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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
sammte Steuerwesen einem Provinzial-Steuerdirektor unterstellt. Diese
Einrichtung bewährte sich vollständig und wurde durch Motz auch in den
übrigen Provinzen eingeführt. Die neuen Behörden mußten nach Landes-
brauch anfangs oft mit der Eifersucht der Regierungen kämpfen, Schön
namentlich verstand seinem Steuerdirektor das Leben sauer zu machen;
auch das Volk empfing sie mit Argwohn, denn der Name der Zöllner
hatte einen bösen Klang, in den alten Provinzen dachte man noch mit
Schrecken an die Regie-Direktoren des großen Königs. Doch bald lernte
man die Pünktlichkeit und schlagfertige Raschheit der Steuerbehörden
schätzen; am Rhein wurde der Steuerdirektor v. Schütz sogar ein volks-
beliebter Mann. Jede tiefgreifende Steuerreform bedarf der Zeit, um
ihren Werth zu erproben. Jetzt hatte die Geschäftswelt sich nach und
nach an die neuen Abgaben gewöhnt, die Beamten Uebung und Sicherheit
erlangt in den ungewohnten Formen. Auch der Schmuggel begann nach-
zulassen. Etwa um das Jahr 1827 konnte die Reform als abgeschlossen
und in den Volksgewohnheiten festgewurzelt gelten.

Zu ihrer Ergänzung unternahm Motz die Neugestaltung der Do-
mänenverwaltung, die unter dem Drucke der großen landwirthschaftlichen
Krisis ganz in Verwirrung gerathen war. Der Minister selbst und der
neue Direktor des Domänenwesens, Keßler, bereisten persönlich sämmtliche
Domänen und Forsten der Monarchie, überall jubelnd empfangen von
der Jägerei und den Pächtern, die es kaum fassen konnten, daß die Herren
in Berlin sich endlich einmal ihrer Noth annahmen. Dann überwies
Motz, um mit dem alten Jammer aufzuräumen, alle Rückstände einer
besonderen Verwaltung und schloß für das gesammte Domanium neue,
billigere Pachtverträge, welche streng eingehalten wurden, aber hunderte
von Pächtern vor dem Untergange bewahrten. Mit der Veräußerung
der Domänen verfuhr er sehr vorsichtig; nur in Westpreußen und Posen
ließ er zahlreiche Vorwerke an deutsche Colonisten veräußern, "um einen
selbständigen und der Regierung anhänglichen Bauernstand zu bilden."

Das Beste blieb doch, daß man nun endlich wußte, woran man war.
Nach kaum drei Jahren, am 30. Mai 1828 konnte Motz dem Monarchen
berichten, daß statt des gefürchteten Deficits ein reiner Ueberschuß von
4,4 Mill. erzielt worden sei, der sich nach Eingang der Rückstände auf
7,8 Mill. steigern müsse; 3,245 Mill. waren bereits baar an den Staats-
schatz abgeführt, 1,172 Mill. zu außerordentlichen Ausgaben verwendet.
Dankbar gestand er zu, ohne die großen unter seinem Vorgänger voll-
zogenen Reformen würde er nicht im Stande sein dem Könige so er-
freuliche Ergebnisse vorzulegen; aber er durfte sich sagen, nur er habe
vermocht die Ernte dieser Saaten einzuheimsen, und er fühlte sich bereits
so sicher, daß er eine mäßige Verminderung der Klassensteuer vorzuschlagen
wagte: die Steuerpflichtigkeit sollte fortan zwei Jahre später als bisher,
erst mit dem sechzehnten Lebensjahre beginnen. Auch fernerhin, so schloß

III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
ſammte Steuerweſen einem Provinzial-Steuerdirektor unterſtellt. Dieſe
Einrichtung bewährte ſich vollſtändig und wurde durch Motz auch in den
übrigen Provinzen eingeführt. Die neuen Behörden mußten nach Landes-
brauch anfangs oft mit der Eiferſucht der Regierungen kämpfen, Schön
namentlich verſtand ſeinem Steuerdirektor das Leben ſauer zu machen;
auch das Volk empfing ſie mit Argwohn, denn der Name der Zöllner
hatte einen böſen Klang, in den alten Provinzen dachte man noch mit
Schrecken an die Regie-Direktoren des großen Königs. Doch bald lernte
man die Pünktlichkeit und ſchlagfertige Raſchheit der Steuerbehörden
ſchätzen; am Rhein wurde der Steuerdirektor v. Schütz ſogar ein volks-
beliebter Mann. Jede tiefgreifende Steuerreform bedarf der Zeit, um
ihren Werth zu erproben. Jetzt hatte die Geſchäftswelt ſich nach und
nach an die neuen Abgaben gewöhnt, die Beamten Uebung und Sicherheit
erlangt in den ungewohnten Formen. Auch der Schmuggel begann nach-
zulaſſen. Etwa um das Jahr 1827 konnte die Reform als abgeſchloſſen
und in den Volksgewohnheiten feſtgewurzelt gelten.

