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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Aufhebung der Generalcontrole.
brauchte auch volle vier Monate, bis er dem neuen Minister sein selbst-
bewußtes Auftreten ganz verzieh. Dann aber hatte er sich durch Lottum's
Vorträge von der Unhaltbarkeit des bestehenden Dualismus gründlich
überzeugt, und da er seine bureaukratischen Hartköpfe kannte, so ging er
nunmehr sogleich weit über die Vorschläge des Finanzministers selber
hinaus. Am 8. April 1826 überraschte er diesen durch die willkommene
Mittheilung: er denke die General-Controle ganz aufzuheben, ihre Ge-
schäfte dem Finanzministerium zu übertragen. Am 29. Mai wurde dieser
Befehl vollzogen und Ladenberg mußte sich wehmüthig mit dem Präsidium
der Oberrechnungskammer begnügen.*) Motz aber war jetzt endlich Herr
der Lage, und die anderen Minister empfanden bald, daß er sich berech-
tigt hielt, alle Gebiete der Verwaltung scharf zu überwachen. Der lang-
same Altenstein mochte wohl Grund haben, sich über die Anmaßung des
Finanzministers zu beschweren, denn umständliche Bedachtsamkeit reizte
den stürmischen Mann leicht;**) doch über seine Kargheit konnte Niemand
klagen. Den Anforderungen der Kunst und Wissenschaft entsprach er,
nach dem Maße der vorhandenen Mittel, sehr freigebig; als Kamptz ihn
wegen der hohen Kosten der Revision des Landrechts befragte, erwiderte
er nachdrücklich: für ein solches Werk muß in Preußen immer Rath ge-
schafft werden.

In jedem Zweige des Finanzwesens spürte man die rüstigen Hände
des neuen Leiters. Durch eine gründliche Reform der Kassenverwaltung
verschaffte er sich einen genauen Ueberblick über alle Bestände. Das
Steuerwesen ließ er in den Händen Maassen's, des Urhebers der neuen
Zollgesetzgebung. Die Beiden galten in der Beamtenwelt als Neben-
buhler, aber sie wurden Freunde. Maassen fügte sich gern der raschen
Entschlossenheit des jüngeren Vorgesetzten, und dieser wußte wohl, was er
der Umsicht und Sachkenntniß des Generalsteuerdirektors verdankte. "Alles
mit Maassen," sagte er lächelnd, wenn ihn der besonnene Freund von
einem übereilten Wagniß zurückgehalten hatte. Unter Maassen arbeitete
der geistreiche Ludwig Kühne, Motz's alter Freund von Erfurt her, der
Schrecken aller Trägen und Mittelmäßigen; wie wußte er seine Leute in
Athem zu halten, wenn er ihnen zurief: "Dummheit ist eine Gottesgabe,
aber sie zu mißbrauchen ist schändlich!"

In den Provinzen war das Steuerwesen bisher von den Regierungen
verwaltet worden; der König hatte indeß bald eingesehen, wie wenig das
langsame Collegialsystem sich für diesen Zweig der Verwaltung eignet,
und daher (1822) zunächst in den beiden westlichen Provinzen das ge-

*) Motz's Bericht an den König, 28. Nov. Motz an Lottum, 28., 30. Nov.,
5., 10. Dec. 1825, 2. März 1826. Cabinetsordre an Lottum, 8. April. Ladenberg's
Eingabe an den König, 3. Mai 1826.
**) Altenstein an Lottum, 20. Febr. 1828 ff.

Aufhebung der Generalcontrole.
brauchte auch volle vier Monate, bis er dem neuen Miniſter ſein ſelbſt-
bewußtes Auftreten ganz verzieh. Dann aber hatte er ſich durch Lottum’s
Vorträge von der Unhaltbarkeit des beſtehenden Dualismus gründlich
überzeugt, und da er ſeine bureaukratiſchen Hartköpfe kannte, ſo ging er
nunmehr ſogleich weit über die Vorſchläge des Finanzminiſters ſelber
hinaus. Am 8. April 1826 überraſchte er dieſen durch die willkommene
Mittheilung: er denke die General-Controle ganz aufzuheben, ihre Ge-
ſchäfte dem Finanzminiſterium zu übertragen. Am 29. Mai wurde dieſer
Befehl vollzogen und Ladenberg mußte ſich wehmüthig mit dem Präſidium
der Oberrechnungskammer begnügen.*) Motz aber war jetzt endlich Herr
der Lage, und die anderen Miniſter empfanden bald, daß er ſich berech-
tigt hielt, alle Gebiete der Verwaltung ſcharf zu überwachen. Der lang-
ſame Altenſtein mochte wohl Grund haben, ſich über die Anmaßung des
Finanzminiſters zu beſchweren, denn umſtändliche Bedachtſamkeit reizte
den ſtürmiſchen Mann leicht;**) doch über ſeine Kargheit konnte Niemand
klagen. Den Anforderungen der Kunſt und Wiſſenſchaft entſprach er,
nach dem Maße der vorhandenen Mittel, ſehr freigebig; als Kamptz ihn
wegen der hohen Koſten der Reviſion des Landrechts befragte, erwiderte
er nachdrücklich: für ein ſolches Werk muß in Preußen immer Rath ge-
ſchafft werden.

