der Schleichhandel blühte fröhlich fort, die Grenzwache Preußens war machtlos gegen den bösen Willen der herzoglichen Behörden. Obwohl der Berliner Hof über Adam Müller's Ränke genau unterrichtet war, so wollte er doch schlechterdings nicht glauben, daß Fürst Metternich das Treiben seines Generalconsuls billige. Jahrelang ertrug der preußische Adler langmüthig die Bisse der anhaltischen Maus, immer in der Hoff- nung, daß die drei Herzoge endlich noch ihr Wort einlösen würden.
Und in diesem Streite, der alle Selbstsucht, allen Dünkel, alle Thor- heit der Kleinstaaterei an den Tag brachte, stand die deutsche Presse wie ein Mann zu den anhaltischen Schmugglern. Der Schmerzensschrei des freien Kötheners war das Wiegenlied der deutschen Handelseinheit, die erst nach zwei Menschenaltern auf demselben Elbstrome unter den Wehe- rufen des freien Hamburgers ihr letztes Ziel erreichen sollte. Mit einer Verblendung ohne gleichen täuschte sich die Bevölkerung der kleinen Staaten, bei jeder Wendung dieses wirrenreichen Kampfes, regelmäßig über ihr eigenes und des Vaterlandes Wohl, um jedesmal, sobald der gefürchtete Anschluß an Preußen endlich vollzogen war, die Nothwendigkeit der Aen- derung nachträglich dankbar anzuerkennen. Ebenso regelmäßig verdeckte der Partikularismus seine Selbstsucht hinter dem schönen Worte der Frei- heit; bald nahm er die Freiheit des Handels, bald das freie Selbstbe- stimmungsrecht der deutschen Ströme, bald auch Beides zugleich zum Vorwand, und jedesmal ließ sich die vom Liberalismus beherrschte öffent- liche Meinung durch solche hohle Kraftworte verführen.
Die unausrottbaren Vorurtheile wider das preußische Zollgesetz wirkten zusammen mit jener gedankenlosen Gemüthlichkeit, die es unbe- sehen für unedel hält, bei einem Kampfe zwischen Macht und Ohnmacht die Partei des Stärkeren zu ergreifen. Und dazu der juristische Forma- lismus unserer politischen Bildung, der gar nicht ahnte, daß im Staaten- verkehre das formelle Recht nichtig ist, wenn es nicht durch die lebendige Macht getragen wird. War denn Köthen nicht ebenso souverän wie Preußen? Wie durfte man dieser souveränen Macht einen Zollanschluß zumuthen, der ihr freilich nur Segen bringen konnte und sich aus ihrer geographischen Lage mit unabwendbarer Nothwendigkeit ergab, aber ihrem freien Selbstbestimmungsrechte widersprach? Und wenn es ihr beliebte, die Freiheit der Elbe zur boshaften Schädigung des Nachbarlandes zu ge- brauchen -- in welchem Artikel der Bundesakte war dies denn verboten? Daß Anhalt sich durch die Wiener Verträge zur Beseitigung des Schleich- handels verbunden hatte, überging man mit Stillschweigen. Bignon, der alte Anwalt der deutschen Kleinstaaten, trat ebenfalls auf den Kampfplatz mit einem offenen Briefe über den preußisch-anhaltischen Streit. Er be- klagte schmerzlich, daß Frankreich nicht mehr wie sonst vom Niederrheine her des Richteramtes über Deutschland warten könne; aber "Frankreich ist von der Natur bestimmt immer zu herrschen, und wenn es das Scepter
Anhaltiſcher Schleichhandel.
der Schleichhandel blühte fröhlich fort, die Grenzwache Preußens war machtlos gegen den böſen Willen der herzoglichen Behörden. Obwohl der Berliner Hof über Adam Müller’s Ränke genau unterrichtet war, ſo wollte er doch ſchlechterdings nicht glauben, daß Fürſt Metternich das Treiben ſeines Generalconſuls billige. Jahrelang ertrug der preußiſche Adler langmüthig die Biſſe der anhaltiſchen Maus, immer in der Hoff- nung, daß die drei Herzoge endlich noch ihr Wort einlöſen würden.
Und in dieſem Streite, der alle Selbſtſucht, allen Dünkel, alle Thor- heit der Kleinſtaaterei an den Tag brachte, ſtand die deutſche Preſſe wie ein Mann zu den anhaltiſchen Schmugglern. Der Schmerzensſchrei des freien Kötheners war das Wiegenlied der deutſchen Handelseinheit, die erſt nach zwei Menſchenaltern auf demſelben Elbſtrome unter den Wehe- rufen des freien Hamburgers ihr letztes Ziel erreichen ſollte. Mit einer Verblendung ohne gleichen täuſchte ſich die Bevölkerung der kleinen Staaten, bei jeder Wendung dieſes wirrenreichen Kampfes, regelmäßig über ihr eigenes und des Vaterlandes Wohl, um jedesmal, ſobald der gefürchtete Anſchluß an Preußen endlich vollzogen war, die Nothwendigkeit der Aen- derung nachträglich dankbar anzuerkennen. Ebenſo regelmäßig verdeckte der Partikularismus ſeine Selbſtſucht hinter dem ſchönen Worte der Frei- heit; bald nahm er die Freiheit des Handels, bald das freie Selbſtbe- ſtimmungsrecht der deutſchen Ströme, bald auch Beides zugleich zum Vorwand, und jedesmal ließ ſich die vom Liberalismus beherrſchte öffent- liche Meinung durch ſolche hohle Kraftworte verführen.
