seiner ersten Thronrede erklärte, und sprach immer nur mangelhaft deutsch. Nach altem Hausbrauch ließ er dem Stammlande, insonderheit dem Adel und den Beamten, reiche Geschenke zufließen; doch bei jedem Streite der Interessen entschied er für England. Niemals wollte er gestatten, daß Kur- hannover das britische Parlament an die Zahlung der rückständigen Sub- sidien mahnte. Da er indessen seine hannoverschen Geheimen Räthe in ihrem Stillleben wenig störte, so erfuhr er an unzähligen Beweisen der Treue, wie viel Liebe das deutsche Gemüth zu verschwenden vermag. Seine Deutschen verehrten ihn zärtlich, weil er der König hieß und weil die klein- bürgerliche Ehrbarkeit seines häuslichen Lebens ihre Herzen gewann. Als er starb, fiel in England manches scharfe Wort über die erschreckende Nich- tigkeit dieses langen Lebens. Lord Byron schrieb seine von Geist und Bos- heit überschäumende Satire "die Vision des Gerichts" und ließ den hei- ligen Petrus an der Himmelsthüre sprechen:
Den Welfen einzulassen soll mein Amt sein? Eh' ich das thue will ich selbst verdammt sein.
In dem deutschen Welfenlande herrschte tiefe Trauer.
Dieselbe urtheilslose Verehrung ward auch dem Prinzregenten und Könige Georg IV. entgegengebracht, obgleich der Sohn sich um sein deut- sches Land sogar noch weniger bekümmerte als der Vater. Wie weit zu- rück schien schon die Zeit zu liegen, da dieser Prinz einst mit dem Beau Brummell im Erfinden neuer Pommaden, Kravatten, Schuhschnallen ge- wetteifert und um den Namen des ersten Gentleman von Europa gerungen hatte. Jetzt war der Abgott der Mode nur noch ein früh gealterter Wüstling und Trunkenbold, einer der leersten Menschen, welche jemals einen Thron geschändet haben. Selbst die einzige unbestrittene Tugend seines Hauses, die Tapferkeit, hatte der Weichling nie bewährt, und nur wenn er über seine eigene Gebrechlichkeit frivole Witze riß, zeigte sich auf Augenblicke noch ein matter Abglanz der entschwundenen Lebenskraft. Als Prinz von Wales hatte er nach der Gewohnheit der Thronfolger den Oppo- sitionsführer gespielt, mit Fox und Sheridan, dem tollen Sherry, sich in Freiheitsreden überboten. Seit er die Regentschaft führte, war er längst ein steifer Tory geworden, ein warmer Bewunderer Metternich's; wo ihm aber ein starker Wille entgegentrat, wagte er niemals Farbe zu bekennen, so daß er, in die Zügel knirschend, selbst den verhaßten Canning ertragen mußte. Für sein Stammland meinte er genug gethan zu haben, als er ihm die Königskrone verschafft und den Guelphen-Orden gestiftet hatte, eine Auszeichnung, die in England massenhaft vertheilt, dort ebenso all- gemein verspottet wie in Hannover begehrt wurde.
Die langweiligen Regierungsgeschäfte überließ er dem diplomatischen Schöpfer des neuen Königreichs, dem Grafen Münster, der fortan als deutscher Cabinetsminister in London lebte. Auf Münster's Rath wurde die Würde des Generalgouverneurs nicht dem halsstarrigen Herzog von
Georg III. und IV.
ſeiner erſten Thronrede erklärte, und ſprach immer nur mangelhaft deutſch. Nach altem Hausbrauch ließ er dem Stammlande, inſonderheit dem Adel und den Beamten, reiche Geſchenke zufließen; doch bei jedem Streite der Intereſſen entſchied er für England. Niemals wollte er geſtatten, daß Kur- hannover das britiſche Parlament an die Zahlung der rückſtändigen Sub- ſidien mahnte. Da er indeſſen ſeine hannoverſchen Geheimen Räthe in ihrem Stillleben wenig ſtörte, ſo erfuhr er an unzähligen Beweiſen der Treue, wie viel Liebe das deutſche Gemüth zu verſchwenden vermag. Seine Deutſchen verehrten ihn zärtlich, weil er der König hieß und weil die klein- bürgerliche Ehrbarkeit ſeines häuslichen Lebens ihre Herzen gewann. Als er ſtarb, fiel in England manches ſcharfe Wort über die erſchreckende Nich- tigkeit dieſes langen Lebens. Lord Byron ſchrieb ſeine von Geiſt und Bos- heit überſchäumende Satire „die Viſion des Gerichts“ und ließ den hei- ligen Petrus an der Himmelsthüre ſprechen:
Den Welfen einzulaſſen ſoll mein Amt ſein? Eh’ ich das thue will ich ſelbſt verdammt ſein.
In dem deutſchen Welfenlande herrſchte tiefe Trauer.
