Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. der in Europa nur ein Treibhausgewächs ist, seinen Heimathboden. Steuerngiebt es keine oder doch fast keine, denn die Regierung der ganzen Ver- einigten Staaten kostet nicht so viel als die von einem unserer Fürsten- thümer."*) Niemals bemerkte er die augenfällige Thatsache, daß dieselben Aufgaben der Verwaltung, welche in Deutschland der Staat löst, in Amerika durch die freie Thätigkeit der Gesellschaft weit schlechter und weit kostspieliger gelöst werden. Thatkräftig und arbeitsam, wie er immer ge- wesen, schlug er sich durch ein Leben voll Sorgen und Entbehrungen und nahm, wie so viele seiner Unglücksgefährten, vorlieb mit untergeordneten Beschäftigungen, welche daheim seinem Ehrgeiz nie genügt hätten. Als Lafayette seine Triumphreise durch die Vereinigten Staaten hielt, be- grüßte ihn Follen als alten Kampfgenossen; aber von der deutschen Politik wendete er sich gänzlich ab. "Die Zeit wird hoffentlich kommen, so schrieb er, da die Regierungen jenseits mir glauben werden, daß ich in ihren Kram, in den ich nicht tauge, mich nicht mischen will."**) Er suchte ganz aufzugehen in den Interessen seiner neuen Heimath, stritt tapfer, einer der Ersten, für die Aufhebung der Sklaverei und schloß sich den unitari- schen Gemeinden seines edlen Freundes W. E. Channing an: in dieser Kirche ohne Symbole, ohne Synoden und Behörden fand er das Höchste, was er im sittlichen Leben kannte, die unbedingte Freiheit des persön- lichen Willens. An den radikalen Ideen seiner Jugend hielt er fest mit jener un- *) K. Follen an seine Familie, 13. Jan. 1825, 19. Dec. 1826, 26. Mai 1832. **) K. Follen an seine Familie, 1. Aug. 1825, 24. Aug. 1829.
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod. der in Europa nur ein Treibhausgewächs iſt, ſeinen Heimathboden. Steuerngiebt es keine oder doch faſt keine, denn die Regierung der ganzen Ver- einigten Staaten koſtet nicht ſo viel als die von einem unſerer Fürſten- thümer.“*) Niemals bemerkte er die augenfällige Thatſache, daß dieſelben Aufgaben der Verwaltung, welche in Deutſchland der Staat löſt, in Amerika durch die freie Thätigkeit der Geſellſchaft weit ſchlechter und weit koſtſpieliger gelöſt werden. Thatkräftig und arbeitſam, wie er immer ge- weſen, ſchlug er ſich durch ein Leben voll Sorgen und Entbehrungen und nahm, wie ſo viele ſeiner Unglücksgefährten, vorlieb mit untergeordneten Beſchäftigungen, welche daheim ſeinem Ehrgeiz nie genügt hätten. Als Lafayette ſeine Triumphreiſe durch die Vereinigten Staaten hielt, be- grüßte ihn Follen als alten Kampfgenoſſen; aber von der deutſchen Politik wendete er ſich gänzlich ab. „Die Zeit wird hoffentlich kommen, ſo ſchrieb er, da die Regierungen jenſeits mir glauben werden, daß ich in ihren Kram, in den ich nicht tauge, mich nicht miſchen will.“**) Er ſuchte ganz aufzugehen in den Intereſſen ſeiner neuen Heimath, ſtritt tapfer, einer der Erſten, für die Aufhebung der Sklaverei und ſchloß ſich den unitari- ſchen Gemeinden ſeines edlen Freundes W. E. Channing an: in dieſer Kirche ohne Symbole, ohne Synoden und Behörden fand er das Höchſte, was er im ſittlichen Leben kannte, die unbedingte Freiheit des perſön- lichen Willens. An den radikalen Ideen ſeiner Jugend hielt er feſt mit jener un- *) K. Follen an ſeine Familie, 13. Jan. 1825, 19. Dec. 1826, 26. Mai 1832. **) K. Follen an ſeine Familie, 1. Aug. 1825, 24. Aug. 1829.