Die unausrottbaren Vorurtheile wider das preußiſche Zollgeſetz wirkten zuſammen mit jener gedankenloſen Gemüthlichkeit, die es unbe- ſehen für unedel hält, bei einem Kampfe zwiſchen Macht und Ohnmacht die Partei des Stärkeren zu ergreifen. Und dazu der juriſtiſche Forma- lismus unſerer politiſchen Bildung, der gar nicht ahnte, daß im Staaten- verkehre das formelle Recht nichtig iſt, wenn es nicht durch die lebendige Macht getragen wird. War denn Köthen nicht ebenſo ſouverän wie Preußen? Wie durfte man dieſer ſouveränen Macht einen Zollanſchluß zumuthen, der ihr freilich nur Segen bringen konnte und ſich aus ihrer geographiſchen Lage mit unabwendbarer Nothwendigkeit ergab, aber ihrem freien Selbſtbeſtimmungsrechte widerſprach? Und wenn es ihr beliebte, die Freiheit der Elbe zur boshaften Schädigung des Nachbarlandes zu ge- brauchen — in welchem Artikel der Bundesakte war dies denn verboten? Daß Anhalt ſich durch die Wiener Verträge zur Beſeitigung des Schleich- handels verbunden hatte, überging man mit Stillſchweigen. Bignon, der alte Anwalt der deutſchen Kleinſtaaten, trat ebenfalls auf den Kampfplatz mit einem offenen Briefe über den preußiſch-anhaltiſchen Streit. Er be- klagte ſchmerzlich, daß Frankreich nicht mehr wie ſonſt vom Niederrheine her des Richteramtes über Deutſchland warten könne; aber „Frankreich iſt von der Natur beſtimmt immer zu herrſchen, und wenn es das Scepter
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[45/0061]
Anhaltiſcher Schleichhandel.
der Schleichhandel blühte fröhlich fort, die Grenzwache Preußens war
machtlos gegen den böſen Willen der herzoglichen Behörden. Obwohl
der Berliner Hof über Adam Müller’s Ränke genau unterrichtet war, ſo
wollte er doch ſchlechterdings nicht glauben, daß Fürſt Metternich das
Treiben ſeines Generalconſuls billige. Jahrelang ertrug der preußiſche
Adler langmüthig die Biſſe der anhaltiſchen Maus, immer in der Hoff-
nung, daß die drei Herzoge endlich noch ihr Wort einlöſen würden.
Und in dieſem Streite, der alle Selbſtſucht, allen Dünkel, alle Thor-
heit der Kleinſtaaterei an den Tag brachte, ſtand die deutſche Preſſe wie
ein Mann zu den anhaltiſchen Schmugglern. Der Schmerzensſchrei des
freien Kötheners war das Wiegenlied der deutſchen Handelseinheit, die
erſt nach zwei Menſchenaltern auf demſelben Elbſtrome unter den Wehe-
rufen des freien Hamburgers ihr letztes Ziel erreichen ſollte. Mit einer
Verblendung ohne gleichen täuſchte ſich die Bevölkerung der kleinen Staaten,
bei jeder Wendung dieſes wirrenreichen Kampfes, regelmäßig über ihr
eigenes und des Vaterlandes Wohl, um jedesmal, ſobald der gefürchtete
Anſchluß an Preußen endlich vollzogen war, die Nothwendigkeit der Aen-
derung nachträglich dankbar anzuerkennen. Ebenſo regelmäßig verdeckte
der Partikularismus ſeine Selbſtſucht hinter dem ſchönen Worte der Frei-
heit; bald nahm er die Freiheit des Handels, bald das freie Selbſtbe-
ſtimmungsrecht der deutſchen Ströme, bald auch Beides zugleich zum
Vorwand, und jedesmal ließ ſich die vom Liberalismus beherrſchte öffent-
liche Meinung durch ſolche hohle Kraftworte verführen.
Die unausrottbaren Vorurtheile wider das preußiſche Zollgeſetz
wirkten zuſammen mit jener gedankenloſen Gemüthlichkeit, die es unbe-
ſehen für unedel hält, bei einem Kampfe zwiſchen Macht und Ohnmacht
die Partei des Stärkeren zu ergreifen. Und dazu der juriſtiſche Forma-
lismus unſerer politiſchen Bildung, der gar nicht ahnte, daß im Staaten-
verkehre das formelle Recht nichtig iſt, wenn es nicht durch die lebendige
Macht getragen wird. War denn Köthen nicht ebenſo ſouverän wie
Preußen? Wie durfte man dieſer ſouveränen Macht einen Zollanſchluß
zumuthen, der ihr freilich nur Segen bringen konnte und ſich aus ihrer
geographiſchen Lage mit unabwendbarer Nothwendigkeit ergab, aber ihrem
freien Selbſtbeſtimmungsrechte widerſprach? Und wenn es ihr beliebte,
die Freiheit der Elbe zur boshaften Schädigung des Nachbarlandes zu ge-
brauchen — in welchem Artikel der Bundesakte war dies denn verboten?
Daß Anhalt ſich durch die Wiener Verträge zur Beſeitigung des Schleich-
handels verbunden hatte, überging man mit Stillſchweigen. Bignon, der
alte Anwalt der deutſchen Kleinſtaaten, trat ebenfalls auf den Kampfplatz
mit einem offenen Briefe über den preußiſch-anhaltiſchen Streit. Er be-
klagte ſchmerzlich, daß Frankreich nicht mehr wie ſonſt vom Niederrheine
her des Richteramtes über Deutſchland warten könne; aber „Frankreich
iſt von der Natur beſtimmt immer zu herrſchen, und wenn es das Scepter
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/61>, abgerufen am 28.11.2024.
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