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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Berathung auf dem Johannisberge.
Landständen fertig werde; mehr als in Tegernsee erlangt sei, lasse sich
für jetzt nicht erreichen; Preußen und Baiern wollten nicht weiter gehen.
Immerhin durfte er sich seiner Erfolge freuen. Vor Kurzem noch hatte
er den Freunden geklagt: "Rechberg ist nicht Baiern;"*) jetzt ward ihm
der Triumph, daß der alte Widersacher der Karlsbader Beschlüsse selber
ihre Erneuerung beantragte.

Mehrere Wochen lang verweilte Metternich nunmehr auf seinem
rheinischen Schlosse. Münch, Nagler, Hatzfeldt, Marschall, Berstett,
Münster, du Thil, fast alle leitenden Staatsmänner des Bundes machten
ihm ihre Aufwartung, der Herzog von Oldenburg erschien persönlich. Alle
sprachen sich für Zentner's Vorschläge aus. Am eifrigsten Berstett. Der
hatte schon einen Plan fertig für eine gemeinsame Geschäftsordnung der
süddeutschen Volkskammern, welche die bestehenden Verfassungen nicht im
mindesten beeinträchtigen sollte: man brauchte nur einfach "die Ausnahme
zur Regel und die Regel zur Ausnahme zu machen", so daß die Kam-
mern künftighin nur in besonderen Fällen, mit Genehmigung der Regierung,
eine öffentliche Sitzung beschließen durften! Auch der Dresdener Hof er-
klärte sein Einverständniß, die kleinen Cabinette wurden durch ein Rund-
schreiben Metternich's aufgeklärt, und zum allgemeinen Erstaunen erschien
sogar der württembergische Minister Maucler auf dem Johannisberge um
seinen Frieden mit den Großmächten zu schließen.**) Ganz zuletzt verbrachte
noch Großherzog Karl August von Weimar einige Stunden auf dem
Schlosse, sehr wenig erbaut von dem diplomatischen Geflüster; aber wie
durfte er widersprechen, da er die Mächtigen einig sah?

Seinen Heimweg nahm Metternich über das Wrede'sche Schloß Ellin-
gen, um dort noch einmal mit den bairischen Staatsmännern zusammen-
zutreffen und die neue Freundschaft zu befestigen. In seinem gewohnten
großsprecherischen Tone verkündete er alsdann (29. Juli) dem Kaiser Franz,
der große Schlag am Bundestage sei genugsam gesichert. Unglaublich,
welche selbstgefällige Lügen er seinem Monarchen, der allerdings vom
deutschen Bundesrechte kindliche Vorstellungen hegte, ins Gesicht zu sagen
wagte. Er erzählte ihm, durch die Ministerconferenzen von 1820 hätte
der Bund "einige siebzig neue organische Gesetze" erhalten -- was nur
dann zur Noth zutraf, wenn man jeden einzelnen der 65 Paragraphen
der Schlußakte als ein besonderes organisches Gesetz zählte. Durch diese
fabelhafte legislatorische Fruchtbarkeit war die organische Gesetzgebung des
Bundes nunmehr natürlich abgeschlossen, und es fehlte nur noch die Er-
neuerung der Ausnahmegesetze. Bereitwillig ertheilte Kaiser Franz seine
Genehmigung: "An Ihren Bemühungen, Ruhe und Ordnung in der Welt
zu erhalten, hat es wahrlich nicht gefehlt. Gott kröne sie mit Erfolg!"

Am 12. August wurde der Bundestag in vertraulicher Sitzung über

*) Metternich an Berstett, 18. März, 8. Mai 1824.
**) Berichte von Jordan, Dresden 12. Juli, von Lusi, Stuttgart, 16. Juni 1824.
Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 22

Berathung auf dem Johannisberge.
Landſtänden fertig werde; mehr als in Tegernſee erlangt ſei, laſſe ſich
für jetzt nicht erreichen; Preußen und Baiern wollten nicht weiter gehen.
Immerhin durfte er ſich ſeiner Erfolge freuen. Vor Kurzem noch hatte
er den Freunden geklagt: „Rechberg iſt nicht Baiern;“*) jetzt ward ihm
der Triumph, daß der alte Widerſacher der Karlsbader Beſchlüſſe ſelber
ihre Erneuerung beantragte.

