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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
dieser Selbstentwürdigung des Thronfolgers erfuhr; "das ist mehr als
unglaublich", schrieb Hatzfeldt entsetzt. Dann wurde gar das neue Theater
in München mit der Aufführung der revolutionären Stücke Egmont
und Tell eröffnet, und die zügellose bairische Presse erlaubte sich dabei
unehrerbietige Bemerkungen über weiland König Philipp II.*) Genug,
von Wien aus ermuthigt, begann Rechberg das alte Spiel von Neuem,
Lerchenfeld glaubte schon seinen nahen Sturz vorherzusehen, noch Schlim-
meres wurde befürchtet, und bei der zunehmenden Willensschwäche des
greisen Königs ließ sich der Ausgang schwer berechnen. Da starb Max
Joseph, am 12. Oktober 1825, glücklich und friedlich wie er gelebt. Nach
seiner Gewohnheit war er zu seinem Namenstage in die Hauptstadt ge-
kommen um die Glückwünsche seiner Baiern entgegenzunehmen, und dann
am Abend, mit freundlichen Erinnerungen in seinem guten Herzen, nach
Nymphenburg zurückgefahren. Dort entschlief er sanft noch in derselben
Nacht, aufrichtig beweint von seinem Volke. Mit der Thronbesteigung
König Ludwig's begann für Baiern eine neue Zeit. --

In Württemberg war eine neue Geschäftsordnung für den Landtag
unnöthig, wie Trott in Frankfurt mit gutem Gewissen versichern konnte.
Die altrechtliche Einrichtung der Landtagsausschüsse hatte hier längst wieder
ihre zweischneidige Wirkung gezeigt. Unter Weishaar's kluger Leitung
pflegte der ständige Ausschuß alle wichtigen Angelegenheiten mit den Mi-
nistern so genau zu vereinbaren, daß der Landtag selber nur noch das
Nachsehen hatte, und da die Kammern überdies ihre Kraft in endlosen
Commissionsberathungen vergeudeten, so verliefen die Verhandlungen des
Plenums still und langweilig. Die schwäbische Schreiberregierung blühte
fröhlich fort, und die einzige Corporation des Landes, welche sich neben
dem allmächtigen Beamtenthum noch in einiger Selbständigkeit behauptete,
die Universität bekam den Unwillen des Herrenstandes schwer zu fühlen.
Der königliche Commissär Hofacker führte in Tübingen ein rohes, tyran-
nisches Regiment, das auf keiner anderen deutschen Hochschule seinesgleichen
fand. Dann tauchte der Vorschlag auf, die Universität in die Hauptstadt
zu verlegen. Von den Bildungsmitteln einer großen Stadt besaß Stuttgart
damals zwar sehr wenig; aber die fröhliche Ungebundenheit des akademi-
schen Lebens, die dem soldatischen Könige immer widerwärtig blieb, sollte
an der Hofluft, an der Garnison und der starken Polizei der Residenz ihre
Meister finden. Der kleinliche Gedanke wurde vorläufig noch abgewendet,
jedoch im Jahre 1829 erhielt die Universität eine völlig neue, rein bureau-
kratische Verfassung. Seltsame Ironie des Schicksals, daß der Metter-
nich'sche Plan der Universitätsreform, der in allen anderen Bundesstaaten
auf unüberwindliche Hindernisse stieß, allein in dem Lande des liberalen
Schwabenkönigs sich verwirklichte. Noch war in Tübingen unvergessen,

*) Hatzfeldt's Bericht, 17. März 1825.

III. 5. Die Großmächte und die Trias.
dieſer Selbſtentwürdigung des Thronfolgers erfuhr; „das iſt mehr als
unglaublich“, ſchrieb Hatzfeldt entſetzt. Dann wurde gar das neue Theater
in München mit der Aufführung der revolutionären Stücke Egmont
und Tell eröffnet, und die zügelloſe bairiſche Preſſe erlaubte ſich dabei
unehrerbietige Bemerkungen über weiland König Philipp II.*) Genug,
von Wien aus ermuthigt, begann Rechberg das alte Spiel von Neuem,
Lerchenfeld glaubte ſchon ſeinen nahen Sturz vorherzuſehen, noch Schlim-
meres wurde befürchtet, und bei der zunehmenden Willensſchwäche des
greiſen Königs ließ ſich der Ausgang ſchwer berechnen. Da ſtarb Max
Joſeph, am 12. Oktober 1825, glücklich und friedlich wie er gelebt. Nach
ſeiner Gewohnheit war er zu ſeinem Namenstage in die Hauptſtadt ge-
kommen um die Glückwünſche ſeiner Baiern entgegenzunehmen, und dann
am Abend, mit freundlichen Erinnerungen in ſeinem guten Herzen, nach
Nymphenburg zurückgefahren. Dort entſchlief er ſanft noch in derſelben
Nacht, aufrichtig beweint von ſeinem Volke. Mit der Thronbeſteigung
König Ludwig’s begann für Baiern eine neue Zeit. —

