vertagen, bis die altpreußische Gesetzgebung gründlich umgestaltet sei.*) Erst Kircheisen's Nachfolger, Graf Danckelmann, ein ausgezeichneter, ganz in altländischen Rechtsanschauungen aufgewachsener Jurist, entschloß sich dem königlichen Befehle sofort nachzukommen.
Dem ersten rheinischen Provinziallandtage wurde demnach angekündigt, daß der König schon im zweitnächsten Jahre, 1828, das Preußische Land- recht, mit Ausnahme einzelner Abschnitte, am Rhein einzuführen gedenke. Die Ritterschaft empfing die königliche Botschaft mit Freuden: Freiherr v. Mirbach weil er das fremde Recht als ein "schmähliches Zeichen der Unterjochung" verabscheute**), die meisten Andern weil sie ihre Stan- desrechte unter dem Schutze des preußischen Gesetzbuchs wohl geborgen wußten. Die Mehrheit der beiden unteren Stände aber hielt zusammen wie ein Mann. Hier zum ersten male zeigte der rheinische Juristenstand seine politische Macht. Drei gewandte Redner aus seiner Mitte, Mylius, Kamp, Haw übernahmen die Führung der Landtags-Opposition, während draußen im Lande die Schrift des Düsseldorfer Juristen Brewer "zur Rechtfertigung der Oeffentlichkeit der Gerichte" aufmerksame Leser fand. Der Provinzialstolz gerieth in Wallung. Sechzehn Städte sendeten Adressen theils an den König, theils an den Landtag, der die Eingaben, dem Ge- setze zum Trotz, unbedenklich annahm. So stark war die allgemeine Auf- regung, daß selbst die vorgeschriebene Heimlichkeit der Berathungen nicht gewahrt blieb; die stürmischen Debatten, die der wackere Landtagsmarschall Fürst von Wied oft kaum zu zügeln vermochte, fanden ihren Weg in die öffentlichen Blätter, auch die Abstimmungen der einzelnen Mitglieder wurden bekannt, und mancher Schwankende folgte der Mehrheit, nur weil er sich fürchtete als Prüß verrufen zu werden. Der Landtag bat den Monarchen schließlich, die preußische Gesetzgebung nicht vor Vollendung der Revision einzuführen und dem Rheinlande auf jeden Fall das Schwur- gericht, das öffentliche Verfahren und die Handelsgerichte zu erhalten. Die Particularisten verlangten auch noch ein rheinisches Indigenat und gesetzliche Bevorzugung der Eingeborenen bei der Besetzung der Aemter, doch war die Mehrheit klug genug, die Berathung über diesen rheinischen Herzenswunsch vorläufig auszusetzen.
Stein und sein aristokratischer Freund Erzbischof Spiegel wollten in Alledem nichts sehen als Franzosenthum und Zuchtlosigkeit. Der König urtheilte billiger. Er ließ zwar dem Landtage wegen der wiederholten Verletzungen der Geschäftsordnung sein Mißfallen aussprechen, indeß bei ruhigem Nachdenken fand er es doch begreiflich, daß die Provinz ihr rhei-
*) Kamptz, Denkschrift, die Einführung der preußischen Gesetzgebung in den Rhein- provinzen betr. 1825.
**) Frhr. v. Mirbach zu Harff, Separatvotum über das rheinische Recht, Düssel- dorf 27. Dec. 1826.
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 25
Neuer Kampf um das rheiniſche Recht.
vertagen, bis die altpreußiſche Geſetzgebung gründlich umgeſtaltet ſei.*) Erſt Kircheiſen’s Nachfolger, Graf Danckelmann, ein ausgezeichneter, ganz in altländiſchen Rechtsanſchauungen aufgewachſener Juriſt, entſchloß ſich dem königlichen Befehle ſofort nachzukommen.
Dem erſten rheiniſchen Provinziallandtage wurde demnach angekündigt, daß der König ſchon im zweitnächſten Jahre, 1828, das Preußiſche Land- recht, mit Ausnahme einzelner Abſchnitte, am Rhein einzuführen gedenke. Die Ritterſchaft empfing die königliche Botſchaft mit Freuden: Freiherr v. Mirbach weil er das fremde Recht als ein „ſchmähliches Zeichen der Unterjochung“ verabſcheute**), die meiſten Andern weil ſie ihre Stan- desrechte unter dem Schutze des preußiſchen Geſetzbuchs wohl geborgen wußten. Die Mehrheit der beiden unteren Stände aber hielt zuſammen wie ein Mann. Hier zum erſten male zeigte der rheiniſche Juriſtenſtand ſeine politiſche Macht. Drei gewandte Redner aus ſeiner Mitte, Mylius, Kamp, Haw übernahmen die Führung der Landtags-Oppoſition, während draußen im Lande die Schrift des Düſſeldorfer Juriſten Brewer „zur Rechtfertigung der Oeffentlichkeit der Gerichte“ aufmerkſame Leſer fand. Der Provinzialſtolz gerieth in Wallung. Sechzehn Städte ſendeten Adreſſen theils an den König, theils an den Landtag, der die Eingaben, dem Ge- ſetze zum Trotz, unbedenklich annahm. So ſtark war die allgemeine Auf- regung, daß ſelbſt die vorgeſchriebene Heimlichkeit der Berathungen nicht gewahrt blieb; die ſtürmiſchen Debatten, die der wackere Landtagsmarſchall Fürſt von Wied oft kaum zu zügeln vermochte, fanden ihren Weg in die öffentlichen Blätter, auch die Abſtimmungen der einzelnen Mitglieder wurden bekannt, und mancher Schwankende folgte der Mehrheit, nur weil er ſich fürchtete als Prüß verrufen zu werden. Der Landtag bat den Monarchen ſchließlich, die preußiſche Geſetzgebung nicht vor Vollendung der Reviſion einzuführen und dem Rheinlande auf jeden Fall das Schwur- gericht, das öffentliche Verfahren und die Handelsgerichte zu erhalten. Die Particulariſten verlangten auch noch ein rheiniſches Indigenat und geſetzliche Bevorzugung der Eingeborenen bei der Beſetzung der Aemter, doch war die Mehrheit klug genug, die Berathung über dieſen rheiniſchen Herzenswunſch vorläufig auszuſetzen.
