Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. "Beide Gegenstände (die Handelspolitik und die braunschweigische Sache)vertragen nicht eine solche Verbindung. Indeß es sich bei dem ersteren um blos materielle Interessen handelt, gilt es bei dem anderen Gegen- stande Gesinnungen, über welche es sich gar nicht transigiren läßt. Wir wollen nicht zuerst das Beispiel von Mißtrauen oder gar von Unrecht gegen die deutschen Staaten geben, welche bisher den Willen zu haben schienen mit uns in guter Freundschaft zu leben."*) Immer wieder ließ Bernstorff in Wien mahnen, daß man gegen den Herzog eine ernste Sprache führen, den Streit schlechterdings aus der Welt schaffen müsse.**) Fast zwei Jahre lang mußte Nagler in Frankfurt mit dem Präsidialge- sandten kämpfen, der immer neue Ausflüchte fand um die Berathung zu vertagen. Die Herzensmeinung der Hofburg erhellte unwidersprechlich schon aus der einen Thatsache, daß Herzog Karl sich am Bundestage durch Metternich's nächsten Vertrauten, den Nassauer Marschall vertreten ließ. Die hoffärtige, fast drohende Sprache des hannoverschen Gesandten v. Stra- lenheim gab auch den Wohlmeinenden manchen Anlaß zu Bedenken. Endlich, am 20. August 1829, sah sich Münch doch genöthigt zur *) Ministerialschreiben an Bülow in London, 26. Sept. 1828. **) Ministerialschreiben an Maltzahn, 14., 28. Febr. 1828 u. s. w. ***) Nagler's Berichte, 21. Aug., 3., 22. Sept.; Bülow und Eichhorn, Ministerial-
schreiben an Nagler, 13. Sept. 1828. III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland. „Beide Gegenſtände (die Handelspolitik und die braunſchweigiſche Sache)vertragen nicht eine ſolche Verbindung. Indeß es ſich bei dem erſteren um blos materielle Intereſſen handelt, gilt es bei dem anderen Gegen- ſtande Geſinnungen, über welche es ſich gar nicht transigiren läßt. Wir wollen nicht zuerſt das Beiſpiel von Mißtrauen oder gar von Unrecht gegen die deutſchen Staaten geben, welche bisher den Willen zu haben ſchienen mit uns in guter Freundſchaft zu leben.“*) Immer wieder ließ Bernſtorff in Wien mahnen, daß man gegen den Herzog eine ernſte Sprache führen, den Streit ſchlechterdings aus der Welt ſchaffen müſſe.**) Faſt zwei Jahre lang mußte Nagler in Frankfurt mit dem Präſidialge- ſandten kämpfen, der immer neue Ausflüchte fand um die Berathung zu vertagen. Die Herzensmeinung der Hofburg erhellte unwiderſprechlich ſchon aus der einen Thatſache, daß Herzog Karl ſich am Bundestage durch Metternich’s nächſten Vertrauten, den Naſſauer Marſchall vertreten ließ. Die hoffärtige, faſt drohende Sprache des hannoverſchen Geſandten v. Stra- lenheim gab auch den Wohlmeinenden manchen Anlaß zu Bedenken. Endlich, am 20. Auguſt 1829, ſah ſich Münch doch genöthigt zur *) Miniſterialſchreiben an Bülow in London, 26. Sept. 1828. **) Miniſterialſchreiben an Maltzahn, 14., 28. Febr. 1828 u. ſ. w. ***) Nagler’s Berichte, 21. Aug., 3., 22. Sept.; Bülow und Eichhorn, Miniſterial-
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III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
„Beide Gegenſtände (die Handelspolitik und die braunſchweigiſche Sache)
vertragen nicht eine ſolche Verbindung. Indeß es ſich bei dem erſteren
um blos materielle Intereſſen handelt, gilt es bei dem anderen Gegen-
ſtande Geſinnungen, über welche es ſich gar nicht transigiren läßt. Wir
wollen nicht zuerſt das Beiſpiel von Mißtrauen oder gar von Unrecht
gegen die deutſchen Staaten geben, welche bisher den Willen zu haben
ſchienen mit uns in guter Freundſchaft zu leben.“ *) Immer wieder ließ
Bernſtorff in Wien mahnen, daß man gegen den Herzog eine ernſte
Sprache führen, den Streit ſchlechterdings aus der Welt ſchaffen müſſe. **)
Faſt zwei Jahre lang mußte Nagler in Frankfurt mit dem Präſidialge-
ſandten kämpfen, der immer neue Ausflüchte fand um die Berathung zu
vertagen. Die Herzensmeinung der Hofburg erhellte unwiderſprechlich ſchon
aus der einen Thatſache, daß Herzog Karl ſich am Bundestage durch
Metternich’s nächſten Vertrauten, den Naſſauer Marſchall vertreten ließ.
Die hoffärtige, faſt drohende Sprache des hannoverſchen Geſandten v. Stra-
lenheim gab auch den Wohlmeinenden manchen Anlaß zu Bedenken.
Endlich, am 20. Auguſt 1829, ſah ſich Münch doch genöthigt zur
Abſtimmung zu ſchreiten. Die Mehrheit beſchloß den Herzog aufzufordern,
daß er die Verordnung vom Mai 1827 zurücknehmen, an König Georg
ein Entſchuldigungsſchreiben richten und ſeinen Hofjägermeiſter wegen der
Herausforderung des Grafen Münſter beſtrafen ſolle. Einige Tage darauf
überraſchte Münch die Geſandten durch die Mittheilung, die Sitzungen
des Bundestags ſeien für dies Jahr geſchloſſen. Der Berliner Hof war
aufs Aeußerſte erſtaunt, „wie gerade im gegenwärtigen Moment, bei der
bekannten Lage der braunſchweigiſch-hannoverſchen Streitſache, jene ange-
kündigte Vertagung irgend für angemeſſen erachtet werden konnte“. In
der That mußte Münch am 17. September, nachdem mehrere Geſandte
ſchon abgereiſt waren, noch eine nachträgliche Sitzung halten, und nun-
mehr ließ König Georg die verſöhnliche Erklärung abgeben, daß er auf
das Entſchuldigungsſchreiben verzichte. ***) Widerſetzlichkeit gegen den alſo
abgeſchwächten Beſchluß ſchien kaum noch möglich; die Commiſſion des
Bundestags hatte ſich nach Kräften bemüht, unparteiiſch zu verfahren und
offen ausgeſprochen, daß ſie den Ton der Münſter’ſchen Streitſchrift nicht
billigen könne. Aber die erfinderiſche Bosheit des jungen Welfen wußte
ſich zu helfen. Er hatte wieder unzählige Einwände und Gegenklagen in
Bereitſchaft; unter Anderem klagte er über eine längſt entſchuldigte Gebiets-
verletzung, die ein hannoverſches Bataillon in Folge einer Ueberſchwem-
mung bei einem Uebungsmarſche begangen hatte. Er forderte, der Bun-
*) Miniſterialſchreiben an Bülow in London, 26. Sept. 1828.
**) Miniſterialſchreiben an Maltzahn, 14., 28. Febr. 1828 u. ſ. w.
***) Nagler’s Berichte, 21. Aug., 3., 22. Sept.; Bülow und Eichhorn, Miniſterial-
ſchreiben an Nagler, 13. Sept. 1828.
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