neuen Regierung, das Abschneiden der Zöpfe. Das Land frohlockte; zu hunderten lagen die Symbole der schlimmen alten Zeit, ein Spiel der Gassenbuben, auf dem Pflaster und in den Rinnsteinen der Hauptstadt. Ebenso freudig berührte die Nachricht, daß der Bau der Kattenburg ein- gestellt sei; das anspruchsvolle Gebäude blieb fortan, so lange der Kurstaat bestand, als eine unheimliche Ruine liegen, Bettler und Landstreicher suchten Nachts ein Obdach unter den hohen Gewölben. Noch im selben Jahre erschien eine vom Ministerialrath Krafft entworfene Verwaltungsorgani- sation, welche das Ländchen, nach der prahlerischen Weise der deutschen Kleinstaaten, in vier Provinzen eintheilte, vier Regierungen, vier Finanz- directionen und außerdem noch eine besondere schaumburgische Regierungs- behörde über eine Bevölkerung von 600,000 Seelen stellte. Trotz ihrer Kostspieligkeit war die neue, dem Muster Preußens nachgebildete Ordnung immerhin besser als die alte, heilsam insbesondere die scharfe Trennung von Verwaltung und Rechtspflege.
Aber mit diesen Reformen gingen die löblichen Thaten Wilhelm's II. zu Ende. Noch während der Huldigung zog die Ortlöpp mit ihren Kin- dern in den Palast ihres Liebhabers ein*) und genoß nunmehr, zur Gräfin Reichenbach erhoben, alle Rechte einer kurfürstlichen Gemahlin. Die Einberufung des Landtags unterblieb, obgleich die Ritterschaft mehr- mals darum mahnte. Im Genusse der unbeschränkten Selbstherrschaft und im Verkehre mit dem verworfenen Gesindel, das sich an die Reichenbach anhing, verwilderte der Kurfürst bald gänzlich; thierisch ward sein Jähzorn, Niemand war vor seinen Mißhandlungen sicher, wenn er sich nicht das Herz faßte, dem furchtsamen Wütherich selber mit der Faust zu antworten. Bald kam es so weit, daß der Landesvater beständig eine Peitsche im Wagen bei sich führte, und man war schon froh, wenn auf seinen Reisen durchs Land weiter nichts vorfiel als "einige an verschiedene Postmeister höchst- eigenhändig ausgetheilte Kantschuhiebe."**) Die Reichenbach selber mußte auf ihrer Hut sein, und sie wußte sich zu helfen: wenn er sie angriff, dann warf sie mit theuren Vasen und Tassen so lange um sich, bis der Wüthende die Kostspieligkeit dieser Wurfgeschosse zu bemerken begann und die Habsucht den Zorn besiegte. Sobald ein solcher Auftritt überstanden war, konnte sie von ihrem Geliebten Alles erreichen. An ihrer Gunst sonnten sich ihr Bruder, ein vollendeter Taugenichts, dem der Kurfürst zum Entsetzen seiner Ritterschaft den Namen der ausgestorbenen Frei- herren Heyer von Rosenfeld verlieh, und der Finanzrath Deines, der wie alle Vermögensverwalter des hessischen Hauses bald sehr reich wurde. Auch das altbefreundete Haus Rothschild sah seinen Weizen blühen, da der Sohn vom Vater nur die Habgier, nicht den Geiz geerbt hatte und trotz seiner Schätze immer freundlicher Aushilfe bedurfte.
*) Hänlein's Bericht, 1. März 1821.
**) So Hänlein, 21. Aug. 1824.
34*
Kurfürſt Wilhelm II.
neuen Regierung, das Abſchneiden der Zöpfe. Das Land frohlockte; zu hunderten lagen die Symbole der ſchlimmen alten Zeit, ein Spiel der Gaſſenbuben, auf dem Pflaſter und in den Rinnſteinen der Hauptſtadt. Ebenſo freudig berührte die Nachricht, daß der Bau der Kattenburg ein- geſtellt ſei; das anſpruchsvolle Gebäude blieb fortan, ſo lange der Kurſtaat beſtand, als eine unheimliche Ruine liegen, Bettler und Landſtreicher ſuchten Nachts ein Obdach unter den hohen Gewölben. Noch im ſelben Jahre erſchien eine vom Miniſterialrath Krafft entworfene Verwaltungsorgani- ſation, welche das Ländchen, nach der prahleriſchen Weiſe der deutſchen Kleinſtaaten, in vier Provinzen eintheilte, vier Regierungen, vier Finanz- directionen und außerdem noch eine beſondere ſchaumburgiſche Regierungs- behörde über eine Bevölkerung von 600,000 Seelen ſtellte. Trotz ihrer Koſtſpieligkeit war die neue, dem Muſter Preußens nachgebildete Ordnung immerhin beſſer als die alte, heilſam insbeſondere die ſcharfe Trennung von Verwaltung und Rechtspflege.
