Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite
Sechster Abschnitt.

Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.

Nach dem Abscheiden des Staatskanzlers glaubte die altständische
Partei auf lange hinaus der Herrschaft sicher zu sein, da sein Stellver-
treter, Minister v. Voß-Buch, wie zu erwarten stand, mit der Leitung der
Geschäfte betraut wurde. Aber der greise Führer der Feudalen folgte
seinem Gegner schon nach wenigen Wochen ins Grab (Jan. 1823), und
nunmehr bot Witzleben seine ganze Beredsamkeit auf, um den König zur
Berufung W. Humboldt's zu bewegen. Auch der Kronprinz wünschte die
Rückkehr des Entlassenen, damit wieder Geist und Leben in den Minister-
rath käme; in den Berliner Gelehrtenkreisen war nur eine Stimme für
ihn, und selbst ein Theil der Altständischen hätte den Gegner Harden-
berg's willkommen geheißen.

Humboldt selbst stand diesen Plänen fern; er hatte längst in seinem
einsamen Tegel den Denkerfrieden gefunden, der ihm theurer war als
alle Ehren und Kämpfe des handelnden Lebens. Das stille Glück seiner
römischen Tage überkam ihn wieder, wenn er in dem einfach edlen Schlosse,
das ihm Schinkel erbaut, zwischen den Antiken und Abgüssen, "unter
lauter schönen Gestalten" umherwandelte oder wenn er Abends mit seiner
Frau am Ufer des blauen Sees entlang ging und drüben den Thurm
der vier Winde zwischen den alten Bäumen glänzen sah. Hier lebte er
wie außer der Welt, nur in sich und für sich selber: "glücklich bin ich
sehr, so innerlich und äußerlich geschlossen, daß ich keinen Wunsch habe,
den ich nicht durch mich erreichen könnte." Von der Höhe seiner Ge-
schichtsphilosophie sah er alles Menschliche zusammenschrumpfen, er sah
"mehr den Strom, der die Dinge fortreißt, als die Dinge selbst", und
über die Schranken, welche der Kraft des Einzelnen gesetzt sind, urtheilte er
mit heiterer Fassung:

Das Leben ist an Möglichkeit gebunden,
Und ihre Grenzen sind oft eng gezogen.

In solcher Stimmung konnte es ihn weder überraschen noch verletzen,
daß Witzleben's Rathschläge nicht durchdrangen. Der König hatte seinem

Sechſter Abſchnitt.

Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.

Nach dem Abſcheiden des Staatskanzlers glaubte die altſtändiſche
Partei auf lange hinaus der Herrſchaft ſicher zu ſein, da ſein Stellver-
treter, Miniſter v. Voß-Buch, wie zu erwarten ſtand, mit der Leitung der
Geſchäfte betraut wurde. Aber der greiſe Führer der Feudalen folgte
ſeinem Gegner ſchon nach wenigen Wochen ins Grab (Jan. 1823), und
nunmehr bot Witzleben ſeine ganze Beredſamkeit auf, um den König zur
Berufung W. Humboldt’s zu bewegen. Auch der Kronprinz wünſchte die
Rückkehr des Entlaſſenen, damit wieder Geiſt und Leben in den Miniſter-
rath käme; in den Berliner Gelehrtenkreiſen war nur eine Stimme für
ihn, und ſelbſt ein Theil der Altſtändiſchen hätte den Gegner Harden-
berg’s willkommen geheißen.

