hat niemals begriffen, wie viel Schmach und Elend diese thörichte Ver- folgung über seinen ehrenreichen Staat gebracht hatte. Auch der Kron- prinz blieb, obwohl verstimmt über die Kleinlichkeit der Verfolgung, doch fest überzeugt von dem Dasein der großen im Finsteren schleichenden Ver- schwörung. Darum konnte, als nachher nochmals eine radikale Erregung die Deutschen ergriff, der ganze Jammer der Demagogenjagd zum zweiten male über Preußen hereinbrechen. --
Das mildere System im Innern und das selbständige Verfahren Bernstorff's in der orientalischen Frage bewirkten, daß um die Mitte der zwanziger Jahre das Verhältniß zum Wiener Hofe merklich erkaltete. In den hohen militärischen Kreisen äußerte sich wieder laut und entschieden die alte niemals ganz überwundene Abneigung gegen Oesterreich. Was hatte man denn im Grunde dem getreuen Alliirten an der Donau zu verdanken? Jene schlaffe, kopflose Kriegführung von 1813 und 14, deren Sünden durch furchtbare Opfer des preußischen Heeres gesühnt werden mußten; dann die schweren diplomatischen Niederlagen auf dem Wiener Congresse; und zuletzt die mehr als bescheidene Rolle, welche Preußen am Bundestage spielte! Wie viel fester und treuer hatte sich doch Rußlands Freundschaft bewährt, auf dem Schlachtfelde und in den sächsischen Händeln! Warum der Hofburg eine Hingebung erweisen, die nur durch unredliche Ränke erwidert wurde? Lag es denn nicht weit näher, die europäische Stellung der Monarchie durch ein festes Bündniß mit Rußland zu sichern und dann die ganze Kraft des Staates auf Deutschland, auf die Be- herrschung der Kleinstaaten zu richten? Mit Erstaunen vernahm der badische Gesandte Frankenberg solche Ansichten aus dem Munde ehrgei- ziger preußischer Offiziere.*) Lange Jahre sollten noch vergehen, bis diese Ideen zur Herrschaft gelangten am Hofe. Doch der Bann, welcher den freien Willen des Staates so lange gelähmt, war jetzt schon gebrochen. Man begann in Berlin den tiefen Gegensatz der Interessen, der unseren Staat von Oesterreich trennte, wieder lebhaft zu empfinden.
So waren die Wege geebnet für die handelspolitischen Entwürfe des kühnen Mannes, der in so stiller Zeit wieder in die Bahnen fridericiani- scher Staatskunst einzulenken wagte, des neuen Finanzministers F. C. A. v. Motz. In das achte Jahr hinein hatte Minister Klewiz sein schweres Amt ertragen, mit unwandelbarer Geduld die große Steuerreform auf- recht gehalten wider zahllose Angriffe von innen und außen. Aber das Deficit vermochte er nicht zu beseitigen, trotz allen neu angeordneten Erspar- nissen; denn er begnügte sich mit einer bescheidenen Stellung, die es ihm
*) Frankenberg's Berichte, 3. Okt., 7. Nov. 1826.
Klewiz’s Rücktritt.
hat niemals begriffen, wie viel Schmach und Elend dieſe thörichte Ver- folgung über ſeinen ehrenreichen Staat gebracht hatte. Auch der Kron- prinz blieb, obwohl verſtimmt über die Kleinlichkeit der Verfolgung, doch feſt überzeugt von dem Daſein der großen im Finſteren ſchleichenden Ver- ſchwörung. Darum konnte, als nachher nochmals eine radikale Erregung die Deutſchen ergriff, der ganze Jammer der Demagogenjagd zum zweiten male über Preußen hereinbrechen. —
Das mildere Syſtem im Innern und das ſelbſtändige Verfahren Bernſtorff’s in der orientaliſchen Frage bewirkten, daß um die Mitte der zwanziger Jahre das Verhältniß zum Wiener Hofe merklich erkaltete. In den hohen militäriſchen Kreiſen äußerte ſich wieder laut und entſchieden die alte niemals ganz überwundene Abneigung gegen Oeſterreich. Was hatte man denn im Grunde dem getreuen Alliirten an der Donau zu verdanken? Jene ſchlaffe, kopfloſe Kriegführung von 1813 und 14, deren Sünden durch furchtbare Opfer des preußiſchen Heeres geſühnt werden mußten; dann die ſchweren diplomatiſchen Niederlagen auf dem Wiener Congreſſe; und zuletzt die mehr als beſcheidene Rolle, welche Preußen am Bundestage ſpielte! Wie viel feſter und treuer hatte ſich doch Rußlands Freundſchaft bewährt, auf dem Schlachtfelde und in den ſächſiſchen Händeln! Warum der Hofburg eine Hingebung erweiſen, die nur durch unredliche Ränke erwidert wurde? Lag es denn nicht weit näher, die europäiſche Stellung der Monarchie durch ein feſtes Bündniß mit Rußland zu ſichern und dann die ganze Kraft des Staates auf Deutſchland, auf die Be- herrſchung der Kleinſtaaten zu richten? Mit Erſtaunen vernahm der badiſche Geſandte Frankenberg ſolche Anſichten aus dem Munde ehrgei- ziger preußiſcher Offiziere.*) Lange Jahre ſollten noch vergehen, bis dieſe Ideen zur Herrſchaft gelangten am Hofe. Doch der Bann, welcher den freien Willen des Staates ſo lange gelähmt, war jetzt ſchon gebrochen. Man begann in Berlin den tiefen Gegenſatz der Intereſſen, der unſeren Staat von Oeſterreich trennte, wieder lebhaft zu empfinden.
