III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
segen blieb aus. Um so größer die Freude, als einige Jahre darauf dem jungen Prinzen Johann doch noch ein Erbe geboren wurde; da standen begeisterte Dresdener mit Champagnerflaschen auf der Brücke und nöthigten jeden Vorübergehenden, mit ihnen auf den Stammhalter anzustoßen.*) Bei aller Unterthänigkeit ließ sich jedoch nicht mehr verkennen, daß die Unnatur der überlebten Staatsformen schon das gesammte Volksleben zu lähmen begann. Die Industrie im Erzgebirge vermochte nicht zu ge- sunden, und wenn der Glanz der Leipziger Messen sich noch hielt, so war es dafür in der übrigen Jahreszeit um so stiller an der Pleiße; die Landkundschaft gewöhnte sich bereits ihren Bedarf an Colonialwaaren über Magdeburg zu beziehen, weil dort keine Accise bezahlt wurde.
Die Völker wie die Einzelnen erleben Zeiten der Unfruchtbarkeit, denen Alles mißlingt; eine solche Epoche war jetzt für Obersachsen ge- kommen, man erkannte dies an guten Köpfen sonst überreiche Land kaum mehr wieder. Die vormals so glänzende Hochschule war zur sächsischen Landesuniversität herabgesunken. Außer einer Reihe achtungswerther Fach- männer besaß sie zur Zeit nur zwei Gelehrte von großer, allgemein an- erkannter Wirksamkeit, Gottfried Herrmann und den geistvollen Theologen Tzschirner, dann noch den wässerigen Vielschreiber Pölitz und den uner- müdlichen Krug, der mindestens den Muth hatte, durch freimüthiges Rügen öffentlicher Mißbräuche die schlummernde sächsische Welt zuweilen aufzu- rütteln. Nach dem Kriege hatte Graf Heinrich Vitzthum, der Gönner Carl Maria v. Weber's, die Hoffnung gehegt, Sachsen werde sich für den Verlust seiner politischen Macht in großem Sinne entschädigen und, wie späterhin Baiern unter König Ludwig, der Sammelplatz der deutschen Künste werden. Was war aus diesen stolzen Träumen geworden? Der Componist von Leier und Schwert erfreute sich nicht der Gunst des Hofes, da er des deutsch-preußischen Patriotismus verdächtig war. An den Er- folgen der neuen bildenden Kunst nahm Sachsen noch fast gar keinen Antheil, denn die jungen Talente Schnorr, Rietschel, Richter standen noch in den Jahren der Entwicklung. Auch Tiedge, der beschauliche Dichter der Urania, der, obwohl kein Landeskind, doch in Dresden als vaterlän- dische Größe verehrt wurde, auch die poetische Harfenspielerin Therese aus dem Winckell, auch Tromlitz, Nordstern und die anderen Gestirne des Dresdener Thee-Dichterbundes strahlten nur einen sanften Glanz über das Land aus.
Mittelmäßigkeit und Verknöcherung überall; und dazu mußte man noch die grausame Ironie des Schicksals erleben, daß gerade der Anblick der preußischen Zustände den politischen Groll unter den Bürgern und Bauern wachrief. Mochte man die Preußen verfluchen -- das ließ sich
*) Berichte von Jordan, 1. Aug., von Meyern, 15. Oct.; Witzleben's Tagebuch, Juli 1825. Wangenheim an Hartmann, 30. April 1828.
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
ſegen blieb aus. Um ſo größer die Freude, als einige Jahre darauf dem jungen Prinzen Johann doch noch ein Erbe geboren wurde; da ſtanden begeiſterte Dresdener mit Champagnerflaſchen auf der Brücke und nöthigten jeden Vorübergehenden, mit ihnen auf den Stammhalter anzuſtoßen.*) Bei aller Unterthänigkeit ließ ſich jedoch nicht mehr verkennen, daß die Unnatur der überlebten Staatsformen ſchon das geſammte Volksleben zu lähmen begann. Die Induſtrie im Erzgebirge vermochte nicht zu ge- ſunden, und wenn der Glanz der Leipziger Meſſen ſich noch hielt, ſo war es dafür in der übrigen Jahreszeit um ſo ſtiller an der Pleiße; die Landkundſchaft gewöhnte ſich bereits ihren Bedarf an Colonialwaaren über Magdeburg zu beziehen, weil dort keine Acciſe bezahlt wurde.
