klärte sehr nachdrücklich: eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit sei unzweifelhaft vorhanden.*)
Ebenso erfolglos blieben anfangs die wiederholten Anträge des Ber- liner Kammergerichts auf Einleitung gerichtlichen Verfahrens. Auch diesen Gegnern begegnete Kamptz mit heftigen Schmähungen: ob sie etwa die Rolle des französischen Parlaments spielen wollten? Auch sie erhielten einen Verweis vom Könige: das Kammergericht verkenne seinen Standpunkt, wenn es jetzt noch seinen Antrag wiederhole, nachdem die Polizeibehörde amtlich versichert habe, die Untersuchung sei noch nicht reif für das Ein- schreiten der Gerichte.**) Nach solchen Erklärungen des Staatsoberhauptes durften die Behörden ihren Einspruch nicht mehr aufrecht halten. Selbst der greise Kircheisen, der Freund und Gesinnungsgenosse von Suarez, fügte sich. Er hatte einst den König, als er noch Kronprinz war, in freimüthiger Anrede vor der Verwerflichkeit der Cabinetsjustiz gewarnt und sein Lebelang die Unabhängigkeit der Gerichte tapfer vertheidigt; doch als er jetzt die massenhaften Polizeiberichte durchmusterte, die dem Ministerium auf königlichen Befehl mitgetheilt wurden, da glaubte auch er: der Staat befinde sich in einem Nothstande, und der Monarch sei berechtigt, von den Machtbefugnissen seiner landesherrlichen Gewalt Gebrauch zu machen.
Indeß hatten die so ungnädig aufgenommenen Mahnungen den König doch zum Nachdenken gebracht. Am 1. Oktober wurde die Commission umgestaltet und förmlich mit den Befugnissen eines inquirirenden Criminal- gerichts ausgestattet; sie bestand fortan aus fünf Mitgliedern des Kammer- gerichts und zwei Verwaltungsbeamten. In dieser neuen Gestalt entsprach sie dem Gesetze, da der König noch das gefährliche Recht besaß, für besondere Fälle außerordentliche Gerichte einzusetzen. Zu den Richtern zählten der ehrwürdige Präsident v. Trützschler und Kammergerichtsrath Hoffmann, der romantische Humorist, dem der Gespensterspuk dieser Demagogenjagd so spaß- haft schauerlich vorkam, daß er sich nicht enthalten konnte, das Treiben, an dem er selber theilnahm, in einer Episode seiner Novelle "Meister Floh" zu verspotten. Die oberste Leitung der gesammten Untersuchungen übernahm eine Ministerialcommission: Hardenberg, Kircheisen, Schuckmann, Wittgen- stein, Kamptz, Oberpräsident Bülow. Gedeckt durch den Kanzler sowie durch seine alten Gönner Schuckmann und Wittgenstein behielt Kamptz also mit seinen Helfershelfern ziemlich freien Spielraum. Da von der Mainzer Bundescommission wie von der Berliner Polizei beständig neue Anzeigen einliefen, so konnte er das geheime Verfahren durch unerwartete Kreuz- und Querfragen nach Belieben verlängern. Persönlich begegnete der unan-
*) Eingaben des Staatsministeriums an den König, 16. Juli, 8. Sept.; Kamptz's Berichte, 24. Aug., 14. Sept.; Cabinetsordres an das Staatsministerium, 23. Juli, 16. Sept. 1819.
**) Eingaben des Kammergerichts an Min. Kircheisen, 16., 31. Juli; Kamptz's Be- richte, 6., 9. Aug.; Cabinetsordre an Kircheisen, 21. Aug. 1819.
