die Absichten der Hofburg unterrichtet. Vier Tage darauf ging das wohl- vorbereitete Schauspiel über die Bretter. Münch hielt einen langen Prä- sidialvortrag und führte darin auf Metternich's Befehl mehrere Stellen aus Zentner's Denkschrift wörtlich wieder an, damit die Anträge auch in der Form als ein gemeinsames Werk Baierns und Oesterreichs erschienen. Darauf beschloß der Bundestag einstimmig, die Giltigkeit des provisorischen Preßgesetzes bis zum Erlaß eines endgiltigen Gesetzes zu verlängern. Auch das Gesetz über die Universitäten sollte fortbestehen und inzwischen ein Ausschuß der Bundesversammlung die Gebrechen des deutschen Unter- richtswesens näher prüfen. Endlich wurden alle Bundesstaaten verpflichtet, das monarchische Princip aufrecht zu erhalten und den Mißbräuchen der öffentlichen Landtagsverhandlungen durch eine strenge Geschäftsordnung, womöglich nach gemeinsamen Grundsätzen, vorzubeugen.
Die meisten der kleinen Höfe, Berstett selbst gestand es späterhin, fügten sich nur widerwillig, jedoch der Schein der Freiheit blieb gewahrt, die Zustimmung ward durchweg ohne Vorbehalt gegeben, und nur Blit- tersdorff's argwöhnisches Auge konnte aus den etwas gewundenen Sätzen des Votums der Ernestiner errathen, daß "der Wartburg-Geist" in Weimar noch spuke. Das verheißene definitive Preßgesetz wagte man nicht anzu- regen, aus Furcht vor Unfrieden, und aus demselben Grunde trat auch der neue Bundesausschuß für das Universitätswesen niemals ins Leben. Der einzige Staat, welcher den bairisch-österreichischen Anträgen ein kleines Bedenken anhing, war, seltsam genug, Baiern selbst. Sein Gesandter willigte in die Verlängerung des Preßgesetzes mit den zweideutigen Worten: die im Jahre 1819 beschlossenen Maßregeln gegen die Presse sollten in allen deutschen Staaten "wie bisher" gehandhabt werden. Baiern behielt sich also seinen bisherigen Sonderbrauch stillschweigend vor. Vergeblich hatte Metternich bis zuletzt versucht, diese Clausel zu beseitigen; endlich drückte er ein Auge zu, da Baiern ohnehin schon fest genug an Oester- reich gekettet war. Die Annahme der Karlsbader Beschlüsse war vor fünf Jahren nur durch einen Gewaltstreich gelungen, ihre Erneuerung jetzt war rechtlich unanfechtbar. Obwohl die vorgeschriebene förmliche Berathung nicht stattfand, so wurden doch alle übrigen Vorschriften der Geschäfts- ordnung eingehalten, und die verfassungsmäßige Einstimmigkeit kam zu Stande. Der Beschluß über die Landtage bedeutete sehr wenig; denn im Grunde stand es auch jetzt noch jedem Bundesstaate frei, die Schranken der Redefreiheit nach seinem Belieben zu ziehen. Aber ihr wichtigstes Ziel hatte die Hofburg erreicht, die Heilanstalt der Censur blieb den Deutschen auf unbestimmte Zeit hinaus gesichert. Der König von Preußen sprach dem österreichischen Staatskanzler in einem gnädigen Briefe seinen Dank aus, und Metternich meinte befriedigt, nunmehr erst sei der Deutsche Bund ganz in das System der großen Mächte verflochten.*) Gentz aber
*) Blittersdorff's Berichte, 12., 16., 22., 27. Aug. 1824.
