III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
stören und fand in der jesuitischen Umgebung der Herzogin treue Bundes- genossen. Die Wortbrüchigkeit des kleinen Nachbarn mußte den Berliner Hof um so tiefer verstimmen, da mittlerweile (1824) die hohenzollern'schen Fürstenthümer mit Württemberg einen Zollvertrag schlossen, genau nach dem Vorbilde der preußischen Enclavenverträge. So schlugen die Klein- staaten sich selber ins Angesicht. Dieselben verständigen handelspolitischen Grundsätze, welche Wangenheim in Frankfurt der preußischen Regierung als eine Verletzung des Völkerrechts vorgeworfen hatte, wurden nun in Schwaben eingeführt, und dieselbe liberale Presse, die das preußische Encla- vensystem mit Schmähungen überhäufte, fand die Anwendung dieses Systemes in Württemberg hocherfreulich.
Sobald Motz sich in seinem neuen Amte zurecht gefunden hatte, erklärte er dem auswärtigen Amte: Preußens Langmuth gegen den un- redlichen kleinen Nachbarhof werde zur Schwäche, man müsse endlich die ganze Strenge des Zollgesetzes wider ihn anwenden (Jan. 1826). Gleich nachher baten Dessau und Bernburg um die Aufnahme einiger Aemter in die Zollgemeinschaft und empfingen, auf Motz's Betrieb, die Antwort: mit solchem Stückwerk sei nichts gethan; wollten die Herzöge mit ihren gesammten Gebieten beitreten, so würde man sie willkommen heißen.*) Nach einiger Zögerung erschienen nunmehr zwei anhaltische Unterhändler in Berlin, und mit dem bernburgischen, v. Salmuth, einem geistreichen, witzigen Manne, der das mönchische Unwesen des Köthener Hofes gründ- lich verachtete, wurde Motz bald handelseins. Noch im Laufe des Sommers erklärte der Herzog von Bernburg die Unterwerfung seines gesammten Landes unter das preußische Zollgesetz. Acht volle Jahre hatte es also gewährt seit der Verkündigung dieses Gesetzes, bis zum ersten male ein ganzer deutscher Kleinstaat beitrat. Der dessauische Bevollmächtigte aber brach die Verhandlungen ab; denn unterdessen war Adam Müller von Köthen nach Dessau hinübergekommen, angeblich um in der Mulde zu baden, in Wahrheit um den Anschluß an Preußen zu hintertreiben.
In einem herzbrechenden Klageschreiben sprach Herzog Leopold von Dessau, der mit einer Nichte des Königs verheirathet war, dem Oheim sein Bedauern aus: schon vor Jahren habe er dem Köthener Vetter versprochen nicht ohne ihn beizutreten. Das preußische Ministerium verlange, "daß die enclavirten Staaten fremde Gesetze und Verwaltungsformen unweigerlich annehmen müssen. Dies aber, Allergnädigster König, ich wage es ver- trauensvoll auszusprechen, wollen Allerhöchstdieselben nicht. Preußens mächtiger und gerechter Monarch, der im zweiten Artikel der Bundesakte Souveränität und Unabhängigkeit garantirte, wird nie gestatten, daß die Minister durch strenges Festhalten am Buchstaben des Bundesvertrages
*) Ministerialschreiben des Ausw. Amts an die herzogliche Regierung in Bern- burg, 5. März, 6. Mai 1826.
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
ſtören und fand in der jeſuitiſchen Umgebung der Herzogin treue Bundes- genoſſen. Die Wortbrüchigkeit des kleinen Nachbarn mußte den Berliner Hof um ſo tiefer verſtimmen, da mittlerweile (1824) die hohenzollern’ſchen Fürſtenthümer mit Württemberg einen Zollvertrag ſchloſſen, genau nach dem Vorbilde der preußiſchen Enclavenverträge. So ſchlugen die Klein- ſtaaten ſich ſelber ins Angeſicht. Dieſelben verſtändigen handelspolitiſchen Grundſätze, welche Wangenheim in Frankfurt der preußiſchen Regierung als eine Verletzung des Völkerrechts vorgeworfen hatte, wurden nun in Schwaben eingeführt, und dieſelbe liberale Preſſe, die das preußiſche Encla- venſyſtem mit Schmähungen überhäufte, fand die Anwendung dieſes Syſtemes in Württemberg hocherfreulich.
Sobald Motz ſich in ſeinem neuen Amte zurecht gefunden hatte, erklärte er dem auswärtigen Amte: Preußens Langmuth gegen den un- redlichen kleinen Nachbarhof werde zur Schwäche, man müſſe endlich die ganze Strenge des Zollgeſetzes wider ihn anwenden (Jan. 1826). Gleich nachher baten Deſſau und Bernburg um die Aufnahme einiger Aemter in die Zollgemeinſchaft und empfingen, auf Motz’s Betrieb, die Antwort: mit ſolchem Stückwerk ſei nichts gethan; wollten die Herzöge mit ihren geſammten Gebieten beitreten, ſo würde man ſie willkommen heißen.*) Nach einiger Zögerung erſchienen nunmehr zwei anhaltiſche Unterhändler in Berlin, und mit dem bernburgiſchen, v. Salmuth, einem geiſtreichen, witzigen Manne, der das mönchiſche Unweſen des Köthener Hofes gründ- lich verachtete, wurde Motz bald handelseins. Noch im Laufe des Sommers erklärte der Herzog von Bernburg die Unterwerfung ſeines geſammten Landes unter das preußiſche Zollgeſetz. Acht volle Jahre hatte es alſo gewährt ſeit der Verkündigung dieſes Geſetzes, bis zum erſten male ein ganzer deutſcher Kleinſtaat beitrat. Der deſſauiſche Bevollmächtigte aber brach die Verhandlungen ab; denn unterdeſſen war Adam Müller von Köthen nach Deſſau hinübergekommen, angeblich um in der Mulde zu baden, in Wahrheit um den Anſchluß an Preußen zu hintertreiben.
