eigenen Vaterlande, denn über den lebenskräftigsten der deutschen Staaten erhielt der Leser nur seltene, dürftige und, der Regel nach, böswillige Be- richte. Also diente die Allgemeine Zeitung dem Hause Oesterreich als treuer Bundesgenosse, und es war kein Zufall, daß sie sofort nach Metter- nich's Sturz ihre alte Macht für immer verlor.
Durch diese Zeitung lernte Deutschland zuerst eine Macht kennen, deren Wirksamkeit den westlichen Nachbarn schon länger vertraut war, die Anonymität der Presse; denn unverkennbar verdankte das Augsburger Blatt einen Theil seines Ansehens dem undurchdringlichen Schleier, der seine politischen Mitarbeiter, reaktionäre und liberale, einsichtige und un- fähige, bedeckte. In den unschuldigen ersten Friedensjahren hatte sich die tapfere deutsche Natur wider die namenlose Schriftstellerei noch lebhaft gesträubt; besaß doch unsere ehrliche Sprache nicht einmal ein ganz zu- treffendes Wort für Anonymität. Die Kammerredner der badischen und der bairischen Liberalen stimmten damals noch fast alle überein in der Ansicht, daß Preßfreiheit nur möglich sei, wenn Jeder mit seinem Namen für seine Meinung eintreten müsse. Inzwischen war die Zeit der Verfol- gungen und des Mißtrauens hereingebrochen, und die Anonymität erschien jetzt Allen als ein unentbehrliches Bollwerk der Preßfreiheit. Man fragte nicht mehr, welche Verletzungen der Amtspflicht, welche sittlichen Vergehun- gen sich hinter den anonymen Artikeln versteckten; man gestand den Tages- schriftstellern das Vorrecht zu, alles Verborgene ans Licht zu ziehen, sich selber aber in tiefem Dunkel zu verbergen, und nahm dies Stück verkehrter Welt hin als könne es gar nicht anders sein. So begann sich auch in Deutschland eine der schlimmsten sittlichen Krankheiten des neunzehnten Jahrhunderts einzubürgern, ein unnatürlicher Zustand, der späteren Zeiten in einem ähnlichen Lichte erscheinen wird, wie das Delatoren-Unwesen des römischen Kaiserreichs, dem gegenwärtigen Geschlechte aber noch so gewohnt und behaglich vorkommt wie den Orientalen die Pest. --
Das einzige erfreuliche Ereigniß in dieser öden Epoche der Bundes- geschichte war die Auflösung der Mainzer Central-Untersuchungscommission, die im Jahre 1829 endlich in aller Stille wegen gänzlicher Erschöpfung des Arbeitsstoffes nach und nach beseitigt wurde. An 90,000 Gulden hatte sie dem Bunde gekostet, den betheiligten Regierungen eine halbe Million. Und was war das Ergebniß? Ein erschreckender Einblick in die Gesin- nungen -- nicht der Demagogen, sondern der deutschen Höfe und ihrer Polizeibeamten. Die Behörden waren von Haus aus auf falscher Fährte, sie ließen den gefährlichsten der jungen Unzufriedenen, Karl Follen auf freiem Fuße, so daß er schon zu Anfang 1820 nach Frankreich entfliehen konnte, und führten die Untersuchung gegen die übrigen Verhafteten so unglücklich, daß die Mainzer Commission, um doch irgend eine Spur ge- fährlicher Umtriebe aufzuweisen, zu den unwürdigsten Verleumdungen ihre Zuflucht nehmen mußte. Schon im Jahre 1820 sendete der Nassauische
Stillleben am Bundestage.
eigenen Vaterlande, denn über den lebenskräftigſten der deutſchen Staaten erhielt der Leſer nur ſeltene, dürftige und, der Regel nach, böswillige Be- richte. Alſo diente die Allgemeine Zeitung dem Hauſe Oeſterreich als treuer Bundesgenoſſe, und es war kein Zufall, daß ſie ſofort nach Metter- nich’s Sturz ihre alte Macht für immer verlor.
