III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
sich Niebuhr in Rom des "moralisch Schiffbrüchigen" an. Eine neue Welt reiner und hoher Gedanken ging dem hochbegabten Jüngling auf, als ihn der große Gelehrte seines väterlichen Vertrauens würdigte. Auf Niebuhr's Fürbitte erlaubte ihm der König unbelästigt heimzureisen. Lieber kehrte zurück und gestand in einem freimüthigen Briefe an Kamptz, daß er die Thorheiten seiner Jugend überwunden habe. Doch selbst das Wort des Königs war den Demagogenrichtern nicht heilig. Der gequälte Mann ward abermals vorgeladen, um Zeugniß abzulegen wider seine alten Ge- nossen, und da er die Aussage verweigerte, nochmals in Köpenick einge- sperrt, bis er endlich durch den Beistand seines treuen Gönners wieder loskam.
Auch Heinrich Karl Hofmann, einer von den ersten Begründern der Gießener Burschenschaft, mußte in Köpenick Rede stehen; er war längst schon Anwalt in Darmstadt und hatte sich bereits zu den gemäßigt liberalen Grundsätzen bekehrt, denen er als Mann immer treu blieb. Auch er weigerte sich standhaft die Freunde seiner Jugend zu verrathen. Der unglückliche Sprewitz dagegen versuchte im Gefängniß sich zu er- stechen; schwer verwundet verlor er den Muth und bekannte Alles. Seine Geständnisse stimmten großentheils überein mit den Anzeigen Wits v. Dör- ring, des elenden Verräthers, der, einst Follen's und Sand's vertrau- ter Genosse, seitdem fast in allen Ländern Europas das wüste Bumm- lerleben des Geheimbündlers geführt hatte und nun, nachdem er die Kerker Piemonts und Oesterreichs kennen gelernt, bei Metternich, Hatz- feldt, Schuckmann den Angeber spielte. Schwer genug hielt es freilich aus den Aussagen des halbverrückten Abenteurers ein klares Bild zu gewinnen; Alles was er mittheilte war ein Durcheinander von Wahrem und Falschen, ebenso verworren wie die Denkwürdigkeiten, die er bald nachher erscheinen ließ.
Immerhin lagen jetzt endlich genügende Beweise vor; verstand man die hohlen Worte des Bundeseides buchstäblich, so ließ sich nicht bestreiten, daß der Jünglingsbund hochverrätherische Zwecke verfolgt hatte. Bei der Verurtheilung der jungen Verbrecher trat der deutsche Particularismus wieder in volle Wirksamkeit; trotz der gemeinsam geleiteten Untersuchung ließ jeder Bundesstaat durch seine eigenen Gerichte, nach seinen eigenen Gesetzen Recht sprechen, und die Erkenntnisse offenbarten in der That die vielbewunderte schöne Mannichfaltigkeit des deutschen Staatslebens. Am härtesten lauteten die Urtheile der preußischen Gerichte. Das Breslauer Oberlandesgericht verurtheilte mit einem male (1826) achtundzwanzig Mitglieder des Jünglingsbundes zu schweren Strafen -- bis zu fünf- zehn Jahren Festung; nur Einer, der junge v. Viebahn, späterhin be- kannt als ausgezeichneter Verwaltungsbeamter und Statistiker, wurde vorläufig freigesprochen -- denn die Freisprechung von der Instanz war noch statthaft -- "dagegen wegen dringenden Verdachts, die Existenz dieser
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
ſich Niebuhr in Rom des „moraliſch Schiffbrüchigen“ an. Eine neue Welt reiner und hoher Gedanken ging dem hochbegabten Jüngling auf, als ihn der große Gelehrte ſeines väterlichen Vertrauens würdigte. Auf Niebuhr’s Fürbitte erlaubte ihm der König unbeläſtigt heimzureiſen. Lieber kehrte zurück und geſtand in einem freimüthigen Briefe an Kamptz, daß er die Thorheiten ſeiner Jugend überwunden habe. Doch ſelbſt das Wort des Königs war den Demagogenrichtern nicht heilig. Der gequälte Mann ward abermals vorgeladen, um Zeugniß abzulegen wider ſeine alten Ge- noſſen, und da er die Ausſage verweigerte, nochmals in Köpenick einge- ſperrt, bis er endlich durch den Beiſtand ſeines treuen Gönners wieder loskam.
Auch Heinrich Karl Hofmann, einer von den erſten Begründern der Gießener Burſchenſchaft, mußte in Köpenick Rede ſtehen; er war längſt ſchon Anwalt in Darmſtadt und hatte ſich bereits zu den gemäßigt liberalen Grundſätzen bekehrt, denen er als Mann immer treu blieb. Auch er weigerte ſich ſtandhaft die Freunde ſeiner Jugend zu verrathen. Der unglückliche Sprewitz dagegen verſuchte im Gefängniß ſich zu er- ſtechen; ſchwer verwundet verlor er den Muth und bekannte Alles. Seine Geſtändniſſe ſtimmten großentheils überein mit den Anzeigen Wits v. Dör- ring, des elenden Verräthers, der, einſt Follen’s und Sand’s vertrau- ter Genoſſe, ſeitdem faſt in allen Ländern Europas das wüſte Bumm- lerleben des Geheimbündlers geführt hatte und nun, nachdem er die Kerker Piemonts und Oeſterreichs kennen gelernt, bei Metternich, Hatz- feldt, Schuckmann den Angeber ſpielte. Schwer genug hielt es freilich aus den Ausſagen des halbverrückten Abenteurers ein klares Bild zu gewinnen; Alles was er mittheilte war ein Durcheinander von Wahrem und Falſchen, ebenſo verworren wie die Denkwürdigkeiten, die er bald nachher erſcheinen ließ.