In einem herzbrechenden Klageſchreiben ſprach Herzog Leopold von Deſſau, der mit einer Nichte des Königs verheirathet war, dem Oheim ſein Bedauern aus: ſchon vor Jahren habe er dem Köthener Vetter verſprochen nicht ohne ihn beizutreten. Das preußiſche Miniſterium verlange, „daß die enclavirten Staaten fremde Geſetze und Verwaltungsformen unweigerlich annehmen müſſen. Dies aber, Allergnädigſter König, ich wage es ver- trauensvoll auszuſprechen, wollen Allerhöchſtdieſelben nicht. Preußens mächtiger und gerechter Monarch, der im zweiten Artikel der Bundesakte Souveränität und Unabhängigkeit garantirte, wird nie geſtatten, daß die Miniſter durch ſtrenges Feſthalten am Buchſtaben des Bundesvertrages
*) Miniſterialſchreiben des Ausw. Amts an die herzogliche Regierung in Bern- burg, 5. März, 6. Mai 1826.
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III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
ſtören und fand in der jeſuitiſchen Umgebung der Herzogin treue Bundes-
genoſſen. Die Wortbrüchigkeit des kleinen Nachbarn mußte den Berliner
Hof um ſo tiefer verſtimmen, da mittlerweile (1824) die hohenzollern’ſchen
Fürſtenthümer mit Württemberg einen Zollvertrag ſchloſſen, genau nach
dem Vorbilde der preußiſchen Enclavenverträge. So ſchlugen die Klein-
ſtaaten ſich ſelber ins Angeſicht. Dieſelben verſtändigen handelspolitiſchen
Grundſätze, welche Wangenheim in Frankfurt der preußiſchen Regierung
als eine Verletzung des Völkerrechts vorgeworfen hatte, wurden nun in
Schwaben eingeführt, und dieſelbe liberale Preſſe, die das preußiſche Encla-
venſyſtem mit Schmähungen überhäufte, fand die Anwendung dieſes
Syſtemes in Württemberg hocherfreulich.
Sobald Motz ſich in ſeinem neuen Amte zurecht gefunden hatte,
erklärte er dem auswärtigen Amte: Preußens Langmuth gegen den un-
redlichen kleinen Nachbarhof werde zur Schwäche, man müſſe endlich die
ganze Strenge des Zollgeſetzes wider ihn anwenden (Jan. 1826). Gleich
nachher baten Deſſau und Bernburg um die Aufnahme einiger Aemter
in die Zollgemeinſchaft und empfingen, auf Motz’s Betrieb, die Antwort:
mit ſolchem Stückwerk ſei nichts gethan; wollten die Herzöge mit ihren
geſammten Gebieten beitreten, ſo würde man ſie willkommen heißen. *)
Nach einiger Zögerung erſchienen nunmehr zwei anhaltiſche Unterhändler
in Berlin, und mit dem bernburgiſchen, v. Salmuth, einem geiſtreichen,
witzigen Manne, der das mönchiſche Unweſen des Köthener Hofes gründ-
lich verachtete, wurde Motz bald handelseins. Noch im Laufe des Sommers
erklärte der Herzog von Bernburg die Unterwerfung ſeines geſammten
Landes unter das preußiſche Zollgeſetz. Acht volle Jahre hatte es alſo
gewährt ſeit der Verkündigung dieſes Geſetzes, bis zum erſten male ein
ganzer deutſcher Kleinſtaat beitrat. Der deſſauiſche Bevollmächtigte aber
brach die Verhandlungen ab; denn unterdeſſen war Adam Müller von
Köthen nach Deſſau hinübergekommen, angeblich um in der Mulde zu
baden, in Wahrheit um den Anſchluß an Preußen zu hintertreiben.
In einem herzbrechenden Klageſchreiben ſprach Herzog Leopold von
Deſſau, der mit einer Nichte des Königs verheirathet war, dem Oheim ſein
Bedauern aus: ſchon vor Jahren habe er dem Köthener Vetter verſprochen
nicht ohne ihn beizutreten. Das preußiſche Miniſterium verlange, „daß die
enclavirten Staaten fremde Geſetze und Verwaltungsformen unweigerlich
annehmen müſſen. Dies aber, Allergnädigſter König, ich wage es ver-
trauensvoll auszuſprechen, wollen Allerhöchſtdieſelben nicht. Preußens
mächtiger und gerechter Monarch, der im zweiten Artikel der Bundesakte
Souveränität und Unabhängigkeit garantirte, wird nie geſtatten, daß die
Miniſter durch ſtrenges Feſthalten am Buchſtaben des Bundesvertrages
*) Miniſterialſchreiben des Ausw. Amts an die herzogliche Regierung in Bern-
burg, 5. März, 6. Mai 1826.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/494>, abgerufen am 25.11.2024.
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