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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Königliche Selbstregierung.
Staat, der die beste Verwaltung Europas besaß und die Einheit des deut-
schen Marktes begründete, betrieb zugleich das verächtliche Handwerk der
Demagogenverfolgung. Und doch bewahrte diese persönliche Regierung mit
allen ihren augenfälligen Schwächen den preußischen Staat vor einer ge-
fährlichen Reaction, die unter einem Ministerium Voß-Buch schwerlich
ausgeblieben wäre. Jetzt zeigte sich erst, wie weit die Gesetzgebung der
jüngsten Jahre der politischen Bildung des Volks vorausgeeilt war; ein
starker Rückschlag begann, sehr ähnlich jener Bewegung, welche das Deutsche
Reich um das Jahr 1878 erschütterte. Nicht blos der feudale Adel, auch
weite Kreise des Bürger- und Bauernstandes fühlten sich verletzt in ihren
Interessen, Gewohnheiten, Vorurtheilen und klagten laut über die Frei-
zügigkeit, die Agrargesetze, die Gewerbefreiheit. Friedrich Wilhelm aber
ward an den Grundgedanken seiner socialen Reformen nicht irr, und ob-
wohl er rasch alternd sich nur noch sehr schwer zu Neuerungen entschloß,
so verstand er doch nach seiner stillen Weise, als König über den Parteien
zu stehen. Um die Heißsporne der Reaction zu "calmiren", gewährte er
ihnen wohl einzelne Zugeständnisse, zumal in Personenfragen, doch über
den Kopf durften sie ihm nicht wachsen, und ihr letztes Ziel, die Auf-
hebung der Hardenbergischen Gesetze, erreichten sie niemals.

Einmal, im Sommer 1825, wähnten die unbedingten Anhänger
Oesterreichs schon einen entscheidenden Sieg errungen zu haben, als ihr
Führer Herzog Karl von Mecklenburg mit dem Vorsitze im Staatsrath
betraut wurde, einem Amte, das bisher nur Staatsminister bekleidet hatten.
Im Schlosse Monbijou, das der Herzog bewohnte, führten Kamptz und Ge-
neral Müffling das große Wort; die Haller'sche Heilslehre wurde dort noch
weit nachdrücklicher gepredigt als in dem Palaste auf der Wilhelmsstraße,
wo der Kronprinz seine romantischen Freunde um sich versammelte. Der
König indeß, der von der staatsmännischen Begabung seines tapferen Schwa-
gers offenbar nicht hoch dachte, hielt ihn sehr kurz; er erlaubte ihm nur, an
den Sitzungen des Staatsministeriums schweigend theilzunehmen, damit
er sich unterrichten und nöthigenfalls die Ueberweisung eines Gesetzent-
wurfes an den Staatsrath beantragen könne. Sitz und Stimme im
Ministerrathe wollte er ihm schlechterdings nicht gewähren, obgleich der
Herzog flehentlich darum bat und sein Begehren durch wiederholte Ab-
schiedsgesuche durchzusetzen versuchte. Also beschränkt blieb das Amt des
Prinzen nicht viel mehr als ein Ehrenposten.*)

Diese Politik der Vermittlung, die alle Parteien still unter der Glocke
hielt und in der Gesetzgebung nur Schritt für Schritt behutsam vorging,
ergab sich nicht blos aus dem Charakter Friedrich Wilhelm's, sondern auch

*) Herzog Karl an den König, 26. Aug. 1825, 9. Juni 1826, 29. Juli 1827; an
Altenstein 19. Mai 1826, an Lottum 30. Juli, 30. Okt. 1827; Cabinetsordres an Herzog
Karl 31. Aug. 1825, 28. Juni 1826; an das Staatsministerium 9. Dec. 1827.