Aber mit dieſen Reformen gingen die löblichen Thaten Wilhelm’s II. zu Ende. Noch während der Huldigung zog die Ortlöpp mit ihren Kin- dern in den Palaſt ihres Liebhabers ein*) und genoß nunmehr, zur Gräfin Reichenbach erhoben, alle Rechte einer kurfürſtlichen Gemahlin. Die Einberufung des Landtags unterblieb, obgleich die Ritterſchaft mehr- mals darum mahnte. Im Genuſſe der unbeſchränkten Selbſtherrſchaft und im Verkehre mit dem verworfenen Geſindel, das ſich an die Reichenbach anhing, verwilderte der Kurfürſt bald gänzlich; thieriſch ward ſein Jähzorn, Niemand war vor ſeinen Mißhandlungen ſicher, wenn er ſich nicht das Herz faßte, dem furchtſamen Wütherich ſelber mit der Fauſt zu antworten. Bald kam es ſo weit, daß der Landesvater beſtändig eine Peitſche im Wagen bei ſich führte, und man war ſchon froh, wenn auf ſeinen Reiſen durchs Land weiter nichts vorfiel als „einige an verſchiedene Poſtmeiſter höchſt- eigenhändig ausgetheilte Kantſchuhiebe.“**) Die Reichenbach ſelber mußte auf ihrer Hut ſein, und ſie wußte ſich zu helfen: wenn er ſie angriff, dann warf ſie mit theuren Vaſen und Taſſen ſo lange um ſich, bis der Wüthende die Koſtſpieligkeit dieſer Wurfgeſchoſſe zu bemerken begann und die Habſucht den Zorn beſiegte. Sobald ein ſolcher Auftritt überſtanden war, konnte ſie von ihrem Geliebten Alles erreichen. An ihrer Gunſt ſonnten ſich ihr Bruder, ein vollendeter Taugenichts, dem der Kurfürſt zum Entſetzen ſeiner Ritterſchaft den Namen der ausgeſtorbenen Frei- herren Heyer von Roſenfeld verlieh, und der Finanzrath Deines, der wie alle Vermögensverwalter des heſſiſchen Hauſes bald ſehr reich wurde. Auch das altbefreundete Haus Rothſchild ſah ſeinen Weizen blühen, da der Sohn vom Vater nur die Habgier, nicht den Geiz geerbt hatte und trotz ſeiner Schätze immer freundlicher Aushilfe bedurfte.
*) Hänlein’s Bericht, 1. März 1821.
**) So Hänlein, 21. Aug. 1824.
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Kurfürſt Wilhelm II.
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Gaſſenbuben, auf dem Pflaſter und in den Rinnſteinen der Hauptſtadt.
Ebenſo freudig berührte die Nachricht, daß der Bau der Kattenburg ein-
geſtellt ſei; das anſpruchsvolle Gebäude blieb fortan, ſo lange der Kurſtaat
beſtand, als eine unheimliche Ruine liegen, Bettler und Landſtreicher ſuchten
Nachts ein Obdach unter den hohen Gewölben. Noch im ſelben Jahre
erſchien eine vom Miniſterialrath Krafft entworfene Verwaltungsorgani-
ſation, welche das Ländchen, nach der prahleriſchen Weiſe der deutſchen
Kleinſtaaten, in vier Provinzen eintheilte, vier Regierungen, vier Finanz-
directionen und außerdem noch eine beſondere ſchaumburgiſche Regierungs-
behörde über eine Bevölkerung von 600,000 Seelen ſtellte. Trotz ihrer
Koſtſpieligkeit war die neue, dem Muſter Preußens nachgebildete Ordnung
immerhin beſſer als die alte, heilſam insbeſondere die ſcharfe Trennung
von Verwaltung und Rechtspflege.
Aber mit dieſen Reformen gingen die löblichen Thaten Wilhelm’s II.
zu Ende. Noch während der Huldigung zog die Ortlöpp mit ihren Kin-
dern in den Palaſt ihres Liebhabers ein *) und genoß nunmehr, zur
Gräfin Reichenbach erhoben, alle Rechte einer kurfürſtlichen Gemahlin.
Die Einberufung des Landtags unterblieb, obgleich die Ritterſchaft mehr-
mals darum mahnte. Im Genuſſe der unbeſchränkten Selbſtherrſchaft
und im Verkehre mit dem verworfenen Geſindel, das ſich an die Reichenbach
anhing, verwilderte der Kurfürſt bald gänzlich; thieriſch ward ſein Jähzorn,
Niemand war vor ſeinen Mißhandlungen ſicher, wenn er ſich nicht das
Herz faßte, dem furchtſamen Wütherich ſelber mit der Fauſt zu antworten.
Bald kam es ſo weit, daß der Landesvater beſtändig eine Peitſche im Wagen
bei ſich führte, und man war ſchon froh, wenn auf ſeinen Reiſen durchs
Land weiter nichts vorfiel als „einige an verſchiedene Poſtmeiſter höchſt-
eigenhändig ausgetheilte Kantſchuhiebe.“ **) Die Reichenbach ſelber mußte
auf ihrer Hut ſein, und ſie wußte ſich zu helfen: wenn er ſie angriff,
dann warf ſie mit theuren Vaſen und Taſſen ſo lange um ſich, bis der
Wüthende die Koſtſpieligkeit dieſer Wurfgeſchoſſe zu bemerken begann und
die Habſucht den Zorn beſiegte. Sobald ein ſolcher Auftritt überſtanden
war, konnte ſie von ihrem Geliebten Alles erreichen. An ihrer Gunſt
ſonnten ſich ihr Bruder, ein vollendeter Taugenichts, dem der Kurfürſt
zum Entſetzen ſeiner Ritterſchaft den Namen der ausgeſtorbenen Frei-
herren Heyer von Roſenfeld verlieh, und der Finanzrath Deines, der wie
alle Vermögensverwalter des heſſiſchen Hauſes bald ſehr reich wurde. Auch
das altbefreundete Haus Rothſchild ſah ſeinen Weizen blühen, da der
Sohn vom Vater nur die Habgier, nicht den Geiz geerbt hatte und trotz
ſeiner Schätze immer freundlicher Aushilfe bedurfte.
*) Hänlein’s Bericht, 1. März 1821.
**) So Hänlein, 21. Aug. 1824.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/547>, abgerufen am 25.11.2024.
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