In jedem Zweige des Finanzweſens ſpürte man die rüſtigen Hände
des neuen Leiters. Durch eine gründliche Reform der Kaſſenverwaltung
verſchaffte er ſich einen genauen Ueberblick über alle Beſtände. Das
Steuerweſen ließ er in den Händen Maaſſen’s, des Urhebers der neuen
Zollgeſetzgebung. Die Beiden galten in der Beamtenwelt als Neben-
buhler, aber ſie wurden Freunde. Maaſſen fügte ſich gern der raſchen
Entſchloſſenheit des jüngeren Vorgeſetzten, und dieſer wußte wohl, was er
der Umſicht und Sachkenntniß des Generalſteuerdirektors verdankte. „Alles
mit Maaſſen,“ ſagte er lächelnd, wenn ihn der beſonnene Freund von
einem übereilten Wagniß zurückgehalten hatte. Unter Maaſſen arbeitete
der geiſtreiche Ludwig Kühne, Motz’s alter Freund von Erfurt her, der
Schrecken aller Trägen und Mittelmäßigen; wie wußte er ſeine Leute in
Athem zu halten, wenn er ihnen zurief: „Dummheit iſt eine Gottesgabe,
aber ſie zu mißbrauchen iſt ſchändlich!“

In den Provinzen war das Steuerweſen bisher von den Regierungen
verwaltet worden; der König hatte indeß bald eingeſehen, wie wenig das
langſame Collegialſyſtem ſich für dieſen Zweig der Verwaltung eignet,
und daher (1822) zunächſt in den beiden weſtlichen Provinzen das ge-

*) Motz’s Bericht an den König, 28. Nov. Motz an Lottum, 28., 30. Nov.,
5., 10. Dec. 1825, 2. März 1826. Cabinetsordre an Lottum, 8. April. Ladenberg’s
Eingabe an den König, 3. Mai 1826.
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[461/0477] Aufhebung der Generalcontrole. brauchte auch volle vier Monate, bis er dem neuen Miniſter ſein ſelbſt- bewußtes Auftreten ganz verzieh. Dann aber hatte er ſich durch Lottum’s Vorträge von der Unhaltbarkeit des beſtehenden Dualismus gründlich überzeugt, und da er ſeine bureaukratiſchen Hartköpfe kannte, ſo ging er nunmehr ſogleich weit über die Vorſchläge des Finanzminiſters ſelber hinaus. Am 8. April 1826 überraſchte er dieſen durch die willkommene Mittheilung: er denke die General-Controle ganz aufzuheben, ihre Ge- ſchäfte dem Finanzminiſterium zu übertragen. Am 29. Mai wurde dieſer Befehl vollzogen und Ladenberg mußte ſich wehmüthig mit dem Präſidium der Oberrechnungskammer begnügen. *) Motz aber war jetzt endlich Herr der Lage, und die anderen Miniſter empfanden bald, daß er ſich berech- tigt hielt, alle Gebiete der Verwaltung ſcharf zu überwachen. Der lang- ſame Altenſtein mochte wohl Grund haben, ſich über die Anmaßung des Finanzminiſters zu beſchweren, denn umſtändliche Bedachtſamkeit reizte den ſtürmiſchen Mann leicht; **) doch über ſeine Kargheit konnte Niemand klagen. Den Anforderungen der Kunſt und Wiſſenſchaft entſprach er, nach dem Maße der vorhandenen Mittel, ſehr freigebig; als Kamptz ihn wegen der hohen Koſten der Reviſion des Landrechts befragte, erwiderte er nachdrücklich: für ein ſolches Werk muß in Preußen immer Rath ge- ſchafft werden. In jedem Zweige des Finanzweſens ſpürte man die rüſtigen Hände des neuen Leiters. Durch eine gründliche Reform der Kaſſenverwaltung verſchaffte er ſich einen genauen Ueberblick über alle Beſtände. Das Steuerweſen ließ er in den Händen Maaſſen’s, des Urhebers der neuen Zollgeſetzgebung. Die Beiden galten in der Beamtenwelt als Neben- buhler, aber ſie wurden Freunde. Maaſſen fügte ſich gern der raſchen Entſchloſſenheit des jüngeren Vorgeſetzten, und dieſer wußte wohl, was er der Umſicht und Sachkenntniß des Generalſteuerdirektors verdankte. „Alles mit Maaſſen,“ ſagte er lächelnd, wenn ihn der beſonnene Freund von einem übereilten Wagniß zurückgehalten hatte. Unter Maaſſen arbeitete der geiſtreiche Ludwig Kühne, Motz’s alter Freund von Erfurt her, der Schrecken aller Trägen und Mittelmäßigen; wie wußte er ſeine Leute in Athem zu halten, wenn er ihnen zurief: „Dummheit iſt eine Gottesgabe, aber ſie zu mißbrauchen iſt ſchändlich!“ In den Provinzen war das Steuerweſen bisher von den Regierungen verwaltet worden; der König hatte indeß bald eingeſehen, wie wenig das langſame Collegialſyſtem ſich für dieſen Zweig der Verwaltung eignet, und daher (1822) zunächſt in den beiden weſtlichen Provinzen das ge- *) Motz’s Bericht an den König, 28. Nov. Motz an Lottum, 28., 30. Nov., 5., 10. Dec. 1825, 2. März 1826. Cabinetsordre an Lottum, 8. April. Ladenberg’s Eingabe an den König, 3. Mai 1826. **) Altenſtein an Lottum, 20. Febr. 1828 ff.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/477>, abgerufen am 22.11.2024.