter des Innern, Eduard
v. Schenk, ein junger Rheinländer, der ſich die Gunſt des Monarchen
durch ſeine romantiſchen Dramen errungen hatte, war den Proteſtanten
ſchon als Convertit verdächtig und ſicherlich nicht kräftig genug um einem
plötzlichen Angriff zu widerſtehen. Solche Beſorgniſſe trübten den Libe-
ralen bereits in dieſen erſten Jahren die Freude an dem neuen Regiment.

Dagegen fand die Verlegung der altbairiſchen Hochſchule nach München
den Beifall aller Einſichtigen. Der glückliche Gedanke wurde zuerſt von
Ringseis angeregt und dann durch den König mit gewohnter Raſchheit
ſchon 1826 ausgeführt. Die Univerſität hatte ſich in Landshut etwas
freier entwickelt als vormals in der Jeſuitenburg Ingolſtadt, aber nicht
ſehr kräftig; die Gefahr der Verbauerung lag in dem Paradieſe der nieder-

*) Küſter’s Bericht, 17. Febr. 1830.
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[610/0626] III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine. wurde überall begünſtigt. Mit Alledem war der König keineswegs gemeint die Freiheit der Proteſtanten zu beeinträchtigen oder gar den Staat der römiſchen Kirche zu unterwerfen. Von der Zurückberufung der Jeſuiten wollte er nichts hören, „weil ſie niemals teutſch geweſen“, und unter den anderen Orden gab er den milden, gelehrten Benediktinern den Vorzug. Sein Liebling unter den Prieſtern war der ehrwürdige Sailer, der jetzt, vom Papſte wieder zu Gnaden angenommen, als Biſchof in Regensburg lebte. Wie that es dem Könige wohl, ſeinem greiſen Lehrer, „dem deutſchen Fenelon“ in dem nahen Schlößchen Barbing eine freundliche Sommer- friſche zu bereiten; zuweilen erſchien er ſelber in dem geiſtlichen Kreiſe, der ſich dort zuſammenfand, und erbaute ſich an den ernſten Geſprächen des alten Domherrn Wittmann und des jungen Weſtphalen Diepenbrock. Doch faſt ebenſo gern wie mit dieſen milden Regensburger Prieſtern ver- kehrte er mit den Speyer’ſchen Domherren Geiſſel und Weis, den ſtreit- baren Mitarbeitern des clericalen „Katholiken“. Zu ſeinen perſönlichen Vertrauten gehörte auf der einen Seite der gemäßigt liberale Freiherr Heinrich v. d. Tann, ein Franke aus altproteſtantiſchem Geſchlecht — auf der anderen ſein lieber kleiner „Muckel“, der geiſtvolle Mediciner Nepo- muk Ringseis, ein ſtrengkatholiſcher Altbaier, Myſtiker im Glauben wie in der Naturwiſſenſchaft. Seit dem Thronwechſel erhoben die Clericalen ihre Stimme immer lauter; ſie pflegten in der Eos und anderen Zeitſchriften mit befliſſenem Eifer das katholiſche Altbaiern als das Land wittelsbachiſcher Treue zu verherrlichen, was wieder gereizte Entgegnungen aus Franken hervorrief. Bald ſprach man in den neuen Provinzen und ſelbſt in der Diplomatie allgemein von einer ultramontanen „Congregation“, die in München nach bourboniſchem Muſter ihr geheimes Weſen treiben ſollte. *) Die meiſten dieſer Gerüchte waren falſch oder übertrieben; jedoch bei dem unberechen- baren Charakter des Königs ſchien ein Erfolg der Clericalen über lang oder kurz nicht unmöglich. Der neue Miniſter des Innern, Eduard v. Schenk, ein junger Rheinländer, der ſich die Gunſt des Monarchen durch ſeine romantiſchen Dramen errungen hatte, war den Proteſtanten ſchon als Convertit verdächtig und ſicherlich nicht kräftig genug um einem plötzlichen Angriff zu widerſtehen. Solche Beſorgniſſe trübten den Libe- ralen bereits in dieſen erſten Jahren die Freude an dem neuen Regiment. Dagegen fand die Verlegung der altbairiſchen Hochſchule nach München den Beifall aller Einſichtigen. Der glückliche Gedanke wurde zuerſt von Ringseis angeregt und dann durch den König mit gewohnter Raſchheit ſchon 1826 ausgeführt. Die Univerſität hatte ſich in Landshut etwas freier entwickelt als vormals in der Jeſuitenburg Ingolſtadt, aber nicht ſehr kräftig; die Gefahr der Verbauerung lag in dem Paradieſe der nieder- *) Küſter’s Bericht, 17. Febr. 1830.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 610. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/626>, abgerufen am 25.11.2024.