seit 1798 nicht mehr zusammengetreten war. Nach Jahresfrist löste er sein Wort ein und berief zum März 1815 einen Engeren Landtag für Althessen: acht Prälaten und Ritter, acht städtische Vertreter und dazu noch eine dritte Curie von fünf Abgeordneten für die bisher unvertretenen Bauern. Wie die Ritterschaft an jedem der fünf hessischen Ströme, am Diemel-Lahn-Fulda-Schwalm-Werrastrom bisher einen Vertreter erwählt hatte, so fortan auch die Bauerschaft. Es war die einzige reformatorische That Wilhelm's I.; er entschloß sich dazu nicht um seinem Landvolke gerecht zu werden, sondern um der beargwöhnten Ritterschaft ein Gegengewicht zu schaffen. Der Kurfürst eröffnete die Ständeversammlung mit Worten väterlicher Liebe und ließ ihr dann als einzige Proposition eine Forderung von mehr als vier Mill. Thlr. vorlegen. Diese Summen behauptete er für das Land ausgelegt zu haben, die Hälfte davon noch vor dem Jahre 1806; und ganz so hochherzig wie er einst den Frauen der verkauften Soldaten die Steuern erlassen hatte, gab er jetzt seinen Ständen zu wissen, auf eine Entschädigung für den Schloßbrand vom Jahre 1811 wolle er in Gnaden verzichten.
Der Landtag bewährte, diesen Zumuthungen gegenüber, den festen, ruhigen Gradsinn, der seitdem, in schweren Prüfungen oft erprobt, für den hervorstechenden Charakterzug der Hessen galt und dem kleinen Volke die Achtung der Welt erwarb. Obwohl die Ritterschaft zuweilen versuchte ihres eigenen Weges zu gehen, so hielten die Stände doch bei allen entscheidenden Beschlüssen treu zusammen, auch die Bauern behaupteten sich trefflich. Der preußische, ja selbst der österreichische Gesandte konnte der muthigen Besonnenheit dieses Landtags die Anerkennung nicht ver- sagen. Unter einem solchen Fürsten war die Politik nur ein Handels- geschäft; nach langem Feilschen wurde die landesherrliche Forderung herab- gesetzt, zuletzt auf 400,000 Thlr., und der Kurfürst bewogen, die althessische Schuld zu ihrem vollen Nennwerthe anzuerkennen. Aber eine Rechen- schaft über die Lage des Staatshaushalts vermochten die Stände nicht zu erlangen. Nicht blos die Cabinets- und die Kammerkasse, die nach alter Verfassung allein dem Landesherrn gehörten, blieben ihnen ver- schlossen; auch über den Stand der Kriegskasse erfuhren sie nichts, und dort lag ein Theil der englischen Subsidiengelder, welche der Landtag auf 22 Mill. Thlr. schätzte und für den Staat in Anspruch nahm. Die widerlichste Sünde der deutschen Kleinstaaterei, der Zank um das Landes- vermögen, erschien nirgends so ruchlos wie in Hessen, wo die Schätze des fürstlichen Hauses recht eigentlich durch das Blut des Volkes erworben waren.
Mittlerweile begann es im Lande zu gähren. Der Erbkämmerer Frhr. v. Berlepsch, ein ehrlicher, etwas überspannter Radicaler, führte in einer Druckschrift den Nachweis, daß viele Bauern jetzt im Frieden zwei- mal mehr Abgaben zahlten als vordem unter der kriegerischen Fremd-
Kurheſſiſcher Landtag.