Humboldt ſelbſt ſtand dieſen Plänen fern; er hatte längſt in ſeinem
einſamen Tegel den Denkerfrieden gefunden, der ihm theurer war als
alle Ehren und Kämpfe des handelnden Lebens. Das ſtille Glück ſeiner
römiſchen Tage überkam ihn wieder, wenn er in dem einfach edlen Schloſſe,
das ihm Schinkel erbaut, zwiſchen den Antiken und Abgüſſen, „unter
lauter ſchönen Geſtalten“ umherwandelte oder wenn er Abends mit ſeiner
Frau am Ufer des blauen Sees entlang ging und drüben den Thurm
der vier Winde zwiſchen den alten Bäumen glänzen ſah. Hier lebte er
wie außer der Welt, nur in ſich und für ſich ſelber: „glücklich bin ich
ſehr, ſo innerlich und äußerlich geſchloſſen, daß ich keinen Wunſch habe,
den ich nicht durch mich erreichen könnte.“ Von der Höhe ſeiner Ge-
ſchichtsphiloſophie ſah er alles Menſchliche zuſammenſchrumpfen, er ſah
„mehr den Strom, der die Dinge fortreißt, als die Dinge ſelbſt“, und
über die Schranken, welche der Kraft des Einzelnen geſetzt ſind, urtheilte er
mit heiterer Faſſung:

Das Leben iſt an Möglichkeit gebunden,
Und ihre Grenzen ſind oft eng gezogen.

