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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Köthen gegen Preußen.
heit der Elbschifffahrt mißbrauchen, um im Herzen des preußischen Staates
dem Schleichhandel eine große Freistätte zu eröffnen, den gehaßten Nach-
barstaat mit geschmuggelten Waaren zu überschwemmen und ihn vielleicht
zur Aenderung seines Zollsystems zu zwingen. Begierig ging der kleine
Herr auf diese freundnachbarlichen Gedanken ein; Gewissensbedenken be-
rührten ihn nicht, und den Unterschied von Macht und Ohnmacht ver-
mochte er nicht zu begreifen. Die wiederholten wohlwollenden Einladungen
zum freiwilligen Anschluß an das preußische Zollsystem hatte er sämmtlich
schroff abgefertigt, in jenem pöbelhaft schreienden Tone, der allen Schrift-
stücken dieses Hofes gemein war. "Anhalt -- so erklärte er stolz -- kann
seine Rettung nur suchen in dem allgemeinen europäischen völkerrechtlichen
Staatenvereine und in den Hilfsmitteln, welche ihm seine geographische
Lage an großen Strömen darbietet."

Mehr oder minder eifrig klagten auch die meisten übrigen Bevoll-
mächtigten wider die Selbstsucht des Staates, der allein dem Ideale der
deutschen Handelseinheit im Wege stehe. Nur die Hansestädte, befriedigt
mit ihrer kosmopolitischen Handelsstellung, wiesen jeden Versuch gemein-
samer deutscher Handelspolitik kühl zurück. Auch Zentner zeichnete sich
wieder durch kluge Besonnenheit aus; dem gestaltlosen Traumbilde einer
allgemeinen Verkehrsfreiheit, deren Bedingungen noch Niemand kannte,
wollte er das neue bairische Zollgesetz nicht opfern. Metternich aber ließ
mit schlecht verhehlter Schadenfreude die Kleinen wider Preußen lärmen.
Meisterhaft verstand der Wiener Hof, die Angst vor dem preußischen Ehr-
geiz, die allen Kleinstaaten in den Gliedern lag, je nach Umständen für
seine Zwecke auszubeuten. Im Oktober hatte Graf Bombelles auf aus-
drücklichen Befehl des Kaisers Franz dem Großherzog von Weimar ge-
droht: wenn man die Karlsbader Beschlüsse nicht überall streng ausführe,
dann müßten die beiden Großmächte aus dem Bunde ausscheiden, und
dann würde der Kaiser sich genöthigt sehen, seinen preußischen Alliirten
"in Deutschland eine erweiterte Stellung zu verschaffen".*) Ebenso un-
bedenklich benutzte Metternich jetzt die Eifersucht der Kleinen um Preußens
Handelspolitik zu bekämpfen. Freilich durfte er nicht wagen, die Gegner
seines unentbehrlichen Bundesgenossen offen zu unterstützen, zumal da er
selber an dem österreichischen Zollwesen nicht das Mindeste ändern wollte.
Unter der Hand jedoch ermuthigte er die Ergrimmten und flüsterte ihnen
zu, das preußische Zollgesetz sei das Werk einer Partei, deren Zwecke mit
"treuem Bundessinne" nichts gemein hätten.**) Als handelspolitischen
Rathgeber hatte er sich den Urheber der anhaltischen Schleichhandels-
Pläne, Adam Müller, nach Wien kommen lassen.