III. 5. Die Großmächte und die Trias.
die Abſichten der Hofburg unterrichtet. Vier Tage darauf ging das wohl- vorbereitete Schauſpiel über die Bretter. Münch hielt einen langen Prä- ſidialvortrag und führte darin auf Metternich’s Befehl mehrere Stellen aus Zentner’s Denkſchrift wörtlich wieder an, damit die Anträge auch in der Form als ein gemeinſames Werk Baierns und Oeſterreichs erſchienen. Darauf beſchloß der Bundestag einſtimmig, die Giltigkeit des proviſoriſchen Preßgeſetzes bis zum Erlaß eines endgiltigen Geſetzes zu verlängern. Auch das Geſetz über die Univerſitäten ſollte fortbeſtehen und inzwiſchen ein Ausſchuß der Bundesverſammlung die Gebrechen des deutſchen Unter- richtsweſens näher prüfen. Endlich wurden alle Bundesſtaaten verpflichtet, das monarchiſche Princip aufrecht zu erhalten und den Mißbräuchen der öffentlichen Landtagsverhandlungen durch eine ſtrenge Geſchäftsordnung, womöglich nach gemeinſamen Grundſätzen, vorzubeugen.
Die meiſten der kleinen Höfe, Berſtett ſelbſt geſtand es ſpäterhin, fügten ſich nur widerwillig, jedoch der Schein der Freiheit blieb gewahrt, die Zuſtimmung ward durchweg ohne Vorbehalt gegeben, und nur Blit- tersdorff’s argwöhniſches Auge konnte aus den etwas gewundenen Sätzen des Votums der Erneſtiner errathen, daß „der Wartburg-Geiſt“ in Weimar noch ſpuke. Das verheißene definitive Preßgeſetz wagte man nicht anzu- regen, aus Furcht vor Unfrieden, und aus demſelben Grunde trat auch der neue Bundesausſchuß für das Univerſitätsweſen niemals ins Leben. Der einzige Staat, welcher den bairiſch-öſterreichiſchen Anträgen ein kleines Bedenken anhing, war, ſeltſam genug, Baiern ſelbſt. Sein Geſandter willigte in die Verlängerung des Preßgeſetzes mit den zweideutigen Worten: die im Jahre 1819 beſchloſſenen Maßregeln gegen die Preſſe ſollten in allen deutſchen Staaten „wie bisher“ gehandhabt werden. Baiern behielt ſich alſo ſeinen bisherigen Sonderbrauch ſtillſchweigend vor. Vergeblich hatte Metternich bis zuletzt verſucht, dieſe Clauſel zu beſeitigen; endlich drückte er ein Auge zu, da Baiern ohnehin ſchon feſt genug an Oeſter- reich gekettet war. Die Annahme der Karlsbader Beſchlüſſe war vor fünf Jahren nur durch einen Gewaltſtreich gelungen, ihre Erneuerung jetzt war rechtlich unanfechtbar. Obwohl die vorgeſchriebene förmliche Berathung nicht ſtattfand, ſo wurden doch alle übrigen Vorſchriften der Geſchäfts- ordnung eingehalten, und die verfaſſungsmäßige Einſtimmigkeit kam zu Stande. Der Beſchluß über die Landtage bedeutete ſehr wenig; denn im Grunde ſtand es auch jetzt noch jedem Bundesſtaate frei, die Schranken der Redefreiheit nach ſeinem Belieben zu ziehen. Aber ihr wichtigſtes Ziel hatte die Hofburg erreicht, die Heilanſtalt der Cenſur blieb den Deutſchen auf unbeſtimmte Zeit hinaus geſichert. Der König von Preußen ſprach dem öſterreichiſchen Staatskanzler in einem gnädigen Briefe ſeinen Dank aus, und Metternich meinte befriedigt, nunmehr erſt ſei der Deutſche Bund ganz in das Syſtem der großen Mächte verflochten.*) Gentz aber
*) Blittersdorff’s Berichte, 12., 16., 22., 27. Aug. 1824.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0354"n="338"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 5. Die Großmächte und die Trias.</fw><lb/>
die Abſichten der Hofburg unterrichtet. Vier Tage darauf ging das wohl-<lb/>
vorbereitete Schauſpiel über die Bretter. Münch hielt einen langen Prä-<lb/>ſidialvortrag und führte darin auf Metternich’s Befehl mehrere Stellen<lb/>