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0464" n="448"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.</fw><lb/> der in Europa nur ein Treibhausgewächs iſt, ſeinen Heimathboden. Steuern<lb/> giebt es keine oder doch faſt keine, denn die Regierung der ganzen Ver-<lb/> einigten Staaten koſtet nicht ſo viel als die von einem unſerer Fürſten-<lb/> thümer.“<note place="foot" n="*)">K. Follen an ſeine Familie, 13. Jan. 1825, 19. Dec. 1826, 26. Mai 1832.</note> Niemals bemerkte er die augenfällige Thatſache, daß dieſelben<lb/> Aufgaben der Verwaltung, welche in Deutſchland der Staat löſt, in<lb/> Amerika durch die freie Thätigkeit der Geſellſchaft weit ſchlechter und weit<lb/> koſtſpieliger gelöſt werden. Thatkräftig und arbeitſam, wie er immer ge-<lb/> weſen, ſchlug er ſich durch ein Leben voll Sorgen und Entbehrungen und<lb/> nahm, wie ſo viele ſeiner Unglücksgefährten, vorlieb mit untergeordneten<lb/> Beſchäftigungen, welche daheim ſeinem Ehrgeiz nie genügt hätten. Als<lb/> Lafayette ſeine Triumphreiſe durch die Vereinigten Staaten hielt, be-<lb/> grüßte ihn Follen als alten Kampfgenoſſen; aber von der deutſchen Politik<lb/> wendete er ſich gänzlich ab. „Die Zeit wird hoffentlich kommen, ſo ſchrieb<lb/> er, da die Regierungen jenſeits mir glauben werden, daß ich in ihren<lb/> Kram, in den ich nicht tauge, mich nicht miſchen will.“<note place="foot" n="**)">K. Follen an ſeine Familie, 1. Aug. 1825, 24. Aug. 1829.</note> Er ſuchte ganz<lb/> aufzugehen in den Intereſſen ſeiner neuen Heimath, ſtritt tapfer, einer<lb/> der Erſten, für die Aufhebung der Sklaverei und ſchloß ſich den unitari-<lb/> ſchen Gemeinden ſeines edlen Freundes W. E. Channing an: in dieſer<lb/> Kirche ohne Symbole, ohne Synoden und Behörden fand er das Höchſte,<lb/> was er im ſittlichen Leben kannte, die unbedingte Freiheit des perſön-<lb/> lichen Willens.</p><lb/> <p>An den radikalen Ideen ſeiner Jugend hielt er feſt mit jener un-<lb/> heimlichen Hartnäckigkeit, welche der politiſche Fanatiker mit dem Geiſtes-<lb/> kranken gemein hat; ein Werden, eine innere Entwicklung war der Ein-<lb/> ſeitigkeit dieſer harten Natur nicht beſchieden. Noch in ſeiner letzten Schrift<lb/> über Krieg und Frieden vertheidigte er ſeinen alten, der franzöſiſchen Ver-<lb/> faſſung von 1791 entlehnten Lieblingsſatz: der einzige Zweck des Staates<lb/> iſt der Schutz der perſönlichen Rechte der Einzelnen; darum iſt der Krieg<lb/> eine Verſchwörung zu Raub und Mord, nur in dem einen Falle berechtigt,<lb/> wenn die Menſchenrechte, ſei es auch nur an einem einzigen Menſchen<lb/> verletzt worden ſind — und ſo lief ſchließlich Alles wieder auf den craſſen<lb/> Subjectivismus der Unbedingten, auf den Krieg der Individuen hinaus.<lb/> Wie gewandt er ſich auch in Sprache und Sitte ſeines zweiten Vater-<lb/> landes fand, der Fluch des Heimathloſen blieb ihm doch nicht erſpart. In<lb/> Deutſchland war für den Radikalen kein Raum geweſen, den Amerikanern<lb/> blieb der Idealiſt unverſtändlich. Wenn er ihnen Vorträge über Schiller<lb/> hielt, den er ganz abſtrakt als den Dichter der freien Sittlichkeit auf-<lb/> faßte, ſo bemerkte er bald, daß die Hörer ihm nicht folgen konnten: die<lb/> Kapuzinerpredigt aus Wallenſtein’s Lager war ihrem harten Confeſſiona-<lb/> lismus ſogar anſtößig. Nach manchen ſchmerzlichen Enttäuſchungen wurde<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [448/0464]
