III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
Verdienst, nicht durch Lakaienkünste zu den höchsten Würden aufstieg -- und schloß sich in der deutschen Politik, die gefallene Entscheidung achtend, ver- ständig an Preußen an -- eine Entsagung, welche ihm der fromme Abscheu vor dem gottlosen Neuerer Joseph II. allerdings erleichterte. Aber ein Orga- nisator wie Karl Friedrich oder Karl August war er selbst in seinen kräf- tigen Jahren nicht. Er lebte in den Anschauungen des altständischen Staates und begnügte sich in dem engen Kreise, welchen die Oligarchie des Land- tags dem monarchischen Willen offen ließ, wohlthätig zu wirken. An die Entlastung des hartbedrückten Landvolks, an alle die wirthschaftlichen Re- formen, deren sein Land noch dringender als die Nachbarstaaten bedurfte, war schon darum nicht zu denken, weil ihm jeder Eingriff in die Standes- privilegien seiner Ritterschaft als ein gewissenloser Rechtsbruch erschien. Erhaltung alles Bestehenden wurde bald der Wahlspruch seiner Regierung. In ihren Anfängen hatte sie viel alten Unrath hinweggeräumt, nachher verschuldete sie, daß Sachsen in seiner politischen Entwicklung wieder um ein Menschenalter hinter den Nachbarländern zurückblieb.
Selbst die Zeit des allgemeinen Umsturzes in den Rheinbundslanden ging an Sachsens schwerfälligem Staatsbau spurlos vorüber. Grausames Schicksal, das diesen sanftmüthigen, bedachtsamen Fürsten in die Abenteuer der napoleonischen Politik verwickelte und grade ihn noch einmal mit der polnischen Unheilskrone belastete. Im Grunde des Herzens blieb er selbst während jener stürmischen Jahre der friedfertige Landesvater, der sich nichts Besseres wünschte als seine angestammten Unterthanen in Ruhe zu regieren; die ehrgeizigen Großmachtspläne seiner Minister Bose und Senfft regten ihn wenig auf, wie blind er auch auf das Glück seines Großen Alliirten vertraute. Um sein Land nicht der Raubgier des Siegers preiszugeben, ließ er sich nach der Schlacht von Jena zu dem einzigen Treubruche seines Lebens, zum Abfall von dem preußischen Bündniß verleiten. Um seinem Lande die Gnade des mächtigen Protectors zu erhalten, ertrug er geduldig jede persönliche Entwürdigung und hörte selbst im alten Frankfurter Kaiser- dome das Tedeum für die Wagramer Schlacht mit an; und wieder um sein Land vor der Rache Napoleon's zu sichern, kündigte er nach dem Tage von Großgörschen, noch unaufgefordert, dem Imperator seine Rückkehr an.*) Als er dann kriegsgefangen in die Hände der Preußen fiel, war er sich keiner Schuld bewußt; hatte er doch immer nur für sein Volk gesorgt und seine Rheinbundspflichten gewissenhaft erfüllt. Er wollte schlech- terdings nicht begreifen, daß er nun auch die Folgen der Niederlage tragen sollte. Nun gar die jungen Prinzen und Prinzessinnen waren -- anders als der Oheim -- auf ihre Weise immer gut deutsch gesinnt gewesen, sie hatten sich im Frühjahr des ersten Einzugs der Alliirten herzlich gefreut
*) So wird das Verhalten des Königs von General v. Gersdorff, der den Brief Friedrich August's an Napoleon überbrachte, erklärt. (Gersdorff, Denkschrift über das Jahr 1813. Juni 1814.)
