III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
Noch ein anderes Formbedenken lag der Beschwerde im Wege. Schles- wig gehörte nicht zum Deutschen Bunde, der Bundestag war nicht be- fugt sich um dies Land zu kümmern, darum hatten auch nur die Hol- steinischen Ritter sich nach Frankfurt gewendet. Für eine kühne, weitaus- schauende deutsche Politik war dies freilich kein Hinderniß. Warum sollte der Bundestag minder muthig sein, als Kaiser Leopold I., der einst den Dänen erklärt hatte, wer Holstein schützen wolle müsse sich auch in Schles- wigs Wirren mischen? Wenn der Bund für die Untrennbarkeit Schles- wigholsteins entschieden eintrat, so wahrte er zugleich ein unbestreitbares Recht des Bundeslandes Holstein und bereitete vielleicht für die Zukunft den Eintritt Schleswigs vor, das schon einmal, im dreißigjährigen Kriege, zu den Reichslasten beigesteuert hatte. Aber zu solchen Gedanken ver- mochte sich weder der Bundestag noch die Nation zu erheben. Die deutsche Presse betrachtete die Frage mit einer Gemüthsruhe, die nur zu deutlich zeigte, daß noch fast Niemand etwas ahnte von der welthistorischen Be- deutung des Kampfes, der sich hier ankündigte; einzelne liberale Blätter fanden den Eifer der nordalbingischen Privilegirten fast lächerlich. In Frankfurt aber herrschte eine rein formalistische Ansicht vom Bundesrechte. Da Oesterreich, Preußen, Luxemburg dem Bunde aus guten Gründen jede Einmischung in die Angelegenheiten Ungarns, Posens, Hollands ver- sagten, so wollten sie den Bundestag auch den schleswigschen Händeln fern halten. Ueberdies war man in der Eschenheimer Gasse schon längst geneigt, jede Beschwerde von Unterthanen wider die Obrigkeit als gefähr- liche Widersetzlichkeit zu betrachten.
In einem Gutachten, das wahrscheinlich aus Klüber's Feder stammte, sprach sich Graf Goltz über "den würdigen und angemessenen Ton" der Dahlmann'schen Denkschrift sehr freundlich aus; er gab auch zu, daß die Deputation der Ritterschaft das letzte Ueberbleibsel der alten Ständever- sammlung darstelle und der König-Herzog ihre Privilegien noch im Jahre 1816, also bereits zur Zeit des Deutschen Bundes, bestätigt habe. Doch über die Formbedenken kam er nicht hinweg; daß der Bund sich mit Schleswig befasse, schien ihm "gar nicht gedenkbar".*) Auch Bernstorff war den Rittern keineswegs feindlich gesinnt. Seinem Ancillon gestand er im Vertrauen, die dänische Krone habe sich vielfaches Unrecht gegen den hol- steinischen Adel zu Schulden kommen lassen.**) Aber eine Berufung auf den Art. 56 der Schlußakte konnte und wollte er nicht zulassen; er hatte diesen Artikel selber verfaßt und wußte am Besten, daß Dahlmann ihn unrichtig auslegte. Eben jetzt ward das Gesetz über die preußischen Pro- vinzialstände vorbereitet, das alle die Trümmerstücke altständischer Ver- fassungen in Cleve, Pommern, den Marken und den Lausitzen mit einem
*) Goltz, Bericht über die Eingabe der holsteinischen Ritterschaft, 14. Dec. 1822.
**) Bernstorff an Ancillon, 24. Jan. 1823.
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
Noch ein anderes Formbedenken lag der Beſchwerde im Wege. Schles- wig gehörte nicht zum Deutſchen Bunde, der Bundestag war nicht be- fugt ſich um dies Land zu kümmern, darum hatten auch nur die Hol- ſteiniſchen Ritter ſich nach Frankfurt gewendet. Für eine kühne, weitaus- ſchauende deutſche Politik war dies freilich kein Hinderniß. Warum ſollte der Bundestag minder muthig ſein, als Kaiſer Leopold I., der einſt den Dänen erklärt hatte, wer Holſtein ſchützen wolle müſſe ſich auch in Schles- wigs Wirren miſchen? Wenn der Bund für die Untrennbarkeit Schles- wigholſteins entſchieden eintrat, ſo wahrte er zugleich ein unbeſtreitbares Recht des Bundeslandes Holſtein und bereitete vielleicht für die Zukunft den Eintritt Schleswigs vor, das ſchon einmal, im dreißigjährigen Kriege, zu den Reichslaſten beigeſteuert hatte. Aber zu ſolchen Gedanken ver- mochte ſich weder der Bundestag noch die Nation zu erheben. Die deutſche Preſſe betrachtete die Frage mit einer Gemüthsruhe, die nur zu deutlich zeigte, daß noch faſt Niemand etwas ahnte von der welthiſtoriſchen Be- deutung des Kampfes, der ſich hier ankündigte; einzelne liberale Blätter fanden den Eifer der nordalbingiſchen Privilegirten faſt lächerlich. In Frankfurt aber herrſchte eine rein formaliſtiſche Anſicht vom Bundesrechte. Da Oeſterreich, Preußen, Luxemburg dem Bunde aus guten Gründen jede Einmiſchung in die Angelegenheiten Ungarns, Poſens, Hollands ver- ſagten, ſo wollten ſie den Bundestag auch den ſchleswigſchen Händeln fern halten. Ueberdies war man in der Eſchenheimer Gaſſe ſchon längſt geneigt, jede Beſchwerde von Unterthanen wider die Obrigkeit als gefähr- liche Widerſetzlichkeit zu betrachten.
