schrieb -- ohne zu ahnen, wie furchtbar seine Weissagung sich dereinst erfüllen sollte: -- "Das revolutionäre System kann von nun an in Deutschland nur dann die Oberhand gewinnen, wenn der Deutsche Bund selbst untergeht. So weit haben wir es seit dem Jahre 1819 gebracht." --
Seit diesen Beschlüssen zeigte der Wiener Hof gegen den Bundestag wieder dieselbe träge Gleichgiltigkeit wie im Jahre 1817. Die polizeiliche Ordnung war gesichert; was wollte man mehr? Positive Pläne für die Mehrung deutscher Macht und Wohlfahrt konnte das Haus Oesterreich nicht hegen; wenn nicht das ruhelose Preußen die Bundesfestungsfrage immer wieder aufgerührt hätte, so wäre dem Bundestage der Berathungs- stoff fast gänzlich ausgegangen. Die von der Hofburg gewünschte vier- monatliche Tagung der Bundesversammlung trat thatsächlich in Kraft, da Münch fortan regelmäßig acht Monate des Jahres zu Wien im Aus- wärtigen Amte verbrachte; während seiner Abwesenheit ließ er sich stets durch Baiern oder Sachsen, niemals durch Preußen vertreten. Das Trei- ben in der Eschenheimer Gasse ward schlechthin gespenstisch, unterschied sich in nichts mehr von den Regensburger Zeiten. Die vielbelachten Eutiner Gemeinweiden, in denen einst der alte Reichstag bei seinem Untergange stecken geblieben war, fanden im Jahre 1827 ihr würdiges Gegenstück, als die Mainzer Festungsbehörde "mit Eilfertigkeit und ebenso rücksichts- loser Hintansetzung ihres Verhältnisses zu hoher Bundesversammlung" einige Abtritte in den Garnisonlazarethen erbaut hatte, und der Bundes- tag über diese Eigenmächtigkeit in gerechte Entrüstung gerieth. Natürlich waren die Missethäter preußische Offiziere. Da sich jedoch "die Noth- wendigkeit der getroffenen Vorkehrung" nicht bestreiten ließ, so beschloß man endlich, durch die Militärcommission "die Verwendung der ange- schlagenen Summe vordersamst zu constatiren, wornächst" unter strenger Verwarnung der schuldigen Behörde das Geld ausgezahlt werden sollte. Im folgenden Jahre wurden wegen derselben Abtritte nochmals so harte und grundlose Vorwürfe erhoben, daß Nagler den erbitterten Kleinen vor- halten mußte: das preußische Festungsgouvernement solle doch erst gehört werden bevor man sein Verfahren mißbillige.
Auch in der Kunst, das Einfache zu verwirren, das Klare zu ver- dunkeln hatte der Bundestag sein Regensburger Vorbild längst glücklich erreicht. Das mußte unter Anderen die Fürstin Berkeley erfahren, die Wittwe des letzten Markgrafen von Ansbach-Baireuth. Ihr hatte einst die Krone Preußen eine jährliche Rente auf die öffentlichen Fonds der fränkischen Provinzen angewiesen, und nach dem klaren Wortlaut der Verträge unterlag es keinem Zweifel, daß der König von Baiern als nunmehriger Landesherr von Ansbach-Baireuth das Witthum zu zahlen hatte. Baiern wußte sich jedoch seiner Verpflichtung unter leeren Vor- wänden zu entziehen, und als die Fürstin im Jahre 1825 sich beim Bun- destage beschwerte, wurde die Sache erst in Frankfurt mehrere Jahre lang
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Verlängerung der Karlsbader Beſchlüſſe.
ſchrieb — ohne zu ahnen, wie furchtbar ſeine Weiſſagung ſich dereinſt erfüllen ſollte: — „Das revolutionäre Syſtem kann von nun an in Deutſchland nur dann die Oberhand gewinnen, wenn der Deutſche Bund ſelbſt untergeht. So weit haben wir es ſeit dem Jahre 1819 gebracht.“ —
Seit dieſen Beſchlüſſen zeigte der Wiener Hof gegen den Bundestag wieder dieſelbe träge Gleichgiltigkeit wie im Jahre 1817. Die polizeiliche Ordnung war geſichert; was wollte man mehr? Poſitive Pläne für die Mehrung deutſcher Macht und Wohlfahrt konnte das Haus Oeſterreich nicht hegen; wenn nicht das ruheloſe Preußen die Bundesfeſtungsfrage immer wieder aufgerührt hätte, ſo wäre dem Bundestage der Berathungs- ſtoff faſt gänzlich ausgegangen. Die von der Hofburg gewünſchte vier- monatliche Tagung der Bundesverſammlung trat thatſächlich in Kraft, da Münch fortan regelmäßig acht Monate des Jahres zu Wien im Aus- wärtigen Amte verbrachte; während ſeiner Abweſenheit ließ er ſich ſtets durch Baiern oder Sachſen, niemals durch Preußen vertreten. Das Trei- ben in der Eſchenheimer Gaſſe ward ſchlechthin geſpenſtiſch, unterſchied ſich in nichts mehr von den Regensburger Zeiten. Die vielbelachten Eutiner Gemeinweiden, in denen einſt der alte Reichstag bei ſeinem Untergange ſtecken geblieben war, fanden im Jahre 1827 ihr würdiges Gegenſtück, als die Mainzer Feſtungsbehörde „mit Eilfertigkeit und ebenſo rückſichts- loſer Hintanſetzung ihres Verhältniſſes zu hoher Bundesverſammlung“ einige Abtritte in den Garniſonlazarethen erbaut hatte, und der Bundes- tag über dieſe Eigenmächtigkeit in gerechte Entrüſtung gerieth. Natürlich waren die Miſſethäter preußiſche Offiziere. Da ſich jedoch „die Noth- wendigkeit der getroffenen Vorkehrung“ nicht beſtreiten ließ, ſo beſchloß man endlich, durch die Militärcommiſſion „die Verwendung der ange- ſchlagenen Summe vorderſamſt zu conſtatiren, wornächſt“ unter ſtrenger Verwarnung der ſchuldigen Behörde das Geld ausgezahlt werden ſollte. Im folgenden Jahre wurden wegen derſelben Abtritte nochmals ſo harte und grundloſe Vorwürfe erhoben, daß Nagler den erbitterten Kleinen vor- halten mußte: das preußiſche Feſtungsgouvernement ſolle doch erſt gehört werden bevor man ſein Verfahren mißbillige.