*) Dies erzählte Graf Bombelles selbst seinem preußischen Amtsgenossen in Dres-
den, dem Gesandten v. Jordan (Jordan's Bericht, 18. Okt. 1819).
**) An diese seine Aeußerungen wurde Metternich späterhin durch Marschall ge-
mahnt. (Marschall an Metternich, 10. Sept. 1820.)
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 3

Köthen gegen Preußen.
heit der Elbſchifffahrt mißbrauchen, um im Herzen des preußiſchen Staates
dem Schleichhandel eine große Freiſtätte zu eröffnen, den gehaßten Nach-
barſtaat mit geſchmuggelten Waaren zu überſchwemmen und ihn vielleicht
zur Aenderung ſeines Zollſyſtems zu zwingen. Begierig ging der kleine
Herr auf dieſe freundnachbarlichen Gedanken ein; Gewiſſensbedenken be-
rührten ihn nicht, und den Unterſchied von Macht und Ohnmacht ver-
mochte er nicht zu begreifen. Die wiederholten wohlwollenden Einladungen
zum freiwilligen Anſchluß an das preußiſche Zollſyſtem hatte er ſämmtlich
ſchroff abgefertigt, in jenem pöbelhaft ſchreienden Tone, der allen Schrift-
ſtücken dieſes Hofes gemein war. „Anhalt — ſo erklärte er ſtolz — kann
ſeine Rettung nur ſuchen in dem allgemeinen europäiſchen völkerrechtlichen
Staatenvereine und in den Hilfsmitteln, welche ihm ſeine geographiſche
Lage an großen Strömen darbietet.“

Mehr oder minder eifrig klagten auch die meiſten übrigen Bevoll-
mächtigten wider die Selbſtſucht des Staates, der allein dem Ideale der
deutſchen Handelseinheit im Wege ſtehe. Nur die Hanſeſtädte, befriedigt
mit ihrer kosmopolitiſchen Handelsſtellung, wieſen jeden Verſuch gemein-
ſamer deutſcher Handelspolitik kühl zurück. Auch Zentner zeichnete ſich
wieder durch kluge Beſonnenheit aus; dem geſtaltloſen Traumbilde einer
allgemeinen Verkehrsfreiheit, deren Bedingungen noch Niemand kannte,
wollte er das neue bairiſche Zollgeſetz nicht opfern. Metternich aber ließ
mit ſchlecht verhehlter Schadenfreude die Kleinen wider Preußen lärmen.
Meiſterhaft verſtand der Wiener Hof, die Angſt vor dem preußiſchen Ehr-
geiz, die allen Kleinſtaaten in den Gliedern lag, je nach Umſtänden für
ſeine Zwecke auszubeuten. Im Oktober hatte Graf Bombelles auf aus-
drücklichen Befehl des Kaiſers Franz dem Großherzog von Weimar ge-
droht: wenn man die Karlsbader Beſchlüſſe nicht überall ſtreng ausführe,
dann müßten die beiden Großmächte aus dem Bunde ausſcheiden, und
dann würde der Kaiſer ſich genöthigt ſehen, ſeinen preußiſchen Alliirten
„in Deutſchland eine erweiterte Stellung zu verſchaffen“.*) Ebenſo un-
bedenklich benutzte Metternich jetzt die Eiferſucht der Kleinen um Preußens
Handelspolitik zu bekämpfen. Freilich durfte er nicht wagen, die Gegner
ſeines unentbehrlichen Bundesgenoſſen offen zu unterſtützen, zumal da er
ſelber an dem öſterreichiſchen Zollweſen nicht das Mindeſte ändern wollte.
Unter der Hand jedoch ermuthigte er die Ergrimmten und flüſterte ihnen
zu, das preußiſche Zollgeſetz ſei das Werk einer Partei, deren Zwecke mit
„treuem Bundesſinne“ nichts gemein hätten.**) Als handelspolitiſchen
Rathgeber hatte er ſich den Urheber der anhaltiſchen Schleichhandels-
Pläne, Adam Müller, nach Wien kommen laſſen.

