III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
Leibniz und die beiden unbändigen Störenfriede Pufendorf und Thomasius; so in der fridericianischen Zeit zwei typische Gestalten, dort Gellert, hier Lessing; so wieder in den napoleonischen Tagen dort die glatten Diplo- maten des Rheinbunds, hier Fichte und Theodor Körner; so noch in neuester Zeit unter den Gelehrten dort Lotze, hier Moritz Haupt, unter den Künst- lern dort Rietschel und Ludwig Richter, hier Richard Wagner -- immer in den mannichfaltigsten Formen derselbe auffällige Gegensatz, und bei Allen doch unverkennbar die gleiche Stammesart.
Und nicht zufällig sind jene trotzigen Naturen auf obersächsischem Boden erwachsen. In diesem höflichen, geduldigen Völkchen lag eine unzer- störbare sittliche Widerstandskraft, die den schwersten Prüfungen Stand hielt. Von der scheußlichen Sittenfäulniß des Hofes wurden wohl die Residenz und ein Theil des Adels, vielleicht auch einzelne Kreise der Leip- ziger Kaufmannschaft angefressen; der Bürger und Bauer ließ sich in seiner schlichten Ehrbarkeit nicht stören. Ebenso unverzagt wie einst nach den Zeiten der Schwedennoth schritt das Volk nach dem siebenjährigen Kriege alsbald ans Werk, um mit seinen fleißigen Händen wieder aufzu- bauen, was die Thorheit des Landesherrn zerstört hatte. Und wie mann- haft hielt das tapfere kleine Heer zusammen, das seit seinen ersten glän- zenden Ruhmestagen, beim Entsatze von Wien, fast nur noch Unheil er- lebt hatte und durch die klägliche Politik seiner Kriegsherren von einer Niederlage zur anderen getrieben wurde. Die schönen Mörser aus der Werkstatt des Dresdner Stückgießers Herold prangten jetzt als Trophäen am Ufer des Mälar-Sees, und die Hellebarden der kursächsischen Schwei- zergarde standen im Berliner Zeughause zu einem glitzernden Stacket zu- sammengestellt. Aber selbst nach den zerschmetternden Schlägen von Frau- stadt, von Hohenfriedberg und Kesselsdorf war die Armee niemals ganz aus den Fugen gegangen, und als nach der Capitulation von Pirna Alles verloren schien, da waren es Benckendorf's sächsische Reiter, die bei Kollin, an Friedrich's Schicksalstage, die Niederlage der Preußen entschieden. Ganze Bataillone gefangener Sachsen verließen den erzwungenen preußischen Dienst um sich nach Polen zu ihrem Könige zu flüchten; auf dem west- deutschen Kriegstheater fochten die Trümmer der zerschlagenen Regimenter unter französischem Oberbefehl weiter, und gleich nach dem Frieden stand das Heer wieder in leidlicher Ordnung beisammen, als sei nichts geschehen.
Politische Köpfe konnten freilich unter solchen Fürsten nicht auf- kommen. Noch auffälliger sogar als in Schwaben erschien hier das Miß- verhältniß der politischen und der literarischen Talente. In den andert- halb Jahrhunderten seit der Hinrichtung Crell's trat in Kursachsen nur Einer auf, der den Namen eines Staatsmannes verdiente: der Boitzen- burger Arnim, und er ward hier nie ganz heimisch. Pufendorf aber, der erste politische Denker des Landes, schüttelte den Staub der Heimath von seinen Füßen und kämpfte seinen großen Kampf für die moderne Mon-
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
Leibniz und die beiden unbändigen Störenfriede Pufendorf und Thomaſius; ſo in der fridericianiſchen Zeit zwei typiſche Geſtalten, dort Gellert, hier Leſſing; ſo wieder in den napoleoniſchen Tagen dort die glatten Diplo- maten des Rheinbunds, hier Fichte und Theodor Körner; ſo noch in neueſter Zeit unter den Gelehrten dort Lotze, hier Moritz Haupt, unter den Künſt- lern dort Rietſchel und Ludwig Richter, hier Richard Wagner — immer in den mannichfaltigſten Formen derſelbe auffällige Gegenſatz, und bei Allen doch unverkennbar die gleiche Stammesart.
Und nicht zufällig ſind jene trotzigen Naturen auf oberſächſiſchem Boden erwachſen. In dieſem höflichen, geduldigen Völkchen lag eine unzer- ſtörbare ſittliche Widerſtandskraft, die den ſchwerſten Prüfungen Stand hielt. Von der ſcheußlichen Sittenfäulniß des Hofes wurden wohl die Reſidenz und ein Theil des Adels, vielleicht auch einzelne Kreiſe der Leip- ziger Kaufmannſchaft angefreſſen; der Bürger und Bauer ließ ſich in ſeiner ſchlichten Ehrbarkeit nicht ſtören. Ebenſo unverzagt wie einſt nach den Zeiten der Schwedennoth ſchritt das Volk nach dem ſiebenjährigen Kriege alsbald ans Werk, um mit ſeinen fleißigen Händen wieder aufzu- bauen, was die Thorheit des Landesherrn zerſtört hatte. Und wie mann- haft hielt das tapfere kleine Heer zuſammen, das ſeit ſeinen erſten glän- zenden Ruhmestagen, beim Entſatze von Wien, faſt nur noch Unheil er- lebt hatte und durch die klägliche Politik ſeiner Kriegsherren von einer Niederlage zur anderen getrieben wurde. Die ſchönen Mörſer aus der Werkſtatt des Dresdner Stückgießers Herold prangten jetzt als Trophäen am Ufer des Mälar-Sees, und die Hellebarden der kurſächſiſchen Schwei- zergarde ſtanden im Berliner Zeughauſe zu einem glitzernden Stacket zu- ſammengeſtellt. Aber ſelbſt nach den zerſchmetternden Schlägen von Frau- ſtadt, von Hohenfriedberg und Keſſelsdorf war die Armee niemals ganz aus den Fugen gegangen, und als nach der Capitulation von Pirna Alles verloren ſchien, da waren es Benckendorf’s ſächſiſche Reiter, die bei Kollin, an Friedrich’s Schickſalstage, die Niederlage der Preußen entſchieden. Ganze Bataillone gefangener Sachſen verließen den erzwungenen preußiſchen Dienſt um ſich nach Polen zu ihrem Könige zu flüchten; auf dem weſt- deutſchen Kriegstheater fochten die Trümmer der zerſchlagenen Regimenter unter franzöſiſchem Oberbefehl weiter, und gleich nach dem Frieden ſtand das Heer wieder in leidlicher Ordnung beiſammen, als ſei nichts geſchehen.
