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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III 5. Die Großmächte und die Trias.
Conferenz beantragt hatte. Am 1. Juli 1824 beschloß die Versammlung,
nur noch eine Auswahl aus ihren Protokollen zu veröffentlichen; von den
eigentlichen Protokollen wurden nur wenige Exemplare gedruckt, sorgfältig
mit Nummern versehen und im strengsten Geheimniß den verbündeten
Höfen mitgetheilt, wo man sie so sorgsam verwahrte, daß bis zum Jahre
1848 kein einziger deutscher Gelehrter davon Kenntniß nehmen konnte. Die
veröffentlichten dürftigen Auszüge fanden keine Leser, und schon nach vier
Jahren wurde die Herausgabe "wegen Mangels an Stoff" gänzlich ein-
gestellt. Gewiß waren die Verhandlungen eines Gesandtencongresses für
das große Publicum wenig geeignet; ihre Veröffentlichung hatte oft den
Zwiespalt zwischen den Höfen erweitert, öfter noch die Gesandten zur Ent-
faltung unnützer Redekünste verführt. Aber die Heimlichkeit der Bera-
thungen wirkte noch unheilvoller. Die deutsche Centralgewalt erschien der
erbitterten Nation fortan nur noch wie eine geheime Polizeibehörde, und
die dem Bundestage so verdächtige Wissenschaft des deutschen Bundes-
rechts kam niemals aus den Windeln heraus, weil sie über Entstehung,
Sinn und Zweck der Bundesgesetze nichts Sicheres zu sagen wußte. Nur
einmal in diesen langen Jahren wagte sich schwarzer Verrath an die Pro-
tokolle des Bundestags heran. Der Legationssecretär einer Bundesge-
sandtschaft entdeckte eines Tags, als er sich sein Abendbrot beim Metzger
gekauft hatte, mit Entsetzen, daß die Wurst in ein geheimes Bundespro-
tokoll eingewickelt war. Sofort wurde die Frankfurter Polizei aufgeboten;
sie war längst gewohnt dem k. k. Präsidialgesandten treue Dienste zu leisten,
und es gelang ihr nicht nur, noch eine erkleckliche Anzahl fettiger Protokoll-
bogen aufzutreiben, sondern auch den Nachweis zu führen, daß die Köchin
des Ernestinischen Bundesgesandten die alten Papiere, die ihr Herr doch
niemals las, an den Wurstler verkauft hatte. Deutschlands höchste Be-
hörde erörterte den schwierigen Fall mit gewohnter Gründlichkeit; dann
wurden die aufgelaufenen Akten nebst den glücklich wieder eingefangenen
alten Protokollbogen zu einem besonderen Fascikel vereinigt und im Bun-
desarchiv niedergelegt, woselbst der Name der pflichtvergessenen Bundes-
köchin noch heute für das Gedächtniß der Nachwelt aufbewahrt wird.

Das Stillleben in der Eschenheimer Gasse ward nachgerade so unheim-
lich, daß die Zeiten Wangenheim's mit ihrem wüsten Lärm und Zank da-
neben noch beneidenswerth erschienen. Seit Münch sein Scepter schwang,
ging die ganze Thätigkeit des Bundestags im Niederhalten des nationalen
Lebens auf. Nur die preußische Regierung bewährte selbst in diesen Tagen
dumpfen Druckes noch ihren alten Eifer für die Stärkung der nationalen
Wehrkraft. Der König bestand darauf, daß mindestens die Vertheidigung
des Mittelrheins endlich geregelt werden müßte, da die Süddeutschen sich
über ihre Bundesfestungen doch nicht einigten. Nachdem er in Frank-
furt noch mehrmals vergeblich hatte mahnen lassen, sendete er im Früh-
jahr 1824 den General Krauseneck nach Wien. Hatzfeldt erschrak über den

