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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Zerwürfniß wegen der orientalischen Frage.
kunst und morgenländischer Grausamkeit zugleich über den unglücklichen
Peloponnes verhängten. Trotz alledem und trotz der gräuelvollen Erobe-
rung der Insel Psara hielt das kleine Heldenvolk aus. Zauberisch war
der Eindruck in Westeuropa, als Lord Byron in Hellas erschien um der
großen Sache, der er als Sänger gedient, nun auch sein Schwert zu
weihen.

Ruhm, Banner, Schwert und Schlachtgefild
Und Hellas sieht mir ins Gesicht.
Der Sparter todt auf seinem Schild
War frcier nicht --

so klang es weithin durch die Welt, und kaum hatte der Dichter dies sein
letztes Lied gesungen, so sank er dahin in der Blüthe seines Ruhmes, im
Tode noch der mächtigste Freiwerber für die Sache der Hellenen. Wie
vielen Tausenden hatte er einst die Liebe zu der Wiege abendländischer
Freiheit zuerst erweckt durch die sehnsuchtsvollen Zeilen: "die Berge sehn
auf Marathon, und Marathon sieht auf die See", und nun besiegelte
er, auch er ein Perserbekämpfer, die Wahrhaftigkeit seines Glaubens durch
einen schönen Tod. Vor seinem Bilde erhob sich das Philhellenenthum
zu neuer Schwärmerei. Chamisso sang:

Byron ist erschienen. Der Kamönen
Und des Ares Zögling strahlt, ein Held --

und auf der Stätte, wo er heimgegangen, bewies die heldenhafte Ver-
theidigung von Missolunghi, daß er seine Liebe nicht an Unwürdige ver-
geudt, daß dies Volk nicht untergehen könne.

Inzwischen begann auch Czar Alexander endlich einzusehen, daß Met-
ternich's wortreiche Beschwichtigungsversuche allesammt nur den Zweck ver-
folgten, dem Sultan freie Hand zur Vernichtung der Rebellen zu lassen.
Im August 1825 befahl er seinem Gesandten, die Eröffnungen der Hofburg
fortan nicht mehr zu beantworten und versuchte sich dem englischen Cabinet
insgeheim zu nähern. Canning wünschte die vollständige Unabhängigkeit der
Griechen ebenso wenig wie der Czar, jedoch er erkannte scharfsichtig das
unaufhaltsame Fortschreiten der Bewegung und beschloß sich der Hellenen
behutsam anzunehmen um den Bestand des türkischen Reichs zu retten.
Schon im Frühjahr 1823 hatte er die von den Griechen verhängte Blo-
kade als rechtsgiltig anerkannt und die Pforte ernstlich zur Sicherstellung
der Rechte ihrer christlichen Unterthanen aufgefordert, also daß Metternich
über "das revolutionäre Delirium" des englischen Ministers ganz außer
sich gerieth.*) Ohne daß die Hofburg es ahnte, ward eine Unterhandlung
zwischen den beiden alten Gegnern angesponnen, und die englische Regie-
rung nahm die Eröffnungen Rußlands nicht unfreundlich auf, weil sie
durch schroffe Ablehnung die Petersburger Kriegspartei zu stärken fürchtete.

*) Hatzfeldt's Bericht, 30. April 1823.

Zerwürfniß wegen der orientaliſchen Frage.
kunſt und morgenländiſcher Grauſamkeit zugleich über den unglücklichen
Peloponnes verhängten. Trotz alledem und trotz der gräuelvollen Erobe-
rung der Inſel Pſara hielt das kleine Heldenvolk aus. Zauberiſch war
der Eindruck in Weſteuropa, als Lord Byron in Hellas erſchien um der
großen Sache, der er als Sänger gedient, nun auch ſein Schwert zu
weihen.

Ruhm, Banner, Schwert und Schlachtgefild
Und Hellas ſieht mir ins Geſicht.
Der Sparter todt auf ſeinem Schild
War frcier nicht —

ſo klang es weithin durch die Welt, und kaum hatte der Dichter dies ſein
letztes Lied geſungen, ſo ſank er dahin in der Blüthe ſeines Ruhmes, im
Tode noch der mächtigſte Freiwerber für die Sache der Hellenen. Wie
vielen Tauſenden hatte er einſt die Liebe zu der Wiege abendländiſcher
Freiheit zuerſt erweckt durch die ſehnſuchtsvollen Zeilen: „die Berge ſehn
auf Marathon, und Marathon ſieht auf die See“, und nun beſiegelte
er, auch er ein Perſerbekämpfer, die Wahrhaftigkeit ſeines Glaubens durch
einen ſchönen Tod. Vor ſeinem Bilde erhob ſich das Philhellenenthum
zu neuer Schwärmerei. Chamiſſo ſang:

Byron iſt erſchienen. Der Kamönen
Und des Ares Zögling ſtrahlt, ein Held —

und auf der Stätte, wo er heimgegangen, bewies die heldenhafte Ver-
theidigung von Miſſolunghi, daß er ſeine Liebe nicht an Unwürdige ver-
geudt, daß dies Volk nicht untergehen könne.

