Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. heit er beklagte und dessen Glanz er doch nicht missen mochte. Auchin der Politik war er nicht arm an feinen Gedanken und neuen Ge- sichtspunkten; er verstand zu wachsen mit der wachsenden Zeit und lernte, nachdem er anfangs den antirevolutionären Anschauungen Niebuhr's blind- lings gefolgt war, die constitutionellen Ideen des Jahrhunderts billiger zu beurtheilen; er liebte das Vaterland seiner Wahl mit glühender Be- geisterung und gab selbst in dieser muthlosen Zeit nicht die Hoffnung auf, daß Preußen dereinst die Deutschen beherrschen werde. Aber er wußte von seinem Staate sehr wenig. Ihm fehlte gänzlich die Kenntniß des praktischen Lebens und seiner endlichen Bedürfnisse, die dem Staatsmanne so wesentlich ist wie dem Künstler die Beherrschung der technischen Hand- griffe; ihm fehlte selbst die Gabe das Wirkliche nüchtern zu beobachten, dies erste und unentbehrlichste Talent für einen Diplomaten, der dem harten Realismus der vatikanischen Politik Stand halten sollte. Fort und fort wiegte sich sein Selbstgefühl in holden Täuschungen. Weil sein gastliches Haus gern besucht wurde, meinte er schon eine Macht in Rom zu sein. Wenn er aus den Fenstern seines Palastes, von der ehrwür- digsten Stelle Roms, wo einst der Tempel des Jupiter Stator gestanden, hinabschaute auf die ewige Stadt und die Kuppelkirche des Gesu tief zu seinen Füßen, da überkam ihn zuweilen ein Rausch der Ueberhebung, und er redete in seinen Briefen, als wäre er ein protestantischer Gegenpapst hier mitten im katholischen Babel. So oft ihm der Papst oder ein Car- dinal eine jener Artigkeiten sagte, welche den Südländern gar nichts kosten, rühmte er sich eines großen diplomatischen Erfolges. Obgleich er die mäch- tige reaktionäre Stimmung in der Kirche wohl bemerkte, so hielt er doch sein Preußen für vollkommen sicher, da der Staat in seinen trefflichen Bildungsanstalten ein unfehlbares Mittel besitze um alle ultramontanen Einflüsterungen abzuweisen und "der römische Stuhl über unsere Katho- liken nur eine sehr gemäßigte Autorität ausüben werde." Die stolze Zu- versicht seiner Berichte gewann ihm in Berlin hohes Vertrauen; man über- schätzte ihn allgemein, Mancher stellte ihn hoch über Niebuhr. Als die Händel wegen der gemischten Ehen sich verschärften, wurde III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod. heit er beklagte und deſſen Glanz er doch nicht miſſen mochte. Auchin der Politik war er nicht arm an feinen Gedanken und neuen Ge- ſichtspunkten; er verſtand zu wachſen mit der wachſenden Zeit und lernte, nachdem er anfangs den antirevolutionären Anſchauungen Niebuhr’s blind- lings gefolgt war, die conſtitutionellen Ideen des Jahrhunderts billiger zu beurtheilen; er liebte das Vaterland ſeiner Wahl mit glühender Be- geiſterung und gab ſelbſt in dieſer muthloſen Zeit nicht die Hoffnung auf, daß Preußen dereinſt die Deutſchen beherrſchen werde. Aber er wußte von ſeinem Staate ſehr wenig. Ihm fehlte gänzlich die Kenntniß des praktiſchen Lebens und ſeiner endlichen Bedürfniſſe, die dem Staatsmanne ſo weſentlich iſt wie dem Künſtler die Beherrſchung der techniſchen Hand- griffe; ihm fehlte ſelbſt die Gabe das Wirkliche nüchtern zu beobachten, dies erſte und unentbehrlichſte Talent für einen Diplomaten, der dem harten Realismus der vatikaniſchen Politik Stand halten ſollte. Fort und fort wiegte ſich ſein Selbſtgefühl in holden Täuſchungen. Weil ſein gaſtliches Haus gern beſucht wurde, meinte er ſchon eine Macht in Rom zu ſein. Wenn er aus den Fenſtern ſeines Palaſtes, von der ehrwür- digſten Stelle Roms, wo einſt der Tempel des Jupiter Stator geſtanden, hinabſchaute auf die ewige Stadt und die Kuppelkirche des Geſù tief zu ſeinen Füßen, da überkam ihn zuweilen ein Rauſch der Ueberhebung, und er redete in ſeinen Briefen, als wäre er ein proteſtantiſcher Gegenpapſt hier mitten im katholiſchen Babel. So oft ihm der Papſt oder ein Car- dinal eine jener Artigkeiten ſagte, welche den Südländern gar nichts koſten, rühmte er ſich eines großen diplomatiſchen Erfolges. Obgleich er die mäch- tige reaktionäre Stimmung in der Kirche wohl bemerkte, ſo hielt er doch ſein Preußen für vollkommen ſicher, da der Staat in ſeinen trefflichen Bildungsanſtalten ein unfehlbares Mittel beſitze um alle ultramontanen Einflüſterungen abzuweiſen und „der römiſche Stuhl über unſere Katho- liken nur eine ſehr gemäßigte Autorität ausüben werde.