Auch in der Kunſt, das Einfache zu verwirren, das Klare zu ver- dunkeln hatte der Bundestag ſein Regensburger Vorbild längſt glücklich erreicht. Das mußte unter Anderen die Fürſtin Berkeley erfahren, die Wittwe des letzten Markgrafen von Ansbach-Baireuth. Ihr hatte einſt die Krone Preußen eine jährliche Rente auf die öffentlichen Fonds der fränkiſchen Provinzen angewieſen, und nach dem klaren Wortlaut der Verträge unterlag es keinem Zweifel, daß der König von Baiern als nunmehriger Landesherr von Ansbach-Baireuth das Witthum zu zahlen hatte. Baiern wußte ſich jedoch ſeiner Verpflichtung unter leeren Vor- wänden zu entziehen, und als die Fürſtin im Jahre 1825 ſich beim Bun- destage beſchwerte, wurde die Sache erſt in Frankfurt mehrere Jahre lang
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Verlängerung der Karlsbader Beſchlüſſe.
ſchrieb — ohne zu ahnen, wie furchtbar ſeine Weiſſagung ſich dereinſt
erfüllen ſollte: — „Das revolutionäre Syſtem kann von nun an in
Deutſchland nur dann die Oberhand gewinnen, wenn der Deutſche Bund
ſelbſt untergeht. So weit haben wir es ſeit dem Jahre 1819 gebracht.“ —
Seit dieſen Beſchlüſſen zeigte der Wiener Hof gegen den Bundestag
wieder dieſelbe träge Gleichgiltigkeit wie im Jahre 1817. Die polizeiliche
Ordnung war geſichert; was wollte man mehr? Poſitive Pläne für die
Mehrung deutſcher Macht und Wohlfahrt konnte das Haus Oeſterreich
nicht hegen; wenn nicht das ruheloſe Preußen die Bundesfeſtungsfrage
immer wieder aufgerührt hätte, ſo wäre dem Bundestage der Berathungs-
ſtoff faſt gänzlich ausgegangen. Die von der Hofburg gewünſchte vier-
monatliche Tagung der Bundesverſammlung trat thatſächlich in Kraft,
da Münch fortan regelmäßig acht Monate des Jahres zu Wien im Aus-
wärtigen Amte verbrachte; während ſeiner Abweſenheit ließ er ſich ſtets
durch Baiern oder Sachſen, niemals durch Preußen vertreten. Das Trei-
ben in der Eſchenheimer Gaſſe ward ſchlechthin geſpenſtiſch, unterſchied ſich
in nichts mehr von den Regensburger Zeiten. Die vielbelachten Eutiner
Gemeinweiden, in denen einſt der alte Reichstag bei ſeinem Untergange
ſtecken geblieben war, fanden im Jahre 1827 ihr würdiges Gegenſtück,
als die Mainzer Feſtungsbehörde „mit Eilfertigkeit und ebenſo rückſichts-
loſer Hintanſetzung ihres Verhältniſſes zu hoher Bundesverſammlung“
einige Abtritte in den Garniſonlazarethen erbaut hatte, und der Bundes-
tag über dieſe Eigenmächtigkeit in gerechte Entrüſtung gerieth. Natürlich
waren die Miſſethäter preußiſche Offiziere. Da ſich jedoch „die Noth-
wendigkeit der getroffenen Vorkehrung“ nicht beſtreiten ließ, ſo beſchloß
man endlich, durch die Militärcommiſſion „die Verwendung der ange-
ſchlagenen Summe vorderſamſt zu conſtatiren, wornächſt“ unter ſtrenger
Verwarnung der ſchuldigen Behörde das Geld ausgezahlt werden ſollte.
Im folgenden Jahre wurden wegen derſelben Abtritte nochmals ſo harte
und grundloſe Vorwürfe erhoben, daß Nagler den erbitterten Kleinen vor-
halten mußte: das preußiſche Feſtungsgouvernement ſolle doch erſt gehört
werden bevor man ſein Verfahren mißbillige.
Auch in der Kunſt, das Einfache zu verwirren, das Klare zu ver-
dunkeln hatte der Bundestag ſein Regensburger Vorbild längſt glücklich
erreicht. Das mußte unter Anderen die Fürſtin Berkeley erfahren, die
Wittwe des letzten Markgrafen von Ansbach-Baireuth. Ihr hatte einſt
die Krone Preußen eine jährliche Rente auf die öffentlichen Fonds der
fränkiſchen Provinzen angewieſen, und nach dem klaren Wortlaut der
Verträge unterlag es keinem Zweifel, daß der König von Baiern als
nunmehriger Landesherr von Ansbach-Baireuth das Witthum zu zahlen
hatte. Baiern wußte ſich jedoch ſeiner Verpflichtung unter leeren Vor-
wänden zu entziehen, und als die Fürſtin im Jahre 1825 ſich beim Bun-
destage beſchwerte, wurde die Sache erſt in Frankfurt mehrere Jahre lang
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/355>, abgerufen am 23.11.2024.
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