Nur offenbare Willkür und Rechtsverletzung konnten dies Land des Beharrens zu einem nationalen Kampfe aufstacheln. Schon seit Langem bemühte sich die dänische Krone, die Vollgewalt, die ihr in Dänemark seit dem Königsgesetze zustand, auch über Schleswigholstein zu erstrecken. Der einst so mächtige Landtag der Herzogthümer war in Verfall gerathen, weil er nach altständischer Unart nicht verstanden hatte, durch rechtzeitige Er- höhung der Steuern den gesteigerten Ansprüchen des modernen Staates gerecht zu werden. Im Jahre 1675 trat er zum letzten male ordnungs- mäßig zusammen. Die Städte zogen sich von ihm zurück. Die Prälaten und Ritter tagten noch einmal vollzählig im Jahre 1711. Dann schliefen die altehrwürdigen Institutionen allmählich ein, und am Ende des acht- zehnten Jahrhunderts war nichts mehr davon übrig als die fortwährende Deputation der Prälaten und Ritterschaft. Diese sieben Männer mit ihrem Sekretär sorgten, ähnlich wie der ständische Ausschuß der Kurmark, für die gemeinsamen Standesangelegenheiten des Grundadels. Aber auf dem Bestande dieses unscheinbaren Ausschusses und dem nexus socialis der Ritterschaft beruhte wesentlich die alte staatsrechtliche Untrennbarkeit der beiden Herzogthümer. Die Krone stand auch nicht an, das Landes- recht bei jeder Thronbesteigung feierlich zu bestätigen, und hütete sich weis- lich die von den Ständen einmal für allemal bewilligte ordinäre Contri- bution zu erhöhen.
Insgeheim bestand aber am Kopenhagener Hofe längst der Wunsch, mindestens Schleswig unbedingt mit Dänemark zu vereinigen, da das Königsgesetz und seine neue Erbfolgeordnung in den deutschen Herzog- thümern nicht galt. Schleswig war seit 1658 ein souveränes Herzog- thum, und als König Friedrich IV. im Jahre 1721 den gottorpischen An- theil des Landes mit dem königlichen vereinigte, ließ er die huldigenden Prälaten, Ritter und Beamten den zweideutigen, offenbar in hinterhal- tiger Absicht ersonnenen Eid leisten: sie wollten "ihm und seinen Erb- successoren in der Regierung secundum tenorem legis regiae treu, hold und gewärtig sein." Er dachte bereits daran, ganz Schleswig förmlich dem dänischen Königreiche einzuverleiben; auf die Vorstellungen seiner be- hutsamen Räthe gab er jedoch den Vorsatz auf und getröstete sich der Hoff- nung, die Einverleibung werde von selber, peu adpres peu, erfolgen. Nachher wurde ein gemeinsames Indigenat für Dänemark und Schles- wigholstein eingeführt; die Urkunden besorgte die dänische Kanzlei allein. Mittlerweile erwachte in Dänemark, weit früher als in Schleswigholstein, der nationale Ehrgeiz; das Inselvolk ward es müde, beständig von deut- schen Ministern regiert zu werden. Schon an dem tragischen Sturze Struensee's hatte der Haß der Dänen gegen die Deutschen starken Antheil. Unter dem weisen Regimente der beiden älteren Grafen Bernstorff kam dann noch einmal eine maßvolle Staatskunst ans Ruder, die sich redlich bemühte die Angelegenheiten Dänemarks, Schleswigholsteins, Norwegens
Däniſche Uebergriffe.
Nur offenbare Willkür und Rechtsverletzung konnten dies Land des Beharrens zu einem nationalen Kampfe aufſtacheln. Schon ſeit Langem bemühte ſich die däniſche Krone, die Vollgewalt, die ihr in Dänemark ſeit dem Königsgeſetze zuſtand, auch über Schleswigholſtein zu erſtrecken. Der einſt ſo mächtige Landtag der Herzogthümer war in Verfall gerathen, weil er nach altſtändiſcher Unart nicht verſtanden hatte, durch rechtzeitige Er- höhung der Steuern den geſteigerten Anſprüchen des modernen Staates gerecht zu werden. Im Jahre 1675 trat er zum letzten male ordnungs- mäßig zuſammen. Die Städte zogen ſich von ihm zurück. Die Prälaten und Ritter tagten noch einmal vollzählig im Jahre 1711. Dann ſchliefen die altehrwürdigen Inſtitutionen allmählich ein, und am Ende des acht- zehnten Jahrhunderts war nichts mehr davon übrig als die fortwährende Deputation der Prälaten und Ritterſchaft. Dieſe ſieben Männer mit ihrem Sekretär ſorgten, ähnlich wie der ſtändiſche Ausſchuß der Kurmark, für die gemeinſamen Standesangelegenheiten des Grundadels. Aber auf dem Beſtande dieſes unſcheinbaren Ausſchuſſes und dem nexus socialis der Ritterſchaft beruhte weſentlich die alte ſtaatsrechtliche Untrennbarkeit der beiden Herzogthümer. Die Krone ſtand auch nicht an, das Landes- recht bei jeder Thronbeſteigung feierlich zu beſtätigen, und hütete ſich weis- lich die von den Ständen einmal für allemal bewilligte ordinäre Contri- bution zu erhöhen.