Die Völker wie die Einzelnen erleben Zeiten der Unfruchtbarkeit, denen Alles mißlingt; eine ſolche Epoche war jetzt für Oberſachſen ge- kommen, man erkannte dies an guten Köpfen ſonſt überreiche Land kaum mehr wieder. Die vormals ſo glänzende Hochſchule war zur ſächſiſchen Landesuniverſität herabgeſunken. Außer einer Reihe achtungswerther Fach- männer beſaß ſie zur Zeit nur zwei Gelehrte von großer, allgemein an- erkannter Wirkſamkeit, Gottfried Herrmann und den geiſtvollen Theologen Tzſchirner, dann noch den wäſſerigen Vielſchreiber Pölitz und den uner- müdlichen Krug, der mindeſtens den Muth hatte, durch freimüthiges Rügen öffentlicher Mißbräuche die ſchlummernde ſächſiſche Welt zuweilen aufzu- rütteln. Nach dem Kriege hatte Graf Heinrich Vitzthum, der Gönner Carl Maria v. Weber’s, die Hoffnung gehegt, Sachſen werde ſich für den Verluſt ſeiner politiſchen Macht in großem Sinne entſchädigen und, wie ſpäterhin Baiern unter König Ludwig, der Sammelplatz der deutſchen Künſte werden. Was war aus dieſen ſtolzen Träumen geworden? Der Componiſt von Leier und Schwert erfreute ſich nicht der Gunſt des Hofes, da er des deutſch-preußiſchen Patriotismus verdächtig war. An den Er- folgen der neuen bildenden Kunſt nahm Sachſen noch faſt gar keinen Antheil, denn die jungen Talente Schnorr, Rietſchel, Richter ſtanden noch in den Jahren der Entwicklung. Auch Tiedge, der beſchauliche Dichter der Urania, der, obwohl kein Landeskind, doch in Dresden als vaterlän- diſche Größe verehrt wurde, auch die poetiſche Harfenſpielerin Thereſe aus dem Winckell, auch Tromlitz, Nordſtern und die anderen Geſtirne des Dresdener Thee-Dichterbundes ſtrahlten nur einen ſanften Glanz über das Land aus.
Mittelmäßigkeit und Verknöcherung überall; und dazu mußte man noch die grauſame Ironie des Schickſals erleben, daß gerade der Anblick der preußiſchen Zuſtände den politiſchen Groll unter den Bürgern und Bauern wachrief. Mochte man die Preußen verfluchen — das ließ ſich
*) Berichte von Jordan, 1. Aug., von Meyern, 15. Oct.; Witzleben’s Tagebuch, Juli 1825. Wangenheim an Hartmann, 30. April 1828.
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ſegen blieb aus. Um ſo größer die Freude, als einige Jahre darauf dem
jungen Prinzen Johann doch noch ein Erbe geboren wurde; da ſtanden
begeiſterte Dresdener mit Champagnerflaſchen auf der Brücke und nöthigten
jeden Vorübergehenden, mit ihnen auf den Stammhalter anzuſtoßen. *)
Bei aller Unterthänigkeit ließ ſich jedoch nicht mehr verkennen, daß die
Unnatur der überlebten Staatsformen ſchon das geſammte Volksleben
zu lähmen begann. Die Induſtrie im Erzgebirge vermochte nicht zu ge-
ſunden, und wenn der Glanz der Leipziger Meſſen ſich noch hielt, ſo
war es dafür in der übrigen Jahreszeit um ſo ſtiller an der Pleiße; die
Landkundſchaft gewöhnte ſich bereits ihren Bedarf an Colonialwaaren über
Magdeburg zu beziehen, weil dort keine Acciſe bezahlt wurde.
Die Völker wie die Einzelnen erleben Zeiten der Unfruchtbarkeit,
denen Alles mißlingt; eine ſolche Epoche war jetzt für Oberſachſen ge-
kommen, man erkannte dies an guten Köpfen ſonſt überreiche Land kaum
mehr wieder. Die vormals ſo glänzende Hochſchule war zur ſächſiſchen
Landesuniverſität herabgeſunken. Außer einer Reihe achtungswerther Fach-
männer beſaß ſie zur Zeit nur zwei Gelehrte von großer, allgemein an-
erkannter Wirkſamkeit, Gottfried Herrmann und den geiſtvollen Theologen
Tzſchirner, dann noch den wäſſerigen Vielſchreiber Pölitz und den uner-
müdlichen Krug, der mindeſtens den Muth hatte, durch freimüthiges Rügen
öffentlicher Mißbräuche die ſchlummernde ſächſiſche Welt zuweilen aufzu-
rütteln. Nach dem Kriege hatte Graf Heinrich Vitzthum, der Gönner
Carl Maria v. Weber’s, die Hoffnung gehegt, Sachſen werde ſich für den
Verluſt ſeiner politiſchen Macht in großem Sinne entſchädigen und, wie
ſpäterhin Baiern unter König Ludwig, der Sammelplatz der deutſchen
Künſte werden. Was war aus dieſen ſtolzen Träumen geworden? Der
Componiſt von Leier und Schwert erfreute ſich nicht der Gunſt des Hofes,
da er des deutſch-preußiſchen Patriotismus verdächtig war. An den Er-
folgen der neuen bildenden Kunſt nahm Sachſen noch faſt gar keinen
Antheil, denn die jungen Talente Schnorr, Rietſchel, Richter ſtanden noch
in den Jahren der Entwicklung. Auch Tiedge, der beſchauliche Dichter
der Urania, der, obwohl kein Landeskind, doch in Dresden als vaterlän-
diſche Größe verehrt wurde, auch die poetiſche Harfenſpielerin Thereſe aus
dem Winckell, auch Tromlitz, Nordſtern und die anderen Geſtirne des
Dresdener Thee-Dichterbundes ſtrahlten nur einen ſanften Glanz über
das Land aus.
Mittelmäßigkeit und Verknöcherung überall; und dazu mußte man
noch die grauſame Ironie des Schickſals erleben, daß gerade der Anblick
der preußiſchen Zuſtände den politiſchen Groll unter den Bürgern und
Bauern wachrief. Mochte man die Preußen verfluchen — das ließ ſich
*) Berichte von Jordan, 1. Aug., von Meyern, 15. Oct.; Witzleben’s Tagebuch,
Juli 1825. Wangenheim an Hartmann, 30. April 1828.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/530>, abgerufen am 22.11.2024.
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