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
Verdienſt, nicht durch Lakaienkünſte zu den höchſten Würden aufſtieg — und ſchloß ſich in der deutſchen Politik, die gefallene Entſcheidung achtend, ver- ſtändig an Preußen an — eine Entſagung, welche ihm der fromme Abſcheu vor dem gottloſen Neuerer Joſeph II. allerdings erleichterte. Aber ein Orga- niſator wie Karl Friedrich oder Karl Auguſt war er ſelbſt in ſeinen kräf- tigen Jahren nicht. Er lebte in den Anſchauungen des altſtändiſchen Staates und begnügte ſich in dem engen Kreiſe, welchen die Oligarchie des Land- tags dem monarchiſchen Willen offen ließ, wohlthätig zu wirken. An die Entlaſtung des hartbedrückten Landvolks, an alle die wirthſchaftlichen Re- formen, deren ſein Land noch dringender als die Nachbarſtaaten bedurfte, war ſchon darum nicht zu denken, weil ihm jeder Eingriff in die Standes- privilegien ſeiner Ritterſchaft als ein gewiſſenloſer Rechtsbruch erſchien. Erhaltung alles Beſtehenden wurde bald der Wahlſpruch ſeiner Regierung. In ihren Anfängen hatte ſie viel alten Unrath hinweggeräumt, nachher verſchuldete ſie, daß Sachſen in ſeiner politiſchen Entwicklung wieder um ein Menſchenalter hinter den Nachbarländern zurückblieb.
Selbſt die Zeit des allgemeinen Umſturzes in den Rheinbundslanden ging an Sachſens ſchwerfälligem Staatsbau ſpurlos vorüber. Grauſames Schickſal, das dieſen ſanftmüthigen, bedachtſamen Fürſten in die Abenteuer der napoleoniſchen Politik verwickelte und grade ihn noch einmal mit der polniſchen Unheilskrone belaſtete. Im Grunde des Herzens blieb er ſelbſt während jener ſtürmiſchen Jahre der friedfertige Landesvater, der ſich nichts Beſſeres wünſchte als ſeine angeſtammten Unterthanen in Ruhe zu regieren; die ehrgeizigen Großmachtspläne ſeiner Miniſter Boſe und Senfft regten ihn wenig auf, wie blind er auch auf das Glück ſeines Großen Alliirten vertraute. Um ſein Land nicht der Raubgier des Siegers preiszugeben, ließ er ſich nach der Schlacht von Jena zu dem einzigen Treubruche ſeines Lebens, zum Abfall von dem preußiſchen Bündniß verleiten. Um ſeinem Lande die Gnade des mächtigen Protectors zu erhalten, ertrug er geduldig jede perſönliche Entwürdigung und hörte ſelbſt im alten Frankfurter Kaiſer- dome das Tedeum für die Wagramer Schlacht mit an; und wieder um ſein Land vor der Rache Napoleon’s zu ſichern, kündigte er nach dem Tage von Großgörſchen, noch unaufgefordert, dem Imperator ſeine Rückkehr an.*) Als er dann kriegsgefangen in die Hände der Preußen fiel, war er ſich keiner Schuld bewußt; hatte er doch immer nur für ſein Volk geſorgt und ſeine Rheinbundspflichten gewiſſenhaft erfüllt. Er wollte ſchlech- terdings nicht begreifen, daß er nun auch die Folgen der Niederlage tragen ſollte. Nun gar die jungen Prinzen und Prinzeſſinnen waren — anders als der Oheim — auf ihre Weiſe immer gut deutſch geſinnt geweſen, ſie hatten ſich im Frühjahr des erſten Einzugs der Alliirten herzlich gefreut
*) So wird das Verhalten des Königs von General v. Gersdorff, der den Brief Friedrich Auguſt’s an Napoleon überbrachte, erklärt. (Gersdorff, Denkſchrift über das Jahr 1813. Juni 1814.)
