ultramontanen Presse ließ errathen, daß ein schärferer Wind von Rom her wehte. Im "Katholiken" führte Görres das große Wort. Der wurde neuer- dings, seit er die Märtyrerkrone des Verbannten trug, von den Rheinländern höher geehrt als vormals in der Heimath, und verlor sich immer tiefer in die phantastischen Irrwege des clericalen Demagogenthums. Für das deutsche Elend war ihm kein Wort mehr zu schlecht: da ward die Wahrheit von der Lüge genothzüchtigt, und alles Leben erschien nur wie eine schwam- michte, unganze Nagelfluh! Den höchsten Grad menschlicher Freiheit fand er jetzt in den schweizerischen Urkantonen, weil dort katholische und repu- blikanische Freiheit sich vermähle. Die Krummstabsherrschaft, die er einst selber so köstlich verhöhnt, wußte er jetzt nicht genug zu preisen. Selbst die Hunde -- so versicherte er in einem Aufsatz "Rom wie es ist" -- zeigten in der erlesenen Stadt des obersten Reichspflegers Gottes mildere Sitten als anderswo; und nun gar die unschuldige Sittsamkeit der römischen Menschen spottete jeder Beschreibung, denn jeder Römer ging allsonntäglich zum Abendmahle, was doch ganz unmöglich war, wenn die frommen Seelen sich mit einer Todsünde belastet fühlten!
Die Mehrzahl der rheinischen Geistlichkeit fühlte sich glücklich unter Spiegel's friedfertigem Walten. Aber fast in jeder größeren Stadt be- stand eine geschlossene clericale Oppositionspartei, die dem Erzbischof unter der Hand entgegenarbeitete und namentlich sein Bonner Convict als eine Pflanzschule kirchenfeindlicher Gesinnung verleumdete. Da war in Düssel- dorf der Jesuit Wüst, der Beichtvater der sinnigen Dichterin Luise Hensel, der Geliebten Clemens Brentano's, die sich vor dem Altar feierlich mit ihrem Bräutigam Christus verlobte -- und so weiter überall kleine Kreise von Erweckten, überall offene oder geheime Gegner der ketzerischen Regie- rung. Der reizbare rheinische Particularismus ergriff begierig jeden Anlaß um den evangelischen Landesherrn der Bedrückung des Katholicismus zu bezichtigen. Die finanziellen Versprechungen der Uebereinkunft mit dem römischen Stuhle wurden so pünktlich erfüllt, daß Consalvi mehrmals für die Gewissenhaftigkeit und Großmuth des Königs seinen warmen Dank aussprach. Doch leider hatten Hardenberg und Niebuhr in Rom einen schweren Fehler begangen -- den einzigen großen Mißgriff ihrer Unter- handlung -- der nun den Ultramontanen willkommenen Anlaß zu argen Verdächtigungen gewährte. Die Circumscriptionsbulle enthielt die Zusage, daß die der Kirche bewilligten Staatszuschüsse als Grundzinsen auf die Staatsforsten eingetragen werden sollten, falls bis zum Jahre 1833 ein genügender Theil der Domänen von der Haftbarkeit für die Staatsschuld frei würde; sei dies nicht möglich, dann werde die Krone für die Kirche Landgüter ankaufen, deren Ertrag den Staatszuschüssen entspräche. Der Staatskanzler hatte diese leichtsinnige Zusage gegeben, obwohl die große Mehrheit der Staatsminister entschieden davon abrieth, und nur zu bald zeigte sich, daß die Abtragung der Staatsschuld bei weitem nicht so schnell
Wachſende ultramontane Bewegung.
ultramontanen Preſſe ließ errathen, daß ein ſchärferer Wind von Rom her wehte. Im „Katholiken“ führte Görres das große Wort. Der wurde neuer- dings, ſeit er die Märtyrerkrone des Verbannten trug, von den Rheinländern höher geehrt als vormals in der Heimath, und verlor ſich immer tiefer in die phantaſtiſchen Irrwege des clericalen Demagogenthums. Für das deutſche Elend war ihm kein Wort mehr zu ſchlecht: da ward die Wahrheit von der Lüge genothzüchtigt, und alles Leben erſchien nur wie eine ſchwam- michte, unganze Nagelfluh! Den höchſten Grad menſchlicher Freiheit fand er jetzt in den ſchweizeriſchen Urkantonen, weil dort katholiſche und repu- blikaniſche Freiheit ſich vermähle. Die Krummſtabsherrſchaft, die er einſt ſelber ſo köſtlich verhöhnt, wußte er jetzt nicht genug zu preiſen. Selbſt die Hunde — ſo verſicherte er in einem Aufſatz „Rom wie es iſt“ — zeigten in der erleſenen Stadt des oberſten Reichspflegers Gottes mildere Sitten als anderswo; und nun gar die unſchuldige Sittſamkeit der römiſchen Menſchen ſpottete jeder Beſchreibung, denn jeder Römer ging allſonntäglich zum Abendmahle, was doch ganz unmöglich war, wenn die frommen Seelen ſich mit einer Todſünde belaſtet fühlten!
