tigsten Deutschen Bundes schützenden Privilegien" die vierzig Bände der Ausgabe letzter Hand in Cotta's Verlag erscheinen. Späterhin wurde das alte Privilegium erneuert und ein gleiches auch für Schiller's Werke er- worben. Aber die reichen Erben des hochverdienten Johann Friedrich Cotta widerstanden den Versuchungen des Monopolgeistes ebenso wenig wie das Haus Taxis; unbekümmert um die Mahnungen der Gelehrten, mißbrauchten sie ihr Privileg durch schnöde Vernachlässigung der ihnen anvertrauten Schätze, und so lange der Bundestag bestand erlangte das deutsche Volk niemals eine anständige, correcte Ausgabe der Werke seiner größten Dichter -- ein nationaler Skandal, der, in England oder Frankreich un- denkbar, nur von Neuem bewies, wie machtlos die öffentliche Meinung in diesem zerrissenen Lande war.
Den Gegendienst für diese außerordentliche Begünstigung erstattete das Haus Cotta durch seine Augsburger Allgemeine Zeitung, die etwa seit dem Jahre 1820 das angesehenste, in Oesterreich sogar das allein gelesene deutsche Blatt wurde. Sie war den Diplomaten unentbehrlich durch ihre reichhal- tigen Berichte, den Gelehrten durch die wissenschaftlichen Aufsätze ihrer Bei- lagen und schien ein Sprechsaal aller Parteien zu sein, da sie von Männern grundverschiedener Gesinnung, zuweilen, wenn die liberale Zugluft scharf ging, sogar von entschiedenen Radikalen Beiträge brachte und ihre eigene Meinung nur selten, und stets mit diplomatischer Behutsamkeit, aussprach. In der Redaktion saßen lange Jahre hindurch Stegmann und Lindner's Freund Le Bret, zwei liberale Partikularisten von der Stuttgarter Farbe. Gleichwohl stand diese unparteiische Zeitung mit dem österreichischen Hofe in so inniger Verbindung, daß Cotta mehrmals daran dachte, sein Organ nach Wien zu verlegen -- wäre nur die ängstliche k. k. Censur nicht ge- wesen! -- und Gentz wußte wohl, warum er, hundertmal geärgert durch die liberalen Artikel des Augsburger Blattes, ihm doch immer wieder seine Gunst zuwendete. Wirksamer als in den Spalten des verrufenen Oester- reichischen Beobachters ließen sich die Herzensgedanken der Wiener Staats- kunst hier aussprechen, da die Redaktion nach kaufmännischen Grundsätzen verfuhr und, um sich den Ruf diplomatischer Unergründlichkeit zu erhalten, niemals eine Zusendung "von hochgeehrter Hand" zurückwies -- nur mußten die Artikel zeitgemäß gehalten und dem aufgeklärten Publicum mundgerecht zugerichtet werden. Auf die politische Bildung der Nation, die in ihrer unklaren Erbitterung und Sehnsucht vor Allem rückhaltlos ehrlicher Belehrung bedurfte, konnte eine so in allen Farben schillernde Zeitung nur tief verderblich wirken. Sie nährte in ihren Lesern jene kenntnißreiche politische Hilflosigkeit, welche den gebildeten Deutschen vor den Nachbarvölkern traurig auszeichnete. Wer durch diese Brille sah, gelangte zu der Einsicht, daß die ekelhafte Posse in der Eschenheimer Gasse ewig währen müsse; er meinte Alles zu wissen, da er über Peru, Schweden, Hinterindien genau unterrichtet wurde, und blieb doch fremd im
III. 5. Die Großmächte und die Trias.
tigſten Deutſchen Bundes ſchützenden Privilegien“ die vierzig Bände der Ausgabe letzter Hand in Cotta’s Verlag erſcheinen. Späterhin wurde das alte Privilegium erneuert und ein gleiches auch für Schiller’s Werke er- worben. Aber die reichen Erben des hochverdienten Johann Friedrich Cotta widerſtanden den Verſuchungen des Monopolgeiſtes ebenſo wenig wie das Haus Taxis; unbekümmert um die Mahnungen der Gelehrten, mißbrauchten ſie ihr Privileg durch ſchnöde Vernachläſſigung der ihnen anvertrauten Schätze, und ſo lange der Bundestag beſtand erlangte das deutſche Volk niemals eine anſtändige, correcte Ausgabe der Werke ſeiner größten Dichter — ein nationaler Skandal, der, in England oder Frankreich un- denkbar, nur von Neuem bewies, wie machtlos die öffentliche Meinung in dieſem zerriſſenen Lande war.