In einem Gutachten, das wahrſcheinlich aus Klüber’s Feder ſtammte, ſprach ſich Graf Goltz über „den würdigen und angemeſſenen Ton“ der Dahlmann’ſchen Denkſchrift ſehr freundlich aus; er gab auch zu, daß die Deputation der Ritterſchaft das letzte Ueberbleibſel der alten Ständever- ſammlung darſtelle und der König-Herzog ihre Privilegien noch im Jahre 1816, alſo bereits zur Zeit des Deutſchen Bundes, beſtätigt habe. Doch über die Formbedenken kam er nicht hinweg; daß der Bund ſich mit Schleswig befaſſe, ſchien ihm „gar nicht gedenkbar“.*) Auch Bernſtorff war den Rittern keineswegs feindlich geſinnt. Seinem Ancillon geſtand er im Vertrauen, die däniſche Krone habe ſich vielfaches Unrecht gegen den hol- ſteiniſchen Adel zu Schulden kommen laſſen.**) Aber eine Berufung auf den Art. 56 der Schlußakte konnte und wollte er nicht zulaſſen; er hatte dieſen Artikel ſelber verfaßt und wußte am Beſten, daß Dahlmann ihn unrichtig auslegte. Eben jetzt ward das Geſetz über die preußiſchen Pro- vinzialſtände vorbereitet, das alle die Trümmerſtücke altſtändiſcher Ver- faſſungen in Cleve, Pommern, den Marken und den Lauſitzen mit einem
*) Goltz, Bericht über die Eingabe der holſteiniſchen Ritterſchaft, 14. Dec. 1822.
**) Bernſtorff an Ancillon, 24. Jan. 1823.
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Noch ein anderes Formbedenken lag der Beſchwerde im Wege. Schles-
wig gehörte nicht zum Deutſchen Bunde, der Bundestag war nicht be-
fugt ſich um dies Land zu kümmern, darum hatten auch nur die Hol-
ſteiniſchen Ritter ſich nach Frankfurt gewendet. Für eine kühne, weitaus-
ſchauende deutſche Politik war dies freilich kein Hinderniß. Warum ſollte
der Bundestag minder muthig ſein, als Kaiſer Leopold I., der einſt den
Dänen erklärt hatte, wer Holſtein ſchützen wolle müſſe ſich auch in Schles-
wigs Wirren miſchen? Wenn der Bund für die Untrennbarkeit Schles-
wigholſteins entſchieden eintrat, ſo wahrte er zugleich ein unbeſtreitbares
Recht des Bundeslandes Holſtein und bereitete vielleicht für die Zukunft
den Eintritt Schleswigs vor, das ſchon einmal, im dreißigjährigen Kriege,
zu den Reichslaſten beigeſteuert hatte. Aber zu ſolchen Gedanken ver-
mochte ſich weder der Bundestag noch die Nation zu erheben. Die deutſche
Preſſe betrachtete die Frage mit einer Gemüthsruhe, die nur zu deutlich
zeigte, daß noch faſt Niemand etwas ahnte von der welthiſtoriſchen Be-
deutung des Kampfes, der ſich hier ankündigte; einzelne liberale Blätter
fanden den Eifer der nordalbingiſchen Privilegirten faſt lächerlich. In
Frankfurt aber herrſchte eine rein formaliſtiſche Anſicht vom Bundesrechte.
Da Oeſterreich, Preußen, Luxemburg dem Bunde aus guten Gründen
jede Einmiſchung in die Angelegenheiten Ungarns, Poſens, Hollands ver-
ſagten, ſo wollten ſie den Bundestag auch den ſchleswigſchen Händeln
fern halten. Ueberdies war man in der Eſchenheimer Gaſſe ſchon längſt
geneigt, jede Beſchwerde von Unterthanen wider die Obrigkeit als gefähr-
liche Widerſetzlichkeit zu betrachten.
In einem Gutachten, das wahrſcheinlich aus Klüber’s Feder ſtammte,
ſprach ſich Graf Goltz über „den würdigen und angemeſſenen Ton“ der
Dahlmann’ſchen Denkſchrift ſehr freundlich aus; er gab auch zu, daß die
Deputation der Ritterſchaft das letzte Ueberbleibſel der alten Ständever-
ſammlung darſtelle und der König-Herzog ihre Privilegien noch im Jahre
1816, alſo bereits zur Zeit des Deutſchen Bundes, beſtätigt habe. Doch
über die Formbedenken kam er nicht hinweg; daß der Bund ſich mit
Schleswig befaſſe, ſchien ihm „gar nicht gedenkbar“. *) Auch Bernſtorff war
den Rittern keineswegs feindlich geſinnt. Seinem Ancillon geſtand er im
Vertrauen, die däniſche Krone habe ſich vielfaches Unrecht gegen den hol-
ſteiniſchen Adel zu Schulden kommen laſſen. **) Aber eine Berufung auf
den Art. 56 der Schlußakte konnte und wollte er nicht zulaſſen; er hatte
dieſen Artikel ſelber verfaßt und wußte am Beſten, daß Dahlmann ihn
unrichtig auslegte. Eben jetzt ward das Geſetz über die preußiſchen Pro-
vinzialſtände vorbereitet, das alle die Trümmerſtücke altſtändiſcher Ver-
faſſungen in Cleve, Pommern, den Marken und den Lauſitzen mit einem
*) Goltz, Bericht über die Eingabe der holſteiniſchen Ritterſchaft, 14. Dec. 1822.
**) Bernſtorff an Ancillon, 24. Jan. 1823.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/614>, abgerufen am 24.11.2024.
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