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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
lebt; unaufhaltsam nahte die Zeit, da beide Kirchen diese Vormundschaft
des Staates von sich weisen mußten.


In der Leitung des Unterrichtswesens war Altenstein's Hand ungleich
glücklicher als in der Kirchenpolitik. Zwar vermochte er nicht zu verhindern,
daß sein alter Gegner Kamptz im Jahre 1821 als Director in das Cul-
tusministerium berufen wurde. Der gefürchtete Demagogenverfolger be-
nahm sich indeß ganz anders als die erschreckten Lehrer erwarteten; er
konnte den gelehrten Juristen doch nicht verleugnen und behandelte die
Männer der Wissenschaft so freundlich, daß die Berliner spotteten: nun
möge er nur sich selber nach Köpenick zu den eingesperrten Demagogen
verbannen. Mit Justizgeschäften überhäuft behielt er auch nur wenig Zeit
übrig für die Arbeiten seines neuen Amtes. Drei Jahre darauf kam noch
einmal ein Augenblick schwerer Besorgniß, als Fürst Hatzfeldt in Berlin
erschien und durch seine Einflüsterungen bei Hofe durchsetzte, daß Nico-
lovius, der als Freund Arndt's verdächtig schien, fortan nur noch die
Kirchensachen, nicht mehr das Schulwesen bearbeiten sollte. Metternich
und sein Anhang nannten den getreuen Fürsten einen moralischen Her-
cules und hofften schon, die Macht des demagogenfreundlichen Ministers
sei gänzlich gebrochen. Doch auch dieser Schlag blieb ohne ernstere Folgen.
Altenstein und sein Johannes Schulze behielten freie Hand und führten die
Unterrichtsverwaltung in dem alten Geiste fort: etwas langsam zwar und
nicht ohne Aengstlichkeit, aber mit Einsicht und Güte. Eine harte Cabi-
netsordre vom Jahre 1822, welche die Absetzung verdächtiger Lehrer und
Geistlichen beschleunigen sollte, wurde sehr milde ausgeführt. Ueber die
politischen Umtriebe auf den Gymnasien mußten die Oberpräsidenten mehr-
mals Bericht erstatten, und sie meldeten übereinstimmend, daß gar kein
Anlaß zu Besorgnissen vorliege.*) Die im Jahre 1819 eingeleiteten Unter-
suchungen währten freilich fort, und auch späterhin griff die Demagogen-
verfolgung sich dann und wann noch ein Opfer aus den Reihen der
Lehrer heraus; aber Altenstein erreichte, daß die Freiheit des Lehrstuhls im
Wesentlichen ungestört blieb und die gesunde Entwicklung der Unterrichts-
anstalten auch in diesen Jahren des trüben Mißtrauens anhielt. --

Mittlerweile war die neue Verwaltungsorganisation endgiltig sicher
gestellt worden. Noch einmal hatte der König, bald nach Hardenberg's
Tode, eine Commission einberufen, um einen Plan für die Vereinfachung
der Verwaltung, so weit sie nur irgend möglich sei, auszuarbeiten;**)

*) Berichte der Oberpräsidenten an Altenstein vom November bis December 1819
und April bis Juni 1824 (nach Aktenauszügen, die mir C. Varrentrapp mitgetheilt hat).
**) Cabinetsordre vom 3. Juni 1823.

III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
lebt; unaufhaltſam nahte die Zeit, da beide Kirchen dieſe Vormundſchaft
des Staates von ſich weiſen mußten.


In der Leitung des Unterrichtsweſens war Altenſtein’s Hand ungleich
glücklicher als in der Kirchenpolitik. Zwar vermochte er nicht zu verhindern,
daß ſein alter Gegner Kamptz im Jahre 1821 als Director in das Cul-
tusminiſterium berufen wurde. Der gefürchtete Demagogenverfolger be-
nahm ſich indeß ganz anders als die erſchreckten Lehrer erwarteten; er
konnte den gelehrten Juriſten doch nicht verleugnen und behandelte die
Männer der Wiſſenſchaft ſo freundlich, daß die Berliner ſpotteten: nun
möge er nur ſich ſelber nach Köpenick zu den eingeſperrten Demagogen
verbannen. Mit Juſtizgeſchäften überhäuft behielt er auch nur wenig Zeit
übrig für die Arbeiten ſeines neuen Amtes. Drei Jahre darauf kam noch
einmal ein Augenblick ſchwerer Beſorgniß, als Fürſt Hatzfeldt in Berlin
erſchien und durch ſeine Einflüſterungen bei Hofe durchſetzte, daß Nico-
lovius, der als Freund Arndt’s verdächtig ſchien, fortan nur noch die
Kirchenſachen, nicht mehr das Schulweſen bearbeiten ſollte. Metternich
und ſein Anhang nannten den getreuen Fürſten einen moraliſchen Her-
cules und hofften ſchon, die Macht des demagogenfreundlichen Miniſters
ſei gänzlich gebrochen. Doch auch dieſer Schlag blieb ohne ernſtere Folgen.
Altenſtein und ſein Johannes Schulze behielten freie Hand und führten die
Unterrichtsverwaltung in dem alten Geiſte fort: etwas langſam zwar und
nicht ohne Aengſtlichkeit, aber mit Einſicht und Güte. Eine harte Cabi-
netsordre vom Jahre 1822, welche die Abſetzung verdächtiger Lehrer und
Geiſtlichen beſchleunigen ſollte, wurde ſehr milde ausgeführt. Ueber die
politiſchen Umtriebe auf den Gymnaſien mußten die Oberpräſidenten mehr-
mals Bericht erſtatten, und ſie meldeten übereinſtimmend, daß gar kein
Anlaß zu Beſorgniſſen vorliege.*) Die im Jahre 1819 eingeleiteten Unter-
ſuchungen währten freilich fort, und auch ſpäterhin griff die Demagogen-
verfolgung ſich dann und wann noch ein Opfer aus den Reihen der
Lehrer heraus; aber Altenſtein erreichte, daß die Freiheit des Lehrſtuhls im
Weſentlichen ungeſtört blieb und die geſunde Entwicklung der Unterrichts-
anſtalten auch in dieſen Jahren des trüben Mißtrauens anhielt. —

