gefällig, daß diese denkwürdige Vereinigung der calenberg-grubenhagischen Nation in demselben gesegneten Jahre 1801 vollendet wurde, das auch die Union von Großbritannien und Irland zu Stande brachte.
An politischen Talenten litten die niedersächsischen Lande niemals Mangel. Während Schwaben und Obersachsen durch eine Fülle schrift- stellerischer Größen glänzten, lag hier die nüchterne Prosa in der Luft. Das alte Sprichwort Frisia non cantat galt auch von dem Hinterlande der friesischen Küste; außer Hölty haben die altwelfischen Lande den Deut- schen nie einen namhaften Dichter geschenkt. In der höheren Gesellschaft herrschte, gefördert durch den Verkehr mit England, ein Ton langweiliger Anständigkeit, der dem heiteren Spiele der Kunst nicht günstig war; auch die Volkssprache mit ihrem schwerfälligen mek und dek klang breit und unschön neben dem kosenden, neckischgemüthlichen mi und di der Nachbarn in Holstein und Mecklenburg. Aber so weit einst die mittelhochdeutsche Dichtung die niederdeutsche überragte, ebenso hoch stand der Sachsenspiegel über dem Schwabenspiegel, und so selten in jenen literarisch fruchtbarsten deutschen Landen, in Schwaben und Obersachsen, die staatsmännischen Köpfe erschienen, ebenso häufig traten sie in der Geschichte Niedersachsens auf. Alles was ein Volk für die Kämpfe des Staatslebens ausrüstet, strenges Rechtsgefühl und ausdauernde Willenskraft, Tapferkeit und Frei- muth, gesunder Menschenverstand und ein sicherer Blick für das Wirkliche, war den Niedersachsen in die Wiege gebunden. Die politische Begabung des Stammes bewährte sich nicht blos in den großen Tagen der Sachsenkaiser und der welfisch-ghibellinischen Kämpfe, sondern auch nachher in den Zeiten des kleinfürstlichen Stilllebens. Ein Spittler hielt sich nicht zu gut die Geschichte von Calenberg zu schreiben, denn kein anderes deutsches Land von gleichem Umfang konnte unter seinen Beamten so viele gewiegte Ju- risten und kluge Geschäftsmänner aufweisen, wie alle diese welfischen Kanzler und Geheimen Räthe Jagemann, Schwartzkopf, Lampadius, Kipius, Ludolf Hugo, Struben, Bernstorff, Grote, Bothmer, Münchhausen.
Und doch, wie unfruchtbar erschien das politische Leben dieses tüch- tigen Stammes unter dem zwitterhaften Regimente einer Monarchie ohne Monarchen. Der kostspielige Hof mit seiner Schaar von Hofmarschällen und Kammerherren blieb erhalten, weil man den Adel nicht aus dem Lande treiben und den Bürgern der Hauptstadt den Verdienst nicht ver- kümmern wollte. Jahr für Jahr fuhr der Adel, die Damen alle mit dem Abzeichen ihres Standes, der Straußenfeder geschmückt, an den Galatagen hinaus nach Herrenhausen um in feierlicher Cour dem abwesenden Könige zu huldigen. Aber die lebendige Kraft des monarchischen Willens ging verloren. Georg III. betrat sein Stammland niemals mehr, und bald glaubte man im Volke allgemein, es sei verboten Beschwerden an den un- sichtbaren Landesherrn zu richten. Von dem Geheimen Rathe, der mit fast unbeschränkter Vollmacht die Regierung führte, wurden die in der älteren
Die Adelsherrſchaft.
gefällig, daß dieſe denkwürdige Vereinigung der calenberg-grubenhagiſchen Nation in demſelben geſegneten Jahre 1801 vollendet wurde, das auch die Union von Großbritannien und Irland zu Stande brachte.
An politiſchen Talenten litten die niederſächſiſchen Lande niemals Mangel. Während Schwaben und Oberſachſen durch eine Fülle ſchrift- ſtelleriſcher Größen glänzten, lag hier die nüchterne Proſa in der Luft. Das alte Sprichwort Frisia non cantat galt auch von dem Hinterlande der frieſiſchen Küſte; außer Hölty haben die altwelfiſchen Lande den Deut- ſchen nie einen namhaften Dichter geſchenkt. In der höheren Geſellſchaft herrſchte, gefördert durch den Verkehr mit England, ein Ton langweiliger Anſtändigkeit, der dem heiteren Spiele der Kunſt nicht günſtig war; auch die Volksſprache mit ihrem ſchwerfälligen mek und dek klang breit und unſchön neben dem koſenden, neckiſchgemüthlichen mi und di der Nachbarn in Holſtein und Mecklenburg. Aber ſo weit einſt die mittelhochdeutſche Dichtung die niederdeutſche überragte, ebenſo hoch ſtand der Sachſenſpiegel über dem Schwabenſpiegel, und ſo ſelten in jenen literariſch fruchtbarſten deutſchen Landen, in Schwaben und Oberſachſen, die ſtaatsmänniſchen Köpfe erſchienen, ebenſo häufig traten ſie in der Geſchichte Niederſachſens auf. Alles was ein Volk für die Kämpfe des Staatslebens ausrüſtet, ſtrenges Rechtsgefühl und ausdauernde Willenskraft, Tapferkeit und Frei- muth, geſunder Menſchenverſtand und ein ſicherer Blick für das Wirkliche, war den Niederſachſen in die Wiege gebunden. Die politiſche Begabung des Stammes bewährte ſich nicht blos in den großen Tagen der Sachſenkaiſer und der welfiſch-ghibelliniſchen Kämpfe, ſondern auch nachher in den Zeiten des kleinfürſtlichen Stilllebens. Ein Spittler hielt ſich nicht zu gut die Geſchichte von Calenberg zu ſchreiben, denn kein anderes deutſches Land von gleichem Umfang konnte unter ſeinen Beamten ſo viele gewiegte Ju- riſten und kluge Geſchäftsmänner aufweiſen, wie alle dieſe welfiſchen Kanzler und Geheimen Räthe Jagemann, Schwartzkopf, Lampadius, Kipius, Ludolf Hugo, Struben, Bernſtorff, Grote, Bothmer, Münchhauſen.