ſeit 1798 nicht mehr zuſammengetreten war. Nach Jahresfriſt löſte er ſein Wort ein und berief zum März 1815 einen Engeren Landtag für Altheſſen: acht Prälaten und Ritter, acht ſtädtiſche Vertreter und dazu noch eine dritte Curie von fünf Abgeordneten für die bisher unvertretenen Bauern. Wie die Ritterſchaft an jedem der fünf heſſiſchen Ströme, am Diemel-Lahn-Fulda-Schwalm-Werraſtrom bisher einen Vertreter erwählt hatte, ſo fortan auch die Bauerſchaft. Es war die einzige reformatoriſche That Wilhelm’s I.; er entſchloß ſich dazu nicht um ſeinem Landvolke gerecht zu werden, ſondern um der beargwöhnten Ritterſchaft ein Gegengewicht zu ſchaffen. Der Kurfürſt eröffnete die Ständeverſammlung mit Worten väterlicher Liebe und ließ ihr dann als einzige Propoſition eine Forderung von mehr als vier Mill. Thlr. vorlegen. Dieſe Summen behauptete er für das Land ausgelegt zu haben, die Hälfte davon noch vor dem Jahre 1806; und ganz ſo hochherzig wie er einſt den Frauen der verkauften Soldaten die Steuern erlaſſen hatte, gab er jetzt ſeinen Ständen zu wiſſen, auf eine Entſchädigung für den Schloßbrand vom Jahre 1811 wolle er in Gnaden verzichten.
Der Landtag bewährte, dieſen Zumuthungen gegenüber, den feſten, ruhigen Gradſinn, der ſeitdem, in ſchweren Prüfungen oft erprobt, für den hervorſtechenden Charakterzug der Heſſen galt und dem kleinen Volke die Achtung der Welt erwarb. Obwohl die Ritterſchaft zuweilen verſuchte ihres eigenen Weges zu gehen, ſo hielten die Stände doch bei allen entſcheidenden Beſchlüſſen treu zuſammen, auch die Bauern behaupteten ſich trefflich. Der preußiſche, ja ſelbſt der öſterreichiſche Geſandte konnte der muthigen Beſonnenheit dieſes Landtags die Anerkennung nicht ver- ſagen. Unter einem ſolchen Fürſten war die Politik nur ein Handels- geſchäft; nach langem Feilſchen wurde die landesherrliche Forderung herab- geſetzt, zuletzt auf 400,000 Thlr., und der Kurfürſt bewogen, die altheſſiſche Schuld zu ihrem vollen Nennwerthe anzuerkennen. Aber eine Rechen- ſchaft über die Lage des Staatshaushalts vermochten die Stände nicht zu erlangen. Nicht blos die Cabinets- und die Kammerkaſſe, die nach alter Verfaſſung allein dem Landesherrn gehörten, blieben ihnen ver- ſchloſſen; auch über den Stand der Kriegskaſſe erfuhren ſie nichts, und dort lag ein Theil der engliſchen Subſidiengelder, welche der Landtag auf 22 Mill. Thlr. ſchätzte und für den Staat in Anſpruch nahm. Die widerlichſte Sünde der deutſchen Kleinſtaaterei, der Zank um das Landes- vermögen, erſchien nirgends ſo ruchlos wie in Heſſen, wo die Schätze des fürſtlichen Hauſes recht eigentlich durch das Blut des Volkes erworben waren.