28*
Die Immediat-Unterſuchungscommiſſion.
klärte ſehr nachdrücklich: eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ſei unzweifelhaft vorhanden.*)
Ebenſo erfolglos blieben anfangs die wiederholten Anträge des Ber- liner Kammergerichts auf Einleitung gerichtlichen Verfahrens. Auch dieſen Gegnern begegnete Kamptz mit heftigen Schmähungen: ob ſie etwa die Rolle des franzöſiſchen Parlaments ſpielen wollten? Auch ſie erhielten einen Verweis vom Könige: das Kammergericht verkenne ſeinen Standpunkt, wenn es jetzt noch ſeinen Antrag wiederhole, nachdem die Polizeibehörde amtlich verſichert habe, die Unterſuchung ſei noch nicht reif für das Ein- ſchreiten der Gerichte.**) Nach ſolchen Erklärungen des Staatsoberhauptes durften die Behörden ihren Einſpruch nicht mehr aufrecht halten. Selbſt der greiſe Kircheiſen, der Freund und Geſinnungsgenoſſe von Suarez, fügte ſich. Er hatte einſt den König, als er noch Kronprinz war, in freimüthiger Anrede vor der Verwerflichkeit der Cabinetsjuſtiz gewarnt und ſein Lebelang die Unabhängigkeit der Gerichte tapfer vertheidigt; doch als er jetzt die maſſenhaften Polizeiberichte durchmuſterte, die dem Miniſterium auf königlichen Befehl mitgetheilt wurden, da glaubte auch er: der Staat befinde ſich in einem Nothſtande, und der Monarch ſei berechtigt, von den Machtbefugniſſen ſeiner landesherrlichen Gewalt Gebrauch zu machen.
Indeß hatten die ſo ungnädig aufgenommenen Mahnungen den König doch zum Nachdenken gebracht. Am 1. Oktober wurde die Commiſſion umgeſtaltet und förmlich mit den Befugniſſen eines inquirirenden Criminal- gerichts ausgeſtattet; ſie beſtand fortan aus fünf Mitgliedern des Kammer- gerichts und zwei Verwaltungsbeamten. In dieſer neuen Geſtalt entſprach ſie dem Geſetze, da der König noch das gefährliche Recht beſaß, für beſondere Fälle außerordentliche Gerichte einzuſetzen. Zu den Richtern zählten der ehrwürdige Präſident v. Trützſchler und Kammergerichtsrath Hoffmann, der romantiſche Humoriſt, dem der Geſpenſterſpuk dieſer Demagogenjagd ſo ſpaß- haft ſchauerlich vorkam, daß er ſich nicht enthalten konnte, das Treiben, an dem er ſelber theilnahm, in einer Epiſode ſeiner Novelle „Meiſter Floh“ zu verſpotten. Die oberſte Leitung der geſammten Unterſuchungen übernahm eine Miniſterialcommiſſion: Hardenberg, Kircheiſen, Schuckmann, Wittgen- ſtein, Kamptz, Oberpräſident Bülow. Gedeckt durch den Kanzler ſowie durch ſeine alten Gönner Schuckmann und Wittgenſtein behielt Kamptz alſo mit ſeinen Helfershelfern ziemlich freien Spielraum. Da von der Mainzer Bundescommiſſion wie von der Berliner Polizei beſtändig neue Anzeigen einliefen, ſo konnte er das geheime Verfahren durch unerwartete Kreuz- und Querfragen nach Belieben verlängern. Perſönlich begegnete der unan-
*) Eingaben des Staatsminiſteriums an den König, 16. Juli, 8. Sept.; Kamptz’s Berichte, 24. Aug., 14. Sept.; Cabinetsordres an das Staatsminiſterium, 23. Juli, 16. Sept. 1819.
**) Eingaben des Kammergerichts an Min. Kircheiſen, 16., 31. Juli; Kamptz’s Be- richte, 6., 9. Aug.; Cabinetsordre an Kircheiſen, 21. Aug. 1819.