Die Mehrzahl der rheiniſchen Geiſtlichkeit fühlte ſich glücklich unter Spiegel’s friedfertigem Walten. Aber faſt in jeder größeren Stadt be- ſtand eine geſchloſſene clericale Oppoſitionspartei, die dem Erzbiſchof unter der Hand entgegenarbeitete und namentlich ſein Bonner Convict als eine Pflanzſchule kirchenfeindlicher Geſinnung verleumdete. Da war in Düſſel- dorf der Jeſuit Wüſt, der Beichtvater der ſinnigen Dichterin Luiſe Henſel, der Geliebten Clemens Brentano’s, die ſich vor dem Altar feierlich mit ihrem Bräutigam Chriſtus verlobte — und ſo weiter überall kleine Kreiſe von Erweckten, überall offene oder geheime Gegner der ketzeriſchen Regie- rung. Der reizbare rheiniſche Particularismus ergriff begierig jeden Anlaß um den evangeliſchen Landesherrn der Bedrückung des Katholicismus zu bezichtigen. Die finanziellen Verſprechungen der Uebereinkunft mit dem römiſchen Stuhle wurden ſo pünktlich erfüllt, daß Conſalvi mehrmals für die Gewiſſenhaftigkeit und Großmuth des Königs ſeinen warmen Dank ausſprach. Doch leider hatten Hardenberg und Niebuhr in Rom einen ſchweren Fehler begangen — den einzigen großen Mißgriff ihrer Unter- handlung — der nun den Ultramontanen willkommenen Anlaß zu argen Verdächtigungen gewährte. Die Circumſcriptionsbulle enthielt die Zuſage, daß die der Kirche bewilligten Staatszuſchüſſe als Grundzinſen auf die Staatsforſten eingetragen werden ſollten, falls bis zum Jahre 1833 ein genügender Theil der Domänen von der Haftbarkeit für die Staatsſchuld frei würde; ſei dies nicht möglich, dann werde die Krone für die Kirche Landgüter ankaufen, deren Ertrag den Staatszuſchüſſen entſpräche. Der Staatskanzler hatte dieſe leichtſinnige Zuſage gegeben, obwohl die große Mehrheit der Staatsminiſter entſchieden davon abrieth, und nur zu bald zeigte ſich, daß die Abtragung der Staatsſchuld bei weitem nicht ſo ſchnell
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Wachſende ultramontane Bewegung.
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wehte. Im „Katholiken“ führte Görres das große Wort. Der wurde neuer-
dings, ſeit er die Märtyrerkrone des Verbannten trug, von den Rheinländern
höher geehrt als vormals in der Heimath, und verlor ſich immer tiefer
in die phantaſtiſchen Irrwege des clericalen Demagogenthums. Für das
deutſche Elend war ihm kein Wort mehr zu ſchlecht: da ward die Wahrheit
von der Lüge genothzüchtigt, und alles Leben erſchien nur wie eine ſchwam-
michte, unganze Nagelfluh! Den höchſten Grad menſchlicher Freiheit fand
er jetzt in den ſchweizeriſchen Urkantonen, weil dort katholiſche und repu-
blikaniſche Freiheit ſich vermähle. Die Krummſtabsherrſchaft, die er einſt
ſelber ſo köſtlich verhöhnt, wußte er jetzt nicht genug zu preiſen. Selbſt die
Hunde — ſo verſicherte er in einem Aufſatz „Rom wie es iſt“ — zeigten
in der erleſenen Stadt des oberſten Reichspflegers Gottes mildere Sitten
als anderswo; und nun gar die unſchuldige Sittſamkeit der römiſchen
Menſchen ſpottete jeder Beſchreibung, denn jeder Römer ging allſonntäglich
zum Abendmahle, was doch ganz unmöglich war, wenn die frommen
Seelen ſich mit einer Todſünde belaſtet fühlten!
Die Mehrzahl der rheiniſchen Geiſtlichkeit fühlte ſich glücklich unter
Spiegel’s friedfertigem Walten. Aber faſt in jeder größeren Stadt be-
ſtand eine geſchloſſene clericale Oppoſitionspartei, die dem Erzbiſchof unter
der Hand entgegenarbeitete und namentlich ſein Bonner Convict als eine
Pflanzſchule kirchenfeindlicher Geſinnung verleumdete. Da war in Düſſel-
dorf der Jeſuit Wüſt, der Beichtvater der ſinnigen Dichterin Luiſe Henſel,
der Geliebten Clemens Brentano’s, die ſich vor dem Altar feierlich mit
ihrem Bräutigam Chriſtus verlobte — und ſo weiter überall kleine Kreiſe
von Erweckten, überall offene oder geheime Gegner der ketzeriſchen Regie-
rung. Der reizbare rheiniſche Particularismus ergriff begierig jeden Anlaß
um den evangeliſchen Landesherrn der Bedrückung des Katholicismus zu
bezichtigen. Die finanziellen Verſprechungen der Uebereinkunft mit dem
römiſchen Stuhle wurden ſo pünktlich erfüllt, daß Conſalvi mehrmals für
die Gewiſſenhaftigkeit und Großmuth des Königs ſeinen warmen Dank
ausſprach. Doch leider hatten Hardenberg und Niebuhr in Rom einen
ſchweren Fehler begangen — den einzigen großen Mißgriff ihrer Unter-
handlung — der nun den Ultramontanen willkommenen Anlaß zu argen
Verdächtigungen gewährte. Die Circumſcriptionsbulle enthielt die Zuſage,
daß die der Kirche bewilligten Staatszuſchüſſe als Grundzinſen auf die
Staatsforſten eingetragen werden ſollten, falls bis zum Jahre 1833 ein
genügender Theil der Domänen von der Haftbarkeit für die Staatsſchuld
frei würde; ſei dies nicht möglich, dann werde die Krone für die Kirche
Landgüter ankaufen, deren Ertrag den Staatszuſchüſſen entſpräche. Der
Staatskanzler hatte dieſe leichtſinnige Zuſage gegeben, obwohl die große
Mehrheit der Staatsminiſter entſchieden davon abrieth, und nur zu bald
zeigte ſich, daß die Abtragung der Staatsſchuld bei weitem nicht ſo ſchnell
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/425>, abgerufen am 24.11.2024.
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