Mittlerweile begann es im Lande zu gähren. Der Erbkämmerer Frhr. v. Berlepſch, ein ehrlicher, etwas überſpannter Radicaler, führte in einer Druckſchrift den Nachweis, daß viele Bauern jetzt im Frieden zwei- mal mehr Abgaben zahlten als vordem unter der kriegeriſchen Fremd-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0541"n="525"/><fwplace="top"type="header">Kurheſſiſcher Landtag.</fw><lb/>ſeit 1798 nicht mehr zuſammengetreten war. Nach Jahresfriſt löſte er<lb/>ſein Wort ein und berief zum März 1815 einen Engeren Landtag für<lb/>
Altheſſen: acht Prälaten und Ritter, acht ſtädtiſche Vertreter und dazu<lb/>
noch eine dritte Curie von fünf Abgeordneten für die bisher unvertretenen<lb/>
Bauern. Wie die Ritterſchaft an jedem der fünf heſſiſchen Ströme, am<lb/>
Diemel-Lahn-Fulda-Schwalm-Werraſtrom bisher einen Vertreter erwählt<lb/>
hatte, ſo fortan auch die Bauerſchaft. Es war die einzige reformatoriſche<lb/>
That Wilhelm’s <hirendition="#aq">I.;</hi> er entſchloß ſich dazu nicht um ſeinem Landvolke gerecht<lb/>
zu werden, ſondern um der beargwöhnten Ritterſchaft ein Gegengewicht<lb/>
zu ſchaffen. Der Kurfürſt eröffnete die Ständeverſammlung mit Worten<lb/>
väterlicher Liebe und ließ ihr dann als einzige Propoſition eine Forderung<lb/>
von mehr als vier Mill. Thlr. vorlegen. Dieſe Summen behauptete er<lb/>
für das Land ausgelegt zu haben, die Hälfte davon noch vor dem Jahre<lb/>
1806; und ganz ſo hochherzig wie er einſt den Frauen der verkauften<lb/>
Soldaten die Steuern erlaſſen hatte, gab er jetzt ſeinen Ständen zu wiſſen,<lb/>
auf eine Entſchädigung für den Schloßbrand vom Jahre 1811 wolle er<lb/>
in Gnaden verzichten.</p><lb/><p>Der Landtag bewährte, dieſen Zumuthungen gegenüber, den feſten,<lb/>
ruhigen Gradſinn, der ſeitdem, in ſchweren Prüfungen oft erprobt, für<lb/>
den hervorſtechenden Charakterzug der Heſſen galt und dem kleinen Volke<lb/>
die Achtung der Welt erwarb. Obwohl die Ritterſchaft zuweilen verſuchte<lb/>
ihres eigenen Weges zu gehen, ſo hielten die Stände doch bei allen<lb/>
entſcheidenden Beſchlüſſen treu zuſammen, auch die Bauern behaupteten<lb/>ſich trefflich. Der preußiſche, ja ſelbſt der öſterreichiſche Geſandte konnte<lb/>
der muthigen Beſonnenheit dieſes Landtags die Anerkennung nicht ver-<lb/>ſagen. Unter einem ſolchen Fürſten war die Politik nur ein Handels-<lb/>
geſchäft; nach langem Feilſchen wurde die landesherrliche Forderung herab-<lb/>
geſetzt, zuletzt auf 400,000 Thlr., und der Kurfürſt bewogen, die altheſſiſche<lb/>
Schuld zu ihrem vollen Nennwerthe anzuerkennen. Aber eine Rechen-<lb/>ſchaft über die Lage des Staatshaushalts vermochten die Stände nicht<lb/>
zu erlangen. Nicht blos die Cabinets- und die Kammerkaſſe, die nach<lb/>
alter Verfaſſung allein dem Landesherrn gehörten, blieben ihnen ver-<lb/>ſchloſſen; auch über den Stand der Kriegskaſſe erfuhren ſie nichts, und<lb/>
dort lag ein Theil der engliſchen Subſidiengelder, welche der Landtag auf<lb/>
22 Mill. Thlr. ſchätzte und für den Staat in Anſpruch nahm. Die<lb/>
widerlichſte Sünde der deutſchen Kleinſtaaterei, der Zank um das Landes-<lb/>
vermögen, erſchien nirgends ſo ruchlos wie in Heſſen, wo die Schätze des<lb/>
fürſtlichen Hauſes recht eigentlich durch das Blut des Volkes erworben<lb/>
waren.</p><lb/><p>Mittlerweile begann es im Lande zu gähren. Der Erbkämmerer<lb/>
Frhr. v. Berlepſch, ein ehrlicher, etwas überſpannter Radicaler, führte in<lb/>
einer Druckſchrift den Nachweis, daß viele Bauern jetzt im Frieden zwei-<lb/>
mal mehr Abgaben zahlten als vordem unter der kriegeriſchen Fremd-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[525/0541]
Kurheſſiſcher Landtag.