Mehrere Wochen lang verweilte Metternich nunmehr auf ſeinem
rheiniſchen Schloſſe. Münch, Nagler, Hatzfeldt, Marſchall, Berſtett,
Münſter, du Thil, faſt alle leitenden Staatsmänner des Bundes machten
ihm ihre Aufwartung, der Herzog von Oldenburg erſchien perſönlich. Alle
ſprachen ſich für Zentner’s Vorſchläge aus. Am eifrigſten Berſtett. Der
hatte ſchon einen Plan fertig für eine gemeinſame Geſchäftsordnung der
ſüddeutſchen Volkskammern, welche die beſtehenden Verfaſſungen nicht im
mindeſten beeinträchtigen ſollte: man brauchte nur einfach „die Ausnahme
zur Regel und die Regel zur Ausnahme zu machen“, ſo daß die Kam-
mern künftighin nur in beſonderen Fällen, mit Genehmigung der Regierung,
eine öffentliche Sitzung beſchließen durften! Auch der Dresdener Hof er-
klärte ſein Einverſtändniß, die kleinen Cabinette wurden durch ein Rund-
ſchreiben Metternich’s aufgeklärt, und zum allgemeinen Erſtaunen erſchien
ſogar der württembergiſche Miniſter Maucler auf dem Johannisberge um
ſeinen Frieden mit den Großmächten zu ſchließen.**) Ganz zuletzt verbrachte
noch Großherzog Karl Auguſt von Weimar einige Stunden auf dem
Schloſſe, ſehr wenig erbaut von dem diplomatiſchen Geflüſter; aber wie
durfte er widerſprechen, da er die Mächtigen einig ſah?

Seinen Heimweg nahm Metternich über das Wrede’ſche Schloß Ellin-
gen, um dort noch einmal mit den bairiſchen Staatsmännern zuſammen-
zutreffen und die neue Freundſchaft zu befeſtigen. In ſeinem gewohnten
großſprecheriſchen Tone verkündete er alsdann (29. Juli) dem Kaiſer Franz,
der große Schlag am Bundestage ſei genugſam geſichert. Unglaublich,
welche ſelbſtgefällige Lügen er ſeinem Monarchen, der allerdings vom
deutſchen Bundesrechte kindliche Vorſtellungen hegte, ins Geſicht zu ſagen
wagte. Er erzählte ihm, durch die Miniſterconferenzen von 1820 hätte
der Bund „einige ſiebzig neue organiſche Geſetze“ erhalten — was nur
dann zur Noth zutraf, wenn man jeden einzelnen der 65 Paragraphen
der Schlußakte als ein beſonderes organiſches Geſetz zählte. Durch dieſe
fabelhafte legislatoriſche Fruchtbarkeit war die organiſche Geſetzgebung des
Bundes nunmehr natürlich abgeſchloſſen, und es fehlte nur noch die Er-
neuerung der Ausnahmegeſetze. Bereitwillig ertheilte Kaiſer Franz ſeine
Genehmigung: „An Ihren Bemühungen, Ruhe und Ordnung in der Welt
zu erhalten, hat es wahrlich nicht gefehlt. Gott kröne ſie mit Erfolg!“

