III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
welchen Kindereien diese Helden der Polizei, die doch das akademische Leben aus eigener Erfahrung kennen mußten, sich die Zeit verdarben. Schuck- mann schämte sich nicht, der badischen Regierung mit einem Ministerial- schreiben eigens den Brief eines jungen Bonner Hochverräthers zu senden, worin erzählt war, daß Freund X. verwundet in der Hirschgasse liege, Freund O. einen schändlichen Schmiß über die Nase bekommen habe. Unablässig ward erwogen, welche neue Fesseln man der Jugend wohl noch anlegen könne. Arens, der Tyrann der Gießener Universität, verstieg sich zu dem Vorschlage, daß jedem Studenten ein politisches Leumundszeugniß vom Regierungsbevollmächtigten ausgestellt werden solle -- worauf der Heidel- berger Curator Fröhlich bitter erwiderte: "Die Zeit, wo man den Ver- dacht des Verdachts mit dem Kopfe bezahlen mußte, liegt noch nicht so weit hinter uns."*)
Eine eigenthümliche Sonderstellung behauptete die Polonia unter den verfolgten Verbindungen. Die jungen Polen waren in Berlin und Breslau als treue Freunde und ritterliche Schläger wohl angesehen und standen mit den Burschenschaften auf gutem Fuße; denn wer der bestehenden Regierung widerstrebte, galt für liberal, und der unschuldigen deutschen Jugend war die Schärfe der nationalen Gegensätze noch nicht zum Be- wußtsein gekommen. Nach aller Wahrscheinlichkeit hatte sich die Polonia weit tiefer als irgend eine deutsche Studentenverbindung in politische Um- triebe eingelassen, da das altpolnische Gebiet überall von Geheimbünden unterwühlt war; aber die sarmatische Schlauheit zeigte sich den Künsten der deutschen Polizei vollauf gewachsen, die Nachforschungen brachten kein nennenswerthes Ergebniß. Um das Jahr 1824 erreichte der Spüreifer der Behörden seinen Höhepunkt, dann erlahmte er allmählich, und im Sommer 1829 beantragte Schuckmann selbst, die Untersuchung gegen die Verzweigungen des Jünglingbundes einzustellen, weil man immer noch nicht wisse, ob der geheimnißvolle Männerbund je ins Leben getreten sei.**) --
Wer hätte damals geahnt, daß diese erste politische Verfolgung der neuen deutschen Geschichte einem fernen Absenker unseres Volkes nach- haltige Stärkung bringen würde? Im Laufe des achtzehnten Jahrhun- derts waren nach und nach zahlreiche Deutsche nach Nordamerika aus- gewandert, zumeist Pfälzer und Schwaben, denen die plündernden Fran- zosen oder kirchlicher Druck und wirthschaftliche Noth das alte Vaterland verleideten. In den Hungerjahren 1816 und 17 wurden wieder an zwan- zigtausend Deutsche an den fremden Strand verschlagen. Seitdem versiegte der Strom der Auswanderung nicht mehr, wenn er auch in ruhigen Zeiten dünner floß; für die elf Jahre 1820--30 berechnete man in Amerika die Zahl der deutschen Einwanderer insgesammt auf etwa 15,000. Es waren
*) Schuckmann an Berstett, 8. Okt. 1822. Arens an Otterstedt, 2. Okt. 1824.
**) Schuckmann und Danckelmann, Bericht an den König, 12. Juni 1829.
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
welchen Kindereien dieſe Helden der Polizei, die doch das akademiſche Leben aus eigener Erfahrung kennen mußten, ſich die Zeit verdarben. Schuck- mann ſchämte ſich nicht, der badiſchen Regierung mit einem Miniſterial- ſchreiben eigens den Brief eines jungen Bonner Hochverräthers zu ſenden, worin erzählt war, daß Freund X. verwundet in der Hirſchgaſſe liege, Freund O. einen ſchändlichen Schmiß über die Naſe bekommen habe. Unabläſſig ward erwogen, welche neue Feſſeln man der Jugend wohl noch anlegen könne. Arens, der Tyrann der Gießener Univerſität, verſtieg ſich zu dem Vorſchlage, daß jedem Studenten ein politiſches Leumundszeugniß vom Regierungsbevollmächtigten ausgeſtellt werden ſolle — worauf der Heidel- berger Curator Fröhlich bitter erwiderte: „Die Zeit, wo man den Ver- dacht des Verdachts mit dem Kopfe bezahlen mußte, liegt noch nicht ſo weit hinter uns.“*)
Eine eigenthümliche Sonderſtellung behauptete die Polonia unter den verfolgten Verbindungen. Die jungen Polen waren in Berlin und Breslau als treue Freunde und ritterliche Schläger wohl angeſehen und ſtanden mit den Burſchenſchaften auf gutem Fuße; denn wer der beſtehenden Regierung widerſtrebte, galt für liberal, und der unſchuldigen deutſchen Jugend war die Schärfe der nationalen Gegenſätze noch nicht zum Be- wußtſein gekommen. Nach aller Wahrſcheinlichkeit hatte ſich die Polonia weit tiefer als irgend eine deutſche Studentenverbindung in politiſche Um- triebe eingelaſſen, da das altpolniſche Gebiet überall von Geheimbünden unterwühlt war; aber die ſarmatiſche Schlauheit zeigte ſich den Künſten der deutſchen Polizei vollauf gewachſen, die Nachforſchungen brachten kein nennenswerthes Ergebniß. Um das Jahr 1824 erreichte der Spüreifer der Behörden ſeinen Höhepunkt, dann erlahmte er allmählich, und im Sommer 1829 beantragte Schuckmann ſelbſt, die Unterſuchung gegen die Verzweigungen des Jünglingbundes einzuſtellen, weil man immer noch nicht wiſſe, ob der geheimnißvolle Männerbund je ins Leben getreten ſei.**) —
Wer hätte damals geahnt, daß dieſe erſte politiſche Verfolgung der neuen deutſchen Geſchichte einem fernen Abſenker unſeres Volkes nach- haltige Stärkung bringen würde? Im Laufe des achtzehnten Jahrhun- derts waren nach und nach zahlreiche Deutſche nach Nordamerika aus- gewandert, zumeiſt Pfälzer und Schwaben, denen die plündernden Fran- zoſen oder kirchlicher Druck und wirthſchaftliche Noth das alte Vaterland verleideten. In den Hungerjahren 1816 und 17 wurden wieder an zwan- zigtauſend Deutſche an den fremden Strand verſchlagen. Seitdem verſiegte der Strom der Auswanderung nicht mehr, wenn er auch in ruhigen Zeiten dünner floß; für die elf Jahre 1820—30 berechnete man in Amerika die Zahl der deutſchen Einwanderer insgeſammt auf etwa 15,000. Es waren
*) Schuckmann an Berſtett, 8. Okt. 1822. Arens an Otterſtedt, 2. Okt. 1824.