Immerhin lagen jetzt endlich genügende Beweiſe vor; verſtand man die hohlen Worte des Bundeseides buchſtäblich, ſo ließ ſich nicht beſtreiten, daß der Jünglingsbund hochverrätheriſche Zwecke verfolgt hatte. Bei der Verurtheilung der jungen Verbrecher trat der deutſche Particularismus wieder in volle Wirkſamkeit; trotz der gemeinſam geleiteten Unterſuchung ließ jeder Bundesſtaat durch ſeine eigenen Gerichte, nach ſeinen eigenen Geſetzen Recht ſprechen, und die Erkenntniſſe offenbarten in der That die vielbewunderte ſchöne Mannichfaltigkeit des deutſchen Staatslebens. Am härteſten lauteten die Urtheile der preußiſchen Gerichte. Das Breslauer Oberlandesgericht verurtheilte mit einem male (1826) achtundzwanzig Mitglieder des Jünglingsbundes zu ſchweren Strafen — bis zu fünf- zehn Jahren Feſtung; nur Einer, der junge v. Viebahn, ſpäterhin be- kannt als ausgezeichneter Verwaltungsbeamter und Statiſtiker, wurde vorläufig freigeſprochen — denn die Freiſprechung von der Inſtanz war noch ſtatthaft — „dagegen wegen dringenden Verdachts, die Exiſtenz dieſer
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III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
ſich Niebuhr in Rom des „moraliſch Schiffbrüchigen“ an. Eine neue
Welt reiner und hoher Gedanken ging dem hochbegabten Jüngling auf,
als ihn der große Gelehrte ſeines väterlichen Vertrauens würdigte. Auf
Niebuhr’s Fürbitte erlaubte ihm der König unbeläſtigt heimzureiſen. Lieber
kehrte zurück und geſtand in einem freimüthigen Briefe an Kamptz, daß
er die Thorheiten ſeiner Jugend überwunden habe. Doch ſelbſt das Wort
des Königs war den Demagogenrichtern nicht heilig. Der gequälte Mann
ward abermals vorgeladen, um Zeugniß abzulegen wider ſeine alten Ge-
noſſen, und da er die Ausſage verweigerte, nochmals in Köpenick einge-
ſperrt, bis er endlich durch den Beiſtand ſeines treuen Gönners wieder
loskam.
Auch Heinrich Karl Hofmann, einer von den erſten Begründern
der Gießener Burſchenſchaft, mußte in Köpenick Rede ſtehen; er war
längſt ſchon Anwalt in Darmſtadt und hatte ſich bereits zu den gemäßigt
liberalen Grundſätzen bekehrt, denen er als Mann immer treu blieb.
Auch er weigerte ſich ſtandhaft die Freunde ſeiner Jugend zu verrathen.
Der unglückliche Sprewitz dagegen verſuchte im Gefängniß ſich zu er-
ſtechen; ſchwer verwundet verlor er den Muth und bekannte Alles. Seine
Geſtändniſſe ſtimmten großentheils überein mit den Anzeigen Wits v. Dör-
ring, des elenden Verräthers, der, einſt Follen’s und Sand’s vertrau-
ter Genoſſe, ſeitdem faſt in allen Ländern Europas das wüſte Bumm-
lerleben des Geheimbündlers geführt hatte und nun, nachdem er die
Kerker Piemonts und Oeſterreichs kennen gelernt, bei Metternich, Hatz-
feldt, Schuckmann den Angeber ſpielte. Schwer genug hielt es freilich
aus den Ausſagen des halbverrückten Abenteurers ein klares Bild zu
gewinnen; Alles was er mittheilte war ein Durcheinander von Wahrem
und Falſchen, ebenſo verworren wie die Denkwürdigkeiten, die er bald
nachher erſcheinen ließ.
Immerhin lagen jetzt endlich genügende Beweiſe vor; verſtand man
die hohlen Worte des Bundeseides buchſtäblich, ſo ließ ſich nicht beſtreiten,
daß der Jünglingsbund hochverrätheriſche Zwecke verfolgt hatte. Bei der
Verurtheilung der jungen Verbrecher trat der deutſche Particularismus
wieder in volle Wirkſamkeit; trotz der gemeinſam geleiteten Unterſuchung
ließ jeder Bundesſtaat durch ſeine eigenen Gerichte, nach ſeinen eigenen
Geſetzen Recht ſprechen, und die Erkenntniſſe offenbarten in der That die
vielbewunderte ſchöne Mannichfaltigkeit des deutſchen Staatslebens. Am
härteſten lauteten die Urtheile der preußiſchen Gerichte. Das Breslauer
Oberlandesgericht verurtheilte mit einem male (1826) achtundzwanzig
Mitglieder des Jünglingsbundes zu ſchweren Strafen — bis zu fünf-
zehn Jahren Feſtung; nur Einer, der junge v. Viebahn, ſpäterhin be-
kannt als ausgezeichneter Verwaltungsbeamter und Statiſtiker, wurde
vorläufig freigeſprochen — denn die Freiſprechung von der Inſtanz war
noch ſtatthaft — „dagegen wegen dringenden Verdachts, die Exiſtenz dieſer
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/460>, abgerufen am 22.11.2024.
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