III 5. Die Großmächte und die Trias.
Conferenz beantragt hatte. Am 1. Juli 1824 beſchloß die Verſammlung,
nur noch eine Auswahl aus ihren Protokollen zu veröffentlichen; von den
eigentlichen Protokollen wurden nur wenige Exemplare gedruckt, ſorgfältig
mit Nummern verſehen und im ſtrengſten Geheimniß den verbündeten
Höfen mitgetheilt, wo man ſie ſo ſorgſam verwahrte, daß bis zum Jahre
1848 kein einziger deutſcher Gelehrter davon Kenntniß nehmen konnte. Die
veröffentlichten dürftigen Auszüge fanden keine Leſer, und ſchon nach vier
Jahren wurde die Herausgabe „wegen Mangels an Stoff“ gänzlich ein-
geſtellt. Gewiß waren die Verhandlungen eines Geſandtencongreſſes für
das große Publicum wenig geeignet; ihre Veröffentlichung hatte oft den
Zwieſpalt zwiſchen den Höfen erweitert, öfter noch die Geſandten zur Ent-
faltung unnützer Redekünſte verführt. Aber die Heimlichkeit der Bera-
thungen wirkte noch unheilvoller. Die deutſche Centralgewalt erſchien der
erbitterten Nation fortan nur noch wie eine geheime Polizeibehörde, und
die dem Bundestage ſo verdächtige Wiſſenſchaft des deutſchen Bundes-
rechts kam niemals aus den Windeln heraus, weil ſie über Entſtehung,
Sinn und Zweck der Bundesgeſetze nichts Sicheres zu ſagen wußte. Nur
einmal in dieſen langen Jahren wagte ſich ſchwarzer Verrath an die Pro-
tokolle des Bundestags heran. Der Legationsſecretär einer Bundesge-
ſandtſchaft entdeckte eines Tags, als er ſich ſein Abendbrot beim Metzger
gekauft hatte, mit Entſetzen, daß die Wurſt in ein geheimes Bundespro-
tokoll eingewickelt war. Sofort wurde die Frankfurter Polizei aufgeboten;
ſie war längſt gewohnt dem k. k. Präſidialgeſandten treue Dienſte zu leiſten,
und es gelang ihr nicht nur, noch eine erkleckliche Anzahl fettiger Protokoll-
bogen aufzutreiben, ſondern auch den Nachweis zu führen, daß die Köchin
des Erneſtiniſchen Bundesgeſandten die alten Papiere, die ihr Herr doch
niemals las, an den Wurſtler verkauft hatte. Deutſchlands höchſte Be-
hörde erörterte den ſchwierigen Fall mit gewohnter Gründlichkeit; dann
wurden die aufgelaufenen Akten nebſt den glücklich wieder eingefangenen
alten Protokollbogen zu einem beſonderen Fascikel vereinigt und im Bun-
desarchiv niedergelegt, woſelbſt der Name der pflichtvergeſſenen Bundes-
köchin noch heute für das Gedächtniß der Nachwelt aufbewahrt wird.

Das Stillleben in der Eſchenheimer Gaſſe ward nachgerade ſo unheim-
lich, daß die Zeiten Wangenheim’s mit ihrem wüſten Lärm und Zank da-
neben noch beneidenswerth erſchienen. Seit Münch ſein Scepter ſchwang,
ging die ganze Thätigkeit des Bundestags im Niederhalten des nationalen
Lebens auf. Nur die preußiſche Regierung bewährte ſelbſt in dieſen Tagen
dumpfen Druckes noch ihren alten Eifer für die Stärkung der nationalen
Wehrkraft. Der König beſtand darauf, daß mindeſtens die Vertheidigung
des Mittelrheins endlich geregelt werden müßte, da die Süddeutſchen ſich
über ihre Bundesfeſtungen doch nicht einigten. Nachdem er in Frank-
furt noch mehrmals vergeblich hatte mahnen laſſen, ſendete er im Früh-
jahr 1824 den General Krauſeneck nach Wien. Hatzfeldt erſchrak über den

