III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
ihren letzten Frankenkönig Konrad. Doch gleich darauf zerfiel die poli- tische Macht des Chattenstammes, mit Herzog Eberhard sank das hessische Herzogthum ins Grab. Zweihundert Jahre lang mit Thüringen ver- bunden galt Hessen alsdann wenig mehr in der deutschen Politik; nur an der hierarchischen Bewegung, welche das Zeitalter der Innocenze er- füllte, nahm die Heimath der heiligen Elisabeth und des Ketzerrichters Konrad von Marburg betend und streitend einen bedeutsamen Antheil. Erst seit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, seit Heinrich, das Kind von Hessen, dem Hause Brabant die Landgrafenwürde erwarb, begann hier wieder eine selbständige Landesgeschichte, eine Geschichte so ruhmvoll und gehaltreich, wie sie selten einem Kleinstaate beschieden wird. Den sieghaften Bannern des hessischen Löwen und des Ziegenhainer Sternes, den Kämpfen Ludwig's des Friedfertigen wider Kurmainz verdankte Deutschland, daß sich im Herzen des Reichs kein übermächtiger Priesterstaat bilden konnte und die geistliche Gewalt ihre weltlichen Ansprüche etwas ermäßigen mußte.
Dann fand Martin Luther an dem Landgrafen des kleinen Hessen- landes den tapfersten seiner Vertheidiger. In Marburg wurde die erste protestantische Universität gegründet, auf der Homberger Synode die Ver- fassung der evangelischen Kirche zum ersten male folgerecht durchgeführt. Nicht immer mit der Umsicht des Staatsmannes, aber willenskräftig und thatenfroh drängte Philipp der Großmüthige die zögernden Luthe- raner zur Entscheidung, und als er dann im schmalkaldischen Kriege unterlegen war, betrieben seine Hessen den Kampf um seine Wieder- befreiung, die Rebellion gegen Kaiser Karl V. mit der heißen Leidenschaft eines Volkskrieges. Die Dynastie hatte von Haus aus den schweizerischen und französischen Reformatoren nahe gestanden, die Oranier und die Hugenotten unerschrocken unterstützt. Seit Moritz dem Gelehrten bekannte sie sich förmlich zu der streitbarsten Kirche der Protestanten, und obwohl auch der Casseler Hof eine Zeit lang mitschuldig ward an den unfrucht- baren Zauderkünsten der Evangelischen Union, so ergriff er doch als Gustav Adolf auftrat sofort entschlossen die schwedische Partei. Glänzend bewährte sich der alte Waffenruhm der blinden Hessen vor den Wällen von Hanau, bis zum Ende des Krieges hielt die große Vormünderin Amalie Elisabeth, den Glaubensgenossen ein leuchtendes Vorbild, bei der evangelischen Sache aus. Auch nachher in den schweren Jahren, da Wilhelm VI. und die Schwester des großen Kurfürsten Hedwig Sophie die Wunden des großen Krieges sorgsam zu heilen versuchten, blieb das Fürstenhaus seiner pro- testantischen Politik getreu. Wie vormals die evangelischen Wallonen, so fanden jetzt die vertriebenen Hugenotten bei Landgraf Karl ihre Zuflucht, der Neffe in Cassel wetteiferte mit dem Oheim in Berlin um den Ruhm protestantischer Gastfreundschaft.
Wohl blieb auch das Haus Brabant nicht frei von den Sünden jenes Zeitalters höfischer Selbstvergötterung. Das böse Beispiel des Sol-
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
ihren letzten Frankenkönig Konrad. Doch gleich darauf zerfiel die poli- tiſche Macht des Chattenſtammes, mit Herzog Eberhard ſank das heſſiſche Herzogthum ins Grab. Zweihundert Jahre lang mit Thüringen ver- bunden galt Heſſen alsdann wenig mehr in der deutſchen Politik; nur an der hierarchiſchen Bewegung, welche das Zeitalter der Innocenze er- füllte, nahm die Heimath der heiligen Eliſabeth und des Ketzerrichters Konrad von Marburg betend und ſtreitend einen bedeutſamen Antheil. Erſt ſeit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, ſeit Heinrich, das Kind von Heſſen, dem Hauſe Brabant die Landgrafenwürde erwarb, begann hier wieder eine ſelbſtändige Landesgeſchichte, eine Geſchichte ſo ruhmvoll und gehaltreich, wie ſie ſelten einem Kleinſtaate beſchieden wird. Den ſieghaften Bannern des heſſiſchen Löwen und des Ziegenhainer Sternes, den Kämpfen Ludwig’s des Friedfertigen wider Kurmainz verdankte Deutſchland, daß ſich im Herzen des Reichs kein übermächtiger Prieſterſtaat bilden konnte und die geiſtliche Gewalt ihre weltlichen Anſprüche etwas ermäßigen mußte.