28*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0451"n="435"/><fwplace="top"type="header">Die Immediat-Unterſuchungscommiſſion.</fw><lb/>
klärte ſehr nachdrücklich: eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ſei<lb/>
unzweifelhaft vorhanden.<noteplace="foot"n="*)">Eingaben des Staatsminiſteriums an den König, 16. Juli, 8. Sept.; Kamptz’s<lb/>
Berichte, 24. Aug., 14. Sept.; Cabinetsordres an das Staatsminiſterium, 23. Juli,<lb/>
16. Sept. 1819.</note></p><lb/><p>Ebenſo erfolglos blieben anfangs die wiederholten Anträge des Ber-<lb/>
liner Kammergerichts auf Einleitung gerichtlichen Verfahrens. Auch dieſen<lb/>
Gegnern begegnete Kamptz mit heftigen Schmähungen: ob ſie etwa die<lb/>
Rolle des franzöſiſchen Parlaments ſpielen wollten? Auch ſie erhielten einen<lb/>
Verweis vom Könige: das Kammergericht verkenne ſeinen Standpunkt,<lb/>
wenn es jetzt noch ſeinen Antrag wiederhole, nachdem die Polizeibehörde<lb/>
amtlich verſichert habe, die Unterſuchung ſei noch nicht reif für das Ein-<lb/>ſchreiten der Gerichte.<noteplace="foot"n="**)">Eingaben des Kammergerichts an Min. Kircheiſen, 16., 31. Juli; Kamptz’s Be-<lb/>
richte, 6., 9. Aug.; Cabinetsordre an Kircheiſen, 21. Aug. 1819.</note> Nach ſolchen Erklärungen des Staatsoberhauptes<lb/>
durften die Behörden ihren Einſpruch nicht mehr aufrecht halten. Selbſt<lb/>
der greiſe Kircheiſen, der Freund und Geſinnungsgenoſſe von Suarez,<lb/>
fügte ſich. Er hatte einſt den König, als er noch Kronprinz war, in<lb/>
freimüthiger Anrede vor der Verwerflichkeit der Cabinetsjuſtiz gewarnt und<lb/>ſein Lebelang die Unabhängigkeit der Gerichte tapfer vertheidigt; doch als er<lb/>
jetzt die maſſenhaften Polizeiberichte durchmuſterte, die dem Miniſterium<lb/>
auf königlichen Befehl mitgetheilt wurden, da glaubte auch er: der Staat<lb/>
befinde ſich in einem Nothſtande, und der Monarch ſei berechtigt, von<lb/>
den Machtbefugniſſen ſeiner landesherrlichen Gewalt Gebrauch zu machen.</p><lb/><p>Indeß hatten die ſo ungnädig aufgenommenen Mahnungen den König<lb/>
doch zum Nachdenken gebracht. Am 1. Oktober wurde die Commiſſion<lb/>
umgeſtaltet und förmlich mit den Befugniſſen eines inquirirenden Criminal-<lb/>
gerichts ausgeſtattet; ſie beſtand fortan aus fünf Mitgliedern des Kammer-<lb/>
gerichts und zwei Verwaltungsbeamten. In dieſer neuen Geſtalt entſprach<lb/>ſie dem Geſetze, da der König noch das gefährliche Recht beſaß, für beſondere<lb/>
Fälle außerordentliche Gerichte einzuſetzen. Zu den Richtern zählten der<lb/>
ehrwürdige Präſident v. Trützſchler und Kammergerichtsrath Hoffmann, der<lb/>
romantiſche Humoriſt, dem der Geſpenſterſpuk dieſer Demagogenjagd ſo ſpaß-<lb/>
haft ſchauerlich vorkam, daß er ſich nicht enthalten konnte, das Treiben, an<lb/>
dem er ſelber theilnahm, in einer Epiſode ſeiner Novelle „Meiſter Floh“ zu<lb/>
verſpotten. Die oberſte Leitung der geſammten Unterſuchungen übernahm<lb/>
eine Miniſterialcommiſſion: Hardenberg, Kircheiſen, Schuckmann, Wittgen-<lb/>ſtein, Kamptz, Oberpräſident Bülow. Gedeckt durch den Kanzler ſowie durch<lb/>ſeine alten Gönner Schuckmann und Wittgenſtein behielt Kamptz alſo<lb/>
mit ſeinen Helfershelfern ziemlich freien Spielraum. Da von der Mainzer<lb/>
Bundescommiſſion wie von der Berliner Polizei beſtändig neue Anzeigen<lb/>
einliefen, ſo konnte er das geheime Verfahren durch unerwartete Kreuz- und<lb/>
Querfragen nach Belieben verlängern. Perſönlich begegnete der unan-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">28*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[435/0451]
Die Immediat-Unterſuchungscommiſſion.