Am 12. Auguſt wurde der Bundestag in vertraulicher Sitzung über

*) Metternich an Berſtett, 18. März, 8. Mai 1824.
**) Berichte von Jordan, Dresden 12. Juli, von Luſi, Stuttgart, 16. Juni 1824.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 22
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[337/0353] Berathung auf dem Johannisberge. Landſtänden fertig werde; mehr als in Tegernſee erlangt ſei, laſſe ſich für jetzt nicht erreichen; Preußen und Baiern wollten nicht weiter gehen. Immerhin durfte er ſich ſeiner Erfolge freuen. Vor Kurzem noch hatte er den Freunden geklagt: „Rechberg iſt nicht Baiern;“ *) jetzt ward ihm der Triumph, daß der alte Widerſacher der Karlsbader Beſchlüſſe ſelber ihre Erneuerung beantragte. Mehrere Wochen lang verweilte Metternich nunmehr auf ſeinem rheiniſchen Schloſſe. Münch, Nagler, Hatzfeldt, Marſchall, Berſtett, Münſter, du Thil, faſt alle leitenden Staatsmänner des Bundes machten ihm ihre Aufwartung, der Herzog von Oldenburg erſchien perſönlich. Alle ſprachen ſich für Zentner’s Vorſchläge aus. Am eifrigſten Berſtett. Der hatte ſchon einen Plan fertig für eine gemeinſame Geſchäftsordnung der ſüddeutſchen Volkskammern, welche die beſtehenden Verfaſſungen nicht im mindeſten beeinträchtigen ſollte: man brauchte nur einfach „die Ausnahme zur Regel und die Regel zur Ausnahme zu machen“, ſo daß die Kam- mern künftighin nur in beſonderen Fällen, mit Genehmigung der Regierung, eine öffentliche Sitzung beſchließen durften! Auch der Dresdener Hof er- klärte ſein Einverſtändniß, die kleinen Cabinette wurden durch ein Rund- ſchreiben Metternich’s aufgeklärt, und zum allgemeinen Erſtaunen erſchien ſogar der württembergiſche Miniſter Maucler auf dem Johannisberge um ſeinen Frieden mit den Großmächten zu ſchließen. **) Ganz zuletzt verbrachte noch Großherzog Karl Auguſt von Weimar einige Stunden auf dem Schloſſe, ſehr wenig erbaut von dem diplomatiſchen Geflüſter; aber wie durfte er widerſprechen, da er die Mächtigen einig ſah? Seinen Heimweg nahm Metternich über das Wrede’ſche Schloß Ellin- gen, um dort noch einmal mit den bairiſchen Staatsmännern zuſammen- zutreffen und die neue Freundſchaft zu befeſtigen. In ſeinem gewohnten großſprecheriſchen Tone verkündete er alsdann (29. Juli) dem Kaiſer Franz, der große Schlag am Bundestage ſei genugſam geſichert. Unglaublich, welche ſelbſtgefällige Lügen er ſeinem Monarchen, der allerdings vom deutſchen Bundesrechte kindliche Vorſtellungen hegte, ins Geſicht zu ſagen wagte. Er erzählte ihm, durch die Miniſterconferenzen von 1820 hätte der Bund „einige ſiebzig neue organiſche Geſetze“ erhalten — was nur dann zur Noth zutraf, wenn man jeden einzelnen der 65 Paragraphen der Schlußakte als ein beſonderes organiſches Geſetz zählte. Durch dieſe fabelhafte legislatoriſche Fruchtbarkeit war die organiſche Geſetzgebung des Bundes nunmehr natürlich abgeſchloſſen, und es fehlte nur noch die Er- neuerung der Ausnahmegeſetze. Bereitwillig ertheilte Kaiſer Franz ſeine Genehmigung: „An Ihren Bemühungen, Ruhe und Ordnung in der Welt zu erhalten, hat es wahrlich nicht gefehlt. Gott kröne ſie mit Erfolg!“ Am 12. Auguſt wurde der Bundestag in vertraulicher Sitzung über *) Metternich an Berſtett, 18. März, 8. Mai 1824. **) Berichte von Jordan, Dresden 12. Juli, von Luſi, Stuttgart, 16. Juni 1824. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 22

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/353>, abgerufen am 23.11.2024.