aus Zentner’s Denkſchrift wörtlich wieder an, damit die Anträge auch in<lb/>
der Form als ein gemeinſames Werk Baierns und Oeſterreichs erſchienen.<lb/>
Darauf beſchloß der Bundestag einſtimmig, die Giltigkeit des proviſoriſchen<lb/>
Preßgeſetzes bis zum Erlaß eines endgiltigen Geſetzes zu verlängern. Auch<lb/>
das Geſetz über die Univerſitäten ſollte fortbeſtehen und inzwiſchen ein<lb/>
Ausſchuß der Bundesverſammlung die Gebrechen des deutſchen Unter-<lb/>
richtsweſens näher prüfen. Endlich wurden alle Bundesſtaaten verpflichtet,<lb/>
das monarchiſche Princip aufrecht zu erhalten und den Mißbräuchen der<lb/>
öffentlichen Landtagsverhandlungen durch eine ſtrenge Geſchäftsordnung,<lb/>
womöglich nach gemeinſamen Grundſätzen, vorzubeugen.</p><lb/><p>Die meiſten der kleinen Höfe, Berſtett ſelbſt geſtand es ſpäterhin,<lb/>
fügten ſich nur widerwillig, jedoch der Schein der Freiheit blieb gewahrt,<lb/>
die Zuſtimmung ward durchweg ohne Vorbehalt gegeben, und nur Blit-<lb/>
tersdorff’s argwöhniſches Auge konnte aus den etwas gewundenen Sätzen<lb/>
des Votums der Erneſtiner errathen, daß „der Wartburg-Geiſt“ in Weimar<lb/>
noch ſpuke. Das verheißene definitive Preßgeſetz wagte man nicht anzu-<lb/>
regen, aus Furcht vor Unfrieden, und aus demſelben Grunde trat auch<lb/>
der neue Bundesausſchuß für das Univerſitätsweſen niemals ins Leben.<lb/>
Der einzige Staat, welcher den bairiſch-öſterreichiſchen Anträgen ein kleines<lb/>
Bedenken anhing, war, ſeltſam genug, Baiern ſelbſt. Sein Geſandter<lb/>
willigte in die Verlängerung des Preßgeſetzes mit den zweideutigen Worten:<lb/>
die im Jahre 1819 beſchloſſenen Maßregeln gegen die Preſſe ſollten in<lb/>
allen deutſchen Staaten „wie bisher“ gehandhabt werden. Baiern behielt<lb/>ſich alſo ſeinen bisherigen Sonderbrauch ſtillſchweigend vor. Vergeblich<lb/>
hatte Metternich bis zuletzt verſucht, dieſe Clauſel zu beſeitigen; endlich<lb/>
drückte er ein Auge zu, da Baiern ohnehin ſchon feſt genug an Oeſter-<lb/>
reich gekettet war. Die Annahme der Karlsbader Beſchlüſſe war vor fünf<lb/>
Jahren nur durch einen Gewaltſtreich gelungen, ihre Erneuerung jetzt war<lb/>
rechtlich unanfechtbar. Obwohl die vorgeſchriebene förmliche Berathung<lb/>
nicht ſtattfand, ſo wurden doch alle übrigen Vorſchriften der Geſchäfts-<lb/>
ordnung eingehalten, und die verfaſſungsmäßige Einſtimmigkeit kam zu<lb/>
Stande. Der Beſchluß über die Landtage bedeutete ſehr wenig; denn im<lb/>
Grunde ſtand es auch jetzt noch jedem Bundesſtaate frei, die Schranken<lb/>
der Redefreiheit nach ſeinem Belieben zu ziehen. Aber ihr wichtigſtes Ziel<lb/>
hatte die Hofburg erreicht, die Heilanſtalt der Cenſur blieb den Deutſchen<lb/>
auf unbeſtimmte Zeit hinaus geſichert. Der König von Preußen ſprach<lb/>
dem öſterreichiſchen Staatskanzler in einem gnädigen Briefe ſeinen Dank<lb/>
aus, und Metternich meinte befriedigt, nunmehr erſt ſei der Deutſche<lb/>
Bund ganz in das Syſtem der großen Mächte verflochten.<noteplace="foot"n="*)">Blittersdorff’s Berichte, 12., 16., 22., 27. Aug. 1824.</note> Gentz aber<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[338/0354]
III. 5. Die Großmächte und die Trias.
die Abſichten der Hofburg unterrichtet. Vier Tage darauf ging das wohl-
vorbereitete Schauſpiel über die Bretter. Münch hielt einen langen Prä-
ſidialvortrag und führte darin auf Metternich’s Befehl mehrere Stellen
aus Zentner’s Denkſchrift wörtlich wieder an, damit die Anträge auch in
der Form als ein gemeinſames Werk Baierns und Oeſterreichs erſchienen.