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0514"n="498"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.</fw><lb/>
Verdienſt, nicht durch Lakaienkünſte zu den höchſten Würden aufſtieg — und<lb/>ſchloß ſich in der deutſchen Politik, die gefallene Entſcheidung achtend, ver-<lb/>ſtändig an Preußen an — eine Entſagung, welche ihm der fromme Abſcheu<lb/>
vor dem gottloſen Neuerer Joſeph <hirendition="#aq">II.</hi> allerdings erleichterte. Aber ein Orga-<lb/>
niſator wie Karl Friedrich oder Karl Auguſt war er ſelbſt in ſeinen kräf-<lb/>
tigen Jahren nicht. Er lebte in den Anſchauungen des altſtändiſchen Staates<lb/>
und begnügte ſich in dem engen Kreiſe, welchen die Oligarchie des Land-<lb/>
tags dem monarchiſchen Willen offen ließ, wohlthätig zu wirken. An die<lb/>
Entlaſtung des hartbedrückten Landvolks, an alle die wirthſchaftlichen Re-<lb/>
formen, deren ſein Land noch dringender als die Nachbarſtaaten bedurfte,<lb/>
war ſchon darum nicht zu denken, weil ihm jeder Eingriff in die Standes-<lb/>
privilegien ſeiner Ritterſchaft als ein gewiſſenloſer Rechtsbruch erſchien.<lb/>
Erhaltung alles Beſtehenden wurde bald der Wahlſpruch ſeiner Regierung.<lb/>
In ihren Anfängen hatte ſie viel alten Unrath hinweggeräumt, nachher<lb/>
verſchuldete ſie, daß Sachſen in ſeiner politiſchen Entwicklung wieder um<lb/>
ein Menſchenalter hinter den Nachbarländern zurückblieb.</p><lb/><p>Selbſt die Zeit des allgemeinen Umſturzes in den Rheinbundslanden<lb/>
ging an Sachſens ſchwerfälligem Staatsbau ſpurlos vorüber. Grauſames<lb/>
Schickſal, das dieſen ſanftmüthigen, bedachtſamen Fürſten in die Abenteuer<lb/>
der napoleoniſchen Politik verwickelte und grade ihn noch einmal mit der<lb/>
polniſchen Unheilskrone belaſtete. Im Grunde des Herzens blieb er ſelbſt<lb/>
während jener ſtürmiſchen Jahre der friedfertige Landesvater, der ſich nichts<lb/>
Beſſeres wünſchte als ſeine angeſtammten Unterthanen in Ruhe zu regieren;<lb/>
die ehrgeizigen Großmachtspläne ſeiner Miniſter Boſe und Senfft regten<lb/>
ihn wenig auf, wie blind er auch auf das Glück ſeines Großen Alliirten<lb/>
vertraute. Um ſein Land nicht der Raubgier des Siegers preiszugeben,<lb/>
ließ er ſich nach der Schlacht von Jena zu dem einzigen Treubruche ſeines<lb/>
Lebens, zum Abfall von dem preußiſchen Bündniß verleiten. Um ſeinem<lb/>
Lande die Gnade des mächtigen Protectors zu erhalten, ertrug er geduldig<lb/>
jede perſönliche Entwürdigung und hörte ſelbſt im alten Frankfurter Kaiſer-<lb/>
dome das Tedeum für die Wagramer Schlacht mit an; und wieder um<lb/>ſein Land vor der Rache Napoleon’s zu ſichern, kündigte er nach dem Tage<lb/>
von Großgörſchen, noch unaufgefordert, dem Imperator ſeine Rückkehr<lb/>
an.<noteplace="foot"n="*)">So wird das Verhalten des Königs von General v. Gersdorff, der den Brief<lb/>
Friedrich Auguſt’s an Napoleon überbrachte, erklärt. (Gersdorff, Denkſchrift über das<lb/>
Jahr 1813. Juni 1814.)</note> Als er dann kriegsgefangen in die Hände der Preußen fiel, war<lb/>
er ſich keiner Schuld bewußt; hatte er doch immer nur für ſein Volk<lb/>
geſorgt und ſeine Rheinbundspflichten gewiſſenhaft erfüllt. Er wollte ſchlech-<lb/>
terdings nicht begreifen, daß er nun auch die Folgen der Niederlage tragen<lb/>ſollte. Nun gar die jungen Prinzen und Prinzeſſinnen waren — anders<lb/>
als der Oheim — auf ihre Weiſe immer gut deutſch geſinnt geweſen, ſie<lb/>
hatten ſich im Frühjahr des erſten Einzugs der Alliirten herzlich gefreut<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[498/0514]
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
Verdienſt, nicht durch Lakaienkünſte zu den höchſten Würden aufſtieg — und
ſchloß ſich in der deutſchen Politik, die gefallene Entſcheidung achtend, ver-
ſtändig an Preußen an — eine Entſagung, welche ihm der fromme Abſcheu
vor dem gottloſen Neuerer Joſeph II. allerdings erleichterte. Aber ein Orga-
niſator wie Karl Friedrich oder Karl Auguſt war er ſelbſt in ſeinen kräf-
tigen Jahren nicht. Er lebte in den Anſchauungen des altſtändiſchen Staates
und begnügte ſich in dem engen Kreiſe, welchen die Oligarchie des Land-
tags dem monarchiſchen Willen offen ließ, wohlthätig zu wirken. An die
Entlaſtung des hartbedrückten Landvolks, an alle die wirthſchaftlichen Re-
formen, deren ſein Land noch dringender als die Nachbarſtaaten bedurfte,
war ſchon darum nicht zu denken, weil ihm jeder Eingriff in die Standes-
privilegien ſeiner Ritterſchaft als ein gewiſſenloſer Rechtsbruch erſchien.
