III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
Und wie viel ekler Schlamm war von der wilden Zeit in den stillen Wässern dieses Kleinstaats aufgewühlt worden. Die Angeber und Ver- leumder hatten gute Tage. Wer in den jüngsten Monaten, das Land seinem Schicksale überlassend, mürrisch daheim geblieben war, verdächtigte jetzt die wackeren Offiziere und Beamten, die unter dem russischen und dem preußischen Gouvernement die Verwaltung geleitet hatten; sie alle -- die Generale Vieth und Carlowitz, der Freiherr v. Miltitz-Siebeneichen und Andere -- wurden unmöglich und mußten das Land verlassen. Nicht blos ehrenwerthe alte Staatsdiener, sondern auch manche elende Denun- cianten erhielten den neuen Verdienstorden, den der König nach der Heim- kehr für seine Getreuen stiftete und mit den ebenfalls neu erfundenen grün-weißen Landesfarben schmückte.
Mit der glühenden Verehrung, welche fortan diesen geschichtslosen Farben gewidmet wurde, verkettete sich leider unzertrennlich ein ebenso leidenschaftlicher Haß gegen Preußen. Unter allen Deutschen mußte es den Kursachsen am schwersten fallen, sich zurechtzufinden in dem Wirrsal unserer neuen Geschichte und ihre schöpferischen Kräfte zu erkennen. Es stand nicht anders: weil Kursachsen sank, war Preußen aufgestiegen, fast jeder deutsche Ruhmestag der jüngsten anderthalb Jahrhunderte war eine Niederlage der kursächsischen Politik. Wie sollte man dies einsehen in einem Lande, das von der nationalen Begeisterung der jüngsten Jahre nur einen leisen Hauch verspürt hatte? Von den beiden streitbaren Kur- sachsen, welche so mächtig geholfen hatten das Feuer dieses vaterländischen Idealismus zu schüren, war der eine, Fichte, daheim wenig bekannt; die Gelehrten schätzten ihn als Philosophen, die Geistlichen entsannen sich, daß ihn einst das Dresdener Consistorium wegen Atheismus verklagt hatte, die Reden an die deutsche Nation kannte man kaum. "Der Theater- dichter Theodor Körner" aber wurde wenige Tage vor seinem Tode in den Dresdener Blättern wegen versäumter Dienstpflicht amtlich vorge- laden; die gute Gesellschaft sprach nicht gern von ihm, war er doch wie sein Vater zu den Preußen übergelaufen. Wohl stand der Dichter von Leier und Schwert nicht ganz vereinsamt unter der sächsischen Jugend. Nach der Leipziger Schlacht meldeten sich bei der Armee manche für Deutsch- lands Freiheit schwärmende junge Männer, die längst schon danach ver- langt hatten, unter dem Banner des heimathlichen Rautenkranzes gegen Frankreich zu kämpfen. Um die Jugend der höheren Stände in stärkerer Anzahl heranzuziehen, berief das russische Gouvernement den Banner, eine den Lützowern nachgebildete Freischaar, der sich neben anderen ehrlich Begeisterten auch der Leipziger Philosoph Krug anschloß. Indeß war die Theilnahme keineswegs allgemein, es fehlte der frische Zug und Schwung der preußischen Freiwilligen. Der Banner hatte kein Glück, er bekam den Feind nur hinter den Mainzer Festungswällen zu sehen. Das patrio- tische Unternehmen blieb ebenso unfruchtbar, wie das System der Kriegs-
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
Und wie viel ekler Schlamm war von der wilden Zeit in den ſtillen Wäſſern dieſes Kleinſtaats aufgewühlt worden. Die Angeber und Ver- leumder hatten gute Tage. Wer in den jüngſten Monaten, das Land ſeinem Schickſale überlaſſend, mürriſch daheim geblieben war, verdächtigte jetzt die wackeren Offiziere und Beamten, die unter dem ruſſiſchen und dem preußiſchen Gouvernement die Verwaltung geleitet hatten; ſie alle — die Generale Vieth und Carlowitz, der Freiherr v. Miltitz-Siebeneichen und Andere — wurden unmöglich und mußten das Land verlaſſen. Nicht blos ehrenwerthe alte Staatsdiener, ſondern auch manche elende Denun- cianten erhielten den neuen Verdienſtorden, den der König nach der Heim- kehr für ſeine Getreuen ſtiftete und mit den ebenfalls neu erfundenen grün-weißen Landesfarben ſchmückte.