*) Dies erzählte Graf Bombelles ſelbſt ſeinem preußiſchen Amtsgenoſſen in Dres-
den, dem Geſandten v. Jordan (Jordan’s Bericht, 18. Okt. 1819).
**) An dieſe ſeine Aeußerungen wurde Metternich ſpäterhin durch Marſchall ge-
mahnt. (Marſchall an Metternich, 10. Sept. 1820.)
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 3
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[33/0049] Köthen gegen Preußen. heit der Elbſchifffahrt mißbrauchen, um im Herzen des preußiſchen Staates dem Schleichhandel eine große Freiſtätte zu eröffnen, den gehaßten Nach- barſtaat mit geſchmuggelten Waaren zu überſchwemmen und ihn vielleicht zur Aenderung ſeines Zollſyſtems zu zwingen. Begierig ging der kleine Herr auf dieſe freundnachbarlichen Gedanken ein; Gewiſſensbedenken be- rührten ihn nicht, und den Unterſchied von Macht und Ohnmacht ver- mochte er nicht zu begreifen. Die wiederholten wohlwollenden Einladungen zum freiwilligen Anſchluß an das preußiſche Zollſyſtem hatte er ſämmtlich ſchroff abgefertigt, in jenem pöbelhaft ſchreienden Tone, der allen Schrift- ſtücken dieſes Hofes gemein war. „Anhalt — ſo erklärte er ſtolz — kann ſeine Rettung nur ſuchen in dem allgemeinen europäiſchen völkerrechtlichen Staatenvereine und in den Hilfsmitteln, welche ihm ſeine geographiſche Lage an großen Strömen darbietet.“ Mehr oder minder eifrig klagten auch die meiſten übrigen Bevoll- mächtigten wider die Selbſtſucht des Staates, der allein dem Ideale der deutſchen Handelseinheit im Wege ſtehe. Nur die Hanſeſtädte, befriedigt mit ihrer kosmopolitiſchen Handelsſtellung, wieſen jeden Verſuch gemein- ſamer deutſcher Handelspolitik kühl zurück. Auch Zentner zeichnete ſich wieder durch kluge Beſonnenheit aus; dem geſtaltloſen Traumbilde einer allgemeinen Verkehrsfreiheit, deren Bedingungen noch Niemand kannte, wollte er das neue bairiſche Zollgeſetz nicht opfern. Metternich aber ließ mit ſchlecht verhehlter Schadenfreude die Kleinen wider Preußen lärmen. Meiſterhaft verſtand der Wiener Hof, die Angſt vor dem preußiſchen Ehr- geiz, die allen Kleinſtaaten in den Gliedern lag, je nach Umſtänden für ſeine Zwecke auszubeuten. Im Oktober hatte Graf Bombelles auf aus- drücklichen Befehl des Kaiſers Franz dem Großherzog von Weimar ge- droht: wenn man die Karlsbader Beſchlüſſe nicht überall ſtreng ausführe, dann müßten die beiden Großmächte aus dem Bunde ausſcheiden, und dann würde der Kaiſer ſich genöthigt ſehen, ſeinen preußiſchen Alliirten „in Deutſchland eine erweiterte Stellung zu verſchaffen“. *) Ebenſo un- bedenklich benutzte Metternich jetzt die Eiferſucht der Kleinen um Preußens Handelspolitik zu bekämpfen. Freilich durfte er nicht wagen, die Gegner ſeines unentbehrlichen Bundesgenoſſen offen zu unterſtützen, zumal da er ſelber an dem öſterreichiſchen Zollweſen nicht das Mindeſte ändern wollte. Unter der Hand jedoch ermuthigte er die Ergrimmten und flüſterte ihnen zu, das preußiſche Zollgeſetz ſei das Werk einer Partei, deren Zwecke mit „treuem Bundesſinne“ nichts gemein hätten. **) Als handelspolitiſchen Rathgeber hatte er ſich den Urheber der anhaltiſchen Schleichhandels- Pläne, Adam Müller, nach Wien kommen laſſen. *) Dies erzählte Graf Bombelles ſelbſt ſeinem preußiſchen Amtsgenoſſen in Dres- den, dem Geſandten v. Jordan (Jordan’s Bericht, 18. Okt. 1819). **) An dieſe ſeine Aeußerungen wurde Metternich ſpäterhin durch Marſchall ge- mahnt. (Marſchall an Metternich, 10. Sept. 1820.) Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 3

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/49>, abgerufen am 24.11.2024.