Zu ihrer Ergänzung unternahm Motz die Neugeſtaltung der Do-
mänenverwaltung, die unter dem Drucke der großen landwirthſchaftlichen
Kriſis ganz in Verwirrung gerathen war. Der Miniſter ſelbſt und der
neue Direktor des Domänenweſens, Keßler, bereiſten perſönlich ſämmtliche
Domänen und Forſten der Monarchie, überall jubelnd empfangen von
der Jägerei und den Pächtern, die es kaum faſſen konnten, daß die Herren
in Berlin ſich endlich einmal ihrer Noth annahmen. Dann überwies
Motz, um mit dem alten Jammer aufzuräumen, alle Rückſtände einer
beſonderen Verwaltung und ſchloß für das geſammte Domanium neue,
billigere Pachtverträge, welche ſtreng eingehalten wurden, aber hunderte
von Pächtern vor dem Untergange bewahrten. Mit der Veräußerung
der Domänen verfuhr er ſehr vorſichtig; nur in Weſtpreußen und Poſen
ließ er zahlreiche Vorwerke an deutſche Coloniſten veräußern, „um einen
ſelbſtändigen und der Regierung anhänglichen Bauernſtand zu bilden.“

Das Beſte blieb doch, daß man nun endlich wußte, woran man war.
Nach kaum drei Jahren, am 30. Mai 1828 konnte Motz dem Monarchen
berichten, daß ſtatt des gefürchteten Deficits ein reiner Ueberſchuß von
4,4 Mill. erzielt worden ſei, der ſich nach Eingang der Rückſtände auf
7,8 Mill. ſteigern müſſe; 3,245 Mill. waren bereits baar an den Staats-
ſchatz abgeführt, 1,172 Mill. zu außerordentlichen Ausgaben verwendet.
Dankbar geſtand er zu, ohne die großen unter ſeinem Vorgänger voll-
zogenen Reformen würde er nicht im Stande ſein dem Könige ſo er-
freuliche Ergebniſſe vorzulegen; aber er durfte ſich ſagen, nur er habe
vermocht die Ernte dieſer Saaten einzuheimſen, und er fühlte ſich bereits
ſo ſicher, daß er eine mäßige Verminderung der Klaſſenſteuer vorzuſchlagen
wagte: die Steuerpflichtigkeit ſollte fortan zwei Jahre ſpäter als bisher,
erſt mit dem ſechzehnten Lebensjahre beginnen. Auch fernerhin, ſo ſchloß

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[462/0478] III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod. ſammte Steuerweſen einem Provinzial-Steuerdirektor unterſtellt. Dieſe Einrichtung bewährte ſich vollſtändig und wurde durch Motz auch in den übrigen Provinzen eingeführt. Die neuen Behörden mußten nach Landes- brauch anfangs oft mit der Eiferſucht der Regierungen kämpfen, Schön namentlich verſtand ſeinem Steuerdirektor das Leben ſauer zu machen; auch das Volk empfing ſie mit Argwohn, denn der Name der Zöllner hatte einen böſen Klang, in den alten Provinzen dachte man noch mit Schrecken an die Regie-Direktoren des großen Königs. Doch bald lernte man die Pünktlichkeit und ſchlagfertige Raſchheit der Steuerbehörden ſchätzen; am Rhein wurde der Steuerdirektor v. Schütz ſogar ein volks- beliebter Mann. Jede tiefgreifende Steuerreform bedarf der Zeit, um ihren Werth zu erproben. Jetzt hatte die Geſchäftswelt ſich nach und nach an die neuen Abgaben gewöhnt, die Beamten Uebung und Sicherheit erlangt in den ungewohnten Formen. Auch der Schmuggel begann nach- zulaſſen. Etwa um das Jahr 1827 konnte die Reform als abgeſchloſſen und in den Volksgewohnheiten feſtgewurzelt gelten. Zu ihrer Ergänzung unternahm Motz die Neugeſtaltung der Do- mänenverwaltung, die unter dem Drucke der großen landwirthſchaftlichen Kriſis ganz in Verwirrung gerathen war. Der Miniſter ſelbſt und der neue Direktor des Domänenweſens, Keßler, bereiſten perſönlich ſämmtliche Domänen und Forſten der Monarchie, überall jubelnd empfangen von der Jägerei und den Pächtern, die es kaum faſſen konnten, daß die Herren in Berlin ſich endlich einmal ihrer Noth annahmen. Dann überwies Motz, um mit dem alten Jammer aufzuräumen, alle Rückſtände einer beſonderen Verwaltung und ſchloß für das geſammte Domanium neue, billigere Pachtverträge, welche ſtreng eingehalten wurden, aber hunderte von Pächtern vor dem Untergange bewahrten. Mit der Veräußerung der Domänen verfuhr er ſehr vorſichtig; nur in Weſtpreußen und Poſen ließ er zahlreiche Vorwerke an deutſche Coloniſten veräußern, „um einen ſelbſtändigen und der Regierung anhänglichen Bauernſtand zu bilden.“ Das Beſte blieb doch, daß man nun endlich wußte, woran man war. Nach kaum drei Jahren, am 30. Mai 1828 konnte Motz dem Monarchen berichten, daß ſtatt des gefürchteten Deficits ein reiner Ueberſchuß von 4,4 Mill. erzielt worden ſei, der ſich nach Eingang der Rückſtände auf 7,8 Mill. ſteigern müſſe; 3,245 Mill. waren bereits baar an den Staats- ſchatz abgeführt, 1,172 Mill. zu außerordentlichen Ausgaben verwendet. Dankbar geſtand er zu, ohne die großen unter ſeinem Vorgänger voll- zogenen Reformen würde er nicht im Stande ſein dem Könige ſo er- freuliche Ergebniſſe vorzulegen; aber er durfte ſich ſagen, nur er habe vermocht die Ernte dieſer Saaten einzuheimſen, und er fühlte ſich bereits ſo ſicher, daß er eine mäßige Verminderung der Klaſſenſteuer vorzuſchlagen wagte: die Steuerpflichtigkeit ſollte fortan zwei Jahre ſpäter als bisher, erſt mit dem ſechzehnten Lebensjahre beginnen. Auch fernerhin, ſo ſchloß

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/478>, abgerufen am 25.11.2024.