Held des Tages, das Bild des häßlichen Mannes mit der goldgelockten Perücke hing in allen Schaufenstern; eine reiche Literatur von Flug- schriften bekämpfte oder vergötterte ihn, bis er sich endlich durch das Ueber- maß seiner Händelsucht doch unmöglich machte. Die Lust an lärmendem Streite, die jeder großstädtischen Bevölkerung im Blute liegt, konnte sich nur in solchem Gezänk entladen.
Im Theater drückte die Polizei ein Auge zu und ließ es geschehen, daß mißliebige Schauspieler auf der Bühne zu feierlicher Abbitte vor dem souveränen Volke genöthigt wurden; Männer wie Callot Hoffmann trugen kein Bedenken, persönlich solche Volksgerichte zu leiten. Leidenschaftlich, als gälte es einen Kampf um die politische Macht, ergriffen die Berliner Partei für und wider, als das Königstädtische Theater eröffnet wurde. Begeisterte Romantiker hofften schon, Berlin werde nun endlich eine Volksbühne er- halten und die deutsche Kunst aus dem Vagabundenthum der alten Ko- mödiantenbuden frische Kraft schöpfen. An Karl v. Holtei, dem Impro- visator auf dem Papier, wie Goethe ihn nannte, besaß die neue Bühne einen liebenswürdigen, leichtlebigen Poeten, der mit seiner munteren schle- sischen Natürlichkeit auf die Berliner Ueberbildung wohlthätig einwirken konnte. Aber die bureaukratische Leitung der königlichen Schauspiele wollte sich nicht entschließen, die leichte Waare der Possen und Singspiele dem Volkstheater zu überlassen. So begann ein gehässiger Wettbewerb, der beide Bühnen herunterbrachte. Der Skandal ward vollständig, als die schönste aller deutschen Sängerinnen, Henriette Sontag in der Königstadt die Bretter betrat. Die ganze Stadt gerieth in Bewegung; die Neider und die Verehrer der schönen Henriette befehdeten einander in Zeitungs- artikeln und Libellen, sogar in Processen vor dem Kammergerichte; Hegel selbst stieg aus dem reinen Aether der Idee hernieder um seinen philo- sophischen Unwillen über die Schwänke der Königstadt kräftig zu bekunden, und die Buben auf den Gassen pfiffen ein neues Volkslied "Lott' ist todt", das mit einem geistvollen Scherze über die Spitzenkleider der Demoiselle Sontag und ihren hoffnungslosen Anbeter, den englischen Gesandten Lord Clanwilliam endigte.
Zugleich wogte auf der königlichen Bühne selbst ein unablässiger Kampf zwischen der Generalintendanz und dem Musikdirektor Spontini; Graf Brühl erlag schließlich dem ewigen Aerger, aber auch sein Nach- folger, der kunstsinnige junge Graf Redern konnte trotz seiner höfischen Feinheit dem Streite mit dem herrschsüchtigen Italiener nicht ausweichen. Mehr als zwanzig Jahre lang behauptete sich der Musiker des napole- onischen Cäsarenruhms in der Hauptstadt des Volkes, das den entschei- denden Schlag gegen den Bonapartismus geführt hatte, in einer Welt von Feinden, allein gehalten durch die Gunst des Königs und die Meister- schaft eines unbestreitbaren Talents. Wenn der hohe hagere Mann, mit Edelsteinen und Spitzenmanschetten pomphaft angethan, die Blitze seiner
Die Berliner Theater.
Held des Tages, das Bild des häßlichen Mannes mit der goldgelockten Perücke hing in allen Schaufenſtern; eine reiche Literatur von Flug- ſchriften bekämpfte oder vergötterte ihn, bis er ſich endlich durch das Ueber- maß ſeiner Händelſucht doch unmöglich machte. Die Luſt an lärmendem Streite, die jeder großſtädtiſchen Bevölkerung im Blute liegt, konnte ſich nur in ſolchem Gezänk entladen.
Im Theater drückte die Polizei ein Auge zu und ließ es geſchehen, daß mißliebige Schauſpieler auf der Bühne zu feierlicher Abbitte vor dem ſouveränen Volke genöthigt wurden; Männer wie Callot Hoffmann trugen kein Bedenken, perſönlich ſolche Volksgerichte zu leiten. Leidenſchaftlich, als gälte es einen Kampf um die politiſche Macht, ergriffen die Berliner Partei für und wider, als das Königſtädtiſche Theater eröffnet wurde. Begeiſterte Romantiker hofften ſchon, Berlin werde nun endlich eine Volksbühne er- halten und die deutſche Kunſt aus dem Vagabundenthum der alten Ko- mödiantenbuden friſche Kraft ſchöpfen. An Karl v. Holtei, dem Impro- viſator auf dem Papier, wie Goethe ihn nannte, beſaß die neue Bühne einen liebenswürdigen, leichtlebigen Poeten, der mit ſeiner munteren ſchle- ſiſchen Natürlichkeit auf die Berliner Ueberbildung wohlthätig einwirken konnte. Aber die bureaukratiſche Leitung der königlichen Schauſpiele wollte ſich nicht entſchließen, die leichte Waare der Poſſen und Singſpiele dem Volkstheater zu überlaſſen. So begann ein gehäſſiger Wettbewerb, der beide Bühnen herunterbrachte. Der Skandal ward vollſtändig, als die ſchönſte aller deutſchen Sängerinnen, Henriette Sontag in der Königſtadt die Bretter betrat. Die ganze Stadt gerieth in Bewegung; die Neider und die Verehrer der ſchönen Henriette befehdeten einander in Zeitungs- artikeln und Libellen, ſogar in Proceſſen vor dem Kammergerichte; Hegel ſelbſt ſtieg aus dem reinen Aether der Idee hernieder um ſeinen philo- ſophiſchen Unwillen über die Schwänke der Königſtadt kräftig zu bekunden, und die Buben auf den Gaſſen pfiffen ein neues Volkslied „Lott’ iſt todt“, das mit einem geiſtvollen Scherze über die Spitzenkleider der Demoiſelle Sontag und ihren hoffnungsloſen Anbeter, den engliſchen Geſandten Lord Clanwilliam endigte.