“ Die ſtolze Zu- verſicht ſeiner Berichte gewann ihm in Berlin hohes Vertrauen; man über- ſchätzte ihn allgemein, Mancher ſtellte ihn hoch über Niebuhr. Als die Händel wegen der gemiſchten Ehen ſich verſchärften, wurde <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0430" n="414"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.</fw><lb/> heit er beklagte und deſſen Glanz er doch nicht miſſen mochte. 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III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
heit er beklagte und deſſen Glanz er doch nicht miſſen mochte. Auch
in der Politik war er nicht arm an feinen Gedanken und neuen Ge-
ſichtspunkten; er verſtand zu wachſen mit der wachſenden Zeit und lernte,
nachdem er anfangs den antirevolutionären Anſchauungen Niebuhr’s blind-
lings gefolgt war, die conſtitutionellen Ideen des Jahrhunderts billiger
zu beurtheilen; er liebte das Vaterland ſeiner Wahl mit glühender Be-
geiſterung und gab ſelbſt in dieſer muthloſen Zeit nicht die Hoffnung
auf, daß Preußen dereinſt die Deutſchen beherrſchen werde. Aber er wußte
von ſeinem Staate ſehr wenig. Ihm fehlte gänzlich die Kenntniß des
praktiſchen Lebens und ſeiner endlichen Bedürfniſſe, die dem Staatsmanne
ſo weſentlich iſt wie dem Künſtler die Beherrſchung der techniſchen Hand-
griffe; ihm fehlte ſelbſt die Gabe das Wirkliche nüchtern zu beobachten,
dies erſte und unentbehrlichſte Talent für einen Diplomaten, der dem
harten Realismus der vatikaniſchen Politik Stand halten ſollte. Fort
und fort wiegte ſich ſein Selbſtgefühl in holden Täuſchungen. Weil ſein
gaſtliches Haus gern beſucht wurde, meinte er ſchon eine Macht in Rom
zu ſein. Wenn er aus den Fenſtern ſeines Palaſtes, von der ehrwür-
digſten Stelle Roms, wo einſt der Tempel des Jupiter Stator geſtanden,
hinabſchaute auf die ewige Stadt und die Kuppelkirche des Geſù tief zu
ſeinen Füßen, da überkam ihn zuweilen ein Rauſch der Ueberhebung, und
er redete in ſeinen Briefen, als wäre er ein proteſtantiſcher Gegenpapſt
hier mitten im katholiſchen Babel. So oft ihm der Papſt oder ein Car-
dinal eine jener Artigkeiten ſagte, welche den Südländern gar nichts koſten,
rühmte er ſich eines großen diplomatiſchen Erfolges. Obgleich er die mäch-
tige reaktionäre Stimmung in der Kirche wohl bemerkte, ſo hielt er doch
ſein Preußen für vollkommen ſicher, da der Staat in ſeinen trefflichen
Bildungsanſtalten ein unfehlbares Mittel beſitze um alle ultramontanen
Einflüſterungen abzuweiſen und „der römiſche Stuhl über unſere Katho-
liken nur eine ſehr gemäßigte Autorität ausüben werde.“ Die ſtolze Zu-
verſicht ſeiner Berichte gewann ihm in Berlin hohes Vertrauen; man über-
ſchätzte ihn allgemein, Mancher ſtellte ihn hoch über Niebuhr.
Als die Händel wegen der gemiſchten Ehen ſich verſchärften, wurde
er im Herbſt 1827 nach Berlin gerufen, um ſachkundigen Rath zu er-
theilen. Dort eroberte er im Sturme Aller Herzen, er bezauberte Eich-
horn, Bernſtorff, den Kronprinzen und vornehmlich den König ſelbſt. Kein
anderer Mann hatte jemals von dem alternden Fürſten ſo viel väterliche
Güte erfahren; die neidiſchen Hofleute meinten, es fehle nur noch, daß
der König den jungen Doctor an Sohnesſtatt annehme, ſonſt könne er
nichts mehr für ihn thun. Bis in die ländliche Abgeſchiedenheit des
Paretzer Schlößchens, das niemals ein Miniſter betrat, durfte Bunſen
ſeinem gnädigen Herrn folgen; wie ein alter Hausfreund war er zugegen,
wenn der König mit ſeiner Gemahlin Schach ſpielte. Für ſeine capi-
toliniſche Liturgie, die er eigenmächtig in der Geſandtſchaftsgemeinde ein-
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