Den Gegendienſt für dieſe außerordentliche Begünſtigung erſtattete das Haus Cotta durch ſeine Augsburger Allgemeine Zeitung, die etwa ſeit dem Jahre 1820 das angeſehenſte, in Oeſterreich ſogar das allein geleſene deutſche Blatt wurde. Sie war den Diplomaten unentbehrlich durch ihre reichhal- tigen Berichte, den Gelehrten durch die wiſſenſchaftlichen Aufſätze ihrer Bei- lagen und ſchien ein Sprechſaal aller Parteien zu ſein, da ſie von Männern grundverſchiedener Geſinnung, zuweilen, wenn die liberale Zugluft ſcharf ging, ſogar von entſchiedenen Radikalen Beiträge brachte und ihre eigene Meinung nur ſelten, und ſtets mit diplomatiſcher Behutſamkeit, ausſprach. In der Redaktion ſaßen lange Jahre hindurch Stegmann und Lindner’s Freund Le Bret, zwei liberale Partikulariſten von der Stuttgarter Farbe. Gleichwohl ſtand dieſe unparteiiſche Zeitung mit dem öſterreichiſchen Hofe in ſo inniger Verbindung, daß Cotta mehrmals daran dachte, ſein Organ nach Wien zu verlegen — wäre nur die ängſtliche k. k. Cenſur nicht ge- weſen! — und Gentz wußte wohl, warum er, hundertmal geärgert durch die liberalen Artikel des Augsburger Blattes, ihm doch immer wieder ſeine Gunſt zuwendete. Wirkſamer als in den Spalten des verrufenen Oeſter- reichiſchen Beobachters ließen ſich die Herzensgedanken der Wiener Staats- kunſt hier ausſprechen, da die Redaktion nach kaufmänniſchen Grundſätzen verfuhr und, um ſich den Ruf diplomatiſcher Unergründlichkeit zu erhalten, niemals eine Zuſendung „von hochgeehrter Hand“ zurückwies — nur mußten die Artikel zeitgemäß gehalten und dem aufgeklärten Publicum mundgerecht zugerichtet werden. Auf die politiſche Bildung der Nation, die in ihrer unklaren Erbitterung und Sehnſucht vor Allem rückhaltlos ehrlicher Belehrung bedurfte, konnte eine ſo in allen Farben ſchillernde Zeitung nur tief verderblich wirken. Sie nährte in ihren Leſern jene kenntnißreiche politiſche Hilfloſigkeit, welche den gebildeten Deutſchen vor den Nachbarvölkern traurig auszeichnete. Wer durch dieſe Brille ſah, gelangte zu der Einſicht, daß die ekelhafte Poſſe in der Eſchenheimer Gaſſe ewig währen müſſe; er meinte Alles zu wiſſen, da er über Peru, Schweden, Hinterindien genau unterrichtet wurde, und blieb doch fremd im
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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
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Ausgabe letzter Hand in Cotta’s Verlag erſcheinen. Späterhin wurde das
alte Privilegium erneuert und ein gleiches auch für Schiller’s Werke er-
worben. Aber die reichen Erben des hochverdienten Johann Friedrich Cotta
widerſtanden den Verſuchungen des Monopolgeiſtes ebenſo wenig wie das
Haus Taxis; unbekümmert um die Mahnungen der Gelehrten, mißbrauchten
ſie ihr Privileg durch ſchnöde Vernachläſſigung der ihnen anvertrauten
Schätze, und ſo lange der Bundestag beſtand erlangte das deutſche Volk
niemals eine anſtändige, correcte Ausgabe der Werke ſeiner größten
Dichter — ein nationaler Skandal, der, in England oder Frankreich un-
denkbar, nur von Neuem bewies, wie machtlos die öffentliche Meinung
in dieſem zerriſſenen Lande war.
Den Gegendienſt für dieſe außerordentliche Begünſtigung erſtattete das
Haus Cotta durch ſeine Augsburger Allgemeine Zeitung, die etwa ſeit dem
Jahre 1820 das angeſehenſte, in Oeſterreich ſogar das allein geleſene deutſche
Blatt wurde. Sie war den Diplomaten unentbehrlich durch ihre reichhal-
tigen Berichte, den Gelehrten durch die wiſſenſchaftlichen Aufſätze ihrer Bei-
lagen und ſchien ein Sprechſaal aller Parteien zu ſein, da ſie von Männern
grundverſchiedener Geſinnung, zuweilen, wenn die liberale Zugluft ſcharf
ging, ſogar von entſchiedenen Radikalen Beiträge brachte und ihre eigene
Meinung nur ſelten, und ſtets mit diplomatiſcher Behutſamkeit, ausſprach.
In der Redaktion ſaßen lange Jahre hindurch Stegmann und Lindner’s
Freund Le Bret, zwei liberale Partikulariſten von der Stuttgarter Farbe.
Gleichwohl ſtand dieſe unparteiiſche Zeitung mit dem öſterreichiſchen Hofe in
ſo inniger Verbindung, daß Cotta mehrmals daran dachte, ſein Organ
nach Wien zu verlegen — wäre nur die ängſtliche k. k. Cenſur nicht ge-
weſen! — und Gentz wußte wohl, warum er, hundertmal geärgert durch
die liberalen Artikel des Augsburger Blattes, ihm doch immer wieder ſeine
Gunſt zuwendete. Wirkſamer als in den Spalten des verrufenen Oeſter-
reichiſchen Beobachters ließen ſich die Herzensgedanken der Wiener Staats-
kunſt hier ausſprechen, da die Redaktion nach kaufmänniſchen Grundſätzen
verfuhr und, um ſich den Ruf diplomatiſcher Unergründlichkeit zu erhalten,
niemals eine Zuſendung „von hochgeehrter Hand“ zurückwies — nur
mußten die Artikel zeitgemäß gehalten und dem aufgeklärten Publicum
mundgerecht zugerichtet werden. Auf die politiſche Bildung der Nation,
die in ihrer unklaren Erbitterung und Sehnſucht vor Allem rückhaltlos
ehrlicher Belehrung bedurfte, konnte eine ſo in allen Farben ſchillernde
Zeitung nur tief verderblich wirken. Sie nährte in ihren Leſern jene
kenntnißreiche politiſche Hilfloſigkeit, welche den gebildeten Deutſchen vor
den Nachbarvölkern traurig auszeichnete. Wer durch dieſe Brille ſah,
gelangte zu der Einſicht, daß die ekelhafte Poſſe in der Eſchenheimer
Gaſſe ewig währen müſſe; er meinte Alles zu wiſſen, da er über Peru,
Schweden, Hinterindien genau unterrichtet wurde, und blieb doch fremd im
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/358>, abgerufen am 27.11.2024.
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