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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
so ließ sich das Schicksal der Beschwerde leicht vorhersehen. Dänemark
hatte mittlerweile bei den deutschen Höfen ein Gutachten des berühmten
Kopenhagener Juristen Schlegel umhergesandt, das nicht nur die Unan-
wendbarkeit des Art. 56 darlegte, sondern auch mit sophistischer Meister-
schaft nachwies, ein Kläger sei überhaupt nicht vorhanden: als Schles-
wigholsteiner könnten die Ritter nicht klagen, weil Schleswig nicht zum
Bunde gehöre; als Holsteiner aber auch nicht, weil sie "ihrem eigenen
früheren Wunsche zufolge als solche keine besondere Corporation aus-
machen."*) Ganz im Sinne dieser danica fides sprach auch der Bun-
desgesandte Graf Eyben, als im Juni 1823 die Beschwerde endlich zur
Berathung kam. Er stellte die Ritter bald als aufsässige Unterthanen
dar, welche ihrem Landesherrn eine Verfassung aufdrängen wollten, statt
sie von ihm zu empfangen, bald als eine dünkelhafte privilegirte Kaste,
die dem modernen Staate widerstrebe. Höhnisch sprach er von dieser Ver-
fassung, "welche die Petenten selbst sehr bezeichnend ihre nennen, welche
aber das Land gewiß nicht seine nennen möchte," und dreistweg erklärte
er: sein König habe durch die Bestätigung der ritterschaftlichen Privilegien
keineswegs auch die alte Landesverfassung anerkannt, wie hätte er sonst
zwei Tage später eine Commission zur Bearbeitung einer neuen Verfassung
berufen können?

Auch nachher blieb die Verhandlung gehaltlos und unerquicklich. Das
große politische Interesse, worauf Alles ankam, die Untheilbarkeit Trans-
albingiens, wurde von beiden Parteien kaum berührt. Man stritt nur
über die Auslegung der Schlußakte, und hier rächte sich die Heimlichkeit
der Wiener Conferenzen: die Bundesgesandten redeten wie die Blinden
von den Farben, da sie fast sämmtlich jene Verhandlungen nicht kannten
Wangenheim zeigte sich noch einmal, immer in ehrlicher Meinung, als
dialektischer Tausendkünstler. Derselbe Mann, der vor Kurzem das gute
alte Recht der Württemberger so übermüthig verspottet hatte, eiferte jetzt
für die altständische Verfassung Schleswigholsteins, die doch unleugbar
weniger tief im Volksbewußtsein wurzelte als die altwürttembergische,
und benutzte sogar diesen seltsamen Anlaß um den vielverkannten edlen
Charakter des ersten Schwabenkönigs, des Todfeindes der altständischen
Ordnung, zu verherrlichen. Sein Freund Lepel mahnte, man dürfe
nimmermehr "Rücksichten der Politik und Convenienz Gehör geben, wo
es sich um Grundsätze handle", was ihm eine scharfe Zurechtweisung von
Seiten des Präsidialgesandten zuzog. Zur allgemeinen Verwunderung
schloß sich auch Hannover der Meinung Wangenheim's an, daß Däne-
mark aufgefordert werden sollte, binnen sechs Monaten eine Erklärung
über die Beschwerde abzugeben. Münster's Vorliebe für das alte Stände-

*) Schlegel, Rechtsgutachten, August 1822, zur Widerlegung eines Gutachtens von
Schlosser.

III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
ſo ließ ſich das Schickſal der Beſchwerde leicht vorherſehen. Dänemark
hatte mittlerweile bei den deutſchen Höfen ein Gutachten des berühmten
Kopenhagener Juriſten Schlegel umhergeſandt, das nicht nur die Unan-
wendbarkeit des Art. 56 darlegte, ſondern auch mit ſophiſtiſcher Meiſter-
ſchaft nachwies, ein Kläger ſei überhaupt nicht vorhanden: als Schles-
wigholſteiner könnten die Ritter nicht klagen, weil Schleswig nicht zum
Bunde gehöre; als Holſteiner aber auch nicht, weil ſie „ihrem eigenen
früheren Wunſche zufolge als ſolche keine beſondere Corporation aus-
machen.“*) Ganz im Sinne dieſer danica fides ſprach auch der Bun-
desgeſandte Graf Eyben, als im Juni 1823 die Beſchwerde endlich zur
Berathung kam. Er ſtellte die Ritter bald als aufſäſſige Unterthanen
dar, welche ihrem Landesherrn eine Verfaſſung aufdrängen wollten, ſtatt
ſie von ihm zu empfangen, bald als eine dünkelhafte privilegirte Kaſte,
die dem modernen Staate widerſtrebe. Höhniſch ſprach er von dieſer Ver-
faſſung, „welche die Petenten ſelbſt ſehr bezeichnend ihre nennen, welche
aber das Land gewiß nicht ſeine nennen möchte,“ und dreiſtweg erklärte
er: ſein König habe durch die Beſtätigung der ritterſchaftlichen Privilegien
keineswegs auch die alte Landesverfaſſung anerkannt, wie hätte er ſonſt
zwei Tage ſpäter eine Commiſſion zur Bearbeitung einer neuen Verfaſſung
berufen können?

