trieben das von der constitutionellen Heilslehre geforderte Mißtrauen über alles Maß hinaus, zumal bei der Berathung des neuen Conscriptions- gesetzes; aus Furcht vor Willkür bestritten sie den Militärbehörden sogar das Recht, dienstuntaugliche Soldaten nach freiem Ermessen zu entlassen. Und dazu die unhaltbare Doppelstellung der Staatsdienerschaft: Itzstein selbst und mehrere andere Führer der Opposition waren Beamte, sogar die Regierungscommissäre ließen sich das Recht nicht nehmen, gelegentlich gegen das Ministerium zu sprechen. Zündstoff in Fülle war hüben und drüben schon längst aufgehäuft, da kam es zum Bruche (Januar 1823), leider, wie im Jahre 1819, wieder wegen einer Frage, welche die Grund- lagen des Bundesrechts berührte.
Es war das Verhängniß des Karlsruher Landtags, daß er immer mit dem Bunde unmittelbar zusammengerathen mußte. Die Regierung hatte ein Militärbudget vorgelegt, das sie endlich auf 1,6 Mill. Gulden ermäßigte; mit geringeren Mitteln, versicherten die Minister, könne Baden den Anforderungen der neuen Bundeskriegsverfassung nicht genügen. Jeder- mann wußte, daß Großherzog Ludwig die Heeresverwaltung persönlich leitete und wiederholt gedroht hatte, auf dieses Gebiet solle sich der Landtag nicht wagen. Gleichwohl wollte die Kammer noch die armselige Summe von 50,000 fl. streichen; der modische Haß gegen die stehenden Heere verlangte sein Opfer. Da erklärte der Großherzog: nach Art. 58 der Schlußakte dürften die Stände ihn nicht in der Erfüllung seiner Bundespflichten hin- dern, er werde daher die nöthigen Summen auch ohne Bewilligung aus- geben. Damit war das Budgetrecht der Kammer in Frage gestellt, und so- bald eine constitutionelle Principienfrage aufgeworfen wurde, pflegte der junge deutsche Liberalismus regelmäßig die Besinnung zu verlieren. Wieder wie vor drei Jahren erklang der Schlachtruf des Partikularismus: Landes- recht geht vor Bundesrecht. Die verständigen Warnungen Liebenstein's ver- hallten wirkungslos, als Itzstein die Abgeordneten in heftiger Rede an ihre "Ehrenpflicht" mahnte. Mit einer Mehrheit von einer Stimme hielt die Kammer ihre Beschlüsse aufrecht, und sofort verließen die Vertreter der Regierung den Saal. Am folgenden Tage schon wurden die Kammern geschlossen. Ein zorniges Manifest verkündete dem Volke den Unwillen des Großherzogs über seine pflichtvergessenen Stände; von allen den Gesetzen, welche der Landtag beschlossen, ward kein einziges verkündigt, und da ein Budget seit der Begründung dieser Verfassung noch niemals zu Stande gekommen war, so wirthschaftete die Regierung mit den unbewilligten Ein- nahmen vergnüglich weiter. Eine harte und rachsüchtige Reaktion brach herein, das badische Land sollte jene unglücklichen 50,000 Gulden noch theuer bezahlen.
Auf der Wiener Conferenz wurde die Schließung des Karlsruher Landtags mit einstimmigem Beifall begrüßt. Kaiser Franz sagte zu Blit- tersdorff, die That des Großherzogs Ludwig sei ein heilsames Beispiel
III. 5. Die Großmächte und die Trias.
trieben das von der conſtitutionellen Heilslehre geforderte Mißtrauen über alles Maß hinaus, zumal bei der Berathung des neuen Conſcriptions- geſetzes; aus Furcht vor Willkür beſtritten ſie den Militärbehörden ſogar das Recht, dienſtuntaugliche Soldaten nach freiem Ermeſſen zu entlaſſen. Und dazu die unhaltbare Doppelſtellung der Staatsdienerſchaft: Itzſtein ſelbſt und mehrere andere Führer der Oppoſition waren Beamte, ſogar die Regierungscommiſſäre ließen ſich das Recht nicht nehmen, gelegentlich gegen das Miniſterium zu ſprechen. Zündſtoff in Fülle war hüben und drüben ſchon längſt aufgehäuft, da kam es zum Bruche (Januar 1823), leider, wie im Jahre 1819, wieder wegen einer Frage, welche die Grund- lagen des Bundesrechts berührte.