Dann fand Martin Luther an dem Landgrafen des kleinen Heſſen- landes den tapferſten ſeiner Vertheidiger. In Marburg wurde die erſte proteſtantiſche Univerſität gegründet, auf der Homberger Synode die Ver- faſſung der evangeliſchen Kirche zum erſten male folgerecht durchgeführt. Nicht immer mit der Umſicht des Staatsmannes, aber willenskräftig und thatenfroh drängte Philipp der Großmüthige die zögernden Luthe- raner zur Entſcheidung, und als er dann im ſchmalkaldiſchen Kriege unterlegen war, betrieben ſeine Heſſen den Kampf um ſeine Wieder- befreiung, die Rebellion gegen Kaiſer Karl V. mit der heißen Leidenſchaft eines Volkskrieges. Die Dynaſtie hatte von Haus aus den ſchweizeriſchen und franzöſiſchen Reformatoren nahe geſtanden, die Oranier und die Hugenotten unerſchrocken unterſtützt. Seit Moritz dem Gelehrten bekannte ſie ſich förmlich zu der ſtreitbarſten Kirche der Proteſtanten, und obwohl auch der Caſſeler Hof eine Zeit lang mitſchuldig ward an den unfrucht- baren Zauderkünſten der Evangeliſchen Union, ſo ergriff er doch als Guſtav Adolf auftrat ſofort entſchloſſen die ſchwediſche Partei. Glänzend bewährte ſich der alte Waffenruhm der blinden Heſſen vor den Wällen von Hanau, bis zum Ende des Krieges hielt die große Vormünderin Amalie Eliſabeth, den Glaubensgenoſſen ein leuchtendes Vorbild, bei der evangeliſchen Sache aus. Auch nachher in den ſchweren Jahren, da Wilhelm VI. und die Schweſter des großen Kurfürſten Hedwig Sophie die Wunden des großen Krieges ſorgſam zu heilen verſuchten, blieb das Fürſtenhaus ſeiner pro- teſtantiſchen Politik getreu. Wie vormals die evangeliſchen Wallonen, ſo fanden jetzt die vertriebenen Hugenotten bei Landgraf Karl ihre Zuflucht, der Neffe in Caſſel wetteiferte mit dem Oheim in Berlin um den Ruhm proteſtantiſcher Gaſtfreundſchaft.
Wohl blieb auch das Haus Brabant nicht frei von den Sünden jenes Zeitalters höfiſcher Selbſtvergötterung. Das böſe Beiſpiel des Sol-
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III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
ihren letzten Frankenkönig Konrad. Doch gleich darauf zerfiel die poli-
tiſche Macht des Chattenſtammes, mit Herzog Eberhard ſank das heſſiſche
Herzogthum ins Grab. Zweihundert Jahre lang mit Thüringen ver-
bunden galt Heſſen alsdann wenig mehr in der deutſchen Politik; nur
an der hierarchiſchen Bewegung, welche das Zeitalter der Innocenze er-
füllte, nahm die Heimath der heiligen Eliſabeth und des Ketzerrichters
Konrad von Marburg betend und ſtreitend einen bedeutſamen Antheil.
Erſt ſeit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, ſeit Heinrich, das Kind
von Heſſen, dem Hauſe Brabant die Landgrafenwürde erwarb, begann hier
wieder eine ſelbſtändige Landesgeſchichte, eine Geſchichte ſo ruhmvoll und
gehaltreich, wie ſie ſelten einem Kleinſtaate beſchieden wird. Den ſieghaften
Bannern des heſſiſchen Löwen und des Ziegenhainer Sternes, den Kämpfen
Ludwig’s des Friedfertigen wider Kurmainz verdankte Deutſchland, daß ſich
im Herzen des Reichs kein übermächtiger Prieſterſtaat bilden konnte und
die geiſtliche Gewalt ihre weltlichen Anſprüche etwas ermäßigen mußte.
Dann fand Martin Luther an dem Landgrafen des kleinen Heſſen-
landes den tapferſten ſeiner Vertheidiger. In Marburg wurde die erſte
proteſtantiſche Univerſität gegründet, auf der Homberger Synode die Ver-
faſſung der evangeliſchen Kirche zum erſten male folgerecht durchgeführt.
Nicht immer mit der Umſicht des Staatsmannes, aber willenskräftig
und thatenfroh drängte Philipp der Großmüthige die zögernden Luthe-
raner zur Entſcheidung, und als er dann im ſchmalkaldiſchen Kriege
unterlegen war, betrieben ſeine Heſſen den Kampf um ſeine Wieder-
befreiung, die Rebellion gegen Kaiſer Karl V. mit der heißen Leidenſchaft
eines Volkskrieges. Die Dynaſtie hatte von Haus aus den ſchweizeriſchen
und franzöſiſchen Reformatoren nahe geſtanden, die Oranier und die
Hugenotten unerſchrocken unterſtützt. Seit Moritz dem Gelehrten bekannte
ſie ſich förmlich zu der ſtreitbarſten Kirche der Proteſtanten, und obwohl
auch der Caſſeler Hof eine Zeit lang mitſchuldig ward an den unfrucht-
baren Zauderkünſten der Evangeliſchen Union, ſo ergriff er doch als Guſtav
Adolf auftrat ſofort entſchloſſen die ſchwediſche Partei. Glänzend bewährte
ſich der alte Waffenruhm der blinden Heſſen vor den Wällen von Hanau,
bis zum Ende des Krieges hielt die große Vormünderin Amalie Eliſabeth,
den Glaubensgenoſſen ein leuchtendes Vorbild, bei der evangeliſchen Sache
aus. Auch nachher in den ſchweren Jahren, da Wilhelm VI. und die
Schweſter des großen Kurfürſten Hedwig Sophie die Wunden des großen
Krieges ſorgſam zu heilen verſuchten, blieb das Fürſtenhaus ſeiner pro-
teſtantiſchen Politik getreu. Wie vormals die evangeliſchen Wallonen, ſo
fanden jetzt die vertriebenen Hugenotten bei Landgraf Karl ihre Zuflucht,
der Neffe in Caſſel wetteiferte mit dem Oheim in Berlin um den Ruhm
proteſtantiſcher Gaſtfreundſchaft.
Wohl blieb auch das Haus Brabant nicht frei von den Sünden
jenes Zeitalters höfiſcher Selbſtvergötterung. Das böſe Beiſpiel des Sol-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/534>, abgerufen am 25.11.2024.
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