In Württemberg war eine neue Geſchäftsordnung für den Landtag
unnöthig, wie Trott in Frankfurt mit gutem Gewiſſen verſichern konnte.
Die altrechtliche Einrichtung der Landtagsausſchüſſe hatte hier längſt wieder
ihre zweiſchneidige Wirkung gezeigt. Unter Weishaar’s kluger Leitung
pflegte der ſtändige Ausſchuß alle wichtigen Angelegenheiten mit den Mi-
niſtern ſo genau zu vereinbaren, daß der Landtag ſelber nur noch das
Nachſehen hatte, und da die Kammern überdies ihre Kraft in endloſen
Commiſſionsberathungen vergeudeten, ſo verliefen die Verhandlungen des
Plenums ſtill und langweilig. Die ſchwäbiſche Schreiberregierung blühte
fröhlich fort, und die einzige Corporation des Landes, welche ſich neben
dem allmächtigen Beamtenthum noch in einiger Selbſtändigkeit behauptete,
die Univerſität bekam den Unwillen des Herrenſtandes ſchwer zu fühlen.
Der königliche Commiſſär Hofacker führte in Tübingen ein rohes, tyran-
niſches Regiment, das auf keiner anderen deutſchen Hochſchule ſeinesgleichen
fand. Dann tauchte der Vorſchlag auf, die Univerſität in die Hauptſtadt
zu verlegen. Von den Bildungsmitteln einer großen Stadt beſaß Stuttgart
damals zwar ſehr wenig; aber die fröhliche Ungebundenheit des akademi-
ſchen Lebens, die dem ſoldatiſchen Könige immer widerwärtig blieb, ſollte
an der Hofluft, an der Garniſon und der ſtarken Polizei der Reſidenz ihre
Meiſter finden. Der kleinliche Gedanke wurde vorläufig noch abgewendet,
jedoch im Jahre 1829 erhielt die Univerſität eine völlig neue, rein bureau-
kratiſche Verfaſſung. Seltſame Ironie des Schickſals, daß der Metter-
nich’ſche Plan der Univerſitätsreform, der in allen anderen Bundesſtaaten
auf unüberwindliche Hinderniſſe ſtieß, allein in dem Lande des liberalen
Schwabenkönigs ſich verwirklichte. Noch war in Tübingen unvergeſſen,

*) Hatzfeldt’s Bericht, 17. März 1825.
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[350/0366] III. 5. Die Großmächte und die Trias. dieſer Selbſtentwürdigung des Thronfolgers erfuhr; „das iſt mehr als unglaublich“, ſchrieb Hatzfeldt entſetzt. Dann wurde gar das neue Theater in München mit der Aufführung der revolutionären Stücke Egmont und Tell eröffnet, und die zügelloſe bairiſche Preſſe erlaubte ſich dabei unehrerbietige Bemerkungen über weiland König Philipp II. *) Genug, von Wien aus ermuthigt, begann Rechberg das alte Spiel von Neuem, Lerchenfeld glaubte ſchon ſeinen nahen Sturz vorherzuſehen, noch Schlim- meres wurde befürchtet, und bei der zunehmenden Willensſchwäche des greiſen Königs ließ ſich der Ausgang ſchwer berechnen. Da ſtarb Max Joſeph, am 12. Oktober 1825, glücklich und friedlich wie er gelebt. Nach ſeiner Gewohnheit war er zu ſeinem Namenstage in die Hauptſtadt ge- kommen um die Glückwünſche ſeiner Baiern entgegenzunehmen, und dann am Abend, mit freundlichen Erinnerungen in ſeinem guten Herzen, nach Nymphenburg zurückgefahren. Dort entſchlief er ſanft noch in derſelben Nacht, aufrichtig beweint von ſeinem Volke. Mit der Thronbeſteigung König Ludwig’s begann für Baiern eine neue Zeit. — In Württemberg war eine neue Geſchäftsordnung für den Landtag unnöthig, wie Trott in Frankfurt mit gutem Gewiſſen verſichern konnte. Die altrechtliche Einrichtung der Landtagsausſchüſſe hatte hier längſt wieder ihre zweiſchneidige Wirkung gezeigt. Unter Weishaar’s kluger Leitung pflegte der ſtändige Ausſchuß alle wichtigen Angelegenheiten mit den Mi- niſtern ſo genau zu vereinbaren, daß der Landtag ſelber nur noch das Nachſehen hatte, und da die Kammern überdies ihre Kraft in endloſen Commiſſionsberathungen vergeudeten, ſo verliefen die Verhandlungen des Plenums ſtill und langweilig. Die ſchwäbiſche Schreiberregierung blühte fröhlich fort, und die einzige Corporation des Landes, welche ſich neben dem allmächtigen Beamtenthum noch in einiger Selbſtändigkeit behauptete, die Univerſität bekam den Unwillen des Herrenſtandes ſchwer zu fühlen. Der königliche Commiſſär Hofacker führte in Tübingen ein rohes, tyran- niſches Regiment, das auf keiner anderen deutſchen Hochſchule ſeinesgleichen fand. Dann tauchte der Vorſchlag auf, die Univerſität in die Hauptſtadt zu verlegen. Von den Bildungsmitteln einer großen Stadt beſaß Stuttgart damals zwar ſehr wenig; aber die fröhliche Ungebundenheit des akademi- ſchen Lebens, die dem ſoldatiſchen Könige immer widerwärtig blieb, ſollte an der Hofluft, an der Garniſon und der ſtarken Polizei der Reſidenz ihre Meiſter finden. Der kleinliche Gedanke wurde vorläufig noch abgewendet, jedoch im Jahre 1829 erhielt die Univerſität eine völlig neue, rein bureau- kratiſche Verfaſſung. Seltſame Ironie des Schickſals, daß der Metter- nich’ſche Plan der Univerſitätsreform, der in allen anderen Bundesſtaaten auf unüberwindliche Hinderniſſe ſtieß, allein in dem Lande des liberalen Schwabenkönigs ſich verwirklichte. Noch war in Tübingen unvergeſſen, *) Hatzfeldt’s Bericht, 17. März 1825.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/366>, abgerufen am 24.11.2024.