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
der in Europa nur ein Treibhausgewächs iſt, ſeinen Heimathboden. Steuern
giebt es keine oder doch faſt keine, denn die Regierung der ganzen Ver-
einigten Staaten koſtet nicht ſo viel als die von einem unſerer Fürſten-
thümer.“ *) Niemals bemerkte er die augenfällige Thatſache, daß dieſelben
Aufgaben der Verwaltung, welche in Deutſchland der Staat löſt, in
Amerika durch die freie Thätigkeit der Geſellſchaft weit ſchlechter und weit
koſtſpieliger gelöſt werden. Thatkräftig und arbeitſam, wie er immer ge-
weſen, ſchlug er ſich durch ein Leben voll Sorgen und Entbehrungen und
nahm, wie ſo viele ſeiner Unglücksgefährten, vorlieb mit untergeordneten
Beſchäftigungen, welche daheim ſeinem Ehrgeiz nie genügt hätten. Als
Lafayette ſeine Triumphreiſe durch die Vereinigten Staaten hielt, be-
grüßte ihn Follen als alten Kampfgenoſſen; aber von der deutſchen Politik
wendete er ſich gänzlich ab. „Die Zeit wird hoffentlich kommen, ſo ſchrieb
er, da die Regierungen jenſeits mir glauben werden, daß ich in ihren
Kram, in den ich nicht tauge, mich nicht miſchen will.“ **) Er ſuchte ganz
aufzugehen in den Intereſſen ſeiner neuen Heimath, ſtritt tapfer, einer
der Erſten, für die Aufhebung der Sklaverei und ſchloß ſich den unitari-
ſchen Gemeinden ſeines edlen Freundes W. E. Channing an: in dieſer
Kirche ohne Symbole, ohne Synoden und Behörden fand er das Höchſte,
was er im ſittlichen Leben kannte, die unbedingte Freiheit des perſön-
lichen Willens.
An den radikalen Ideen ſeiner Jugend hielt er feſt mit jener un-
heimlichen Hartnäckigkeit, welche der politiſche Fanatiker mit dem Geiſtes-
kranken gemein hat; ein Werden, eine innere Entwicklung war der Ein-
ſeitigkeit dieſer harten Natur nicht beſchieden. Noch in ſeiner letzten Schrift
über Krieg und Frieden vertheidigte er ſeinen alten, der franzöſiſchen Ver-
faſſung von 1791 entlehnten Lieblingsſatz: der einzige Zweck des Staates
iſt der Schutz der perſönlichen Rechte der Einzelnen; darum iſt der Krieg
eine Verſchwörung zu Raub und Mord, nur in dem einen Falle berechtigt,
wenn die Menſchenrechte, ſei es auch nur an einem einzigen Menſchen
verletzt worden ſind — und ſo lief ſchließlich Alles wieder auf den craſſen
Subjectivismus der Unbedingten, auf den Krieg der Individuen hinaus.
Wie gewandt er ſich auch in Sprache und Sitte ſeines zweiten Vater-
landes fand, der Fluch des Heimathloſen blieb ihm doch nicht erſpart. In
Deutſchland war für den Radikalen kein Raum geweſen, den Amerikanern
blieb der Idealiſt unverſtändlich. Wenn er ihnen Vorträge über Schiller
hielt, den er ganz abſtrakt als den Dichter der freien Sittlichkeit auf-
faßte, ſo bemerkte er bald, daß die Hörer ihm nicht folgen konnten: die
Kapuzinerpredigt aus Wallenſtein’s Lager war ihrem harten Confeſſiona-
lismus ſogar anſtößig. Nach manchen ſchmerzlichen Enttäuſchungen wurde
*) K. Follen an ſeine Familie, 13. Jan. 1825, 19. Dec. 1826, 26. Mai 1832.
**) K. Follen an ſeine Familie, 1. Aug. 1825, 24. Aug. 1829.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |