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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Neuer Zollstreit mit Anhalt.
den Geist, der sichtbar in demselben waltet, ertöden, daß aus dem ersteren
ein Rechtstitel für faktischen Zwang entlehnt werde. Wenn ich so das
kleine, auf mich gekommene Erbe meiner Ahnen, das, erhört Gott meine
und meiner vielgeliebten Gemahlin Gebete, der Urenkel eines Königs aus
meiner Hand erhalten wird, vor E. K. Maj. Herzen und Allerhöchstihren
mir und meiner Gemahlin bewiesenen väterlichen Gesinnungen zu ver-
theidigen wage, so fehlt es mir dazu nicht an einem näheren Anlaß" --
worauf denn eine lange Klage über die dem anhaltischen Lande ange-
drohte "Polizeilinie" folgte. Der König aber zeigte sich sehr aufgebracht
über die Zweizüngigkeit seines Neffen. Er erinnerte ihn daran, daß
Preußen die Dresdener Elbschifffahrts-Akte erst unterzeichnet habe, nach-
dem die Askanier ihren Beitritt zum preußischen Zollsysteme förmlich
versprochen hätten; er forderte ihn auf, dem Beispiele Bernburgs zu folgen
und schloß: "Auch kann ich nicht glauben, daß das in Dresden von
sämmtlichen Herzögen von Anhalt gegebene Versprechen einer Einigung
durch irgend eine von ihnen späterhin gegebene Zusage an Verbindlich-
keit zu verlieren vermöchte."*) Ein zweites Schreiben des Dessauers,
das sich abermals auf die hartnäckige Weigerung des Köthener Vetters
berief, blieb unbeantwortet.

Der König befahl nunmehr, dem Froschmäusekriege ein Ende zu
machen und das anhaltische Land mit der gefürchteten "Polizeilinie" zu
umgeben, aber zugleich die beiden Herzöge nochmals zu Unterhandlungen
einzuladen.**) Im März 1827 wurde die Elbe oberhalb und unter-
halb Anhalts gesperrt, von den eingehenden Schiffen die vorläufige Zah-
lung der preußischen Zölle gefordert unter Vorbehalt der Rückvergütung
falls die Waaren wirklich in Anhalt verblieben. Sofort sendete der
Köthener Herzog einen Leutnant mit einem Ultimatum nach Berlin; sei
es daß er einen höheren militärischen Würdenträger nicht in seinem Ver-
mögen hatte, oder daß er Preußen verhöhnen wollte. Der tapfere Leutnant
forderte drohend die Zurücknahme der Maßregeln binnen acht Tagen,
sonst werde Köthen zu ernsteren Mitteln greifen. Natürlich erhielt er
keine Antwort; Eichhorn und Heinrich v. Bülow, Humboldt's geistreicher
Schwiegersohn, der in diesen lächerlichen Händeln sein diplomatisches
Talent zuerst bewährte, setzten nur einige scharfe Bemerkungen an den
Rand des Köthener Ultimatums.***) Nun brachte Köthen cette affaire
ennuyante,
wie Bernstorff zu seufzen pflegte, nochmals an den Bun-
destag. Wieder vertheidigte die gesammte Presse den unschuldigen Klein-
staat, den hochherzigen Beschützer der Schwärzer und der Schwarzen;

*) Herzog Leopold von Dessau an König Friedrich Wilhelm (eingegangen 20. Juni
1826). Antwort, Teplitz, Juli 1826.
**) Zwei Ministerialschreiben des Ausw. Amts an die Rentkammern zu Dessau
und Köthen. 16. Febr. 1827.
***) Ministerialschreiben an die Gesandtschaft in Wien, 16. März 1827.

Neuer Zollſtreit mit Anhalt.
den Geiſt, der ſichtbar in demſelben waltet, ertöden, daß aus dem erſteren
ein Rechtstitel für faktiſchen Zwang entlehnt werde. Wenn ich ſo das
kleine, auf mich gekommene Erbe meiner Ahnen, das, erhört Gott meine
und meiner vielgeliebten Gemahlin Gebete, der Urenkel eines Königs aus
meiner Hand erhalten wird, vor E. K. Maj. Herzen und Allerhöchſtihren
mir und meiner Gemahlin bewieſenen väterlichen Geſinnungen zu ver-
theidigen wage, ſo fehlt es mir dazu nicht an einem näheren Anlaß“ —
worauf denn eine lange Klage über die dem anhaltiſchen Lande ange-
drohte „Polizeilinie“ folgte. Der König aber zeigte ſich ſehr aufgebracht
über die Zweizüngigkeit ſeines Neffen. Er erinnerte ihn daran, daß
Preußen die Dresdener Elbſchifffahrts-Akte erſt unterzeichnet habe, nach-
dem die Askanier ihren Beitritt zum preußiſchen Zollſyſteme förmlich
verſprochen hätten; er forderte ihn auf, dem Beiſpiele Bernburgs zu folgen
und ſchloß: „Auch kann ich nicht glauben, daß das in Dresden von
ſämmtlichen Herzögen von Anhalt gegebene Verſprechen einer Einigung
durch irgend eine von ihnen ſpäterhin gegebene Zuſage an Verbindlich-
keit zu verlieren vermöchte.“*) Ein zweites Schreiben des Deſſauers,
das ſich abermals auf die hartnäckige Weigerung des Köthener Vetters
berief, blieb unbeantwortet.

