Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

Münch's Vorschläge zur Erneuerung der Karlsbader Beschlüsse.
aber gab schließlich nach: er wußte wohl, daß er das klare Recht gegen
sich hatte.


Der Wiener Hof betheiligte sich an diesen langwierigen Händeln nur
ungern, nur weil er fühlte, daß die preußische Geduld auf die Neige ging.
Ungleich wichtiger als die Sicherung der Rheingrenze war ihm die Er-
neuerung der Karlsbader Beschlüsse, da die Giltigkeit des Preßgesetzes mit
dem Jahre 1824 erlosch. Von langer Hand her wurde diese rettende
That vorbereitet; mit ihr sollte die Säuberung des Bundestags ihren
Abschluß finden. Schon am 6. Januar 1824 unterbreitete Münch dem
Staatskanzler seinen Feldzugsplan. Er wies in einem Promemoria nach,
daß eigentlich nur das Preßgesetz der Verlängerung bedürfe, da die übrigen
Karlsbader Gesetze nicht für eine bestimmte Frist erlassen seien; er be-
hauptete dreist, für den Beschluß der Verlängerung genüge die einfache
Mehrheit am Bundestage, rieth aber seinem Gönner dringend, zuvor ver-
traulich mit den größeren Höfen, vornehmlich mit dem Münchener zu ver-
handeln. Denn in Baiern bestand noch immer die einzige bescheidene
Ausnahme von der Regel des Karlsbader Preßgesetzes. Nur die Zeit-
schriften, nicht die Bücher waren dort der Censur unterworfen, und ob-
gleich die Münchener Polizei durch scharfe Verbote auch die Bücher wohl
zu treffen wußte, so hielt der k. k. Präsidialgesandte doch jede Abweichung
von dem großen Grundsatze der Censur für gefährlich. Metternich folgte
dem Rathe und suchte sich zunächst der Unterstützung Preußens zu ver-
sichern, indem er die Hauptsätze der Denkschrift Münch's durch Hatzfeldt
nach Berlin gelangen ließ (12. Mai). Bernstorff gab seine Zustimmung,
denn über Zeitungen und Studenten dachte er nicht anders als sein
Wiener Freund. Nur ein ernstes Formbedenken machte er geltend. Die
Erinnerung an jene gefälschte Abstimmung, welche einst die Annahme der
Karlsbader Beschlüsse herbeigeführt hatte, war dem preußischen Minister
doch peinlich. Er bestand darauf, daß diesmal die Formen des Bundes-
rechts gewissenhaft geschont würden; er verlangte einstimmigen Beschluß,
da die Erneuerung eines Ausnahmegesetzes dem Erlaß eines neuen Ge-
setzes rechtlich gleichstehe, und setzte endlich seinen Willen durch, obwohl
der Wiener Hof, aus Furcht vor einem Mißerfolge, sehr lange und leb-
haft widersprach.*)

Unterdessen ging Metternich selbst nach Baiern, wo er die Stim-
mung über alles Erwarten günstig fand. Wohl hatte Max Joseph jüngst
wieder, beim Jubelfeste seiner Regierung, unzählige Beweise der Liebe von
seinem Volke empfangen und er wußte die bairische Treue zu schätzen;

*) Eichhorn's Promemoria 5. Juni, Bernstorff's Weisungen an Hatzfeldt, 15. Juni,
an Jordan und Küster, 18. Juni, an Goltz, 22. Juni; Nagler's Bericht, 24. Juli 1824.

Münch’s Vorſchläge zur Erneuerung der Karlsbader Beſchlüſſe.
aber gab ſchließlich nach: er wußte wohl, daß er das klare Recht gegen
ſich hatte.