Stein und ſein ariſtokratiſcher Freund Erzbiſchof Spiegel wollten in Alledem nichts ſehen als Franzoſenthum und Zuchtloſigkeit. Der König urtheilte billiger. Er ließ zwar dem Landtage wegen der wiederholten Verletzungen der Geſchäftsordnung ſein Mißfallen ausſprechen, indeß bei ruhigem Nachdenken fand er es doch begreiflich, daß die Provinz ihr rhei-
*) Kamptz, Denkſchrift, die Einführung der preußiſchen Geſetzgebung in den Rhein- provinzen betr. 1825.
**) Frhr. v. Mirbach zu Harff, Separatvotum über das rheiniſche Recht, Düſſel- dorf 27. Dec. 1826.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 25
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Neuer Kampf um das rheiniſche Recht.
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Erſt Kircheiſen’s Nachfolger, Graf Danckelmann, ein ausgezeichneter, ganz
in altländiſchen Rechtsanſchauungen aufgewachſener Juriſt, entſchloß ſich
dem königlichen Befehle ſofort nachzukommen.
Dem erſten rheiniſchen Provinziallandtage wurde demnach angekündigt,
daß der König ſchon im zweitnächſten Jahre, 1828, das Preußiſche Land-
recht, mit Ausnahme einzelner Abſchnitte, am Rhein einzuführen gedenke.
Die Ritterſchaft empfing die königliche Botſchaft mit Freuden: Freiherr
v. Mirbach weil er das fremde Recht als ein „ſchmähliches Zeichen der
Unterjochung“ verabſcheute **), die meiſten Andern weil ſie ihre Stan-
desrechte unter dem Schutze des preußiſchen Geſetzbuchs wohl geborgen
wußten. Die Mehrheit der beiden unteren Stände aber hielt zuſammen
wie ein Mann. Hier zum erſten male zeigte der rheiniſche Juriſtenſtand
ſeine politiſche Macht. Drei gewandte Redner aus ſeiner Mitte, Mylius,
Kamp, Haw übernahmen die Führung der Landtags-Oppoſition, während
draußen im Lande die Schrift des Düſſeldorfer Juriſten Brewer „zur
Rechtfertigung der Oeffentlichkeit der Gerichte“ aufmerkſame Leſer fand.
Der Provinzialſtolz gerieth in Wallung. Sechzehn Städte ſendeten Adreſſen
theils an den König, theils an den Landtag, der die Eingaben, dem Ge-
ſetze zum Trotz, unbedenklich annahm. So ſtark war die allgemeine Auf-
regung, daß ſelbſt die vorgeſchriebene Heimlichkeit der Berathungen nicht
gewahrt blieb; die ſtürmiſchen Debatten, die der wackere Landtagsmarſchall
Fürſt von Wied oft kaum zu zügeln vermochte, fanden ihren Weg in die
öffentlichen Blätter, auch die Abſtimmungen der einzelnen Mitglieder
wurden bekannt, und mancher Schwankende folgte der Mehrheit, nur weil
er ſich fürchtete als Prüß verrufen zu werden. Der Landtag bat den
Monarchen ſchließlich, die preußiſche Geſetzgebung nicht vor Vollendung
der Reviſion einzuführen und dem Rheinlande auf jeden Fall das Schwur-
gericht, das öffentliche Verfahren und die Handelsgerichte zu erhalten.
Die Particulariſten verlangten auch noch ein rheiniſches Indigenat und
geſetzliche Bevorzugung der Eingeborenen bei der Beſetzung der Aemter,
doch war die Mehrheit klug genug, die Berathung über dieſen rheiniſchen
Herzenswunſch vorläufig auszuſetzen.
Stein und ſein ariſtokratiſcher Freund Erzbiſchof Spiegel wollten in
Alledem nichts ſehen als Franzoſenthum und Zuchtloſigkeit. Der König
urtheilte billiger. Er ließ zwar dem Landtage wegen der wiederholten
Verletzungen der Geſchäftsordnung ſein Mißfallen ausſprechen, indeß bei
ruhigem Nachdenken fand er es doch begreiflich, daß die Provinz ihr rhei-
*) Kamptz, Denkſchrift, die Einführung der preußiſchen Geſetzgebung in den Rhein-
provinzen betr. 1825.
**) Frhr. v. Mirbach zu Harff, Separatvotum über das rheiniſche Recht, Düſſel-
dorf 27. Dec. 1826.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 25
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/401>, abgerufen am 24.11.2024.
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