Mit der glühenden Verehrung, welche fortan dieſen geſchichtsloſen Farben gewidmet wurde, verkettete ſich leider unzertrennlich ein ebenſo leidenſchaftlicher Haß gegen Preußen. Unter allen Deutſchen mußte es den Kurſachſen am ſchwerſten fallen, ſich zurechtzufinden in dem Wirrſal unſerer neuen Geſchichte und ihre ſchöpferiſchen Kräfte zu erkennen. Es ſtand nicht anders: weil Kurſachſen ſank, war Preußen aufgeſtiegen, faſt jeder deutſche Ruhmestag der jüngſten anderthalb Jahrhunderte war eine Niederlage der kurſächſiſchen Politik. Wie ſollte man dies einſehen in einem Lande, das von der nationalen Begeiſterung der jüngſten Jahre nur einen leiſen Hauch verſpürt hatte? Von den beiden ſtreitbaren Kur- ſachſen, welche ſo mächtig geholfen hatten das Feuer dieſes vaterländiſchen Idealismus zu ſchüren, war der eine, Fichte, daheim wenig bekannt; die Gelehrten ſchätzten ihn als Philoſophen, die Geiſtlichen entſannen ſich, daß ihn einſt das Dresdener Conſiſtorium wegen Atheismus verklagt hatte, die Reden an die deutſche Nation kannte man kaum. „Der Theater- dichter Theodor Körner“ aber wurde wenige Tage vor ſeinem Tode in den Dresdener Blättern wegen verſäumter Dienſtpflicht amtlich vorge- laden; die gute Geſellſchaft ſprach nicht gern von ihm, war er doch wie ſein Vater zu den Preußen übergelaufen. Wohl ſtand der Dichter von Leier und Schwert nicht ganz vereinſamt unter der ſächſiſchen Jugend. Nach der Leipziger Schlacht meldeten ſich bei der Armee manche für Deutſch- lands Freiheit ſchwärmende junge Männer, die längſt ſchon danach ver- langt hatten, unter dem Banner des heimathlichen Rautenkranzes gegen Frankreich zu kämpfen. Um die Jugend der höheren Stände in ſtärkerer Anzahl heranzuziehen, berief das ruſſiſche Gouvernement den Banner, eine den Lützowern nachgebildete Freiſchaar, der ſich neben anderen ehrlich Begeiſterten auch der Leipziger Philoſoph Krug anſchloß. Indeß war die Theilnahme keineswegs allgemein, es fehlte der friſche Zug und Schwung der preußiſchen Freiwilligen. Der Banner hatte kein Glück, er bekam den Feind nur hinter den Mainzer Feſtungswällen zu ſehen. Das patrio- tiſche Unternehmen blieb ebenſo unfruchtbar, wie das Syſtem der Kriegs-
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III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
Und wie viel ekler Schlamm war von der wilden Zeit in den ſtillen
Wäſſern dieſes Kleinſtaats aufgewühlt worden. Die Angeber und Ver-
leumder hatten gute Tage. Wer in den jüngſten Monaten, das Land
ſeinem Schickſale überlaſſend, mürriſch daheim geblieben war, verdächtigte
jetzt die wackeren Offiziere und Beamten, die unter dem ruſſiſchen und
dem preußiſchen Gouvernement die Verwaltung geleitet hatten; ſie alle —
die Generale Vieth und Carlowitz, der Freiherr v. Miltitz-Siebeneichen
und Andere — wurden unmöglich und mußten das Land verlaſſen. Nicht
blos ehrenwerthe alte Staatsdiener, ſondern auch manche elende Denun-
cianten erhielten den neuen Verdienſtorden, den der König nach der Heim-
kehr für ſeine Getreuen ſtiftete und mit den ebenfalls neu erfundenen
grün-weißen Landesfarben ſchmückte.
Mit der glühenden Verehrung, welche fortan dieſen geſchichtsloſen
Farben gewidmet wurde, verkettete ſich leider unzertrennlich ein ebenſo
leidenſchaftlicher Haß gegen Preußen. Unter allen Deutſchen mußte es
den Kurſachſen am ſchwerſten fallen, ſich zurechtzufinden in dem Wirrſal
unſerer neuen Geſchichte und ihre ſchöpferiſchen Kräfte zu erkennen. Es
ſtand nicht anders: weil Kurſachſen ſank, war Preußen aufgeſtiegen,
faſt jeder deutſche Ruhmestag der jüngſten anderthalb Jahrhunderte war
eine Niederlage der kurſächſiſchen Politik. Wie ſollte man dies einſehen
in einem Lande, das von der nationalen Begeiſterung der jüngſten Jahre
nur einen leiſen Hauch verſpürt hatte? Von den beiden ſtreitbaren Kur-
ſachſen, welche ſo mächtig geholfen hatten das Feuer dieſes vaterländiſchen
Idealismus zu ſchüren, war der eine, Fichte, daheim wenig bekannt; die
Gelehrten ſchätzten ihn als Philoſophen, die Geiſtlichen entſannen ſich,
daß ihn einſt das Dresdener Conſiſtorium wegen Atheismus verklagt hatte,
die Reden an die deutſche Nation kannte man kaum. „Der Theater-
dichter Theodor Körner“ aber wurde wenige Tage vor ſeinem Tode in
den Dresdener Blättern wegen verſäumter Dienſtpflicht amtlich vorge-
laden; die gute Geſellſchaft ſprach nicht gern von ihm, war er doch wie
ſein Vater zu den Preußen übergelaufen. Wohl ſtand der Dichter von
Leier und Schwert nicht ganz vereinſamt unter der ſächſiſchen Jugend.
Nach der Leipziger Schlacht meldeten ſich bei der Armee manche für Deutſch-
lands Freiheit ſchwärmende junge Männer, die längſt ſchon danach ver-
langt hatten, unter dem Banner des heimathlichen Rautenkranzes gegen
Frankreich zu kämpfen. Um die Jugend der höheren Stände in ſtärkerer
Anzahl heranzuziehen, berief das ruſſiſche Gouvernement den Banner,
eine den Lützowern nachgebildete Freiſchaar, der ſich neben anderen ehrlich
Begeiſterten auch der Leipziger Philoſoph Krug anſchloß. Indeß war die
Theilnahme keineswegs allgemein, es fehlte der friſche Zug und Schwung
der preußiſchen Freiwilligen. Der Banner hatte kein Glück, er bekam den
Feind nur hinter den Mainzer Feſtungswällen zu ſehen. Das patrio-
tiſche Unternehmen blieb ebenſo unfruchtbar, wie das Syſtem der Kriegs-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/516>, abgerufen am 22.11.2024.
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