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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 5. Die Großmächte und die Trias.

Da die Depesche der öffentlichen Erklärung der Ostmächte eine förm-
liche Rechtsverwahrung entgegenstellte, so mußte sie auch selbst veröffentlicht
oder mindestens den großen Höfen mitgetheilt werden. Der Geschäfts-
träger in Berlin, Wagner hielt dies auch für selbstverständlich und las
das sonderbare Schriftstück dem Stellvertreter Bernstorff's, Ancillon in
aller Unschuld vor. Wie groß war sein Schrecken, als der sanftmüthige
preußische Staatsmann in hellem Zorne auffuhr und sich eine solche
Sprache ernstlich verbat. Der Stuttgarter Hof allerdings, rief er dem
Württemberger zu, verdanke seine Krone der Gunst Napoleon's; die großen
Mächte aber hätten ihre Macht nicht von Napoleon geerbt, sondern sie
verwendet um den Cäsar zu bekämpfen. Sofort wurden Oesterreich und
Rußland eingeladen, mit Preußen gemeinsam Genugthuung zu fordern
und "einen großen Schlag" gegen das Haupt der deutschen Opposition
zu führen.*)


So schroff standen die Parteien einander gegenüber, als Metternich
um Mitte Januar die neue Wiener Conferenz um sich versammelte: nur
Bernstorff, Zentner, Blittersdorff, Plessen und wenige andere Vertraute.
Selbst Marschall hatte keine Einladung erhalten, und der Herzog von
Nassau klagte nachher bitterlich: was denn die gutgesinnten unter den deut-
schen Fürsten nunmehr zu thun hätten, da sie von den Wiener Bespre-
chungen nichts wüßten?**) In dieser geschlossenen Gesellschaft glaubte Met-
ternich mit seinen Herzenswünschen offener hervortreten zu können als
in der großen Ministerconferenz vor drei Jahren. Er hatte durch Gentz
eine große Denkschrift über den Schutz der Ruhe und Ordnung ausarbeiten
lassen, die mit der herkömmlichen haarsträubenden Schilderung der deut-
schen Zustände begann: selbst das Schattenbild einer monarchischen Regie-
rungsform, hieß es da, werde in Kurzem in den Händen der süddeutschen
Regierungen zerfließen. Darauf folgten Vorschläge gegen den Bundestag,
den man von allen feindseligen Elementen säubern und fortan nur vier
Monate im Jahre tagen lassen wollte. Auch die Veröffentlichung der Proto-
kolle sollte unterbleiben, da sie bisher nur die Eitelkeit einzelner Gesandten
aufgestachelt oder durch "die unvermeidliche Geringfügigkeit des Stoffs zu
unnützen Spöttereien Anlaß gegeben" habe. Der Schwerpunkt der k. k. An-
träge lag in dem zweiten Abschnitt über die Landesverfassungen: der Bun-
destag sollte fortan die Bundesgesetze "so auslegen, wie es das höchste der
Staatsgesetze, die Erhaltung des Ganzen und seiner Glieder verlange", und
demnach befugt sein, auf Antrag einzelner Regierungen deren Landesver-
fassungen abzuändern, vornehmlich aber die Oeffentlichkeit der Landtags-
verhandlungen zu beschränken, damit nicht "den noch an Zucht und Ord-

*) Ancillon an Schöler in Petersburg, 26. Jan. 1823.
**) Blittersdorff's Bericht, 2. April 1823.
III. 5. Die Großmächte und die Trias.

Da die Depeſche der öffentlichen Erklärung der Oſtmächte eine förm-
liche Rechtsverwahrung entgegenſtellte, ſo mußte ſie auch ſelbſt veröffentlicht
oder mindeſtens den großen Höfen mitgetheilt werden. Der Geſchäfts-
träger in Berlin, Wagner hielt dies auch für ſelbſtverſtändlich und las
das ſonderbare Schriftſtück dem Stellvertreter Bernſtorff’s, Ancillon in
aller Unſchuld vor. Wie groß war ſein Schrecken, als der ſanftmüthige
preußiſche Staatsmann in hellem Zorne auffuhr und ſich eine ſolche
Sprache ernſtlich verbat. Der Stuttgarter Hof allerdings, rief er dem
Württemberger zu, verdanke ſeine Krone der Gunſt Napoleon’s; die großen
Mächte aber hätten ihre Macht nicht von Napoleon geerbt, ſondern ſie
verwendet um den Cäſar zu bekämpfen. Sofort wurden Oeſterreich und
Rußland eingeladen, mit Preußen gemeinſam Genugthuung zu fordern
und „einen großen Schlag“ gegen das Haupt der deutſchen Oppoſition
zu führen.*)


