und empfanden es dann wie einen Verrath, als diese Befreier ihnen das Erbe ihrer Väter schmälerten.
Mit den Gefühlen eines schwer und ungerecht Gekränkten kehrte der greise König im Juni 1815 in sein verkleinertes Land zurück, und der Empfang daheim konnte ihn in solcher Meinung nur bestärken. Zur Zeit der Leipziger Schlacht hatte ein großer Theil der Gebildeten die un- deutsche Politik des Königs hart verurtheilt. In der langen Zeit der Un- gewißheit nachher ward die dynastische Anhänglichkeit wieder lebendig, und sie gewann gänzlich die Oberhand als die Nachricht von der Theilung des Landes und der bevorstehenden Rückkehr des Monarchen kam. Die We- nigen, die sich offen für Preußen ausgesprochen, hielten sich jetzt behutsam zurück; das Volk nannte sie die Preußen oder auch die Deutschen. In der Hilflosigkeit dieser Kleinstaaterei wechselte Mancher seine Meinung ohne es selber zu merken. Der gutmüthige Leipziger Poet Mahlmann, der Her- ausgeber der beliebten Zeitung für die elegante Welt, dichtete, als Napo- leon die Rautenkrone gründete, eine begeisterte Ode auf den Imperator: "vor ihm geht Schrecken her, doch Großmuth folgt ihm nach"; dann be- sang er ebenso rührend den Czaren Alexander und die Leipziger Völker- schlacht, und zur Heimkehr des Königs verfertigte er das neue Sachsen- lied "Blühe du Rautenkranz!" Die ungeheuere Mehrzahl des Volks war in ihren jubelnden Huldigungen unzweifelhaft aufrichtig; man hatte sich in das unbewegliche Regiment des alten Herrn so ganz eingewöhnt, als ob man nicht mehr ohne ihn leben könnte, und nannte ihn schon bei Leb- zeiten allgemein den Gerechten. Die nämlichen Auftritte wiederholten sich nach drei Jahren beim Jubelfeste der Regierung Friedrich August's; auch mehrere der an Preußen abgetretenen Ortschaften sendeten inbrünstige Glückwünsche, und der neue Landesherr ließ sie gewähren.
Eine lange Reihe stattlicher, mit Bildern geschmückter Bücher er- zählte sodann der Welt von diesen "allgemeinen Freudenfesten der getreuen sächsischen Nation", von den Triumphbogen und Obelisken und den "Tem- peln der Unsterblichkeit", von dem sinnigen Liede "die Raute grünt, das Veilchen blühet wieder", von allen den gereimten und ungereimten Pracht- reden zu Ehren "des guten Bienenvaters", der so lange seiner fleißigen Bienen treu gewartet hatte und dann von fremden Raubbienen, Hummeln und Wespen vertrieben, endlich wieder zu seinen unschuldigen Kindern heim- gekehrt war. Zuweilen verstieg sich die Unterthänigkeit dieser Kinder bis zur offenbaren Gotteslästerung. In dem Festspiele der Dresdener Gesellschaft zum Blauen Stern, die sich während der preußisch-russischen Fremdherr- schaft zur Nährung der dynastischen Treue zusammengefunden hatte, er- klang nach einer feierlichen Pause "das hohe Geisterwort":
Wo auch nur Zween oder Drei Versammelt sind in Friedrich August's Namen, Da ist sein Ahnherr auch dabei. Gott segne den König, Amen!
32*
Heimkehr Friedrich Auguſt’s.
und empfanden es dann wie einen Verrath, als dieſe Befreier ihnen das Erbe ihrer Väter ſchmälerten.
Mit den Gefühlen eines ſchwer und ungerecht Gekränkten kehrte der greiſe König im Juni 1815 in ſein verkleinertes Land zurück, und der Empfang daheim konnte ihn in ſolcher Meinung nur beſtärken. Zur Zeit der Leipziger Schlacht hatte ein großer Theil der Gebildeten die un- deutſche Politik des Königs hart verurtheilt. In der langen Zeit der Un- gewißheit nachher ward die dynaſtiſche Anhänglichkeit wieder lebendig, und ſie gewann gänzlich die Oberhand als die Nachricht von der Theilung des Landes und der bevorſtehenden Rückkehr des Monarchen kam. Die We- nigen, die ſich offen für Preußen ausgeſprochen, hielten ſich jetzt behutſam zurück; das Volk nannte ſie die Preußen oder auch die Deutſchen. In der Hilfloſigkeit dieſer Kleinſtaaterei wechſelte Mancher ſeine Meinung ohne es ſelber zu merken. Der gutmüthige Leipziger Poet Mahlmann, der Her- ausgeber der beliebten Zeitung für die elegante Welt, dichtete, als Napo- leon die Rautenkrone gründete, eine begeiſterte Ode auf den Imperator: „vor ihm geht Schrecken her, doch Großmuth folgt ihm nach“; dann be- ſang er ebenſo rührend den Czaren Alexander und die Leipziger Völker- ſchlacht, und zur Heimkehr des Königs verfertigte er das neue Sachſen- lied „Blühe du Rautenkranz!“ Die ungeheuere Mehrzahl des Volks war in ihren jubelnden Huldigungen unzweifelhaft aufrichtig; man hatte ſich in das unbewegliche Regiment des alten Herrn ſo ganz eingewöhnt, als ob man nicht mehr ohne ihn leben könnte, und nannte ihn ſchon bei Leb- zeiten allgemein den Gerechten. Die nämlichen Auftritte wiederholten ſich nach drei Jahren beim Jubelfeſte der Regierung Friedrich Auguſt’s; auch mehrere der an Preußen abgetretenen Ortſchaften ſendeten inbrünſtige Glückwünſche, und der neue Landesherr ließ ſie gewähren.
