III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
kirche hingegen, die alle Gegensätze des deutschen Protestantismus in sich umschloß, konnte auf die Dauer ohne ein selbständiges Organ ihres Ge- sammtwillens nicht bestehen. Ihr Schicksal lag indeß noch immer in der Hand des Königs und seines Cultusministers, und je schärfer die kirch- lichen Parteien auf einander stießen, um so unerträglicher ward diese bureau- kratische Ordnung. --
Etwas friedlicher, dem äußeren Anschein nach, gestaltete sich in diesen Jahren die Lage der katholischen Kirche, zumal seit Graf Ferdinand August v. Spiegel (1825) den wiederhergestellten erzbischöflichen Stuhl in Köln bestiegen hatte, ein Prälat aus der aristokratischen alten Schule, der in- mitten der Wirren des napoleonischen Zeitalters immer mit jeder Re- gierung gut ausgekommen war. Als Domherr hatte er vor Jahren in Münster für die Unabhängigkeit seines Hochstifts gegen die preußischen Eroberer gestritten, aber sogleich nach der Einverleibung seinen Frieden mit Preußen geschlossen, um sich bald nachher ebenso gewandt unter das Scepter Napoleon's zu schmiegen, aus dessen Händen er sogar die bischöf- liche Würde entgegennahm. Im Jahre 1813 gewann sein Name unter den Patrioten einen bösen Klang, weil er in einem überschwänglichen Hirtenbriefe seine Gläubigen aufforderte, Gott zu danken für die ge- wonnene Schlacht von Dresden und also zu bekunden "die willkommensten Triebe, welche jeder Unterthan des großen Kaisers im Innersten seines Herzens empfindet." Alle diese Wandlungen wurden ihm vergeben, als er sich zur Zeit des Wiener Congresses abermals, und jetzt für immer, an Preußen anschloß. Selbst Stein, der die Verirrungen der napoleoni- schen Tage so schwer vergaß, widmete ihm aufrichtige Freundschaft, weil der weltkundige Prälat die neue Ordnung der Dinge ohne jeden Hinter- gedanken anerkannte und bald zu der Einsicht kam, nur Preußen könne "das allem Wissenschaftlichen und Geistlichen abholde Franzosenthum" vom Rheine hinwegfegen. Ein gelehrter Theolog, vielseitig gebildet, in seiner Haltung vornehm und gemessen, kannte Spiegel auch den Staatsdienst aus eigener Erfahrung, da er einst unter Fürstenberg's sorgsamem Regi- mente in der Verwaltung des Münsterlandes thätig gewesen war. Ob- wohl er die nationalkirchlichen Gedanken Wessenberg's, denen er früher angehangen, bald als unausführbar fallen ließ, so hielt er doch die Grund- anschauungen des alten Episcopalsystems fest: er wollte mächtige, hochan- gesehene Landesbischöfe, die in treuem Einvernehmen mit der Krone jedem willkürlichen Uebergriffe der römischen Curie entgegentreten, aber auch der weltlichen Gewalt nicht gestatten sollten, die Kirche lediglich als Staats- anstalt zu behandeln, und empfand es in seinem bischöflichen Selbstge- fühle sehr schmerzlich, daß die preußischen Prälaten auf den Provinzial- landtagen gar nicht, im Staatsrathe nur durch ihn selber vertreten waren. In seinem Palaste bei St. Gereon richtete er sich einen stattlichen geist- lichen Hofhalt ein mit einer reichen Bibliothek und wohlversorgtem Keller;
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
kirche hingegen, die alle Gegenſätze des deutſchen Proteſtantismus in ſich umſchloß, konnte auf die Dauer ohne ein ſelbſtändiges Organ ihres Ge- ſammtwillens nicht beſtehen. Ihr Schickſal lag indeß noch immer in der Hand des Königs und ſeines Cultusminiſters, und je ſchärfer die kirch- lichen Parteien auf einander ſtießen, um ſo unerträglicher ward dieſe bureau- kratiſche Ordnung. —
Etwas friedlicher, dem äußeren Anſchein nach, geſtaltete ſich in dieſen Jahren die Lage der katholiſchen Kirche, zumal ſeit Graf Ferdinand Auguſt v. Spiegel (1825) den wiederhergeſtellten erzbiſchöflichen Stuhl in Köln beſtiegen hatte, ein Prälat aus der ariſtokratiſchen alten Schule, der in- mitten der Wirren des napoleoniſchen Zeitalters immer mit jeder Re- gierung gut ausgekommen war. Als Domherr hatte er vor Jahren in Münſter für die Unabhängigkeit ſeines Hochſtifts gegen die preußiſchen Eroberer geſtritten, aber ſogleich nach der Einverleibung ſeinen Frieden mit Preußen geſchloſſen, um ſich bald nachher ebenſo gewandt unter das Scepter Napoleon’s zu ſchmiegen, aus deſſen Händen er ſogar die biſchöf- liche Würde entgegennahm. Im Jahre 1813 gewann ſein Name unter den Patrioten einen böſen Klang, weil er in einem überſchwänglichen Hirtenbriefe ſeine Gläubigen aufforderte, Gott zu danken für die ge- wonnene Schlacht von Dresden und alſo zu bekunden „die willkommenſten Triebe, welche jeder Unterthan des großen Kaiſers im Innerſten ſeines Herzens empfindet.