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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Russische Grenzsperre.
Bestechlichkeit der russischen Beamten und durch die List der Juden, ein
ungeheuerer Schmuggelhandel, der ganze Landstriche entsittlichte. Diese
schlimme Erbschaft fand Motz bei seinem Amtsantritt vor. Er bemühte
sich wiederholt, immer vergeblich, um eine Milderung der Grenzsperre.
Als Alexander Humboldt (1829) von seiner sibirischen Reise heimkehrte
und in Petersburg mit fürstlichen Ehren empfangen wurde, überreichte
er seinem Freunde Cancrin in Motz's Auftrag eine Denkschrift, welche
dem russischen Minister die zweischneidige Wirkung seines gewalsamen
Systems darlegen sollte. Cancrin aber erwiderte -- auf seinem Stand-
punkte unwiderleglich: -- wir haben keine Differenzialzölle und können
nicht Preußen, das wenig von uns kauft, vor anderen Nationen be-
günstigen. Ueber den rein fiscalischen Geist seiner Handelspolitik sprach
er sich sehr unbefangen aus: "Die Handelssysteme sind ein Uebel der
Welt, aber im Grunde nur eine Schminke der Fiscalität, aus Geldnoth
entsprungen. Von der Wahrheit der Abstraction bin ich übrigens über-
zeugt."*) --

Für diese Verluste im Osten wie im Norden mußte Preußen einen
Ersatz auf dem deutschen Markte suchen, doch in den letzten Jahren hatte
seine Handelspolitik auch den kleinen Nachbarn gegenüber nur wenig Er-
folge errungen. Die von preußischem Gebiete umschlossenen Kleinstaaten
waren durch das wüste Geschrei, das sich an den Höfen und in der Presse
wider das Zollgesetz erhob, gründlich eingeschüchtert. Der Fürst von Rudol-
stadt getraute sich erst nach drei Jahren (1822) dem verständigen Bei-
spiele seines Sondershausener Vetters zu folgen und mit seiner Unter-
herrschaft dem preußischen Zollsysteme beizutreten. Im nächsten Jahre
wurden auch zwei weimarische Aemter sowie das obere Herzogthum Bern-
burg in die Zollgemeinschaft aufgenommen, und alle Betheiligten be-
fanden sich wohl bei dem freien Verkehre. Aber auf den so oft ver-
heißenen Beitritt der gesammten anhaltischen Lande wartete man in Berlin
noch immer vergeblich. Der Köthener Herzog führte den Schmuggel-
krieg gegen seinen königlichen Schwager wohlgemuth fort, ermuthigt durch
die Einflüsterungen seines Adam Müller und durch das endlose Gezänk
am Bundestage. Als Müller es gar zu frech trieb, mußte sich Hatzfeldt
in Wien beschweren. Metternich gab dem Geschäftsträger sofort einen
scharfen Verweis wegen eines Benehmens, das "den bekanntlich zwischen
Oesterreich und Preußen bestehenden so innigen und freundschaftlichen
Verhältnissen" durchaus widerspreche, und theilte dies Schreiben dem
preußischen Hofe verbindlich mit.**) Müller's geheime Weisungen lauteten
aber wahrscheinlich anders; er ließ sich in seinem Treiben keineswegs

*) Cancrin an A. v. Humboldt, 22. Nov. 1829.
**) Hatzfeldt an Metternich, 16. Sept. Antwort, 2. Okt. Metternich, Weisung
an A. Müller, 2. Okt. 1824.

Ruſſiſche Grenzſperre.
Beſtechlichkeit der ruſſiſchen Beamten und durch die Liſt der Juden, ein
ungeheuerer Schmuggelhandel, der ganze Landſtriche entſittlichte. Dieſe
ſchlimme Erbſchaft fand Motz bei ſeinem Amtsantritt vor. Er bemühte
ſich wiederholt, immer vergeblich, um eine Milderung der Grenzſperre.
Als Alexander Humboldt (1829) von ſeiner ſibiriſchen Reiſe heimkehrte
und in Petersburg mit fürſtlichen Ehren empfangen wurde, überreichte
er ſeinem Freunde Cancrin in Motz’s Auftrag eine Denkſchrift, welche
dem ruſſiſchen Miniſter die zweiſchneidige Wirkung ſeines gewalſamen
Syſtems darlegen ſollte. Cancrin aber erwiderte — auf ſeinem Stand-
punkte unwiderleglich: — wir haben keine Differenzialzölle und können
nicht Preußen, das wenig von uns kauft, vor anderen Nationen be-
günſtigen. Ueber den rein fiscaliſchen Geiſt ſeiner Handelspolitik ſprach
er ſich ſehr unbefangen aus: „Die Handelsſyſteme ſind ein Uebel der
Welt, aber im Grunde nur eine Schminke der Fiscalität, aus Geldnoth
entſprungen. Von der Wahrheit der Abſtraction bin ich übrigens über-
zeugt.“*)

