III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
das unter ein besonderes Ephorat gestellt werden müsse, damit die deutsche Sprache nicht die Oberhand erlange; die Kenntniß des Griechischen dürfe man von polnischen Abiturienten nicht verlangen, da man ihnen schon zwei lebende Sprachen aufnöthige -- und was der Thorheit mehr war. Auf dem zweiten Landtage, im Januar 1830, war die Luft schon schwüler, man spürte den nahenden Sturm. Die Stände erinnerten den Mon- archen an die Verheißungen vom Jahre 1815, die er doch alle mit pein- licher Gewissenhaftigkeit gehalten hatte; sie erhoben eine Menge neuer, unbestimmter Anklagen und verlangten unter Anderem die Beseitigung eines der polnischen Sprache unkundigen Richters, der in der wesentlich deutschen Stadt Posen angestellt war -- worauf ihnen der König scharf erwiderte: er werde die Provinz Posen, unbeschadet der Rechte ihrer ver- schiedenen Volksstämme, "auch ferner nur als einen Bestandtheil seines Reichs betrachten" und untersage jede willkürliche Deutung seines könig- lichen Wortes, jeden Versuch politischer Absonderung.
Dergestalt wirkten die Provinzialstände fast überall nur hemmend, und wohl nur einmal in diesen Jahren ging ein neuer, ein productiver Gedanke von ihnen aus. Die mächtigen Interessen der jungen Groß- industrie forderten doch gebieterisch ihr Recht. Auf die Bitte der beiden Landtage des Westens gab der König seine legitimistischen Bedenken endlich auf und trat in diplomatischen Verkehr mit den neuen Republiken Süd- amerikas, damit dem rheinischen Gewerbfleiße der wichtige Markt nicht ganz verloren gehe; seinen Alexander Humboldt aber, den ihm die rhei- nischen Stände für den mexicanischen Gesandtschaftsposten empfahlen, meinte er in Berlin besser verwenden zu können. --
Der stille Kampf zwischen den hochconservativen Rathschlägen der Stände und den freieren Anschauungen der Krone ward um so lästiger, da er zuletzt die Eintracht der höchsten Behörden selber gefährdete. Im Ministerium überwog die bürgerliche Gesinnung des altpreußischen Be- amtenthums. Im Staatsrathe dagegen war durch die Neuberufungen der letzten Jahre nach und nach eine neue Mehrheit herangewachsen. Herzog Karl von Mecklenburg, Ancillon, Kamptz, die Generale Knesebeck, Müffling, Marwitz und die Mehrzahl der Landtagsmarschälle schlossen sich dem Kronprinzen an. Diese streng aristokratische Partei kam den Wün- schen der Landtage, insbesondere den Bitten der getreuen Kurmark, sehr freundlich entgegen, noch freundlicher sogar als die Immediatcommission, und da sie schon zuweilen den Ausschlag gab, so entstand allmählich eine Spannung zwischen den Ministern und dem Staatsrathe.*) Die Folge war, daß die Gutachten des Staatsrathes jetzt noch seltener denn bisher eingeholt wurden. Nach mannichfachen Streitigkeiten übergab Herzog Karl als Präsident dem Könige endlich eine förmliche Beschwerdeschrift
*) Müffling an Herzog Karl v. M., 29. Oct. 1827.
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
das unter ein beſonderes Ephorat geſtellt werden müſſe, damit die deutſche Sprache nicht die Oberhand erlange; die Kenntniß des Griechiſchen dürfe man von polniſchen Abiturienten nicht verlangen, da man ihnen ſchon zwei lebende Sprachen aufnöthige — und was der Thorheit mehr war. Auf dem zweiten Landtage, im Januar 1830, war die Luft ſchon ſchwüler, man ſpürte den nahenden Sturm. Die Stände erinnerten den Mon- archen an die Verheißungen vom Jahre 1815, die er doch alle mit pein- licher Gewiſſenhaftigkeit gehalten hatte; ſie erhoben eine Menge neuer, unbeſtimmter Anklagen und verlangten unter Anderem die Beſeitigung eines der polniſchen Sprache unkundigen Richters, der in der weſentlich deutſchen Stadt Poſen angeſtellt war — worauf ihnen der König ſcharf erwiderte: er werde die Provinz Poſen, unbeſchadet der Rechte ihrer ver- ſchiedenen Volksſtämme, „auch ferner nur als einen Beſtandtheil ſeines Reichs betrachten“ und unterſage jede willkürliche Deutung ſeines könig- lichen Wortes, jeden Verſuch politiſcher Abſonderung.