Mittlerweile war die neue Verwaltungsorganiſation endgiltig ſicher
geſtellt worden. Noch einmal hatte der König, bald nach Hardenberg’s
Tode, eine Commiſſion einberufen, um einen Plan für die Vereinfachung
der Verwaltung, ſo weit ſie nur irgend möglich ſei, auszuarbeiten;**)

*) Berichte der Oberpräſidenten an Altenſtein vom November bis December 1819
und April bis Juni 1824 (nach Aktenauszügen, die mir C. Varrentrapp mitgetheilt hat).
**) Cabinetsordre vom 3. Juni 1823.
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[418/0434] III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod. lebt; unaufhaltſam nahte die Zeit, da beide Kirchen dieſe Vormundſchaft des Staates von ſich weiſen mußten. In der Leitung des Unterrichtsweſens war Altenſtein’s Hand ungleich glücklicher als in der Kirchenpolitik. Zwar vermochte er nicht zu verhindern, daß ſein alter Gegner Kamptz im Jahre 1821 als Director in das Cul- tusminiſterium berufen wurde. Der gefürchtete Demagogenverfolger be- nahm ſich indeß ganz anders als die erſchreckten Lehrer erwarteten; er konnte den gelehrten Juriſten doch nicht verleugnen und behandelte die Männer der Wiſſenſchaft ſo freundlich, daß die Berliner ſpotteten: nun möge er nur ſich ſelber nach Köpenick zu den eingeſperrten Demagogen verbannen. Mit Juſtizgeſchäften überhäuft behielt er auch nur wenig Zeit übrig für die Arbeiten ſeines neuen Amtes. Drei Jahre darauf kam noch einmal ein Augenblick ſchwerer Beſorgniß, als Fürſt Hatzfeldt in Berlin erſchien und durch ſeine Einflüſterungen bei Hofe durchſetzte, daß Nico- lovius, der als Freund Arndt’s verdächtig ſchien, fortan nur noch die Kirchenſachen, nicht mehr das Schulweſen bearbeiten ſollte. Metternich und ſein Anhang nannten den getreuen Fürſten einen moraliſchen Her- cules und hofften ſchon, die Macht des demagogenfreundlichen Miniſters ſei gänzlich gebrochen. Doch auch dieſer Schlag blieb ohne ernſtere Folgen. Altenſtein und ſein Johannes Schulze behielten freie Hand und führten die Unterrichtsverwaltung in dem alten Geiſte fort: etwas langſam zwar und nicht ohne Aengſtlichkeit, aber mit Einſicht und Güte. Eine harte Cabi- netsordre vom Jahre 1822, welche die Abſetzung verdächtiger Lehrer und Geiſtlichen beſchleunigen ſollte, wurde ſehr milde ausgeführt. Ueber die politiſchen Umtriebe auf den Gymnaſien mußten die Oberpräſidenten mehr- mals Bericht erſtatten, und ſie meldeten übereinſtimmend, daß gar kein Anlaß zu Beſorgniſſen vorliege. *) Die im Jahre 1819 eingeleiteten Unter- ſuchungen währten freilich fort, und auch ſpäterhin griff die Demagogen- verfolgung ſich dann und wann noch ein Opfer aus den Reihen der Lehrer heraus; aber Altenſtein erreichte, daß die Freiheit des Lehrſtuhls im Weſentlichen ungeſtört blieb und die geſunde Entwicklung der Unterrichts- anſtalten auch in dieſen Jahren des trüben Mißtrauens anhielt. — Mittlerweile war die neue Verwaltungsorganiſation endgiltig ſicher geſtellt worden. Noch einmal hatte der König, bald nach Hardenberg’s Tode, eine Commiſſion einberufen, um einen Plan für die Vereinfachung der Verwaltung, ſo weit ſie nur irgend möglich ſei, auszuarbeiten; **) *) Berichte der Oberpräſidenten an Altenſtein vom November bis December 1819 und April bis Juni 1824 (nach Aktenauszügen, die mir C. Varrentrapp mitgetheilt hat). **) Cabinetsordre vom 3. Juni 1823.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/434>, abgerufen am 28.11.2024.