“ Alle dieſe Wandlungen wurden ihm vergeben, als er ſich zur Zeit des Wiener Congreſſes abermals, und jetzt für immer, an Preußen anſchloß. Selbſt Stein, der die Verirrungen der napoleoni- ſchen Tage ſo ſchwer vergaß, widmete ihm aufrichtige Freundſchaft, weil der weltkundige Prälat die neue Ordnung der Dinge ohne jeden Hinter- gedanken anerkannte und bald zu der Einſicht kam, nur Preußen könne „das allem Wiſſenſchaftlichen und Geiſtlichen abholde Franzoſenthum“ vom Rheine hinwegfegen. Ein gelehrter Theolog, vielſeitig gebildet, in ſeiner Haltung vornehm und gemeſſen, kannte Spiegel auch den Staatsdienſt aus eigener Erfahrung, da er einſt unter Fürſtenberg’s ſorgſamem Regi- mente in der Verwaltung des Münſterlandes thätig geweſen war. Ob- wohl er die nationalkirchlichen Gedanken Weſſenberg’s, denen er früher angehangen, bald als unausführbar fallen ließ, ſo hielt er doch die Grund- anſchauungen des alten Epiſcopalſyſtems feſt: er wollte mächtige, hochan- geſehene Landesbiſchöfe, die in treuem Einvernehmen mit der Krone jedem willkürlichen Uebergriffe der römiſchen Curie entgegentreten, aber auch der weltlichen Gewalt nicht geſtatten ſollten, die Kirche lediglich als Staats- anſtalt zu behandeln, und empfand es in ſeinem biſchöflichen Selbſtge- fühle ſehr ſchmerzlich, daß die preußiſchen Prälaten auf den Provinzial- landtagen gar nicht, im Staatsrathe nur durch ihn ſelber vertreten waren. In ſeinem Palaſte bei St. Gereon richtete er ſich einen ſtattlichen geiſt- lichen Hofhalt ein mit einer reichen Bibliothek und wohlverſorgtem Keller;
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III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
kirche hingegen, die alle Gegenſätze des deutſchen Proteſtantismus in ſich
umſchloß, konnte auf die Dauer ohne ein ſelbſtändiges Organ ihres Ge-
ſammtwillens nicht beſtehen. Ihr Schickſal lag indeß noch immer in der
Hand des Königs und ſeines Cultusminiſters, und je ſchärfer die kirch-
lichen Parteien auf einander ſtießen, um ſo unerträglicher ward dieſe bureau-
kratiſche Ordnung. —
Etwas friedlicher, dem äußeren Anſchein nach, geſtaltete ſich in dieſen
Jahren die Lage der katholiſchen Kirche, zumal ſeit Graf Ferdinand Auguſt
v. Spiegel (1825) den wiederhergeſtellten erzbiſchöflichen Stuhl in Köln
beſtiegen hatte, ein Prälat aus der ariſtokratiſchen alten Schule, der in-
mitten der Wirren des napoleoniſchen Zeitalters immer mit jeder Re-
gierung gut ausgekommen war. Als Domherr hatte er vor Jahren in
Münſter für die Unabhängigkeit ſeines Hochſtifts gegen die preußiſchen
Eroberer geſtritten, aber ſogleich nach der Einverleibung ſeinen Frieden
mit Preußen geſchloſſen, um ſich bald nachher ebenſo gewandt unter das
Scepter Napoleon’s zu ſchmiegen, aus deſſen Händen er ſogar die biſchöf-
liche Würde entgegennahm. Im Jahre 1813 gewann ſein Name unter
den Patrioten einen böſen Klang, weil er in einem überſchwänglichen
Hirtenbriefe ſeine Gläubigen aufforderte, Gott zu danken für die ge-
wonnene Schlacht von Dresden und alſo zu bekunden „die willkommenſten
Triebe, welche jeder Unterthan des großen Kaiſers im Innerſten ſeines
Herzens empfindet.“ Alle dieſe Wandlungen wurden ihm vergeben, als
er ſich zur Zeit des Wiener Congreſſes abermals, und jetzt für immer,
an Preußen anſchloß. Selbſt Stein, der die Verirrungen der napoleoni-
ſchen Tage ſo ſchwer vergaß, widmete ihm aufrichtige Freundſchaft, weil
der weltkundige Prälat die neue Ordnung der Dinge ohne jeden Hinter-
gedanken anerkannte und bald zu der Einſicht kam, nur Preußen könne
„das allem Wiſſenſchaftlichen und Geiſtlichen abholde Franzoſenthum“ vom
Rheine hinwegfegen. Ein gelehrter Theolog, vielſeitig gebildet, in ſeiner
Haltung vornehm und gemeſſen, kannte Spiegel auch den Staatsdienſt
aus eigener Erfahrung, da er einſt unter Fürſtenberg’s ſorgſamem Regi-
mente in der Verwaltung des Münſterlandes thätig geweſen war. Ob-
wohl er die nationalkirchlichen Gedanken Weſſenberg’s, denen er früher
angehangen, bald als unausführbar fallen ließ, ſo hielt er doch die Grund-
anſchauungen des alten Epiſcopalſyſtems feſt: er wollte mächtige, hochan-
geſehene Landesbiſchöfe, die in treuem Einvernehmen mit der Krone jedem
willkürlichen Uebergriffe der römiſchen Curie entgegentreten, aber auch der
weltlichen Gewalt nicht geſtatten ſollten, die Kirche lediglich als Staats-
anſtalt zu behandeln, und empfand es in ſeinem biſchöflichen Selbſtge-
fühle ſehr ſchmerzlich, daß die preußiſchen Prälaten auf den Provinzial-
landtagen gar nicht, im Staatsrathe nur durch ihn ſelber vertreten waren.
In ſeinem Palaſte bei St. Gereon richtete er ſich einen ſtattlichen geiſt-
lichen Hofhalt ein mit einer reichen Bibliothek und wohlverſorgtem Keller;
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/422>, abgerufen am 24.11.2024.
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