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[330/0346] III 5. Die Großmächte und die Trias. Conferenz beantragt hatte. Am 1. Juli 1824 beſchloß die Verſammlung, nur noch eine Auswahl aus ihren Protokollen zu veröffentlichen; von den eigentlichen Protokollen wurden nur wenige Exemplare gedruckt, ſorgfältig mit Nummern verſehen und im ſtrengſten Geheimniß den verbündeten Höfen mitgetheilt, wo man ſie ſo ſorgſam verwahrte, daß bis zum Jahre 1848 kein einziger deutſcher Gelehrter davon Kenntniß nehmen konnte. Die veröffentlichten dürftigen Auszüge fanden keine Leſer, und ſchon nach vier Jahren wurde die Herausgabe „wegen Mangels an Stoff“ gänzlich ein- geſtellt. Gewiß waren die Verhandlungen eines Geſandtencongreſſes für das große Publicum wenig geeignet; ihre Veröffentlichung hatte oft den Zwieſpalt zwiſchen den Höfen erweitert, öfter noch die Geſandten zur Ent- faltung unnützer Redekünſte verführt. Aber die Heimlichkeit der Bera- thungen wirkte noch unheilvoller. Die deutſche Centralgewalt erſchien der erbitterten Nation fortan nur noch wie eine geheime Polizeibehörde, und die dem Bundestage ſo verdächtige Wiſſenſchaft des deutſchen Bundes- rechts kam niemals aus den Windeln heraus, weil ſie über Entſtehung, Sinn und Zweck der Bundesgeſetze nichts Sicheres zu ſagen wußte. Nur einmal in dieſen langen Jahren wagte ſich ſchwarzer Verrath an die Pro- tokolle des Bundestags heran. Der Legationsſecretär einer Bundesge- ſandtſchaft entdeckte eines Tags, als er ſich ſein Abendbrot beim Metzger gekauft hatte, mit Entſetzen, daß die Wurſt in ein geheimes Bundespro- tokoll eingewickelt war. Sofort wurde die Frankfurter Polizei aufgeboten; ſie war längſt gewohnt dem k. k. Präſidialgeſandten treue Dienſte zu leiſten, und es gelang ihr nicht nur, noch eine erkleckliche Anzahl fettiger Protokoll- bogen aufzutreiben, ſondern auch den Nachweis zu führen, daß die Köchin des Erneſtiniſchen Bundesgeſandten die alten Papiere, die ihr Herr doch niemals las, an den Wurſtler verkauft hatte. Deutſchlands höchſte Be- hörde erörterte den ſchwierigen Fall mit gewohnter Gründlichkeit; dann wurden die aufgelaufenen Akten nebſt den glücklich wieder eingefangenen alten Protokollbogen zu einem beſonderen Fascikel vereinigt und im Bun- desarchiv niedergelegt, woſelbſt der Name der pflichtvergeſſenen Bundes- köchin noch heute für das Gedächtniß der Nachwelt aufbewahrt wird. Das Stillleben in der Eſchenheimer Gaſſe ward nachgerade ſo unheim- lich, daß die Zeiten Wangenheim’s mit ihrem wüſten Lärm und Zank da- neben noch beneidenswerth erſchienen. Seit Münch ſein Scepter ſchwang, ging die ganze Thätigkeit des Bundestags im Niederhalten des nationalen Lebens auf. Nur die preußiſche Regierung bewährte ſelbſt in dieſen Tagen dumpfen Druckes noch ihren alten Eifer für die Stärkung der nationalen Wehrkraft. Der König beſtand darauf, daß mindeſtens die Vertheidigung des Mittelrheins endlich geregelt werden müßte, da die Süddeutſchen ſich über ihre Bundesfeſtungen doch nicht einigten. Nachdem er in Frank- furt noch mehrmals vergeblich hatte mahnen laſſen, ſendete er im Früh- jahr 1824 den General Krauſeneck nach Wien. Hatzfeldt erſchrak über den

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/346>, abgerufen am 25.11.2024.