ſeit 1798 nicht mehr zuſammengetreten war. Nach Jahresfriſt löſte er
ſein Wort ein und berief zum März 1815 einen Engeren Landtag für
Altheſſen: acht Prälaten und Ritter, acht ſtädtiſche Vertreter und dazu
noch eine dritte Curie von fünf Abgeordneten für die bisher unvertretenen
Bauern. Wie die Ritterſchaft an jedem der fünf heſſiſchen Ströme, am
Diemel-Lahn-Fulda-Schwalm-Werraſtrom bisher einen Vertreter erwählt
hatte, ſo fortan auch die Bauerſchaft. Es war die einzige reformatoriſche
That Wilhelm’s I.; er entſchloß ſich dazu nicht um ſeinem Landvolke gerecht
zu werden, ſondern um der beargwöhnten Ritterſchaft ein Gegengewicht
zu ſchaffen. Der Kurfürſt eröffnete die Ständeverſammlung mit Worten
väterlicher Liebe und ließ ihr dann als einzige Propoſition eine Forderung
von mehr als vier Mill. Thlr. vorlegen. Dieſe Summen behauptete er
für das Land ausgelegt zu haben, die Hälfte davon noch vor dem Jahre
1806; und ganz ſo hochherzig wie er einſt den Frauen der verkauften
Soldaten die Steuern erlaſſen hatte, gab er jetzt ſeinen Ständen zu wiſſen,
auf eine Entſchädigung für den Schloßbrand vom Jahre 1811 wolle er
in Gnaden verzichten.
Der Landtag bewährte, dieſen Zumuthungen gegenüber, den feſten,
ruhigen Gradſinn, der ſeitdem, in ſchweren Prüfungen oft erprobt, für
den hervorſtechenden Charakterzug der Heſſen galt und dem kleinen Volke
die Achtung der Welt erwarb. Obwohl die Ritterſchaft zuweilen verſuchte
ihres eigenen Weges zu gehen, ſo hielten die Stände doch bei allen
entſcheidenden Beſchlüſſen treu zuſammen, auch die Bauern behaupteten
ſich trefflich. Der preußiſche, ja ſelbſt der öſterreichiſche Geſandte konnte
der muthigen Beſonnenheit dieſes Landtags die Anerkennung nicht ver-
ſagen. Unter einem ſolchen Fürſten war die Politik nur ein Handels-
geſchäft; nach langem Feilſchen wurde die landesherrliche Forderung herab-
geſetzt, zuletzt auf 400,000 Thlr., und der Kurfürſt bewogen, die altheſſiſche
Schuld zu ihrem vollen Nennwerthe anzuerkennen. Aber eine Rechen-
ſchaft über die Lage des Staatshaushalts vermochten die Stände nicht
zu erlangen. Nicht blos die Cabinets- und die Kammerkaſſe, die nach
alter Verfaſſung allein dem Landesherrn gehörten, blieben ihnen ver-
ſchloſſen; auch über den Stand der Kriegskaſſe erfuhren ſie nichts, und
dort lag ein Theil der engliſchen Subſidiengelder, welche der Landtag auf
22 Mill. Thlr. ſchätzte und für den Staat in Anſpruch nahm. Die
widerlichſte Sünde der deutſchen Kleinſtaaterei, der Zank um das Landes-
vermögen, erſchien nirgends ſo ruchlos wie in Heſſen, wo die Schätze des
fürſtlichen Hauſes recht eigentlich durch das Blut des Volkes erworben
waren.
Mittlerweile begann es im Lande zu gähren. Der Erbkämmerer
Frhr. v. Berlepſch, ein ehrlicher, etwas überſpannter Radicaler, führte in
einer Druckſchrift den Nachweis, daß viele Bauern jetzt im Frieden zwei-
mal mehr Abgaben zahlten als vordem unter der kriegeriſchen Fremd-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/541>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.