Politiſche Köpfe konnten freilich unter ſolchen Fürſten nicht auf- kommen. Noch auffälliger ſogar als in Schwaben erſchien hier das Miß- verhältniß der politiſchen und der literariſchen Talente. In den andert- halb Jahrhunderten ſeit der Hinrichtung Crell’s trat in Kurſachſen nur Einer auf, der den Namen eines Staatsmannes verdiente: der Boitzen- burger Arnim, und er ward hier nie ganz heimiſch. Pufendorf aber, der erſte politiſche Denker des Landes, ſchüttelte den Staub der Heimath von ſeinen Füßen und kämpfte ſeinen großen Kampf für die moderne Mon-
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III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
Leibniz und die beiden unbändigen Störenfriede Pufendorf und Thomaſius;
ſo in der fridericianiſchen Zeit zwei typiſche Geſtalten, dort Gellert, hier
Leſſing; ſo wieder in den napoleoniſchen Tagen dort die glatten Diplo-
maten des Rheinbunds, hier Fichte und Theodor Körner; ſo noch in neueſter
Zeit unter den Gelehrten dort Lotze, hier Moritz Haupt, unter den Künſt-
lern dort Rietſchel und Ludwig Richter, hier Richard Wagner — immer in
den mannichfaltigſten Formen derſelbe auffällige Gegenſatz, und bei Allen
doch unverkennbar die gleiche Stammesart.
Und nicht zufällig ſind jene trotzigen Naturen auf oberſächſiſchem
Boden erwachſen. In dieſem höflichen, geduldigen Völkchen lag eine unzer-
ſtörbare ſittliche Widerſtandskraft, die den ſchwerſten Prüfungen Stand
hielt. Von der ſcheußlichen Sittenfäulniß des Hofes wurden wohl die
Reſidenz und ein Theil des Adels, vielleicht auch einzelne Kreiſe der Leip-
ziger Kaufmannſchaft angefreſſen; der Bürger und Bauer ließ ſich in
ſeiner ſchlichten Ehrbarkeit nicht ſtören. Ebenſo unverzagt wie einſt nach
den Zeiten der Schwedennoth ſchritt das Volk nach dem ſiebenjährigen
Kriege alsbald ans Werk, um mit ſeinen fleißigen Händen wieder aufzu-
bauen, was die Thorheit des Landesherrn zerſtört hatte. Und wie mann-
haft hielt das tapfere kleine Heer zuſammen, das ſeit ſeinen erſten glän-
zenden Ruhmestagen, beim Entſatze von Wien, faſt nur noch Unheil er-
lebt hatte und durch die klägliche Politik ſeiner Kriegsherren von einer
Niederlage zur anderen getrieben wurde. Die ſchönen Mörſer aus der
Werkſtatt des Dresdner Stückgießers Herold prangten jetzt als Trophäen
am Ufer des Mälar-Sees, und die Hellebarden der kurſächſiſchen Schwei-
zergarde ſtanden im Berliner Zeughauſe zu einem glitzernden Stacket zu-
ſammengeſtellt. Aber ſelbſt nach den zerſchmetternden Schlägen von Frau-
ſtadt, von Hohenfriedberg und Keſſelsdorf war die Armee niemals ganz
aus den Fugen gegangen, und als nach der Capitulation von Pirna Alles
verloren ſchien, da waren es Benckendorf’s ſächſiſche Reiter, die bei Kollin,
an Friedrich’s Schickſalstage, die Niederlage der Preußen entſchieden. Ganze
Bataillone gefangener Sachſen verließen den erzwungenen preußiſchen
Dienſt um ſich nach Polen zu ihrem Könige zu flüchten; auf dem weſt-
deutſchen Kriegstheater fochten die Trümmer der zerſchlagenen Regimenter
unter franzöſiſchem Oberbefehl weiter, und gleich nach dem Frieden ſtand
das Heer wieder in leidlicher Ordnung beiſammen, als ſei nichts geſchehen.
Politiſche Köpfe konnten freilich unter ſolchen Fürſten nicht auf-
kommen. Noch auffälliger ſogar als in Schwaben erſchien hier das Miß-
verhältniß der politiſchen und der literariſchen Talente. In den andert-
halb Jahrhunderten ſeit der Hinrichtung Crell’s trat in Kurſachſen nur
Einer auf, der den Namen eines Staatsmannes verdiente: der Boitzen-
burger Arnim, und er ward hier nie ganz heimiſch. Pufendorf aber, der
erſte politiſche Denker des Landes, ſchüttelte den Staub der Heimath von
ſeinen Füßen und kämpfte ſeinen großen Kampf für die moderne Mon-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/512>, abgerufen am 22.11.2024.
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