Der Wiener Hof betheiligte ſich an dieſen langwierigen Händeln nur
ungern, nur weil er fühlte, daß die preußiſche Geduld auf die Neige ging.
Ungleich wichtiger als die Sicherung der Rheingrenze war ihm die Er-
neuerung der Karlsbader Beſchlüſſe, da die Giltigkeit des Preßgeſetzes mit
dem Jahre 1824 erloſch. Von langer Hand her wurde dieſe rettende
That vorbereitet; mit ihr ſollte die Säuberung des Bundestags ihren
Abſchluß finden. Schon am 6. Januar 1824 unterbreitete Münch dem
Staatskanzler ſeinen Feldzugsplan. Er wies in einem Promemoria nach,
daß eigentlich nur das Preßgeſetz der Verlängerung bedürfe, da die übrigen
Karlsbader Geſetze nicht für eine beſtimmte Friſt erlaſſen ſeien; er be-
hauptete dreiſt, für den Beſchluß der Verlängerung genüge die einfache
Mehrheit am Bundestage, rieth aber ſeinem Gönner dringend, zuvor ver-
traulich mit den größeren Höfen, vornehmlich mit dem Münchener zu ver-
handeln. Denn in Baiern beſtand noch immer die einzige beſcheidene
Ausnahme von der Regel des Karlsbader Preßgeſetzes. Nur die Zeit-
ſchriften, nicht die Bücher waren dort der Cenſur unterworfen, und ob-
gleich die Münchener Polizei durch ſcharfe Verbote auch die Bücher wohl
zu treffen wußte, ſo hielt der k. k. Präſidialgeſandte doch jede Abweichung
von dem großen Grundſatze der Cenſur für gefährlich. Metternich folgte
dem Rathe und ſuchte ſich zunächſt der Unterſtützung Preußens zu ver-
ſichern, indem er die Hauptſätze der Denkſchrift Münch’s durch Hatzfeldt
nach Berlin gelangen ließ (12. Mai). Bernſtorff gab ſeine Zuſtimmung,
denn über Zeitungen und Studenten dachte er nicht anders als ſein
Wiener Freund. Nur ein ernſtes Formbedenken machte er geltend. Die
Erinnerung an jene gefälſchte Abſtimmung, welche einſt die Annahme der
Karlsbader Beſchlüſſe herbeigeführt hatte, war dem preußiſchen Miniſter
doch peinlich. Er beſtand darauf, daß diesmal die Formen des Bundes-
rechts gewiſſenhaft geſchont würden; er verlangte einſtimmigen Beſchluß,
da die Erneuerung eines Ausnahmegeſetzes dem Erlaß eines neuen Ge-
ſetzes rechtlich gleichſtehe, und ſetzte endlich ſeinen Willen durch, obwohl
der Wiener Hof, aus Furcht vor einem Mißerfolge, ſehr lange und leb-
haft widerſprach.*)

Unterdeſſen ging Metternich ſelbſt nach Baiern, wo er die Stim-
mung über alles Erwarten günſtig fand. Wohl hatte Max Joſeph jüngſt
wieder, beim Jubelfeſte ſeiner Regierung, unzählige Beweiſe der Liebe von
ſeinem Volke empfangen und er wußte die bairiſche Treue zu ſchätzen;