Darauf beſchloß der Bundestag einſtimmig, die Giltigkeit des proviſoriſchen
Preßgeſetzes bis zum Erlaß eines endgiltigen Geſetzes zu verlängern. Auch
das Geſetz über die Univerſitäten ſollte fortbeſtehen und inzwiſchen ein
Ausſchuß der Bundesverſammlung die Gebrechen des deutſchen Unter-
richtsweſens näher prüfen. Endlich wurden alle Bundesſtaaten verpflichtet,
das monarchiſche Princip aufrecht zu erhalten und den Mißbräuchen der
öffentlichen Landtagsverhandlungen durch eine ſtrenge Geſchäftsordnung,
womöglich nach gemeinſamen Grundſätzen, vorzubeugen.
Die meiſten der kleinen Höfe, Berſtett ſelbſt geſtand es ſpäterhin,
fügten ſich nur widerwillig, jedoch der Schein der Freiheit blieb gewahrt,
die Zuſtimmung ward durchweg ohne Vorbehalt gegeben, und nur Blit-
tersdorff’s argwöhniſches Auge konnte aus den etwas gewundenen Sätzen
des Votums der Erneſtiner errathen, daß „der Wartburg-Geiſt“ in Weimar
noch ſpuke. Das verheißene definitive Preßgeſetz wagte man nicht anzu-
regen, aus Furcht vor Unfrieden, und aus demſelben Grunde trat auch
der neue Bundesausſchuß für das Univerſitätsweſen niemals ins Leben.
Der einzige Staat, welcher den bairiſch-öſterreichiſchen Anträgen ein kleines
Bedenken anhing, war, ſeltſam genug, Baiern ſelbſt. Sein Geſandter
willigte in die Verlängerung des Preßgeſetzes mit den zweideutigen Worten:
die im Jahre 1819 beſchloſſenen Maßregeln gegen die Preſſe ſollten in
allen deutſchen Staaten „wie bisher“ gehandhabt werden. Baiern behielt
ſich alſo ſeinen bisherigen Sonderbrauch ſtillſchweigend vor. Vergeblich
hatte Metternich bis zuletzt verſucht, dieſe Clauſel zu beſeitigen; endlich
drückte er ein Auge zu, da Baiern ohnehin ſchon feſt genug an Oeſter-
reich gekettet war. Die Annahme der Karlsbader Beſchlüſſe war vor fünf
Jahren nur durch einen Gewaltſtreich gelungen, ihre Erneuerung jetzt war
rechtlich unanfechtbar. Obwohl die vorgeſchriebene förmliche Berathung
nicht ſtattfand, ſo wurden doch alle übrigen Vorſchriften der Geſchäfts-
ordnung eingehalten, und die verfaſſungsmäßige Einſtimmigkeit kam zu
Stande. Der Beſchluß über die Landtage bedeutete ſehr wenig; denn im
Grunde ſtand es auch jetzt noch jedem Bundesſtaate frei, die Schranken
der Redefreiheit nach ſeinem Belieben zu ziehen. Aber ihr wichtigſtes Ziel
hatte die Hofburg erreicht, die Heilanſtalt der Cenſur blieb den Deutſchen
auf unbeſtimmte Zeit hinaus geſichert. Der König von Preußen ſprach
dem öſterreichiſchen Staatskanzler in einem gnädigen Briefe ſeinen Dank
aus, und Metternich meinte befriedigt, nunmehr erſt ſei der Deutſche
Bund ganz in das Syſtem der großen Mächte verflochten. *) Gentz aber
*) Blittersdorff’s Berichte, 12., 16., 22., 27. Aug. 1824.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/354>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.