Zugleich wogte auf der königlichen Bühne ſelbſt ein unabläſſiger Kampf zwiſchen der Generalintendanz und dem Muſikdirektor Spontini; Graf Brühl erlag ſchließlich dem ewigen Aerger, aber auch ſein Nach- folger, der kunſtſinnige junge Graf Redern konnte trotz ſeiner höfiſchen Feinheit dem Streite mit dem herrſchſüchtigen Italiener nicht ausweichen. Mehr als zwanzig Jahre lang behauptete ſich der Muſiker des napole- oniſchen Cäſarenruhms in der Hauptſtadt des Volkes, das den entſchei- denden Schlag gegen den Bonapartismus geführt hatte, in einer Welt von Feinden, allein gehalten durch die Gunſt des Königs und die Meiſter- ſchaft eines unbeſtreitbaren Talents. Wenn der hohe hagere Mann, mit Edelſteinen und Spitzenmanſchetten pomphaft angethan, die Blitze ſeiner
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Die Berliner Theater.
Held des Tages, das Bild des häßlichen Mannes mit der goldgelockten
Perücke hing in allen Schaufenſtern; eine reiche Literatur von Flug-
ſchriften bekämpfte oder vergötterte ihn, bis er ſich endlich durch das Ueber-
maß ſeiner Händelſucht doch unmöglich machte. Die Luſt an lärmendem
Streite, die jeder großſtädtiſchen Bevölkerung im Blute liegt, konnte ſich
nur in ſolchem Gezänk entladen.
Im Theater drückte die Polizei ein Auge zu und ließ es geſchehen,
daß mißliebige Schauſpieler auf der Bühne zu feierlicher Abbitte vor dem
ſouveränen Volke genöthigt wurden; Männer wie Callot Hoffmann trugen
kein Bedenken, perſönlich ſolche Volksgerichte zu leiten. Leidenſchaftlich, als
gälte es einen Kampf um die politiſche Macht, ergriffen die Berliner Partei
für und wider, als das Königſtädtiſche Theater eröffnet wurde. Begeiſterte
Romantiker hofften ſchon, Berlin werde nun endlich eine Volksbühne er-
halten und die deutſche Kunſt aus dem Vagabundenthum der alten Ko-
mödiantenbuden friſche Kraft ſchöpfen. An Karl v. Holtei, dem Impro-
viſator auf dem Papier, wie Goethe ihn nannte, beſaß die neue Bühne
einen liebenswürdigen, leichtlebigen Poeten, der mit ſeiner munteren ſchle-
ſiſchen Natürlichkeit auf die Berliner Ueberbildung wohlthätig einwirken
konnte. Aber die bureaukratiſche Leitung der königlichen Schauſpiele wollte
ſich nicht entſchließen, die leichte Waare der Poſſen und Singſpiele dem
Volkstheater zu überlaſſen. So begann ein gehäſſiger Wettbewerb, der
beide Bühnen herunterbrachte. Der Skandal ward vollſtändig, als die
ſchönſte aller deutſchen Sängerinnen, Henriette Sontag in der Königſtadt
die Bretter betrat. Die ganze Stadt gerieth in Bewegung; die Neider
und die Verehrer der ſchönen Henriette befehdeten einander in Zeitungs-
artikeln und Libellen, ſogar in Proceſſen vor dem Kammergerichte; Hegel
ſelbſt ſtieg aus dem reinen Aether der Idee hernieder um ſeinen philo-
ſophiſchen Unwillen über die Schwänke der Königſtadt kräftig zu bekunden,
und die Buben auf den Gaſſen pfiffen ein neues Volkslied „Lott’ iſt todt“,
das mit einem geiſtvollen Scherze über die Spitzenkleider der Demoiſelle
Sontag und ihren hoffnungsloſen Anbeter, den engliſchen Geſandten Lord
Clanwilliam endigte.
Zugleich wogte auf der königlichen Bühne ſelbſt ein unabläſſiger
Kampf zwiſchen der Generalintendanz und dem Muſikdirektor Spontini;
Graf Brühl erlag ſchließlich dem ewigen Aerger, aber auch ſein Nach-
folger, der kunſtſinnige junge Graf Redern konnte trotz ſeiner höfiſchen
Feinheit dem Streite mit dem herrſchſüchtigen Italiener nicht ausweichen.
Mehr als zwanzig Jahre lang behauptete ſich der Muſiker des napole-
oniſchen Cäſarenruhms in der Hauptſtadt des Volkes, das den entſchei-
denden Schlag gegen den Bonapartismus geführt hatte, in einer Welt
von Feinden, allein gehalten durch die Gunſt des Königs und die Meiſter-
ſchaft eines unbeſtreitbaren Talents. Wenn der hohe hagere Mann, mit
Edelſteinen und Spitzenmanſchetten pomphaft angethan, die Blitze ſeiner
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/443>, abgerufen am 23.11.2024.
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