digem Eifer; die germanischen Freiheitsgedanken, denen Stein's Städte- ordnung entsprungen war, wurzelten doch sehr tief in diesem Boden. Und wie überraschend schnell hatte dieser Staat sein Volk für seinen Dienst er- zogen! Gegen die allgemeine Wehrpflicht, die noch vor zehn Jahren so leidenschaftlichen Unwillen erregt, erhob sich jetzt auf sämmtlichen Land- tagen keine einzige Stimme mehr; ja die Stände von Brandenburg und Posen baten den König sogar, er möge die Juden, zu ihrer Besserung, womöglich alle durch die Schule des Heeres gehen lassen.
Nur in Posen wurde die Eintracht durch nationale Feindschaft ge- stört, und am Rhein führte der Gegensatz der alten und der neuen Ge- sellschaft, der auch in den anderen Provinzen, doch minder gehässig, her- vortrat, schon zu bedenklichen Kämpfen. Die am grünen Tisch erklügelte ständische Gliederung erschien nirgends so ungerecht, wie in den ganz bür- gerlichen, modernen Lebensverhältnissen des Rheinlandes. Man berechnete, daß der Stand der Ritterschaft nur etwa vier Procent des Bodens der Provinz besaß; mehrere der größten Grundbesitzer sahen sich von den Wahlen ausgeschlossen oder sie mußten im Stande der Städte stimmen, wenn sie, wie es hier häufig vorkam, in der Stadt wohnten und ihre im Lande zerstreuten Güter verpachtet hatten. Der Kastengeist des rheini- schen Adels verstärkte noch die Unzufriedenheit. Diese Domherrengeschlechter trugen jetzt, da die Krone ihren Standeswünschen so weit entgegenkam, wieder eine dynastische Gesinnung zur Schau, welche freilich sofort ver- schwand, als der Staat nachher mit der Kirche in Streit gerieth; sie sprachen herausfordernd von ihrem Berufe, den Thron gegen die Revolution zu beschützen, und verschworen sich untereinander, nur stiftsfähige Edelleute in den Landtag zu wählen. Begreiflich also, daß manche bürgerliche Guts- besitzer versuchten, dem Gesetze zuwider, in die Ritterschaft einzudringen. Gewandte Juristen, wie der vielgeschäftige Generaladvocat v. Sandt, liehen ihnen ihre Federn, und schon während der Wahlen entbrannte wegen der Vorrechte des Adels ein heftiger Streit, der dann im Landtage von Neuem aufflammte. --
Alles in Allem war der Geist der preußischen Provinziallandtage grundverschieden von der Gesinnung der süddeutschen Kammern. Der Gegensatz von Nord und Süd erschien sogar noch schroffer als er war, weil das süddeutsche Zweikammersystem dem Einfluß des Adels ungleich engere Schranken setzte als die ständische Gliederung der preußischen Stände. Auch im Süden besaß die Aristokratie, dem Rechte nach, die volle Hälfte der Macht des Landtags; aber sie tagte für sich in ihren Adelskammern und durfte den Beschlüssen des anderen Hauses, die mit der ganzen Wucht des Volkswillens auftraten, doch nur in seltenen Fällen zu widerstehen wagen. In Preußen hingegen konnte der Adel durch Stimmenzahl und Einfluß die Landtage unmittelbar beherrschen. Einen großen Vorzug hatte das preußische Ständewesen vor den Landtagen Süddeutschlands voraus:
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 24
Conſervative Geſinnung der Stände.
digem Eifer; die germaniſchen Freiheitsgedanken, denen Stein’s Städte- ordnung entſprungen war, wurzelten doch ſehr tief in dieſem Boden. Und wie überraſchend ſchnell hatte dieſer Staat ſein Volk für ſeinen Dienſt er- zogen! Gegen die allgemeine Wehrpflicht, die noch vor zehn Jahren ſo leidenſchaftlichen Unwillen erregt, erhob ſich jetzt auf ſämmtlichen Land- tagen keine einzige Stimme mehr; ja die Stände von Brandenburg und Poſen baten den König ſogar, er möge die Juden, zu ihrer Beſſerung, womöglich alle durch die Schule des Heeres gehen laſſen.