*) Eichhorn’s Promemoria 5. Juni, Bernſtorff’s Weiſungen an Hatzfeldt, 15. Juni,
an Jordan und Küſter, 18. Juni, an Goltz, 22. Juni; Nagler’s Bericht, 24. Juli 1824.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0349" n="333"/><fw place="top" type="header">Münch&#x2019;s Vor&#x017F;chläge zur Erneuerung der Karlsbader Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e.</fw><lb/>
aber gab &#x017F;chließlich nach: er wußte wohl, daß er das klare Recht gegen<lb/>
&#x017F;ich hatte.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Der Wiener Hof betheiligte &#x017F;ich an die&#x017F;en langwierigen Händeln nur<lb/>
ungern, nur weil er fühlte, daß die preußi&#x017F;che Geduld auf die Neige ging.<lb/>
Ungleich wichtiger als die Sicherung der Rheingrenze war ihm die Er-<lb/>
neuerung der Karlsbader Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e, da die Giltigkeit des Preßge&#x017F;etzes mit<lb/>
dem Jahre 1824 erlo&#x017F;ch. Von langer Hand her wurde die&#x017F;e rettende<lb/>
That vorbereitet; mit ihr &#x017F;ollte die Säuberung des Bundestags ihren<lb/>
Ab&#x017F;chluß finden. Schon am 6. Januar 1824 unterbreitete Münch dem<lb/>
Staatskanzler &#x017F;einen Feldzugsplan. Er wies in einem Promemoria nach,<lb/>
daß eigentlich nur das Preßge&#x017F;etz der Verlängerung bedürfe, da die übrigen<lb/>
Karlsbader Ge&#x017F;etze nicht für eine be&#x017F;timmte Fri&#x017F;t erla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eien; er be-<lb/>
hauptete drei&#x017F;t, für den Be&#x017F;chluß der Verlängerung genüge die einfache<lb/>
Mehrheit am Bundestage, rieth aber &#x017F;einem Gönner dringend, zuvor ver-<lb/>
traulich mit den größeren Höfen, vornehmlich mit dem Münchener zu ver-<lb/>
handeln. Denn in Baiern be&#x017F;tand noch immer die einzige be&#x017F;cheidene<lb/>
Ausnahme von der Regel des Karlsbader Preßge&#x017F;etzes. Nur die Zeit-<lb/>
&#x017F;chriften, nicht die Bücher waren dort der Cen&#x017F;ur unterworfen, und ob-<lb/>
gleich die Münchener Polizei durch &#x017F;charfe Verbote auch die Bücher wohl<lb/>
zu treffen wußte, &#x017F;o hielt der k. k. Prä&#x017F;idialge&#x017F;andte doch jede Abweichung<lb/>
von dem großen Grund&#x017F;atze der Cen&#x017F;ur für gefährlich. Metternich folgte<lb/>
dem Rathe und &#x017F;uchte &#x017F;ich zunäch&#x017F;t der Unter&#x017F;tützung Preußens zu ver-<lb/>
&#x017F;ichern, indem er die Haupt&#x017F;ätze der Denk&#x017F;chrift Münch&#x2019;s durch Hatzfeldt<lb/>
nach Berlin gelangen ließ (12. Mai). Bern&#x017F;torff gab &#x017F;eine Zu&#x017F;timmung,<lb/>
denn über Zeitungen und Studenten dachte er nicht anders als &#x017F;ein<lb/>
Wiener Freund. Nur ein ern&#x017F;tes Formbedenken machte er geltend. Die<lb/>
Erinnerung an jene gefäl&#x017F;chte Ab&#x017F;timmung, welche ein&#x017F;t die Annahme der<lb/>
Karlsbader Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e herbeigeführt hatte, war dem preußi&#x017F;chen Mini&#x017F;ter<lb/>
doch peinlich. Er be&#x017F;tand darauf, daß diesmal die Formen des Bundes-<lb/>
rechts gewi&#x017F;&#x017F;enhaft ge&#x017F;chont würden; er verlangte ein&#x017F;timmigen Be&#x017F;chluß,<lb/>
da die Erneuerung eines Ausnahmege&#x017F;etzes dem Erlaß eines neuen Ge-<lb/>
&#x017F;etzes rechtlich gleich&#x017F;tehe, und &#x017F;etzte endlich &#x017F;einen Willen durch, obwohl<lb/>
der Wiener Hof, aus Furcht vor einem Mißerfolge, &#x017F;ehr lange und leb-<lb/>
haft wider&#x017F;prach.<note place="foot" n="*)">Eichhorn&#x2019;s Promemoria 5. Juni, Bern&#x017F;torff&#x2019;s Wei&#x017F;ungen an Hatzfeldt, 15. Juni,<lb/>