Es war das Verhängniß des Karlsruher Landtags, daß er immer mit dem Bunde unmittelbar zuſammengerathen mußte. Die Regierung hatte ein Militärbudget vorgelegt, das ſie endlich auf 1,6 Mill. Gulden ermäßigte; mit geringeren Mitteln, verſicherten die Miniſter, könne Baden den Anforderungen der neuen Bundeskriegsverfaſſung nicht genügen. Jeder- mann wußte, daß Großherzog Ludwig die Heeresverwaltung perſönlich leitete und wiederholt gedroht hatte, auf dieſes Gebiet ſolle ſich der Landtag nicht wagen. Gleichwohl wollte die Kammer noch die armſelige Summe von 50,000 fl. ſtreichen; der modiſche Haß gegen die ſtehenden Heere verlangte ſein Opfer. Da erklärte der Großherzog: nach Art. 58 der Schlußakte dürften die Stände ihn nicht in der Erfüllung ſeiner Bundespflichten hin- dern, er werde daher die nöthigen Summen auch ohne Bewilligung aus- geben. Damit war das Budgetrecht der Kammer in Frage geſtellt, und ſo- bald eine conſtitutionelle Principienfrage aufgeworfen wurde, pflegte der junge deutſche Liberalismus regelmäßig die Beſinnung zu verlieren. Wieder wie vor drei Jahren erklang der Schlachtruf des Partikularismus: Landes- recht geht vor Bundesrecht. Die verſtändigen Warnungen Liebenſtein’s ver- hallten wirkungslos, als Itzſtein die Abgeordneten in heftiger Rede an ihre „Ehrenpflicht“ mahnte. Mit einer Mehrheit von einer Stimme hielt die Kammer ihre Beſchlüſſe aufrecht, und ſofort verließen die Vertreter der Regierung den Saal. Am folgenden Tage ſchon wurden die Kammern geſchloſſen. Ein zorniges Manifeſt verkündete dem Volke den Unwillen des Großherzogs über ſeine pflichtvergeſſenen Stände; von allen den Geſetzen, welche der Landtag beſchloſſen, ward kein einziges verkündigt, und da ein Budget ſeit der Begründung dieſer Verfaſſung noch niemals zu Stande gekommen war, ſo wirthſchaftete die Regierung mit den unbewilligten Ein- nahmen vergnüglich weiter. Eine harte und rachſüchtige Reaktion brach herein, das badiſche Land ſollte jene unglücklichen 50,000 Gulden noch theuer bezahlen.
Auf der Wiener Conferenz wurde die Schließung des Karlsruher Landtags mit einſtimmigem Beifall begrüßt. Kaiſer Franz ſagte zu Blit- tersdorff, die That des Großherzogs Ludwig ſei ein heilſames Beiſpiel
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trieben das von der conſtitutionellen Heilslehre geforderte Mißtrauen über
alles Maß hinaus, zumal bei der Berathung des neuen Conſcriptions-
geſetzes; aus Furcht vor Willkür beſtritten ſie den Militärbehörden ſogar
das Recht, dienſtuntaugliche Soldaten nach freiem Ermeſſen zu entlaſſen.
Und dazu die unhaltbare Doppelſtellung der Staatsdienerſchaft: Itzſtein
ſelbſt und mehrere andere Führer der Oppoſition waren Beamte, ſogar
die Regierungscommiſſäre ließen ſich das Recht nicht nehmen, gelegentlich
gegen das Miniſterium zu ſprechen. Zündſtoff in Fülle war hüben und
drüben ſchon längſt aufgehäuft, da kam es zum Bruche (Januar 1823),
leider, wie im Jahre 1819, wieder wegen einer Frage, welche die Grund-
lagen des Bundesrechts berührte.
Es war das Verhängniß des Karlsruher Landtags, daß er immer
mit dem Bunde unmittelbar zuſammengerathen mußte. Die Regierung
hatte ein Militärbudget vorgelegt, das ſie endlich auf 1,6 Mill. Gulden
ermäßigte; mit geringeren Mitteln, verſicherten die Miniſter, könne Baden
den Anforderungen der neuen Bundeskriegsverfaſſung nicht genügen. Jeder-
mann wußte, daß Großherzog Ludwig die Heeresverwaltung perſönlich leitete
und wiederholt gedroht hatte, auf dieſes Gebiet ſolle ſich der Landtag nicht
wagen. Gleichwohl wollte die Kammer noch die armſelige Summe von
50,000 fl. ſtreichen; der modiſche Haß gegen die ſtehenden Heere verlangte
ſein Opfer. Da erklärte der Großherzog: nach Art. 58 der Schlußakte
dürften die Stände ihn nicht in der Erfüllung ſeiner Bundespflichten hin-
dern, er werde daher die nöthigen Summen auch ohne Bewilligung aus-
geben. Damit war das Budgetrecht der Kammer in Frage geſtellt, und ſo-
bald eine conſtitutionelle Principienfrage aufgeworfen wurde, pflegte der
junge deutſche Liberalismus regelmäßig die Beſinnung zu verlieren. Wieder
wie vor drei Jahren erklang der Schlachtruf des Partikularismus: Landes-
recht geht vor Bundesrecht. Die verſtändigen Warnungen Liebenſtein’s ver-
hallten wirkungslos, als Itzſtein die Abgeordneten in heftiger Rede an ihre
„Ehrenpflicht“ mahnte. Mit einer Mehrheit von einer Stimme hielt die
Kammer ihre Beſchlüſſe aufrecht, und ſofort verließen die Vertreter der
Regierung den Saal. Am folgenden Tage ſchon wurden die Kammern
geſchloſſen. Ein zorniges Manifeſt verkündete dem Volke den Unwillen des
Großherzogs über ſeine pflichtvergeſſenen Stände; von allen den Geſetzen,
welche der Landtag beſchloſſen, ward kein einziges verkündigt, und da ein
Budget ſeit der Begründung dieſer Verfaſſung noch niemals zu Stande
gekommen war, ſo wirthſchaftete die Regierung mit den unbewilligten Ein-
nahmen vergnüglich weiter. Eine harte und rachſüchtige Reaktion brach
herein, das badiſche Land ſollte jene unglücklichen 50,000 Gulden noch
theuer bezahlen.
Auf der Wiener Conferenz wurde die Schließung des Karlsruher
Landtags mit einſtimmigem Beifall begrüßt. Kaiſer Franz ſagte zu Blit-
tersdorff, die That des Großherzogs Ludwig ſei ein heilſames Beiſpiel
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/332>, abgerufen am 22.11.2024.
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