Für dieſe Verluſte im Oſten wie im Norden mußte Preußen einen
Erſatz auf dem deutſchen Markte ſuchen, doch in den letzten Jahren hatte
ſeine Handelspolitik auch den kleinen Nachbarn gegenüber nur wenig Er-
folge errungen. Die von preußiſchem Gebiete umſchloſſenen Kleinſtaaten
waren durch das wüſte Geſchrei, das ſich an den Höfen und in der Preſſe
wider das Zollgeſetz erhob, gründlich eingeſchüchtert. Der Fürſt von Rudol-
ſtadt getraute ſich erſt nach drei Jahren (1822) dem verſtändigen Bei-
ſpiele ſeines Sondershauſener Vetters zu folgen und mit ſeiner Unter-
herrſchaft dem preußiſchen Zollſyſteme beizutreten. Im nächſten Jahre
wurden auch zwei weimariſche Aemter ſowie das obere Herzogthum Bern-
burg in die Zollgemeinſchaft aufgenommen, und alle Betheiligten be-
fanden ſich wohl bei dem freien Verkehre. Aber auf den ſo oft ver-
heißenen Beitritt der geſammten anhaltiſchen Lande wartete man in Berlin
noch immer vergeblich. Der Köthener Herzog führte den Schmuggel-
krieg gegen ſeinen königlichen Schwager wohlgemuth fort, ermuthigt durch
die Einflüſterungen ſeines Adam Müller und durch das endloſe Gezänk
am Bundestage. Als Müller es gar zu frech trieb, mußte ſich Hatzfeldt
in Wien beſchweren. Metternich gab dem Geſchäftsträger ſofort einen
ſcharfen Verweis wegen eines Benehmens, das „den bekanntlich zwiſchen
Oeſterreich und Preußen beſtehenden ſo innigen und freundſchaftlichen
Verhältniſſen“ durchaus widerſpreche, und theilte dies Schreiben dem
preußiſchen Hofe verbindlich mit.**) Müller’s geheime Weiſungen lauteten
aber wahrſcheinlich anders; er ließ ſich in ſeinem Treiben keineswegs

*) Cancrin an A. v. Humboldt, 22. Nov. 1829.
**) Hatzfeldt an Metternich, 16. Sept. Antwort, 2. Okt. Metternich, Weiſung
an A. Müller, 2. Okt. 1824.
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[477/0493] Ruſſiſche Grenzſperre. Beſtechlichkeit der ruſſiſchen Beamten und durch die Liſt der Juden, ein ungeheuerer Schmuggelhandel, der ganze Landſtriche entſittlichte. Dieſe ſchlimme Erbſchaft fand Motz bei ſeinem Amtsantritt vor. Er bemühte ſich wiederholt, immer vergeblich, um eine Milderung der Grenzſperre. Als Alexander Humboldt (1829) von ſeiner ſibiriſchen Reiſe heimkehrte und in Petersburg mit fürſtlichen Ehren empfangen wurde, überreichte er ſeinem Freunde Cancrin in Motz’s Auftrag eine Denkſchrift, welche dem ruſſiſchen Miniſter die zweiſchneidige Wirkung ſeines gewalſamen Syſtems darlegen ſollte. Cancrin aber erwiderte — auf ſeinem Stand- punkte unwiderleglich: — wir haben keine Differenzialzölle und können nicht Preußen, das wenig von uns kauft, vor anderen Nationen be- günſtigen. Ueber den rein fiscaliſchen Geiſt ſeiner Handelspolitik ſprach er ſich ſehr unbefangen aus: „Die Handelsſyſteme ſind ein Uebel der Welt, aber im Grunde nur eine Schminke der Fiscalität, aus Geldnoth entſprungen. Von der Wahrheit der Abſtraction bin ich übrigens über- zeugt.“ *) — Für dieſe Verluſte im Oſten wie im Norden mußte Preußen einen Erſatz auf dem deutſchen Markte ſuchen, doch in den letzten Jahren hatte ſeine Handelspolitik auch den kleinen Nachbarn gegenüber nur wenig Er- folge errungen. Die von preußiſchem Gebiete umſchloſſenen Kleinſtaaten waren durch das wüſte Geſchrei, das ſich an den Höfen und in der Preſſe wider das Zollgeſetz erhob, gründlich eingeſchüchtert. Der Fürſt von Rudol- ſtadt getraute ſich erſt nach drei Jahren (1822) dem verſtändigen Bei- ſpiele ſeines Sondershauſener Vetters zu folgen und mit ſeiner Unter- herrſchaft dem preußiſchen Zollſyſteme beizutreten. Im nächſten Jahre wurden auch zwei weimariſche Aemter ſowie das obere Herzogthum Bern- burg in die Zollgemeinſchaft aufgenommen, und alle Betheiligten be- fanden ſich wohl bei dem freien Verkehre. Aber auf den ſo oft ver- heißenen Beitritt der geſammten anhaltiſchen Lande wartete man in Berlin noch immer vergeblich. Der Köthener Herzog führte den Schmuggel- krieg gegen ſeinen königlichen Schwager wohlgemuth fort, ermuthigt durch die Einflüſterungen ſeines Adam Müller und durch das endloſe Gezänk am Bundestage. Als Müller es gar zu frech trieb, mußte ſich Hatzfeldt in Wien beſchweren. Metternich gab dem Geſchäftsträger ſofort einen ſcharfen Verweis wegen eines Benehmens, das „den bekanntlich zwiſchen Oeſterreich und Preußen beſtehenden ſo innigen und freundſchaftlichen Verhältniſſen“ durchaus widerſpreche, und theilte dies Schreiben dem preußiſchen Hofe verbindlich mit. **) Müller’s geheime Weiſungen lauteten aber wahrſcheinlich anders; er ließ ſich in ſeinem Treiben keineswegs *) Cancrin an A. v. Humboldt, 22. Nov. 1829. **) Hatzfeldt an Metternich, 16. Sept. Antwort, 2. Okt. Metternich, Weiſung an A. Müller, 2. Okt. 1824.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/493>, abgerufen am 25.11.2024.