Königliche Selbſtregierung.
Staat, der die beſte Verwaltung Europas beſaß und die Einheit des deut-
ſchen Marktes begründete, betrieb zugleich das verächtliche Handwerk der
Demagogenverfolgung. Und doch bewahrte dieſe perſönliche Regierung mit
allen ihren augenfälligen Schwächen den preußiſchen Staat vor einer ge-
fährlichen Reaction, die unter einem Miniſterium Voß-Buch ſchwerlich
ausgeblieben wäre. Jetzt zeigte ſich erſt, wie weit die Geſetzgebung der
jüngſten Jahre der politiſchen Bildung des Volks vorausgeeilt war; ein
ſtarker Rückſchlag begann, ſehr ähnlich jener Bewegung, welche das Deutſche
Reich um das Jahr 1878 erſchütterte. Nicht blos der feudale Adel, auch
weite Kreiſe des Bürger- und Bauernſtandes fühlten ſich verletzt in ihren
Intereſſen, Gewohnheiten, Vorurtheilen und klagten laut über die Frei-
zügigkeit, die Agrargeſetze, die Gewerbefreiheit. Friedrich Wilhelm aber
ward an den Grundgedanken ſeiner ſocialen Reformen nicht irr, und ob-
wohl er raſch alternd ſich nur noch ſehr ſchwer zu Neuerungen entſchloß,
ſo verſtand er doch nach ſeiner ſtillen Weiſe, als König über den Parteien
zu ſtehen. Um die Heißſporne der Reaction zu „calmiren“, gewährte er
ihnen wohl einzelne Zugeſtändniſſe, zumal in Perſonenfragen, doch über
den Kopf durften ſie ihm nicht wachſen, und ihr letztes Ziel, die Auf-
hebung der Hardenbergiſchen Geſetze, erreichten ſie niemals.

Einmal, im Sommer 1825, wähnten die unbedingten Anhänger
Oeſterreichs ſchon einen entſcheidenden Sieg errungen zu haben, als ihr
Führer Herzog Karl von Mecklenburg mit dem Vorſitze im Staatsrath
betraut wurde, einem Amte, das bisher nur Staatsminiſter bekleidet hatten.
Im Schloſſe Monbijou, das der Herzog bewohnte, führten Kamptz und Ge-
neral Müffling das große Wort; die Haller’ſche Heilslehre wurde dort noch
weit nachdrücklicher gepredigt als in dem Palaſte auf der Wilhelmsſtraße,
wo der Kronprinz ſeine romantiſchen Freunde um ſich verſammelte. Der
König indeß, der von der ſtaatsmänniſchen Begabung ſeines tapferen Schwa-
gers offenbar nicht hoch dachte, hielt ihn ſehr kurz; er erlaubte ihm nur, an
den Sitzungen des Staatsminiſteriums ſchweigend theilzunehmen, damit
er ſich unterrichten und nöthigenfalls die Ueberweiſung eines Geſetzent-
wurfes an den Staatsrath beantragen könne. Sitz und Stimme im
Miniſterrathe wollte er ihm ſchlechterdings nicht gewähren, obgleich der
Herzog flehentlich darum bat und ſein Begehren durch wiederholte Ab-
ſchiedsgeſuche durchzuſetzen verſuchte. Alſo beſchränkt blieb das Amt des
Prinzen nicht viel mehr als ein Ehrenpoſten.*)

Dieſe Politik der Vermittlung, die alle Parteien ſtill unter der Glocke
hielt und in der Geſetzgebung nur Schritt für Schritt behutſam vorging,
ergab ſich nicht blos aus dem Charakter Friedrich Wilhelm’s, ſondern auch