Inzwiſchen begann auch Czar Alexander endlich einzuſehen, daß Met-
ternich’s wortreiche Beſchwichtigungsverſuche alleſammt nur den Zweck ver-
folgten, dem Sultan freie Hand zur Vernichtung der Rebellen zu laſſen.
Im Auguſt 1825 befahl er ſeinem Geſandten, die Eröffnungen der Hofburg
fortan nicht mehr zu beantworten und verſuchte ſich dem engliſchen Cabinet
insgeheim zu nähern. Canning wünſchte die vollſtändige Unabhängigkeit der
Griechen ebenſo wenig wie der Czar, jedoch er erkannte ſcharfſichtig das
unaufhaltſame Fortſchreiten der Bewegung und beſchloß ſich der Hellenen
behutſam anzunehmen um den Beſtand des türkiſchen Reichs zu retten.
Schon im Frühjahr 1823 hatte er die von den Griechen verhängte Blo-
kade als rechtsgiltig anerkannt und die Pforte ernſtlich zur Sicherſtellung
der Rechte ihrer chriſtlichen Unterthanen aufgefordert, alſo daß Metternich
über „das revolutionäre Delirium“ des engliſchen Miniſters ganz außer
ſich gerieth.*) Ohne daß die Hofburg es ahnte, ward eine Unterhandlung
zwiſchen den beiden alten Gegnern angeſponnen, und die engliſche Regie-
rung nahm die Eröffnungen Rußlands nicht unfreundlich auf, weil ſie
durch ſchroffe Ablehnung die Petersburger Kriegspartei zu ſtärken fürchtete.

*) Hatzfeldt’s Bericht, 30. April 1823.
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[359/0375] Zerwürfniß wegen der orientaliſchen Frage. kunſt und morgenländiſcher Grauſamkeit zugleich über den unglücklichen Peloponnes verhängten. Trotz alledem und trotz der gräuelvollen Erobe- rung der Inſel Pſara hielt das kleine Heldenvolk aus. Zauberiſch war der Eindruck in Weſteuropa, als Lord Byron in Hellas erſchien um der großen Sache, der er als Sänger gedient, nun auch ſein Schwert zu weihen. Ruhm, Banner, Schwert und Schlachtgefild Und Hellas ſieht mir ins Geſicht. Der Sparter todt auf ſeinem Schild War frcier nicht — ſo klang es weithin durch die Welt, und kaum hatte der Dichter dies ſein letztes Lied geſungen, ſo ſank er dahin in der Blüthe ſeines Ruhmes, im Tode noch der mächtigſte Freiwerber für die Sache der Hellenen. Wie vielen Tauſenden hatte er einſt die Liebe zu der Wiege abendländiſcher Freiheit zuerſt erweckt durch die ſehnſuchtsvollen Zeilen: „die Berge ſehn auf Marathon, und Marathon ſieht auf die See“, und nun beſiegelte er, auch er ein Perſerbekämpfer, die Wahrhaftigkeit ſeines Glaubens durch einen ſchönen Tod. Vor ſeinem Bilde erhob ſich das Philhellenenthum zu neuer Schwärmerei. Chamiſſo ſang: Byron iſt erſchienen. Der Kamönen Und des Ares Zögling ſtrahlt, ein Held — und auf der Stätte, wo er heimgegangen, bewies die heldenhafte Ver- theidigung von Miſſolunghi, daß er ſeine Liebe nicht an Unwürdige ver- geudt, daß dies Volk nicht untergehen könne. Inzwiſchen begann auch Czar Alexander endlich einzuſehen, daß Met- ternich’s wortreiche Beſchwichtigungsverſuche alleſammt nur den Zweck ver- folgten, dem Sultan freie Hand zur Vernichtung der Rebellen zu laſſen. Im Auguſt 1825 befahl er ſeinem Geſandten, die Eröffnungen der Hofburg fortan nicht mehr zu beantworten und verſuchte ſich dem engliſchen Cabinet insgeheim zu nähern. Canning wünſchte die vollſtändige Unabhängigkeit der Griechen ebenſo wenig wie der Czar, jedoch er erkannte ſcharfſichtig das unaufhaltſame Fortſchreiten der Bewegung und beſchloß ſich der Hellenen behutſam anzunehmen um den Beſtand des türkiſchen Reichs zu retten. Schon im Frühjahr 1823 hatte er die von den Griechen verhängte Blo- kade als rechtsgiltig anerkannt und die Pforte ernſtlich zur Sicherſtellung der Rechte ihrer chriſtlichen Unterthanen aufgefordert, alſo daß Metternich über „das revolutionäre Delirium“ des engliſchen Miniſters ganz außer ſich gerieth. *) Ohne daß die Hofburg es ahnte, ward eine Unterhandlung zwiſchen den beiden alten Gegnern angeſponnen, und die engliſche Regie- rung nahm die Eröffnungen Rußlands nicht unfreundlich auf, weil ſie durch ſchroffe Ablehnung die Petersburger Kriegspartei zu ſtärken fürchtete. *) Hatzfeldt’s Bericht, 30. April 1823.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/375>, abgerufen am 24.11.2024.