So ſchroff ſtanden die Parteien einander gegenüber, als Metternich
um Mitte Januar die neue Wiener Conferenz um ſich verſammelte: nur
Bernſtorff, Zentner, Blittersdorff, Pleſſen und wenige andere Vertraute.
Selbſt Marſchall hatte keine Einladung erhalten, und der Herzog von
Naſſau klagte nachher bitterlich: was denn die gutgeſinnten unter den deut-
ſchen Fürſten nunmehr zu thun hätten, da ſie von den Wiener Beſpre-
chungen nichts wüßten?**) In dieſer geſchloſſenen Geſellſchaft glaubte Met-
ternich mit ſeinen Herzenswünſchen offener hervortreten zu können als
in der großen Miniſterconferenz vor drei Jahren. Er hatte durch Gentz
eine große Denkſchrift über den Schutz der Ruhe und Ordnung ausarbeiten
laſſen, die mit der herkömmlichen haarſträubenden Schilderung der deut-
ſchen Zuſtände begann: ſelbſt das Schattenbild einer monarchiſchen Regie-
rungsform, hieß es da, werde in Kurzem in den Händen der ſüddeutſchen
Regierungen zerfließen. Darauf folgten Vorſchläge gegen den Bundestag,
den man von allen feindſeligen Elementen ſäubern und fortan nur vier
Monate im Jahre tagen laſſen wollte. Auch die Veröffentlichung der Proto-
kolle ſollte unterbleiben, da ſie bisher nur die Eitelkeit einzelner Geſandten
aufgeſtachelt oder durch „die unvermeidliche Geringfügigkeit des Stoffs zu
unnützen Spöttereien Anlaß gegeben“ habe. Der Schwerpunkt der k. k. An-
träge lag in dem zweiten Abſchnitt über die Landesverfaſſungen: der Bun-
destag ſollte fortan die Bundesgeſetze „ſo auslegen, wie es das höchſte der
Staatsgeſetze, die Erhaltung des Ganzen und ſeiner Glieder verlange“, und
demnach befugt ſein, auf Antrag einzelner Regierungen deren Landesver-
faſſungen abzuändern, vornehmlich aber die Oeffentlichkeit der Landtags-
verhandlungen zu beſchränken, damit nicht „den noch an Zucht und Ord-

*) Ancillon an Schöler in Petersburg, 26. Jan. 1823.
**) Blittersdorff’s Bericht, 2. April 1823.
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[314/0330] III. 5. Die Großmächte und die Trias. Da die Depeſche der öffentlichen Erklärung der Oſtmächte eine förm- liche Rechtsverwahrung entgegenſtellte, ſo mußte ſie auch ſelbſt veröffentlicht oder mindeſtens den großen Höfen mitgetheilt werden. Der Geſchäfts- träger in Berlin, Wagner hielt dies auch für ſelbſtverſtändlich und las das ſonderbare Schriftſtück dem Stellvertreter Bernſtorff’s, Ancillon in aller Unſchuld vor. Wie groß war ſein Schrecken, als der ſanftmüthige preußiſche Staatsmann in hellem Zorne auffuhr und ſich eine ſolche Sprache ernſtlich verbat. Der Stuttgarter Hof allerdings, rief er dem Württemberger zu, verdanke ſeine Krone der Gunſt Napoleon’s; die großen Mächte aber hätten ihre Macht nicht von Napoleon geerbt, ſondern ſie verwendet um den Cäſar zu bekämpfen. Sofort wurden Oeſterreich und Rußland eingeladen, mit Preußen gemeinſam Genugthuung zu fordern und „einen großen Schlag“ gegen das Haupt der deutſchen Oppoſition zu führen. *) So ſchroff ſtanden die Parteien einander gegenüber, als Metternich um Mitte Januar die neue Wiener Conferenz um ſich verſammelte: nur Bernſtorff, Zentner, Blittersdorff, Pleſſen und wenige andere Vertraute. Selbſt Marſchall hatte keine Einladung erhalten, und der Herzog von Naſſau klagte nachher bitterlich: was denn die gutgeſinnten unter den deut- ſchen Fürſten nunmehr zu thun hätten, da ſie von den Wiener Beſpre- chungen nichts wüßten? **) In dieſer geſchloſſenen Geſellſchaft glaubte Met- ternich mit ſeinen Herzenswünſchen offener hervortreten zu können als in der großen Miniſterconferenz vor drei Jahren. Er hatte durch Gentz eine große Denkſchrift über den Schutz der Ruhe und Ordnung ausarbeiten laſſen, die mit der herkömmlichen haarſträubenden Schilderung der deut- ſchen Zuſtände begann: ſelbſt das Schattenbild einer monarchiſchen Regie- rungsform, hieß es da, werde in Kurzem in den Händen der ſüddeutſchen Regierungen zerfließen. Darauf folgten Vorſchläge gegen den Bundestag, den man von allen feindſeligen Elementen ſäubern und fortan nur vier Monate im Jahre tagen laſſen wollte. Auch die Veröffentlichung der Proto- kolle ſollte unterbleiben, da ſie bisher nur die Eitelkeit einzelner Geſandten aufgeſtachelt oder durch „die unvermeidliche Geringfügigkeit des Stoffs zu unnützen Spöttereien Anlaß gegeben“ habe. Der Schwerpunkt der k. k. An- träge lag in dem zweiten Abſchnitt über die Landesverfaſſungen: der Bun- destag ſollte fortan die Bundesgeſetze „ſo auslegen, wie es das höchſte der Staatsgeſetze, die Erhaltung des Ganzen und ſeiner Glieder verlange“, und demnach befugt ſein, auf Antrag einzelner Regierungen deren Landesver- faſſungen abzuändern, vornehmlich aber die Oeffentlichkeit der Landtags- verhandlungen zu beſchränken, damit nicht „den noch an Zucht und Ord- *) Ancillon an Schöler in Petersburg, 26. Jan. 1823. **) Blittersdorff’s Bericht, 2. April 1823.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/330>, abgerufen am 25.11.2024.