Durch dieſe Zeitung lernte Deutſchland zuerſt eine Macht kennen, deren Wirkſamkeit den weſtlichen Nachbarn ſchon länger vertraut war, die Anonymität der Preſſe; denn unverkennbar verdankte das Augsburger Blatt einen Theil ſeines Anſehens dem undurchdringlichen Schleier, der ſeine politiſchen Mitarbeiter, reaktionäre und liberale, einſichtige und un- fähige, bedeckte. In den unſchuldigen erſten Friedensjahren hatte ſich die tapfere deutſche Natur wider die namenloſe Schriftſtellerei noch lebhaft geſträubt; beſaß doch unſere ehrliche Sprache nicht einmal ein ganz zu- treffendes Wort für Anonymität. Die Kammerredner der badiſchen und der bairiſchen Liberalen ſtimmten damals noch faſt alle überein in der Anſicht, daß Preßfreiheit nur möglich ſei, wenn Jeder mit ſeinem Namen für ſeine Meinung eintreten müſſe. Inzwiſchen war die Zeit der Verfol- gungen und des Mißtrauens hereingebrochen, und die Anonymität erſchien jetzt Allen als ein unentbehrliches Bollwerk der Preßfreiheit. Man fragte nicht mehr, welche Verletzungen der Amtspflicht, welche ſittlichen Vergehun- gen ſich hinter den anonymen Artikeln verſteckten; man geſtand den Tages- ſchriftſtellern das Vorrecht zu, alles Verborgene ans Licht zu ziehen, ſich ſelber aber in tiefem Dunkel zu verbergen, und nahm dies Stück verkehrter Welt hin als könne es gar nicht anders ſein. So begann ſich auch in Deutſchland eine der ſchlimmſten ſittlichen Krankheiten des neunzehnten Jahrhunderts einzubürgern, ein unnatürlicher Zuſtand, der ſpäteren Zeiten in einem ähnlichen Lichte erſcheinen wird, wie das Delatoren-Unweſen des römiſchen Kaiſerreichs, dem gegenwärtigen Geſchlechte aber noch ſo gewohnt und behaglich vorkommt wie den Orientalen die Peſt. —
Das einzige erfreuliche Ereigniß in dieſer öden Epoche der Bundes- geſchichte war die Auflöſung der Mainzer Central-Unterſuchungscommiſſion, die im Jahre 1829 endlich in aller Stille wegen gänzlicher Erſchöpfung des Arbeitsſtoffes nach und nach beſeitigt wurde. An 90,000 Gulden hatte ſie dem Bunde gekoſtet, den betheiligten Regierungen eine halbe Million. Und was war das Ergebniß? Ein erſchreckender Einblick in die Geſin- nungen — nicht der Demagogen, ſondern der deutſchen Höfe und ihrer Polizeibeamten. Die Behörden waren von Haus aus auf falſcher Fährte, ſie ließen den gefährlichſten der jungen Unzufriedenen, Karl Follen auf freiem Fuße, ſo daß er ſchon zu Anfang 1820 nach Frankreich entfliehen konnte, und führten die Unterſuchung gegen die übrigen Verhafteten ſo unglücklich, daß die Mainzer Commiſſion, um doch irgend eine Spur ge- fährlicher Umtriebe aufzuweiſen, zu den unwürdigſten Verleumdungen ihre Zuflucht nehmen mußte. Schon im Jahre 1820 ſendete der Naſſauiſche
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[343/0359]
Stillleben am Bundestage.
eigenen Vaterlande, denn über den lebenskräftigſten der deutſchen Staaten
erhielt der Leſer nur ſeltene, dürftige und, der Regel nach, böswillige Be-
richte. Alſo diente die Allgemeine Zeitung dem Hauſe Oeſterreich als
treuer Bundesgenoſſe, und es war kein Zufall, daß ſie ſofort nach Metter-
nich’s Sturz ihre alte Macht für immer verlor.
Durch dieſe Zeitung lernte Deutſchland zuerſt eine Macht kennen,
deren Wirkſamkeit den weſtlichen Nachbarn ſchon länger vertraut war,
die Anonymität der Preſſe; denn unverkennbar verdankte das Augsburger
Blatt einen Theil ſeines Anſehens dem undurchdringlichen Schleier, der
ſeine politiſchen Mitarbeiter, reaktionäre und liberale, einſichtige und un-
fähige, bedeckte. In den unſchuldigen erſten Friedensjahren hatte ſich die
tapfere deutſche Natur wider die namenloſe Schriftſtellerei noch lebhaft
geſträubt; beſaß doch unſere ehrliche Sprache nicht einmal ein ganz zu-
treffendes Wort für Anonymität. Die Kammerredner der badiſchen und
der bairiſchen Liberalen ſtimmten damals noch faſt alle überein in der
Anſicht, daß Preßfreiheit nur möglich ſei, wenn Jeder mit ſeinem Namen
für ſeine Meinung eintreten müſſe. Inzwiſchen war die Zeit der Verfol-
gungen und des Mißtrauens hereingebrochen, und die Anonymität erſchien
jetzt Allen als ein unentbehrliches Bollwerk der Preßfreiheit. Man fragte
nicht mehr, welche Verletzungen der Amtspflicht, welche ſittlichen Vergehun-
gen ſich hinter den anonymen Artikeln verſteckten; man geſtand den Tages-
ſchriftſtellern das Vorrecht zu, alles Verborgene ans Licht zu ziehen, ſich
ſelber aber in tiefem Dunkel zu verbergen, und nahm dies Stück verkehrter
Welt hin als könne es gar nicht anders ſein. So begann ſich auch in
Deutſchland eine der ſchlimmſten ſittlichen Krankheiten des neunzehnten
Jahrhunderts einzubürgern, ein unnatürlicher Zuſtand, der ſpäteren Zeiten
in einem ähnlichen Lichte erſcheinen wird, wie das Delatoren-Unweſen des
römiſchen Kaiſerreichs, dem gegenwärtigen Geſchlechte aber noch ſo gewohnt
und behaglich vorkommt wie den Orientalen die Peſt. —
Das einzige erfreuliche Ereigniß in dieſer öden Epoche der Bundes-
geſchichte war die Auflöſung der Mainzer Central-Unterſuchungscommiſſion,
die im Jahre 1829 endlich in aller Stille wegen gänzlicher Erſchöpfung
des Arbeitsſtoffes nach und nach beſeitigt wurde. An 90,000 Gulden hatte
ſie dem Bunde gekoſtet, den betheiligten Regierungen eine halbe Million.
Und was war das Ergebniß? Ein erſchreckender Einblick in die Geſin-
nungen — nicht der Demagogen, ſondern der deutſchen Höfe und ihrer
Polizeibeamten. Die Behörden waren von Haus aus auf falſcher Fährte,
ſie ließen den gefährlichſten der jungen Unzufriedenen, Karl Follen auf
freiem Fuße, ſo daß er ſchon zu Anfang 1820 nach Frankreich entfliehen
konnte, und führten die Unterſuchung gegen die übrigen Verhafteten ſo
unglücklich, daß die Mainzer Commiſſion, um doch irgend eine Spur ge-
fährlicher Umtriebe aufzuweiſen, zu den unwürdigſten Verleumdungen ihre
Zuflucht nehmen mußte. Schon im Jahre 1820 ſendete der Naſſauiſche
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/359>, abgerufen am 24.11.2024.
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