Dieſelbe urtheilsloſe Verehrung ward auch dem Prinzregenten und Könige Georg IV. entgegengebracht, obgleich der Sohn ſich um ſein deut- ſches Land ſogar noch weniger bekümmerte als der Vater. Wie weit zu- rück ſchien ſchon die Zeit zu liegen, da dieſer Prinz einſt mit dem Beau Brummell im Erfinden neuer Pommaden, Kravatten, Schuhſchnallen ge- wetteifert und um den Namen des erſten Gentleman von Europa gerungen hatte. Jetzt war der Abgott der Mode nur noch ein früh gealterter Wüſtling und Trunkenbold, einer der leerſten Menſchen, welche jemals einen Thron geſchändet haben. Selbſt die einzige unbeſtrittene Tugend ſeines Hauſes, die Tapferkeit, hatte der Weichling nie bewährt, und nur wenn er über ſeine eigene Gebrechlichkeit frivole Witze riß, zeigte ſich auf Augenblicke noch ein matter Abglanz der entſchwundenen Lebenskraft. Als Prinz von Wales hatte er nach der Gewohnheit der Thronfolger den Oppo- ſitionsführer geſpielt, mit Fox und Sheridan, dem tollen Sherry, ſich in Freiheitsreden überboten. Seit er die Regentſchaft führte, war er längſt ein ſteifer Tory geworden, ein warmer Bewunderer Metternich’s; wo ihm aber ein ſtarker Wille entgegentrat, wagte er niemals Farbe zu bekennen, ſo daß er, in die Zügel knirſchend, ſelbſt den verhaßten Canning ertragen mußte. Für ſein Stammland meinte er genug gethan zu haben, als er ihm die Königskrone verſchafft und den Guelphen-Orden geſtiftet hatte, eine Auszeichnung, die in England maſſenhaft vertheilt, dort ebenſo all- gemein verſpottet wie in Hannover begehrt wurde.
Die langweiligen Regierungsgeſchäfte überließ er dem diplomatiſchen Schöpfer des neuen Königreichs, dem Grafen Münſter, der fortan als deutſcher Cabinetsminiſter in London lebte. Auf Münſter’s Rath wurde die Würde des Generalgouverneurs nicht dem halsſtarrigen Herzog von
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ſeiner erſten Thronrede erklärte, und ſprach immer nur mangelhaft deutſch.
Nach altem Hausbrauch ließ er dem Stammlande, inſonderheit dem Adel
und den Beamten, reiche Geſchenke zufließen; doch bei jedem Streite der
Intereſſen entſchied er für England. Niemals wollte er geſtatten, daß Kur-
hannover das britiſche Parlament an die Zahlung der rückſtändigen Sub-
ſidien mahnte. Da er indeſſen ſeine hannoverſchen Geheimen Räthe in
ihrem Stillleben wenig ſtörte, ſo erfuhr er an unzähligen Beweiſen der
Treue, wie viel Liebe das deutſche Gemüth zu verſchwenden vermag. Seine
Deutſchen verehrten ihn zärtlich, weil er der König hieß und weil die klein-
bürgerliche Ehrbarkeit ſeines häuslichen Lebens ihre Herzen gewann. Als
er ſtarb, fiel in England manches ſcharfe Wort über die erſchreckende Nich-
tigkeit dieſes langen Lebens. Lord Byron ſchrieb ſeine von Geiſt und Bos-
heit überſchäumende Satire „die Viſion des Gerichts“ und ließ den hei-
ligen Petrus an der Himmelsthüre ſprechen:
Den Welfen einzulaſſen ſoll mein Amt ſein?
Eh’ ich das thue will ich ſelbſt verdammt ſein.
In dem deutſchen Welfenlande herrſchte tiefe Trauer.
Dieſelbe urtheilsloſe Verehrung ward auch dem Prinzregenten und
Könige Georg IV. entgegengebracht, obgleich der Sohn ſich um ſein deut-
ſches Land ſogar noch weniger bekümmerte als der Vater. Wie weit zu-
rück ſchien ſchon die Zeit zu liegen, da dieſer Prinz einſt mit dem Beau
Brummell im Erfinden neuer Pommaden, Kravatten, Schuhſchnallen ge-
wetteifert und um den Namen des erſten Gentleman von Europa gerungen
hatte. Jetzt war der Abgott der Mode nur noch ein früh gealterter
Wüſtling und Trunkenbold, einer der leerſten Menſchen, welche jemals
einen Thron geſchändet haben. Selbſt die einzige unbeſtrittene Tugend
ſeines Hauſes, die Tapferkeit, hatte der Weichling nie bewährt, und nur
wenn er über ſeine eigene Gebrechlichkeit frivole Witze riß, zeigte ſich auf
Augenblicke noch ein matter Abglanz der entſchwundenen Lebenskraft. Als
Prinz von Wales hatte er nach der Gewohnheit der Thronfolger den Oppo-
ſitionsführer geſpielt, mit Fox und Sheridan, dem tollen Sherry, ſich in
Freiheitsreden überboten. Seit er die Regentſchaft führte, war er längſt
ein ſteifer Tory geworden, ein warmer Bewunderer Metternich’s; wo ihm
aber ein ſtarker Wille entgegentrat, wagte er niemals Farbe zu bekennen,
ſo daß er, in die Zügel knirſchend, ſelbſt den verhaßten Canning ertragen
mußte. Für ſein Stammland meinte er genug gethan zu haben, als er
ihm die Königskrone verſchafft und den Guelphen-Orden geſtiftet hatte,
eine Auszeichnung, die in England maſſenhaft vertheilt, dort ebenſo all-
gemein verſpottet wie in Hannover begehrt wurde.
Die langweiligen Regierungsgeſchäfte überließ er dem diplomatiſchen
Schöpfer des neuen Königreichs, dem Grafen Münſter, der fortan als
deutſcher Cabinetsminiſter in London lebte. Auf Münſter’s Rath wurde
die Würde des Generalgouverneurs nicht dem halsſtarrigen Herzog von
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 543. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/559>, abgerufen am 22.11.2024.
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