Insgeheim beſtand aber am Kopenhagener Hofe längſt der Wunſch, mindeſtens Schleswig unbedingt mit Dänemark zu vereinigen, da das Königsgeſetz und ſeine neue Erbfolgeordnung in den deutſchen Herzog- thümern nicht galt. Schleswig war ſeit 1658 ein ſouveränes Herzog- thum, und als König Friedrich IV. im Jahre 1721 den gottorpiſchen An- theil des Landes mit dem königlichen vereinigte, ließ er die huldigenden Prälaten, Ritter und Beamten den zweideutigen, offenbar in hinterhal- tiger Abſicht erſonnenen Eid leiſten: ſie wollten „ihm und ſeinen Erb- ſucceſſoren in der Regierung secundum tenorem legis regiae treu, hold und gewärtig ſein.“ Er dachte bereits daran, ganz Schleswig förmlich dem däniſchen Königreiche einzuverleiben; auf die Vorſtellungen ſeiner be- hutſamen Räthe gab er jedoch den Vorſatz auf und getröſtete ſich der Hoff- nung, die Einverleibung werde von ſelber, peu adpres peu, erfolgen. Nachher wurde ein gemeinſames Indigenat für Dänemark und Schles- wigholſtein eingeführt; die Urkunden beſorgte die däniſche Kanzlei allein. Mittlerweile erwachte in Dänemark, weit früher als in Schleswigholſtein, der nationale Ehrgeiz; das Inſelvolk ward es müde, beſtändig von deut- ſchen Miniſtern regiert zu werden. Schon an dem tragiſchen Sturze Struenſee’s hatte der Haß der Dänen gegen die Deutſchen ſtarken Antheil. Unter dem weiſen Regimente der beiden älteren Grafen Bernſtorff kam dann noch einmal eine maßvolle Staatskunſt ans Ruder, die ſich redlich bemühte die Angelegenheiten Dänemarks, Schleswigholſteins, Norwegens
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Däniſche Uebergriffe.
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Beharrens zu einem nationalen Kampfe aufſtacheln. Schon ſeit Langem
bemühte ſich die däniſche Krone, die Vollgewalt, die ihr in Dänemark ſeit
dem Königsgeſetze zuſtand, auch über Schleswigholſtein zu erſtrecken. Der
einſt ſo mächtige Landtag der Herzogthümer war in Verfall gerathen, weil
er nach altſtändiſcher Unart nicht verſtanden hatte, durch rechtzeitige Er-
höhung der Steuern den geſteigerten Anſprüchen des modernen Staates
gerecht zu werden. Im Jahre 1675 trat er zum letzten male ordnungs-
mäßig zuſammen. Die Städte zogen ſich von ihm zurück. Die Prälaten
und Ritter tagten noch einmal vollzählig im Jahre 1711. Dann ſchliefen
die altehrwürdigen Inſtitutionen allmählich ein, und am Ende des acht-
zehnten Jahrhunderts war nichts mehr davon übrig als die fortwährende
Deputation der Prälaten und Ritterſchaft. Dieſe ſieben Männer mit
ihrem Sekretär ſorgten, ähnlich wie der ſtändiſche Ausſchuß der Kurmark,
für die gemeinſamen Standesangelegenheiten des Grundadels. Aber auf
dem Beſtande dieſes unſcheinbaren Ausſchuſſes und dem nexus socialis
der Ritterſchaft beruhte weſentlich die alte ſtaatsrechtliche Untrennbarkeit
der beiden Herzogthümer. Die Krone ſtand auch nicht an, das Landes-
recht bei jeder Thronbeſteigung feierlich zu beſtätigen, und hütete ſich weis-
lich die von den Ständen einmal für allemal bewilligte ordinäre Contri-
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Insgeheim beſtand aber am Kopenhagener Hofe längſt der Wunſch,
mindeſtens Schleswig unbedingt mit Dänemark zu vereinigen, da das
Königsgeſetz und ſeine neue Erbfolgeordnung in den deutſchen Herzog-
thümern nicht galt. Schleswig war ſeit 1658 ein ſouveränes Herzog-
thum, und als König Friedrich IV. im Jahre 1721 den gottorpiſchen An-
theil des Landes mit dem königlichen vereinigte, ließ er die huldigenden
Prälaten, Ritter und Beamten den zweideutigen, offenbar in hinterhal-
tiger Abſicht erſonnenen Eid leiſten: ſie wollten „ihm und ſeinen Erb-
ſucceſſoren in der Regierung secundum tenorem legis regiae treu, hold
und gewärtig ſein.“ Er dachte bereits daran, ganz Schleswig förmlich
dem däniſchen Königreiche einzuverleiben; auf die Vorſtellungen ſeiner be-
hutſamen Räthe gab er jedoch den Vorſatz auf und getröſtete ſich der Hoff-
nung, die Einverleibung werde von ſelber, peu adpres peu, erfolgen.
Nachher wurde ein gemeinſames Indigenat für Dänemark und Schles-
wigholſtein eingeführt; die Urkunden beſorgte die däniſche Kanzlei allein.
Mittlerweile erwachte in Dänemark, weit früher als in Schleswigholſtein,
der nationale Ehrgeiz; das Inſelvolk ward es müde, beſtändig von deut-
ſchen Miniſtern regiert zu werden. Schon an dem tragiſchen Sturze
Struenſee’s hatte der Haß der Dänen gegen die Deutſchen ſtarken Antheil.
Unter dem weiſen Regimente der beiden älteren Grafen Bernſtorff kam
dann noch einmal eine maßvolle Staatskunſt ans Ruder, die ſich redlich
bemühte die Angelegenheiten Dänemarks, Schleswigholſteins, Norwegens
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/607>, abgerufen am 23.11.2024.
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