Erhaltung alles Beſtehenden wurde bald der Wahlſpruch ſeiner Regierung.
In ihren Anfängen hatte ſie viel alten Unrath hinweggeräumt, nachher
verſchuldete ſie, daß Sachſen in ſeiner politiſchen Entwicklung wieder um
ein Menſchenalter hinter den Nachbarländern zurückblieb.
Selbſt die Zeit des allgemeinen Umſturzes in den Rheinbundslanden
ging an Sachſens ſchwerfälligem Staatsbau ſpurlos vorüber. Grauſames
Schickſal, das dieſen ſanftmüthigen, bedachtſamen Fürſten in die Abenteuer
der napoleoniſchen Politik verwickelte und grade ihn noch einmal mit der
polniſchen Unheilskrone belaſtete. Im Grunde des Herzens blieb er ſelbſt
während jener ſtürmiſchen Jahre der friedfertige Landesvater, der ſich nichts
Beſſeres wünſchte als ſeine angeſtammten Unterthanen in Ruhe zu regieren;
die ehrgeizigen Großmachtspläne ſeiner Miniſter Boſe und Senfft regten
ihn wenig auf, wie blind er auch auf das Glück ſeines Großen Alliirten
vertraute. Um ſein Land nicht der Raubgier des Siegers preiszugeben,
ließ er ſich nach der Schlacht von Jena zu dem einzigen Treubruche ſeines
Lebens, zum Abfall von dem preußiſchen Bündniß verleiten. Um ſeinem
Lande die Gnade des mächtigen Protectors zu erhalten, ertrug er geduldig
jede perſönliche Entwürdigung und hörte ſelbſt im alten Frankfurter Kaiſer-
dome das Tedeum für die Wagramer Schlacht mit an; und wieder um
ſein Land vor der Rache Napoleon’s zu ſichern, kündigte er nach dem Tage
von Großgörſchen, noch unaufgefordert, dem Imperator ſeine Rückkehr
an. *) Als er dann kriegsgefangen in die Hände der Preußen fiel, war
er ſich keiner Schuld bewußt; hatte er doch immer nur für ſein Volk
geſorgt und ſeine Rheinbundspflichten gewiſſenhaft erfüllt. Er wollte ſchlech-
terdings nicht begreifen, daß er nun auch die Folgen der Niederlage tragen
ſollte. Nun gar die jungen Prinzen und Prinzeſſinnen waren — anders
als der Oheim — auf ihre Weiſe immer gut deutſch geſinnt geweſen, ſie
hatten ſich im Frühjahr des erſten Einzugs der Alliirten herzlich gefreut
*) So wird das Verhalten des Königs von General v. Gersdorff, der den Brief
Friedrich Auguſt’s an Napoleon überbrachte, erklärt. (Gersdorff, Denkſchrift über das
Jahr 1813. Juni 1814.)
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/514>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.