**) Schuckmann und Danckelmann, Bericht an den König, 12. Juni 1829.
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III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
welchen Kindereien dieſe Helden der Polizei, die doch das akademiſche Leben
aus eigener Erfahrung kennen mußten, ſich die Zeit verdarben. Schuck-
mann ſchämte ſich nicht, der badiſchen Regierung mit einem Miniſterial-
ſchreiben eigens den Brief eines jungen Bonner Hochverräthers zu ſenden,
worin erzählt war, daß Freund X. verwundet in der Hirſchgaſſe liege, Freund
O. einen ſchändlichen Schmiß über die Naſe bekommen habe. Unabläſſig
ward erwogen, welche neue Feſſeln man der Jugend wohl noch anlegen
könne. Arens, der Tyrann der Gießener Univerſität, verſtieg ſich zu dem
Vorſchlage, daß jedem Studenten ein politiſches Leumundszeugniß vom
Regierungsbevollmächtigten ausgeſtellt werden ſolle — worauf der Heidel-
berger Curator Fröhlich bitter erwiderte: „Die Zeit, wo man den Ver-
dacht des Verdachts mit dem Kopfe bezahlen mußte, liegt noch nicht ſo
weit hinter uns.“ *)
Eine eigenthümliche Sonderſtellung behauptete die Polonia unter den
verfolgten Verbindungen. Die jungen Polen waren in Berlin und Breslau
als treue Freunde und ritterliche Schläger wohl angeſehen und ſtanden
mit den Burſchenſchaften auf gutem Fuße; denn wer der beſtehenden
Regierung widerſtrebte, galt für liberal, und der unſchuldigen deutſchen
Jugend war die Schärfe der nationalen Gegenſätze noch nicht zum Be-
wußtſein gekommen. Nach aller Wahrſcheinlichkeit hatte ſich die Polonia
weit tiefer als irgend eine deutſche Studentenverbindung in politiſche Um-
triebe eingelaſſen, da das altpolniſche Gebiet überall von Geheimbünden
unterwühlt war; aber die ſarmatiſche Schlauheit zeigte ſich den Künſten
der deutſchen Polizei vollauf gewachſen, die Nachforſchungen brachten kein
nennenswerthes Ergebniß. Um das Jahr 1824 erreichte der Spüreifer
der Behörden ſeinen Höhepunkt, dann erlahmte er allmählich, und im
Sommer 1829 beantragte Schuckmann ſelbſt, die Unterſuchung gegen die
Verzweigungen des Jünglingbundes einzuſtellen, weil man immer noch nicht
wiſſe, ob der geheimnißvolle Männerbund je ins Leben getreten ſei. **) —
Wer hätte damals geahnt, daß dieſe erſte politiſche Verfolgung der
neuen deutſchen Geſchichte einem fernen Abſenker unſeres Volkes nach-
haltige Stärkung bringen würde? Im Laufe des achtzehnten Jahrhun-
derts waren nach und nach zahlreiche Deutſche nach Nordamerika aus-
gewandert, zumeiſt Pfälzer und Schwaben, denen die plündernden Fran-
zoſen oder kirchlicher Druck und wirthſchaftliche Noth das alte Vaterland
verleideten. In den Hungerjahren 1816 und 17 wurden wieder an zwan-
zigtauſend Deutſche an den fremden Strand verſchlagen. Seitdem verſiegte
der Strom der Auswanderung nicht mehr, wenn er auch in ruhigen Zeiten
dünner floß; für die elf Jahre 1820—30 berechnete man in Amerika die
Zahl der deutſchen Einwanderer insgeſammt auf etwa 15,000. Es waren
*) Schuckmann an Berſtett, 8. Okt. 1822. Arens an Otterſtedt, 2. Okt. 1824.
**) Schuckmann und Danckelmann, Bericht an den König, 12. Juni 1829.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/462>, abgerufen am 22.11.2024.
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