In ſolcher Stimmung konnte es ihn weder überraſchen noch verletzen,
daß Witzleben’s Rathſchläge nicht durchdrangen. Der König hatte ſeinem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0377" n="[361]"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Sech&#x017F;ter Ab&#x017F;chnitt.<lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/> Preußi&#x017F;che Zu&#x017F;tände nach Hardenberg&#x2019;s Tod.</hi> </head><lb/>
          <p>Nach dem Ab&#x017F;cheiden des Staatskanzlers glaubte die alt&#x017F;tändi&#x017F;che<lb/>
Partei auf lange hinaus der Herr&#x017F;chaft &#x017F;icher zu &#x017F;ein, da &#x017F;ein Stellver-<lb/>
treter, Mini&#x017F;ter v. Voß-Buch, wie zu erwarten &#x017F;tand, mit der Leitung der<lb/>
Ge&#x017F;chäfte betraut wurde. Aber der grei&#x017F;e Führer der Feudalen folgte<lb/>
&#x017F;einem Gegner &#x017F;chon nach wenigen Wochen ins Grab (Jan. 1823), und<lb/>
nunmehr bot Witzleben &#x017F;eine ganze Bered&#x017F;amkeit auf, um den König zur<lb/>
Berufung W. Humboldt&#x2019;s zu bewegen. Auch der Kronprinz wün&#x017F;chte die<lb/>
Rückkehr des Entla&#x017F;&#x017F;enen, damit wieder Gei&#x017F;t und Leben in den Mini&#x017F;ter-<lb/>
rath käme; in den Berliner Gelehrtenkrei&#x017F;en war nur eine Stimme für<lb/>
ihn, und &#x017F;elb&#x017F;t ein Theil der Alt&#x017F;tändi&#x017F;chen hätte den Gegner Harden-<lb/>
berg&#x2019;s willkommen geheißen.</p><lb/>
          <p>Humboldt &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;tand die&#x017F;en Plänen fern; er hatte läng&#x017F;t in &#x017F;einem<lb/>
ein&#x017F;amen Tegel den Denkerfrieden gefunden, der ihm theurer war als<lb/>
alle Ehren und Kämpfe des handelnden Lebens. Das &#x017F;tille Glück &#x017F;einer<lb/>
römi&#x017F;chen Tage überkam ihn wieder, wenn er in dem einfach edlen Schlo&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
das ihm Schinkel erbaut, zwi&#x017F;chen den Antiken und Abgü&#x017F;&#x017F;en, &#x201E;unter<lb/>
lauter &#x017F;chönen Ge&#x017F;talten&#x201C; umherwandelte oder wenn er Abends mit &#x017F;einer<lb/>
Frau am Ufer des blauen Sees entlang ging und drüben den Thurm<lb/>
der vier Winde zwi&#x017F;chen den alten Bäumen glänzen &#x017F;ah. Hier lebte er<lb/>
wie außer der Welt, nur in &#x017F;ich und für &#x017F;ich &#x017F;elber: &#x201E;glücklich bin ich<lb/>
&#x017F;ehr, &#x017F;o innerlich und äußerlich ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, daß ich keinen Wun&#x017F;ch habe,<lb/>
den ich nicht durch mich erreichen könnte.&#x201C; Von der Höhe &#x017F;einer Ge-<lb/>
&#x017F;chichtsphilo&#x017F;ophie &#x017F;ah er alles Men&#x017F;chliche zu&#x017F;ammen&#x017F;chrumpfen, er &#x017F;ah<lb/>
&#x201E;mehr den Strom, der die Dinge fortreißt, als die Dinge &#x017F;elb&#x017F;t&#x201C;, und<lb/>
über die Schranken, welche der Kraft des Einzelnen ge&#x017F;etzt &#x017F;ind, urtheilte er<lb/>
mit heiterer Fa&#x017F;&#x017F;ung:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Das Leben i&#x017F;t an Möglichkeit gebunden,</l><lb/>
            <l>Und ihre Grenzen &#x017F;ind oft eng gezogen.</l>
          </lg><lb/>
          <p>In &#x017F;olcher Stimmung konnte es ihn weder überra&#x017F;chen noch verletzen,<lb/>
daß Witzleben&#x2019;s Rath&#x017F;chläge nicht durchdrangen. Der König hatte &#x017F;einem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[361]/0377] Sechſter Abſchnitt. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod. Nach dem Abſcheiden des Staatskanzlers glaubte die altſtändiſche Partei auf lange hinaus der Herrſchaft ſicher zu ſein, da ſein Stellver- treter, Miniſter v. Voß-Buch, wie zu erwarten ſtand, mit der Leitung der Geſchäfte betraut wurde. Aber der greiſe Führer der Feudalen folgte ſeinem Gegner ſchon nach wenigen Wochen ins Grab (Jan. 1823), und nunmehr bot Witzleben ſeine ganze Beredſamkeit auf, um den König zur Berufung W. Humboldt’s zu bewegen. Auch der Kronprinz wünſchte die Rückkehr des Entlaſſenen, damit wieder Geiſt und Leben in den Miniſter- rath käme; in den Berliner Gelehrtenkreiſen war nur eine Stimme für ihn, und ſelbſt ein Theil der Altſtändiſchen hätte den Gegner Harden- berg’s willkommen geheißen. Humboldt ſelbſt ſtand dieſen Plänen fern; er hatte längſt in ſeinem einſamen Tegel den Denkerfrieden gefunden, der ihm theurer war als alle Ehren und Kämpfe des handelnden Lebens. Das ſtille Glück ſeiner römiſchen Tage überkam ihn wieder, wenn er in dem einfach edlen Schloſſe, das ihm Schinkel erbaut, zwiſchen den Antiken und Abgüſſen, „unter lauter ſchönen Geſtalten“ umherwandelte oder wenn er Abends mit ſeiner Frau am Ufer des blauen Sees entlang ging und drüben den Thurm der vier Winde zwiſchen den alten Bäumen glänzen ſah. Hier lebte er wie außer der Welt, nur in ſich und für ſich ſelber: „glücklich bin ich ſehr, ſo innerlich und äußerlich geſchloſſen, daß ich keinen Wunſch habe, den ich nicht durch mich erreichen könnte.“ Von der Höhe ſeiner Ge- ſchichtsphiloſophie ſah er alles Menſchliche zuſammenſchrumpfen, er ſah „mehr den Strom, der die Dinge fortreißt, als die Dinge ſelbſt“, und über die Schranken, welche der Kraft des Einzelnen geſetzt ſind, urtheilte er mit heiterer Faſſung: Das Leben iſt an Möglichkeit gebunden, Und ihre Grenzen ſind oft eng gezogen. In ſolcher Stimmung konnte es ihn weder überraſchen noch verletzen, daß Witzleben’s Rathſchläge nicht durchdrangen. Der König hatte ſeinem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/377
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. [361]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/377>, abgerufen am 19.11.2024.