Nur in Poſen wurde die Eintracht durch nationale Feindſchaft ge- ſtört, und am Rhein führte der Gegenſatz der alten und der neuen Ge- ſellſchaft, der auch in den anderen Provinzen, doch minder gehäſſig, her- vortrat, ſchon zu bedenklichen Kämpfen. Die am grünen Tiſch erklügelte ſtändiſche Gliederung erſchien nirgends ſo ungerecht, wie in den ganz bür- gerlichen, modernen Lebensverhältniſſen des Rheinlandes. Man berechnete, daß der Stand der Ritterſchaft nur etwa vier Procent des Bodens der Provinz beſaß; mehrere der größten Grundbeſitzer ſahen ſich von den Wahlen ausgeſchloſſen oder ſie mußten im Stande der Städte ſtimmen, wenn ſie, wie es hier häufig vorkam, in der Stadt wohnten und ihre im Lande zerſtreuten Güter verpachtet hatten. Der Kaſtengeiſt des rheini- ſchen Adels verſtärkte noch die Unzufriedenheit. Dieſe Domherrengeſchlechter trugen jetzt, da die Krone ihren Standeswünſchen ſo weit entgegenkam, wieder eine dynaſtiſche Geſinnung zur Schau, welche freilich ſofort ver- ſchwand, als der Staat nachher mit der Kirche in Streit gerieth; ſie ſprachen herausfordernd von ihrem Berufe, den Thron gegen die Revolution zu beſchützen, und verſchworen ſich untereinander, nur ſtiftsfähige Edelleute in den Landtag zu wählen. Begreiflich alſo, daß manche bürgerliche Guts- beſitzer verſuchten, dem Geſetze zuwider, in die Ritterſchaft einzudringen. Gewandte Juriſten, wie der vielgeſchäftige Generaladvocat v. Sandt, liehen ihnen ihre Federn, und ſchon während der Wahlen entbrannte wegen der Vorrechte des Adels ein heftiger Streit, der dann im Landtage von Neuem aufflammte. —
Alles in Allem war der Geiſt der preußiſchen Provinziallandtage grundverſchieden von der Geſinnung der ſüddeutſchen Kammern. Der Gegenſatz von Nord und Süd erſchien ſogar noch ſchroffer als er war, weil das ſüddeutſche Zweikammerſyſtem dem Einfluß des Adels ungleich engere Schranken ſetzte als die ſtändiſche Gliederung der preußiſchen Stände. Auch im Süden beſaß die Ariſtokratie, dem Rechte nach, die volle Hälfte der Macht des Landtags; aber ſie tagte für ſich in ihren Adelskammern und durfte den Beſchlüſſen des anderen Hauſes, die mit der ganzen Wucht des Volkswillens auftraten, doch nur in ſeltenen Fällen zu widerſtehen wagen. In Preußen hingegen konnte der Adel durch Stimmenzahl und Einfluß die Landtage unmittelbar beherrſchen. Einen großen Vorzug hatte das preußiſche Ständeweſen vor den Landtagen Süddeutſchlands voraus:
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 24
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Conſervative Geſinnung der Stände.
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ordnung entſprungen war, wurzelten doch ſehr tief in dieſem Boden. Und
wie überraſchend ſchnell hatte dieſer Staat ſein Volk für ſeinen Dienſt er-
zogen! Gegen die allgemeine Wehrpflicht, die noch vor zehn Jahren ſo
leidenſchaftlichen Unwillen erregt, erhob ſich jetzt auf ſämmtlichen Land-
tagen keine einzige Stimme mehr; ja die Stände von Brandenburg und
Poſen baten den König ſogar, er möge die Juden, zu ihrer Beſſerung,
womöglich alle durch die Schule des Heeres gehen laſſen.
Nur in Poſen wurde die Eintracht durch nationale Feindſchaft ge-
ſtört, und am Rhein führte der Gegenſatz der alten und der neuen Ge-
ſellſchaft, der auch in den anderen Provinzen, doch minder gehäſſig, her-
vortrat, ſchon zu bedenklichen Kämpfen. Die am grünen Tiſch erklügelte
ſtändiſche Gliederung erſchien nirgends ſo ungerecht, wie in den ganz bür-
gerlichen, modernen Lebensverhältniſſen des Rheinlandes. Man berechnete,
daß der Stand der Ritterſchaft nur etwa vier Procent des Bodens der
Provinz beſaß; mehrere der größten Grundbeſitzer ſahen ſich von den
Wahlen ausgeſchloſſen oder ſie mußten im Stande der Städte ſtimmen,
wenn ſie, wie es hier häufig vorkam, in der Stadt wohnten und ihre im
Lande zerſtreuten Güter verpachtet hatten. Der Kaſtengeiſt des rheini-
ſchen Adels verſtärkte noch die Unzufriedenheit. Dieſe Domherrengeſchlechter
trugen jetzt, da die Krone ihren Standeswünſchen ſo weit entgegenkam,
wieder eine dynaſtiſche Geſinnung zur Schau, welche freilich ſofort ver-
ſchwand, als der Staat nachher mit der Kirche in Streit gerieth; ſie ſprachen
herausfordernd von ihrem Berufe, den Thron gegen die Revolution zu
beſchützen, und verſchworen ſich untereinander, nur ſtiftsfähige Edelleute
in den Landtag zu wählen. Begreiflich alſo, daß manche bürgerliche Guts-
beſitzer verſuchten, dem Geſetze zuwider, in die Ritterſchaft einzudringen.
Gewandte Juriſten, wie der vielgeſchäftige Generaladvocat v. Sandt, liehen
ihnen ihre Federn, und ſchon während der Wahlen entbrannte wegen
der Vorrechte des Adels ein heftiger Streit, der dann im Landtage von
Neuem aufflammte. —
Alles in Allem war der Geiſt der preußiſchen Provinziallandtage
grundverſchieden von der Geſinnung der ſüddeutſchen Kammern. Der
Gegenſatz von Nord und Süd erſchien ſogar noch ſchroffer als er war,
weil das ſüddeutſche Zweikammerſyſtem dem Einfluß des Adels ungleich
engere Schranken ſetzte als die ſtändiſche Gliederung der preußiſchen Stände.
Auch im Süden beſaß die Ariſtokratie, dem Rechte nach, die volle Hälfte
der Macht des Landtags; aber ſie tagte für ſich in ihren Adelskammern
und durfte den Beſchlüſſen des anderen Hauſes, die mit der ganzen Wucht
des Volkswillens auftraten, doch nur in ſeltenen Fällen zu widerſtehen
wagen. In Preußen hingegen konnte der Adel durch Stimmenzahl und
Einfluß die Landtage unmittelbar beherrſchen. Einen großen Vorzug hatte
das preußiſche Ständeweſen vor den Landtagen Süddeutſchlands voraus:
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 24
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/385>, abgerufen am 24.11.2024.
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