Der König befahl nunmehr, dem Froſchmäuſekriege ein Ende zu
machen und das anhaltiſche Land mit der gefürchteten „Polizeilinie“ zu
umgeben, aber zugleich die beiden Herzöge nochmals zu Unterhandlungen
einzuladen.**) Im März 1827 wurde die Elbe oberhalb und unter-
halb Anhalts geſperrt, von den eingehenden Schiffen die vorläufige Zah-
lung der preußiſchen Zölle gefordert unter Vorbehalt der Rückvergütung
falls die Waaren wirklich in Anhalt verblieben. Sofort ſendete der
Köthener Herzog einen Leutnant mit einem Ultimatum nach Berlin; ſei
es daß er einen höheren militäriſchen Würdenträger nicht in ſeinem Ver-
mögen hatte, oder daß er Preußen verhöhnen wollte. Der tapfere Leutnant
forderte drohend die Zurücknahme der Maßregeln binnen acht Tagen,
ſonſt werde Köthen zu ernſteren Mitteln greifen. Natürlich erhielt er
keine Antwort; Eichhorn und Heinrich v. Bülow, Humboldt’s geiſtreicher
Schwiegerſohn, der in dieſen lächerlichen Händeln ſein diplomatiſches
Talent zuerſt bewährte, ſetzten nur einige ſcharfe Bemerkungen an den
Rand des Köthener Ultimatums.***) Nun brachte Köthen cette affaire
ennuyante,
wie Bernſtorff zu ſeufzen pflegte, nochmals an den Bun-
destag. Wieder vertheidigte die geſammte Preſſe den unſchuldigen Klein-
ſtaat, den hochherzigen Beſchützer der Schwärzer und der Schwarzen;

*) Herzog Leopold von Deſſau an König Friedrich Wilhelm (eingegangen 20. Juni
1826). Antwort, Teplitz, Juli 1826.
**) Zwei Miniſterialſchreiben des Ausw. Amts an die Rentkammern zu Deſſau
und Köthen. 16. Febr. 1827.
***) Miniſterialſchreiben an die Geſandtſchaft in Wien, 16. März 1827.
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[479/0495] Neuer Zollſtreit mit Anhalt. den Geiſt, der ſichtbar in demſelben waltet, ertöden, daß aus dem erſteren ein Rechtstitel für faktiſchen Zwang entlehnt werde. Wenn ich ſo das kleine, auf mich gekommene Erbe meiner Ahnen, das, erhört Gott meine und meiner vielgeliebten Gemahlin Gebete, der Urenkel eines Königs aus meiner Hand erhalten wird, vor E. K. Maj. Herzen und Allerhöchſtihren mir und meiner Gemahlin bewieſenen väterlichen Geſinnungen zu ver- theidigen wage, ſo fehlt es mir dazu nicht an einem näheren Anlaß“ — worauf denn eine lange Klage über die dem anhaltiſchen Lande ange- drohte „Polizeilinie“ folgte. Der König aber zeigte ſich ſehr aufgebracht über die Zweizüngigkeit ſeines Neffen. Er erinnerte ihn daran, daß Preußen die Dresdener Elbſchifffahrts-Akte erſt unterzeichnet habe, nach- dem die Askanier ihren Beitritt zum preußiſchen Zollſyſteme förmlich verſprochen hätten; er forderte ihn auf, dem Beiſpiele Bernburgs zu folgen und ſchloß: „Auch kann ich nicht glauben, daß das in Dresden von ſämmtlichen Herzögen von Anhalt gegebene Verſprechen einer Einigung durch irgend eine von ihnen ſpäterhin gegebene Zuſage an Verbindlich- keit zu verlieren vermöchte.“ *) Ein zweites Schreiben des Deſſauers, das ſich abermals auf die hartnäckige Weigerung des Köthener Vetters berief, blieb unbeantwortet. Der König befahl nunmehr, dem Froſchmäuſekriege ein Ende zu machen und das anhaltiſche Land mit der gefürchteten „Polizeilinie“ zu umgeben, aber zugleich die beiden Herzöge nochmals zu Unterhandlungen einzuladen. **) Im März 1827 wurde die Elbe oberhalb und unter- halb Anhalts geſperrt, von den eingehenden Schiffen die vorläufige Zah- lung der preußiſchen Zölle gefordert unter Vorbehalt der Rückvergütung falls die Waaren wirklich in Anhalt verblieben. Sofort ſendete der Köthener Herzog einen Leutnant mit einem Ultimatum nach Berlin; ſei es daß er einen höheren militäriſchen Würdenträger nicht in ſeinem Ver- mögen hatte, oder daß er Preußen verhöhnen wollte. Der tapfere Leutnant forderte drohend die Zurücknahme der Maßregeln binnen acht Tagen, ſonſt werde Köthen zu ernſteren Mitteln greifen. Natürlich erhielt er keine Antwort; Eichhorn und Heinrich v. Bülow, Humboldt’s geiſtreicher Schwiegerſohn, der in dieſen lächerlichen Händeln ſein diplomatiſches Talent zuerſt bewährte, ſetzten nur einige ſcharfe Bemerkungen an den Rand des Köthener Ultimatums. ***) Nun brachte Köthen cette affaire ennuyante, wie Bernſtorff zu ſeufzen pflegte, nochmals an den Bun- destag. Wieder vertheidigte die geſammte Preſſe den unſchuldigen Klein- ſtaat, den hochherzigen Beſchützer der Schwärzer und der Schwarzen; *) Herzog Leopold von Deſſau an König Friedrich Wilhelm (eingegangen 20. Juni 1826). Antwort, Teplitz, Juli 1826. **) Zwei Miniſterialſchreiben des Ausw. Amts an die Rentkammern zu Deſſau und Köthen. 16. Febr. 1827. ***) Miniſterialſchreiben an die Geſandtſchaft in Wien, 16. März 1827.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/495>, abgerufen am 25.11.2024.