Auch nachher blieb die Verhandlung gehaltlos und unerquicklich. Das
große politiſche Intereſſe, worauf Alles ankam, die Untheilbarkeit Trans-
albingiens, wurde von beiden Parteien kaum berührt. Man ſtritt nur
über die Auslegung der Schlußakte, und hier rächte ſich die Heimlichkeit
der Wiener Conferenzen: die Bundesgeſandten redeten wie die Blinden
von den Farben, da ſie faſt ſämmtlich jene Verhandlungen nicht kannten
Wangenheim zeigte ſich noch einmal, immer in ehrlicher Meinung, als
dialektiſcher Tauſendkünſtler. Derſelbe Mann, der vor Kurzem das gute
alte Recht der Württemberger ſo übermüthig verſpottet hatte, eiferte jetzt
für die altſtändiſche Verfaſſung Schleswigholſteins, die doch unleugbar
weniger tief im Volksbewußtſein wurzelte als die altwürttembergiſche,
und benutzte ſogar dieſen ſeltſamen Anlaß um den vielverkannten edlen
Charakter des erſten Schwabenkönigs, des Todfeindes der altſtändiſchen
Ordnung, zu verherrlichen. Sein Freund Lepel mahnte, man dürfe
nimmermehr „Rückſichten der Politik und Convenienz Gehör geben, wo
es ſich um Grundſätze handle“, was ihm eine ſcharfe Zurechtweiſung von
Seiten des Präſidialgeſandten zuzog. Zur allgemeinen Verwunderung
ſchloß ſich auch Hannover der Meinung Wangenheim’s an, daß Däne-
mark aufgefordert werden ſollte, binnen ſechs Monaten eine Erklärung
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*) Schlegel, Rechtsgutachten, Auguſt 1822, zur Widerlegung eines Gutachtens von
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[600/0616] III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland. ſo ließ ſich das Schickſal der Beſchwerde leicht vorherſehen. Dänemark hatte mittlerweile bei den deutſchen Höfen ein Gutachten des berühmten Kopenhagener Juriſten Schlegel umhergeſandt, das nicht nur die Unan- wendbarkeit des Art. 56 darlegte, ſondern auch mit ſophiſtiſcher Meiſter- ſchaft nachwies, ein Kläger ſei überhaupt nicht vorhanden: als Schles- wigholſteiner könnten die Ritter nicht klagen, weil Schleswig nicht zum Bunde gehöre; als Holſteiner aber auch nicht, weil ſie „ihrem eigenen früheren Wunſche zufolge als ſolche keine beſondere Corporation aus- machen.“ *) Ganz im Sinne dieſer danica fides ſprach auch der Bun- desgeſandte Graf Eyben, als im Juni 1823 die Beſchwerde endlich zur Berathung kam. Er ſtellte die Ritter bald als aufſäſſige Unterthanen dar, welche ihrem Landesherrn eine Verfaſſung aufdrängen wollten, ſtatt ſie von ihm zu empfangen, bald als eine dünkelhafte privilegirte Kaſte, die dem modernen Staate widerſtrebe. Höhniſch ſprach er von dieſer Ver- faſſung, „welche die Petenten ſelbſt ſehr bezeichnend ihre nennen, welche aber das Land gewiß nicht ſeine nennen möchte,“ und dreiſtweg erklärte er: ſein König habe durch die Beſtätigung der ritterſchaftlichen Privilegien keineswegs auch die alte Landesverfaſſung anerkannt, wie hätte er ſonſt zwei Tage ſpäter eine Commiſſion zur Bearbeitung einer neuen Verfaſſung berufen können? Auch nachher blieb die Verhandlung gehaltlos und unerquicklich. Das große politiſche Intereſſe, worauf Alles ankam, die Untheilbarkeit Trans- albingiens, wurde von beiden Parteien kaum berührt. Man ſtritt nur über die Auslegung der Schlußakte, und hier rächte ſich die Heimlichkeit der Wiener Conferenzen: die Bundesgeſandten redeten wie die Blinden von den Farben, da ſie faſt ſämmtlich jene Verhandlungen nicht kannten Wangenheim zeigte ſich noch einmal, immer in ehrlicher Meinung, als dialektiſcher Tauſendkünſtler. Derſelbe Mann, der vor Kurzem das gute alte Recht der Württemberger ſo übermüthig verſpottet hatte, eiferte jetzt für die altſtändiſche Verfaſſung Schleswigholſteins, die doch unleugbar weniger tief im Volksbewußtſein wurzelte als die altwürttembergiſche, und benutzte ſogar dieſen ſeltſamen Anlaß um den vielverkannten edlen Charakter des erſten Schwabenkönigs, des Todfeindes der altſtändiſchen Ordnung, zu verherrlichen. Sein Freund Lepel mahnte, man dürfe nimmermehr „Rückſichten der Politik und Convenienz Gehör geben, wo es ſich um Grundſätze handle“, was ihm eine ſcharfe Zurechtweiſung von Seiten des Präſidialgeſandten zuzog. Zur allgemeinen Verwunderung ſchloß ſich auch Hannover der Meinung Wangenheim’s an, daß Däne- mark aufgefordert werden ſollte, binnen ſechs Monaten eine Erklärung über die Beſchwerde abzugeben. Münſter’s Vorliebe für das alte Stände- *) Schlegel, Rechtsgutachten, Auguſt 1822, zur Widerlegung eines Gutachtens von Schloſſer.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/616>, abgerufen am 24.11.2024.