klärte ſehr nachdrücklich: eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ſei
unzweifelhaft vorhanden. *)
Ebenſo erfolglos blieben anfangs die wiederholten Anträge des Ber-
liner Kammergerichts auf Einleitung gerichtlichen Verfahrens. Auch dieſen
Gegnern begegnete Kamptz mit heftigen Schmähungen: ob ſie etwa die
Rolle des franzöſiſchen Parlaments ſpielen wollten? Auch ſie erhielten einen
Verweis vom Könige: das Kammergericht verkenne ſeinen Standpunkt,
wenn es jetzt noch ſeinen Antrag wiederhole, nachdem die Polizeibehörde
amtlich verſichert habe, die Unterſuchung ſei noch nicht reif für das Ein-
ſchreiten der Gerichte. **) Nach ſolchen Erklärungen des Staatsoberhauptes
durften die Behörden ihren Einſpruch nicht mehr aufrecht halten. Selbſt
der greiſe Kircheiſen, der Freund und Geſinnungsgenoſſe von Suarez,
fügte ſich. Er hatte einſt den König, als er noch Kronprinz war, in
freimüthiger Anrede vor der Verwerflichkeit der Cabinetsjuſtiz gewarnt und
ſein Lebelang die Unabhängigkeit der Gerichte tapfer vertheidigt; doch als er
jetzt die maſſenhaften Polizeiberichte durchmuſterte, die dem Miniſterium
auf königlichen Befehl mitgetheilt wurden, da glaubte auch er: der Staat
befinde ſich in einem Nothſtande, und der Monarch ſei berechtigt, von
den Machtbefugniſſen ſeiner landesherrlichen Gewalt Gebrauch zu machen.
Indeß hatten die ſo ungnädig aufgenommenen Mahnungen den König
doch zum Nachdenken gebracht. Am 1. Oktober wurde die Commiſſion
umgeſtaltet und förmlich mit den Befugniſſen eines inquirirenden Criminal-
gerichts ausgeſtattet; ſie beſtand fortan aus fünf Mitgliedern des Kammer-
gerichts und zwei Verwaltungsbeamten. In dieſer neuen Geſtalt entſprach
ſie dem Geſetze, da der König noch das gefährliche Recht beſaß, für beſondere
Fälle außerordentliche Gerichte einzuſetzen. Zu den Richtern zählten der
ehrwürdige Präſident v. Trützſchler und Kammergerichtsrath Hoffmann, der
romantiſche Humoriſt, dem der Geſpenſterſpuk dieſer Demagogenjagd ſo ſpaß-
haft ſchauerlich vorkam, daß er ſich nicht enthalten konnte, das Treiben, an
dem er ſelber theilnahm, in einer Epiſode ſeiner Novelle „Meiſter Floh“ zu
verſpotten. Die oberſte Leitung der geſammten Unterſuchungen übernahm
eine Miniſterialcommiſſion: Hardenberg, Kircheiſen, Schuckmann, Wittgen-
ſtein, Kamptz, Oberpräſident Bülow. Gedeckt durch den Kanzler ſowie durch
ſeine alten Gönner Schuckmann und Wittgenſtein behielt Kamptz alſo
mit ſeinen Helfershelfern ziemlich freien Spielraum. Da von der Mainzer
Bundescommiſſion wie von der Berliner Polizei beſtändig neue Anzeigen
einliefen, ſo konnte er das geheime Verfahren durch unerwartete Kreuz- und
Querfragen nach Belieben verlängern. Perſönlich begegnete der unan-
*) Eingaben des Staatsminiſteriums an den König, 16. Juli, 8. Sept.; Kamptz’s
Berichte, 24. Aug., 14. Sept.; Cabinetsordres an das Staatsminiſterium, 23. Juli,
16. Sept. 1819.
**) Eingaben des Kammergerichts an Min. Kircheiſen, 16., 31. Juli; Kamptz’s Be-
richte, 6., 9. Aug.; Cabinetsordre an Kircheiſen, 21. Aug. 1819.
28*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/451>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.