So waren die Wege geebnet für die handelspolitiſchen Entwürfe des kühnen Mannes, der in ſo ſtiller Zeit wieder in die Bahnen fridericiani- ſcher Staatskunſt einzulenken wagte, des neuen Finanzminiſters F. C. A. v. Motz. In das achte Jahr hinein hatte Miniſter Klewiz ſein ſchweres Amt ertragen, mit unwandelbarer Geduld die große Steuerreform auf- recht gehalten wider zahlloſe Angriffe von innen und außen. Aber das Deficit vermochte er nicht zu beſeitigen, trotz allen neu angeordneten Erſpar- niſſen; denn er begnügte ſich mit einer beſcheidenen Stellung, die es ihm
*) Frankenberg’s Berichte, 3. Okt., 7. Nov. 1826.
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Klewiz’s Rücktritt.
hat niemals begriffen, wie viel Schmach und Elend dieſe thörichte Ver-
folgung über ſeinen ehrenreichen Staat gebracht hatte. Auch der Kron-
prinz blieb, obwohl verſtimmt über die Kleinlichkeit der Verfolgung, doch
feſt überzeugt von dem Daſein der großen im Finſteren ſchleichenden Ver-
ſchwörung. Darum konnte, als nachher nochmals eine radikale Erregung
die Deutſchen ergriff, der ganze Jammer der Demagogenjagd zum zweiten
male über Preußen hereinbrechen. —
Das mildere Syſtem im Innern und das ſelbſtändige Verfahren
Bernſtorff’s in der orientaliſchen Frage bewirkten, daß um die Mitte der
zwanziger Jahre das Verhältniß zum Wiener Hofe merklich erkaltete. In
den hohen militäriſchen Kreiſen äußerte ſich wieder laut und entſchieden
die alte niemals ganz überwundene Abneigung gegen Oeſterreich. Was
hatte man denn im Grunde dem getreuen Alliirten an der Donau zu
verdanken? Jene ſchlaffe, kopfloſe Kriegführung von 1813 und 14, deren
Sünden durch furchtbare Opfer des preußiſchen Heeres geſühnt werden
mußten; dann die ſchweren diplomatiſchen Niederlagen auf dem Wiener
Congreſſe; und zuletzt die mehr als beſcheidene Rolle, welche Preußen am
Bundestage ſpielte! Wie viel feſter und treuer hatte ſich doch Rußlands
Freundſchaft bewährt, auf dem Schlachtfelde und in den ſächſiſchen Händeln!
Warum der Hofburg eine Hingebung erweiſen, die nur durch unredliche
Ränke erwidert wurde? Lag es denn nicht weit näher, die europäiſche
Stellung der Monarchie durch ein feſtes Bündniß mit Rußland zu ſichern
und dann die ganze Kraft des Staates auf Deutſchland, auf die Be-
herrſchung der Kleinſtaaten zu richten? Mit Erſtaunen vernahm der
badiſche Geſandte Frankenberg ſolche Anſichten aus dem Munde ehrgei-
ziger preußiſcher Offiziere. *) Lange Jahre ſollten noch vergehen, bis dieſe
Ideen zur Herrſchaft gelangten am Hofe. Doch der Bann, welcher den
freien Willen des Staates ſo lange gelähmt, war jetzt ſchon gebrochen.
Man begann in Berlin den tiefen Gegenſatz der Intereſſen, der unſeren
Staat von Oeſterreich trennte, wieder lebhaft zu empfinden.
So waren die Wege geebnet für die handelspolitiſchen Entwürfe des
kühnen Mannes, der in ſo ſtiller Zeit wieder in die Bahnen fridericiani-
ſcher Staatskunſt einzulenken wagte, des neuen Finanzminiſters F. C. A.
v. Motz. In das achte Jahr hinein hatte Miniſter Klewiz ſein ſchweres
Amt ertragen, mit unwandelbarer Geduld die große Steuerreform auf-
recht gehalten wider zahlloſe Angriffe von innen und außen. Aber das
Deficit vermochte er nicht zu beſeitigen, trotz allen neu angeordneten Erſpar-
niſſen; denn er begnügte ſich mit einer beſcheidenen Stellung, die es ihm
*) Frankenberg’s Berichte, 3. Okt., 7. Nov. 1826.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/469>, abgerufen am 25.11.2024.
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