*) Herzog Karl an den König, 26. Aug. 1825, 9. Juni 1826, 29. Juli 1827; an
Altenſtein 19. Mai 1826, an Lottum 30. Juli, 30. Okt. 1827; Cabinetsordres an Herzog
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[363/0379] Königliche Selbſtregierung. Staat, der die beſte Verwaltung Europas beſaß und die Einheit des deut- ſchen Marktes begründete, betrieb zugleich das verächtliche Handwerk der Demagogenverfolgung. Und doch bewahrte dieſe perſönliche Regierung mit allen ihren augenfälligen Schwächen den preußiſchen Staat vor einer ge- fährlichen Reaction, die unter einem Miniſterium Voß-Buch ſchwerlich ausgeblieben wäre. Jetzt zeigte ſich erſt, wie weit die Geſetzgebung der jüngſten Jahre der politiſchen Bildung des Volks vorausgeeilt war; ein ſtarker Rückſchlag begann, ſehr ähnlich jener Bewegung, welche das Deutſche Reich um das Jahr 1878 erſchütterte. Nicht blos der feudale Adel, auch weite Kreiſe des Bürger- und Bauernſtandes fühlten ſich verletzt in ihren Intereſſen, Gewohnheiten, Vorurtheilen und klagten laut über die Frei- zügigkeit, die Agrargeſetze, die Gewerbefreiheit. Friedrich Wilhelm aber ward an den Grundgedanken ſeiner ſocialen Reformen nicht irr, und ob- wohl er raſch alternd ſich nur noch ſehr ſchwer zu Neuerungen entſchloß, ſo verſtand er doch nach ſeiner ſtillen Weiſe, als König über den Parteien zu ſtehen. Um die Heißſporne der Reaction zu „calmiren“, gewährte er ihnen wohl einzelne Zugeſtändniſſe, zumal in Perſonenfragen, doch über den Kopf durften ſie ihm nicht wachſen, und ihr letztes Ziel, die Auf- hebung der Hardenbergiſchen Geſetze, erreichten ſie niemals. Einmal, im Sommer 1825, wähnten die unbedingten Anhänger Oeſterreichs ſchon einen entſcheidenden Sieg errungen zu haben, als ihr Führer Herzog Karl von Mecklenburg mit dem Vorſitze im Staatsrath betraut wurde, einem Amte, das bisher nur Staatsminiſter bekleidet hatten. Im Schloſſe Monbijou, das der Herzog bewohnte, führten Kamptz und Ge- neral Müffling das große Wort; die Haller’ſche Heilslehre wurde dort noch weit nachdrücklicher gepredigt als in dem Palaſte auf der Wilhelmsſtraße, wo der Kronprinz ſeine romantiſchen Freunde um ſich verſammelte. Der König indeß, der von der ſtaatsmänniſchen Begabung ſeines tapferen Schwa- gers offenbar nicht hoch dachte, hielt ihn ſehr kurz; er erlaubte ihm nur, an den Sitzungen des Staatsminiſteriums ſchweigend theilzunehmen, damit er ſich unterrichten und nöthigenfalls die Ueberweiſung eines Geſetzent- wurfes an den Staatsrath beantragen könne. Sitz und Stimme im Miniſterrathe wollte er ihm ſchlechterdings nicht gewähren, obgleich der Herzog flehentlich darum bat und ſein Begehren durch wiederholte Ab- ſchiedsgeſuche durchzuſetzen verſuchte. Alſo beſchränkt blieb das Amt des Prinzen nicht viel mehr als ein Ehrenpoſten. *) Dieſe Politik der Vermittlung, die alle Parteien ſtill unter der Glocke hielt und in der Geſetzgebung nur Schritt für Schritt behutſam vorging, ergab ſich nicht blos aus dem Charakter Friedrich Wilhelm’s, ſondern auch *) Herzog Karl an den König, 26. Aug. 1825, 9. Juni 1826, 29. Juli 1827; an Altenſtein 19. Mai 1826, an Lottum 30. Juli, 30. Okt. 1827; Cabinetsordres an Herzog Karl 31. Aug. 1825, 28. Juni 1826; an das Staatsminiſterium 9. Dec. 1827.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/379>, abgerufen am 24.11.2024.