Dergeſtalt wirkten die Provinzialſtände faſt überall nur hemmend, und wohl nur einmal in dieſen Jahren ging ein neuer, ein productiver Gedanke von ihnen aus. Die mächtigen Intereſſen der jungen Groß- induſtrie forderten doch gebieteriſch ihr Recht. Auf die Bitte der beiden Landtage des Weſtens gab der König ſeine legitimiſtiſchen Bedenken endlich auf und trat in diplomatiſchen Verkehr mit den neuen Republiken Süd- amerikas, damit dem rheiniſchen Gewerbfleiße der wichtige Markt nicht ganz verloren gehe; ſeinen Alexander Humboldt aber, den ihm die rhei- niſchen Stände für den mexicaniſchen Geſandtſchaftspoſten empfahlen, meinte er in Berlin beſſer verwenden zu können. —
Der ſtille Kampf zwiſchen den hochconſervativen Rathſchlägen der Stände und den freieren Anſchauungen der Krone ward um ſo läſtiger, da er zuletzt die Eintracht der höchſten Behörden ſelber gefährdete. Im Miniſterium überwog die bürgerliche Geſinnung des altpreußiſchen Be- amtenthums. Im Staatsrathe dagegen war durch die Neuberufungen der letzten Jahre nach und nach eine neue Mehrheit herangewachſen. Herzog Karl von Mecklenburg, Ancillon, Kamptz, die Generale Kneſebeck, Müffling, Marwitz und die Mehrzahl der Landtagsmarſchälle ſchloſſen ſich dem Kronprinzen an. Dieſe ſtreng ariſtokratiſche Partei kam den Wün- ſchen der Landtage, insbeſondere den Bitten der getreuen Kurmark, ſehr freundlich entgegen, noch freundlicher ſogar als die Immediatcommiſſion, und da ſie ſchon zuweilen den Ausſchlag gab, ſo entſtand allmählich eine Spannung zwiſchen den Miniſtern und dem Staatsrathe.*) Die Folge war, daß die Gutachten des Staatsrathes jetzt noch ſeltener denn bisher eingeholt wurden. Nach mannichfachen Streitigkeiten übergab Herzog Karl als Präſident dem Könige endlich eine förmliche Beſchwerdeſchrift
*) Müffling an Herzog Karl v. M., 29. Oct. 1827.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0404"n="388"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.</fw><lb/>
das unter ein beſonderes Ephorat geſtellt werden müſſe, damit die deutſche<lb/>
Sprache nicht die Oberhand erlange; die Kenntniß des Griechiſchen dürfe<lb/>
man von polniſchen Abiturienten nicht verlangen, da man ihnen ſchon<lb/>
zwei lebende Sprachen aufnöthige — und was der Thorheit mehr war.<lb/>
Auf dem zweiten Landtage, im Januar 1830, war die Luft ſchon ſchwüler,<lb/>
man ſpürte den nahenden Sturm. Die Stände erinnerten den Mon-<lb/>
archen an die Verheißungen vom Jahre 1815, die er doch alle mit pein-<lb/>
licher Gewiſſenhaftigkeit gehalten hatte; ſie erhoben eine Menge neuer,<lb/>
unbeſtimmter Anklagen und verlangten unter Anderem die Beſeitigung<lb/>
eines der polniſchen Sprache unkundigen Richters, der in der weſentlich<lb/>
deutſchen Stadt Poſen angeſtellt war — worauf ihnen der König ſcharf<lb/>
erwiderte: er werde die Provinz Poſen, unbeſchadet der Rechte ihrer ver-<lb/>ſchiedenen Volksſtämme, „auch ferner nur als einen Beſtandtheil ſeines<lb/>
Reichs betrachten“ und unterſage jede willkürliche Deutung ſeines könig-<lb/>
lichen Wortes, jeden Verſuch politiſcher Abſonderung.</p><lb/><p>Dergeſtalt wirkten die Provinzialſtände faſt überall nur hemmend,<lb/>
und wohl nur einmal in dieſen Jahren ging ein neuer, ein productiver<lb/>
Gedanke von ihnen aus. Die mächtigen Intereſſen der jungen Groß-<lb/>
induſtrie forderten doch gebieteriſch ihr Recht. Auf die Bitte der beiden<lb/>
Landtage des Weſtens gab der König ſeine legitimiſtiſchen Bedenken endlich<lb/>
auf und trat in diplomatiſchen Verkehr mit den neuen Republiken Süd-<lb/>
amerikas, damit dem rheiniſchen Gewerbfleiße der wichtige Markt nicht<lb/>
ganz verloren gehe; ſeinen Alexander Humboldt aber, den ihm die rhei-<lb/>
niſchen Stände für den mexicaniſchen Geſandtſchaftspoſten empfahlen,<lb/>
meinte er in Berlin beſſer verwenden zu können. —</p><lb/><p>Der ſtille Kampf zwiſchen den hochconſervativen Rathſchlägen der<lb/>
Stände und den freieren Anſchauungen der Krone ward um ſo läſtiger,<lb/>
da er zuletzt die Eintracht der höchſten Behörden ſelber gefährdete. Im<lb/>
Miniſterium überwog die bürgerliche Geſinnung des altpreußiſchen Be-<lb/>