an Jordan und Kü&#x017F;ter, 18. Juni, an Goltz, 22. Juni; Nagler&#x2019;s Bericht, 24. Juli 1824.</note></p><lb/>
          <p>Unterde&#x017F;&#x017F;en ging Metternich &#x017F;elb&#x017F;t nach Baiern, wo er die Stim-<lb/>
mung über alles Erwarten gün&#x017F;tig fand. Wohl hatte Max Jo&#x017F;eph jüng&#x017F;t<lb/>
wieder, beim Jubelfe&#x017F;te &#x017F;einer Regierung, unzählige Bewei&#x017F;e der Liebe von<lb/>
&#x017F;einem Volke empfangen und er wußte die bairi&#x017F;che Treue zu &#x017F;chätzen;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[333/0349] Münch’s Vorſchläge zur Erneuerung der Karlsbader Beſchlüſſe. aber gab ſchließlich nach: er wußte wohl, daß er das klare Recht gegen ſich hatte. Der Wiener Hof betheiligte ſich an dieſen langwierigen Händeln nur ungern, nur weil er fühlte, daß die preußiſche Geduld auf die Neige ging. Ungleich wichtiger als die Sicherung der Rheingrenze war ihm die Er- neuerung der Karlsbader Beſchlüſſe, da die Giltigkeit des Preßgeſetzes mit dem Jahre 1824 erloſch. Von langer Hand her wurde dieſe rettende That vorbereitet; mit ihr ſollte die Säuberung des Bundestags ihren Abſchluß finden. Schon am 6. Januar 1824 unterbreitete Münch dem Staatskanzler ſeinen Feldzugsplan. Er wies in einem Promemoria nach, daß eigentlich nur das Preßgeſetz der Verlängerung bedürfe, da die übrigen Karlsbader Geſetze nicht für eine beſtimmte Friſt erlaſſen ſeien; er be- hauptete dreiſt, für den Beſchluß der Verlängerung genüge die einfache Mehrheit am Bundestage, rieth aber ſeinem Gönner dringend, zuvor ver- traulich mit den größeren Höfen, vornehmlich mit dem Münchener zu ver- handeln. Denn in Baiern beſtand noch immer die einzige beſcheidene Ausnahme von der Regel des Karlsbader Preßgeſetzes. Nur die Zeit- ſchriften, nicht die Bücher waren dort der Cenſur unterworfen, und ob- gleich die Münchener Polizei durch ſcharfe Verbote auch die Bücher wohl zu treffen wußte, ſo hielt der k. k. Präſidialgeſandte doch jede Abweichung von dem großen Grundſatze der Cenſur für gefährlich. Metternich folgte dem Rathe und ſuchte ſich zunächſt der Unterſtützung Preußens zu ver- ſichern, indem er die Hauptſätze der Denkſchrift Münch’s durch Hatzfeldt nach Berlin gelangen ließ (12. Mai). Bernſtorff gab ſeine Zuſtimmung, denn über Zeitungen und Studenten dachte er nicht anders als ſein Wiener Freund. Nur ein ernſtes Formbedenken machte er geltend. Die Erinnerung an jene gefälſchte Abſtimmung, welche einſt die Annahme der Karlsbader Beſchlüſſe herbeigeführt hatte, war dem preußiſchen Miniſter doch peinlich. Er beſtand darauf, daß diesmal die Formen des Bundes- rechts gewiſſenhaft geſchont würden; er verlangte einſtimmigen Beſchluß, da die Erneuerung eines Ausnahmegeſetzes dem Erlaß eines neuen Ge- ſetzes rechtlich gleichſtehe, und ſetzte endlich ſeinen Willen durch, obwohl der Wiener Hof, aus Furcht vor einem Mißerfolge, ſehr lange und leb- haft widerſprach. *) Unterdeſſen ging Metternich ſelbſt nach Baiern, wo er die Stim- mung über alles Erwarten günſtig fand. Wohl hatte Max Joſeph jüngſt wieder, beim Jubelfeſte ſeiner Regierung, unzählige Beweiſe der Liebe von ſeinem Volke empfangen und er wußte die bairiſche Treue zu ſchätzen; *) Eichhorn’s Promemoria 5. Juni, Bernſtorff’s Weiſungen an Hatzfeldt, 15. Juni, an Jordan und Küſter, 18. Juni, an Goltz, 22. Juni; Nagler’s Bericht, 24. Juli 1824.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/349
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/349>, abgerufen am 22.11.2024.