Und doch, wie unfruchtbar erſchien das politiſche Leben dieſes tüch- tigen Stammes unter dem zwitterhaften Regimente einer Monarchie ohne Monarchen. Der koſtſpielige Hof mit ſeiner Schaar von Hofmarſchällen und Kammerherren blieb erhalten, weil man den Adel nicht aus dem Lande treiben und den Bürgern der Hauptſtadt den Verdienſt nicht ver- kümmern wollte. Jahr für Jahr fuhr der Adel, die Damen alle mit dem Abzeichen ihres Standes, der Straußenfeder geſchmückt, an den Galatagen hinaus nach Herrenhauſen um in feierlicher Cour dem abweſenden Könige zu huldigen. Aber die lebendige Kraft des monarchiſchen Willens ging verloren. Georg III. betrat ſein Stammland niemals mehr, und bald glaubte man im Volke allgemein, es ſei verboten Beſchwerden an den un- ſichtbaren Landesherrn zu richten. Von dem Geheimen Rathe, der mit faſt unbeſchränkter Vollmacht die Regierung führte, wurden die in der älteren
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Die Adelsherrſchaft.
gefällig, daß dieſe denkwürdige Vereinigung der calenberg-grubenhagiſchen
Nation in demſelben geſegneten Jahre 1801 vollendet wurde, das auch
die Union von Großbritannien und Irland zu Stande brachte.
An politiſchen Talenten litten die niederſächſiſchen Lande niemals
Mangel. Während Schwaben und Oberſachſen durch eine Fülle ſchrift-
ſtelleriſcher Größen glänzten, lag hier die nüchterne Proſa in der Luft. Das
alte Sprichwort Frisia non cantat galt auch von dem Hinterlande der
frieſiſchen Küſte; außer Hölty haben die altwelfiſchen Lande den Deut-
ſchen nie einen namhaften Dichter geſchenkt. In der höheren Geſellſchaft
herrſchte, gefördert durch den Verkehr mit England, ein Ton langweiliger
Anſtändigkeit, der dem heiteren Spiele der Kunſt nicht günſtig war; auch
die Volksſprache mit ihrem ſchwerfälligen mek und dek klang breit und
unſchön neben dem koſenden, neckiſchgemüthlichen mi und di der Nachbarn
in Holſtein und Mecklenburg. Aber ſo weit einſt die mittelhochdeutſche
Dichtung die niederdeutſche überragte, ebenſo hoch ſtand der Sachſenſpiegel
über dem Schwabenſpiegel, und ſo ſelten in jenen literariſch fruchtbarſten
deutſchen Landen, in Schwaben und Oberſachſen, die ſtaatsmänniſchen
Köpfe erſchienen, ebenſo häufig traten ſie in der Geſchichte Niederſachſens
auf. Alles was ein Volk für die Kämpfe des Staatslebens ausrüſtet,
ſtrenges Rechtsgefühl und ausdauernde Willenskraft, Tapferkeit und Frei-
muth, geſunder Menſchenverſtand und ein ſicherer Blick für das Wirkliche,
war den Niederſachſen in die Wiege gebunden. Die politiſche Begabung des
Stammes bewährte ſich nicht blos in den großen Tagen der Sachſenkaiſer
und der welfiſch-ghibelliniſchen Kämpfe, ſondern auch nachher in den Zeiten
des kleinfürſtlichen Stilllebens. Ein Spittler hielt ſich nicht zu gut die
Geſchichte von Calenberg zu ſchreiben, denn kein anderes deutſches Land
von gleichem Umfang konnte unter ſeinen Beamten ſo viele gewiegte Ju-
riſten und kluge Geſchäftsmänner aufweiſen, wie alle dieſe welfiſchen Kanzler
und Geheimen Räthe Jagemann, Schwartzkopf, Lampadius, Kipius, Ludolf
Hugo, Struben, Bernſtorff, Grote, Bothmer, Münchhauſen.
Und doch, wie unfruchtbar erſchien das politiſche Leben dieſes tüch-
tigen Stammes unter dem zwitterhaften Regimente einer Monarchie ohne
Monarchen. Der koſtſpielige Hof mit ſeiner Schaar von Hofmarſchällen
und Kammerherren blieb erhalten, weil man den Adel nicht aus dem
Lande treiben und den Bürgern der Hauptſtadt den Verdienſt nicht ver-
kümmern wollte. Jahr für Jahr fuhr der Adel, die Damen alle mit dem
Abzeichen ihres Standes, der Straußenfeder geſchmückt, an den Galatagen
hinaus nach Herrenhauſen um in feierlicher Cour dem abweſenden Könige
zu huldigen. Aber die lebendige Kraft des monarchiſchen Willens ging
verloren. Georg III. betrat ſein Stammland niemals mehr, und bald
glaubte man im Volke allgemein, es ſei verboten Beſchwerden an den un-
ſichtbaren Landesherrn zu richten. Von dem Geheimen Rathe, der mit faſt
unbeſchränkter Vollmacht die Regierung führte, wurden die in der älteren
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/555>, abgerufen am 25.11.2024.
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