amtenthums. Im Staatsrathe dagegen war durch die Neuberufungen<lb/>
der letzten Jahre nach und nach eine neue Mehrheit herangewachſen.<lb/>
Herzog Karl von Mecklenburg, Ancillon, Kamptz, die Generale Kneſebeck,<lb/>
Müffling, Marwitz und die Mehrzahl der Landtagsmarſchälle ſchloſſen ſich<lb/>
dem Kronprinzen an. Dieſe ſtreng ariſtokratiſche Partei kam den Wün-<lb/>ſchen der Landtage, insbeſondere den Bitten der getreuen Kurmark, ſehr<lb/>
freundlich entgegen, noch freundlicher ſogar als die Immediatcommiſſion,<lb/>
und da ſie ſchon zuweilen den Ausſchlag gab, ſo entſtand allmählich eine<lb/>
Spannung zwiſchen den Miniſtern und dem Staatsrathe.<noteplace="foot"n="*)">Müffling an Herzog Karl v. M., 29. Oct. 1827.</note> Die Folge<lb/>
war, daß die Gutachten des Staatsrathes jetzt noch ſeltener denn bisher<lb/>
eingeholt wurden. Nach mannichfachen Streitigkeiten übergab Herzog<lb/>
Karl als Präſident dem Könige endlich eine förmliche Beſchwerdeſchrift<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[388/0404]
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
das unter ein beſonderes Ephorat geſtellt werden müſſe, damit die deutſche
Sprache nicht die Oberhand erlange; die Kenntniß des Griechiſchen dürfe
man von polniſchen Abiturienten nicht verlangen, da man ihnen ſchon
zwei lebende Sprachen aufnöthige — und was der Thorheit mehr war.
Auf dem zweiten Landtage, im Januar 1830, war die Luft ſchon ſchwüler,
man ſpürte den nahenden Sturm. Die Stände erinnerten den Mon-
archen an die Verheißungen vom Jahre 1815, die er doch alle mit pein-
licher Gewiſſenhaftigkeit gehalten hatte; ſie erhoben eine Menge neuer,
unbeſtimmter Anklagen und verlangten unter Anderem die Beſeitigung
eines der polniſchen Sprache unkundigen Richters, der in der weſentlich
deutſchen Stadt Poſen angeſtellt war — worauf ihnen der König ſcharf
erwiderte: er werde die Provinz Poſen, unbeſchadet der Rechte ihrer ver-
ſchiedenen Volksſtämme, „auch ferner nur als einen Beſtandtheil ſeines
Reichs betrachten“ und unterſage jede willkürliche Deutung ſeines könig-
lichen Wortes, jeden Verſuch politiſcher Abſonderung.
Dergeſtalt wirkten die Provinzialſtände faſt überall nur hemmend,
und wohl nur einmal in dieſen Jahren ging ein neuer, ein productiver
Gedanke von ihnen aus. Die mächtigen Intereſſen der jungen Groß-
induſtrie forderten doch gebieteriſch ihr Recht. Auf die Bitte der beiden
Landtage des Weſtens gab der König ſeine legitimiſtiſchen Bedenken endlich
auf und trat in diplomatiſchen Verkehr mit den neuen Republiken Süd-
amerikas, damit dem rheiniſchen Gewerbfleiße der wichtige Markt nicht
ganz verloren gehe; ſeinen Alexander Humboldt aber, den ihm die rhei-
niſchen Stände für den mexicaniſchen Geſandtſchaftspoſten empfahlen,
meinte er in Berlin beſſer verwenden zu können. —
Der ſtille Kampf zwiſchen den hochconſervativen Rathſchlägen der
Stände und den freieren Anſchauungen der Krone ward um ſo läſtiger,
da er zuletzt die Eintracht der höchſten Behörden ſelber gefährdete. Im
Miniſterium überwog die bürgerliche Geſinnung des altpreußiſchen Be-
amtenthums. Im Staatsrathe dagegen war durch die Neuberufungen
der letzten Jahre nach und nach eine neue Mehrheit herangewachſen.
Herzog Karl von Mecklenburg, Ancillon, Kamptz, die Generale Kneſebeck,
Müffling, Marwitz und die Mehrzahl der Landtagsmarſchälle ſchloſſen ſich
dem Kronprinzen an. Dieſe ſtreng ariſtokratiſche Partei kam den Wün-
ſchen der Landtage, insbeſondere den Bitten der getreuen Kurmark, ſehr
freundlich entgegen, noch freundlicher ſogar als die Immediatcommiſſion,
und da ſie ſchon zuweilen den Ausſchlag gab, ſo entſtand allmählich eine
Spannung zwiſchen den Miniſtern und dem Staatsrathe. *) Die Folge
war, daß die Gutachten des Staatsrathes jetzt noch ſeltener denn bisher
eingeholt wurden. Nach mannichfachen Streitigkeiten übergab Herzog
Karl als Präſident dem Könige endlich eine förmliche Beſchwerdeſchrift
*) Müffling an Herzog Karl v. M., 29. Oct. 1827.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/404>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.