Eine lange Reihe ſtattlicher, mit Bildern geſchmückter Bücher er- zählte ſodann der Welt von dieſen „allgemeinen Freudenfeſten der getreuen ſächſiſchen Nation“, von den Triumphbogen und Obelisken und den „Tem- peln der Unſterblichkeit“, von dem ſinnigen Liede „die Raute grünt, das Veilchen blühet wieder“, von allen den gereimten und ungereimten Pracht- reden zu Ehren „des guten Bienenvaters“, der ſo lange ſeiner fleißigen Bienen treu gewartet hatte und dann von fremden Raubbienen, Hummeln und Wespen vertrieben, endlich wieder zu ſeinen unſchuldigen Kindern heim- gekehrt war. Zuweilen verſtieg ſich die Unterthänigkeit dieſer Kinder bis zur offenbaren Gottesläſterung. In dem Feſtſpiele der Dresdener Geſellſchaft zum Blauen Stern, die ſich während der preußiſch-ruſſiſchen Fremdherr- ſchaft zur Nährung der dynaſtiſchen Treue zuſammengefunden hatte, er- klang nach einer feierlichen Pauſe „das hohe Geiſterwort“:
Wo auch nur Zween oder Drei Verſammelt ſind in Friedrich Auguſt’s Namen, Da iſt ſein Ahnherr auch dabei. Gott ſegne den König, Amen!
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Heimkehr Friedrich Auguſt’s.
und empfanden es dann wie einen Verrath, als dieſe Befreier ihnen das
Erbe ihrer Väter ſchmälerten.
Mit den Gefühlen eines ſchwer und ungerecht Gekränkten kehrte der
greiſe König im Juni 1815 in ſein verkleinertes Land zurück, und der
Empfang daheim konnte ihn in ſolcher Meinung nur beſtärken. Zur
Zeit der Leipziger Schlacht hatte ein großer Theil der Gebildeten die un-
deutſche Politik des Königs hart verurtheilt. In der langen Zeit der Un-
gewißheit nachher ward die dynaſtiſche Anhänglichkeit wieder lebendig, und
ſie gewann gänzlich die Oberhand als die Nachricht von der Theilung des
Landes und der bevorſtehenden Rückkehr des Monarchen kam. Die We-
nigen, die ſich offen für Preußen ausgeſprochen, hielten ſich jetzt behutſam
zurück; das Volk nannte ſie die Preußen oder auch die Deutſchen. In
der Hilfloſigkeit dieſer Kleinſtaaterei wechſelte Mancher ſeine Meinung ohne
es ſelber zu merken. Der gutmüthige Leipziger Poet Mahlmann, der Her-
ausgeber der beliebten Zeitung für die elegante Welt, dichtete, als Napo-
leon die Rautenkrone gründete, eine begeiſterte Ode auf den Imperator:
„vor ihm geht Schrecken her, doch Großmuth folgt ihm nach“; dann be-
ſang er ebenſo rührend den Czaren Alexander und die Leipziger Völker-
ſchlacht, und zur Heimkehr des Königs verfertigte er das neue Sachſen-
lied „Blühe du Rautenkranz!“ Die ungeheuere Mehrzahl des Volks war
in ihren jubelnden Huldigungen unzweifelhaft aufrichtig; man hatte ſich
in das unbewegliche Regiment des alten Herrn ſo ganz eingewöhnt, als
ob man nicht mehr ohne ihn leben könnte, und nannte ihn ſchon bei Leb-
zeiten allgemein den Gerechten. Die nämlichen Auftritte wiederholten ſich
nach drei Jahren beim Jubelfeſte der Regierung Friedrich Auguſt’s; auch
mehrere der an Preußen abgetretenen Ortſchaften ſendeten inbrünſtige
Glückwünſche, und der neue Landesherr ließ ſie gewähren.
Eine lange Reihe ſtattlicher, mit Bildern geſchmückter Bücher er-
zählte ſodann der Welt von dieſen „allgemeinen Freudenfeſten der getreuen
ſächſiſchen Nation“, von den Triumphbogen und Obelisken und den „Tem-
peln der Unſterblichkeit“, von dem ſinnigen Liede „die Raute grünt, das
Veilchen blühet wieder“, von allen den gereimten und ungereimten Pracht-
reden zu Ehren „des guten Bienenvaters“, der ſo lange ſeiner fleißigen
Bienen treu gewartet hatte und dann von fremden Raubbienen, Hummeln
und Wespen vertrieben, endlich wieder zu ſeinen unſchuldigen Kindern heim-
gekehrt war. Zuweilen verſtieg ſich die Unterthänigkeit dieſer Kinder bis zur
offenbaren Gottesläſterung. In dem Feſtſpiele der Dresdener Geſellſchaft
zum Blauen Stern, die ſich während der preußiſch-ruſſiſchen Fremdherr-
ſchaft zur Nährung der dynaſtiſchen Treue zuſammengefunden hatte, er-
klang nach einer feierlichen Pauſe „das hohe Geiſterwort“:
Wo auch nur Zween oder Drei
Verſammelt ſind in Friedrich Auguſt’s Namen,
Da iſt ſein Ahnherr auch dabei.
Gott ſegne den König, Amen!
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/515>, abgerufen am 22.11.2024.
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