Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.III. 5. Die Großmächte und die Trias. reden, daß Lindner und sein Freund Le Bret mit Trott und dem altenBonapartisten Malchus ein Württembergisches Comite directeur bildeten, das wieder mit den Brüdern Murhard und mit Lafayette's französischer Venta zusammenhänge. In der That stand dieser neue Liberalismus in scharfem Gegensatz zu der teutonischen Begeisterung der alten Burschen- schaft; er konnte seinen rheinbündischen Ursprung nicht verleugnen und schwelgte in französischen Ideen. Es war der Fluch unserer verschrobenen politischen Verhältnisse, daß in diesem urgermanischen Schwabenlande der Napoleonscultus verschollener Tage wieder manche Anhänger fand. Lindner und Le Bret bekannten sich offen als Bonapartisten und errichteten in ihrem Garten dem Imperator ein Denkmal mit der Inschrift: Au grand homme. L'Europe le deplore, l'Asie l'adore, l'Afrique le regrette. So stark war diese Zeitströmung, daß sogar der ganz unpolitische liebens- würdige Dichter Wilhelm Hauff sich ihr nicht entziehen konnte; seine an- muthige Novelle "das Bild des Kaisers", die in jenen Tagen entstand, trieb die Verehrung des Imperators bis zum Götzendienste und behandelte die preußischen Sieger mit spöttischer Verachtung. Unterdessen war auf das Manuscript aus Süddeutschland schon ein Daß König Wilhelm von der neuen Schrift seines literarischen Ver- III. 5. Die Großmächte und die Trias. reden, daß Lindner und ſein Freund Le Bret mit Trott und dem altenBonapartiſten Malchus ein Württembergiſches Comité directeur bildeten, das wieder mit den Brüdern Murhard und mit Lafayette’s franzöſiſcher Venta zuſammenhänge. In der That ſtand dieſer neue Liberalismus in ſcharfem Gegenſatz zu der teutoniſchen Begeiſterung der alten Burſchen- ſchaft; er konnte ſeinen rheinbündiſchen Urſprung nicht verleugnen und ſchwelgte in franzöſiſchen Ideen. Es war der Fluch unſerer verſchrobenen politiſchen Verhältniſſe, daß in dieſem urgermaniſchen Schwabenlande der Napoleonscultus verſchollener Tage wieder manche Anhänger fand. Lindner und Le Bret bekannten ſich offen als Bonapartiſten und errichteten in ihrem Garten dem Imperator ein Denkmal mit der Inſchrift: Au grand homme. L’Europe le déplore, l’Asie l’adore, l’Afrique le regrette. So ſtark war dieſe Zeitſtrömung, daß ſogar der ganz unpolitiſche liebens- würdige Dichter Wilhelm Hauff ſich ihr nicht entziehen konnte; ſeine an- muthige Novelle „das Bild des Kaiſers“, die in jenen Tagen entſtand, trieb die Verehrung des Imperators bis zum Götzendienſte und behandelte die preußiſchen Sieger mit ſpöttiſcher Verachtung. Unterdeſſen war auf das Manuſcript aus Süddeutſchland ſchon ein Daß König Wilhelm von der neuen Schrift ſeines literariſchen Ver- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0326" n="310"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> 5. 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Die Schrift bekämpfte in der alten Weiſe das „Stabilitäts-<lb/> ſyſtem“ der großen Mächte, aber ſie gab auch „dem Repräſentativſyſtem,<lb/> unter deſſen Schutze die Redekünſtler nach Brod gehen“ förmlich den<lb/> Laufpaß und fertigte „die zahmen, faſt ſeelenloſen Stände“ Württembergs,<lb/> die Unfruchtbarkeit der übrigen ſüddeutſchen Landtage mit der äußerſten<lb/> Geringſchätzung ab. Nachdem alſo die beiden entgegengeſetzten Syſteme<lb/> ſich vernutzt hätten — ſo fuhr der Bericht fort — müſſe das Naturgeſetz<lb/> wieder in Kraft treten, „welches den höheren Genius zum Regenerator<lb/> der Geſellſchaft beruft. Männer werden wieder auf dem Schauplatz auf-<lb/> treten und verſtanden werden;“ ſie werden die Bundespolitik mit einem<lb/> neuen Geiſte erfüllen, die Mindermächtigen zum Gefühle ihrer Kraft er-<lb/> heben — und was der orakelhaften Andeutungen mehr war. 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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
reden, daß Lindner und ſein Freund Le Bret mit Trott und dem alten
Bonapartiſten Malchus ein Württembergiſches Comité directeur bildeten,
das wieder mit den Brüdern Murhard und mit Lafayette’s franzöſiſcher
Venta zuſammenhänge. In der That ſtand dieſer neue Liberalismus in
ſcharfem Gegenſatz zu der teutoniſchen Begeiſterung der alten Burſchen-
ſchaft; er konnte ſeinen rheinbündiſchen Urſprung nicht verleugnen und
ſchwelgte in franzöſiſchen Ideen. Es war der Fluch unſerer verſchrobenen
politiſchen Verhältniſſe, daß in dieſem urgermaniſchen Schwabenlande der
Napoleonscultus verſchollener Tage wieder manche Anhänger fand. Lindner
und Le Bret bekannten ſich offen als Bonapartiſten und errichteten in
ihrem Garten dem Imperator ein Denkmal mit der Inſchrift: Au grand
homme. L’Europe le déplore, l’Asie l’adore, l’Afrique le regrette.
So ſtark war dieſe Zeitſtrömung, daß ſogar der ganz unpolitiſche liebens-
würdige Dichter Wilhelm Hauff ſich ihr nicht entziehen konnte; ſeine an-
muthige Novelle „das Bild des Kaiſers“, die in jenen Tagen entſtand,
trieb die Verehrung des Imperators bis zum Götzendienſte und behandelte
die preußiſchen Sieger mit ſpöttiſcher Verachtung.
Unterdeſſen war auf das Manuſcript aus Süddeutſchland ſchon ein
zweites ebenſo geheimnißvolles Stuttgarter Manifeſt gefolgt: ein diplo-
matiſcher Bericht „über die gegenwärtige Lage von Europa“ (1822), an-
geblich herausgegeben von Kollmanner, unverkennbar wieder ein Werk
Lindner’s. Die Schrift bekämpfte in der alten Weiſe das „Stabilitäts-
ſyſtem“ der großen Mächte, aber ſie gab auch „dem Repräſentativſyſtem,
unter deſſen Schutze die Redekünſtler nach Brod gehen“ förmlich den
Laufpaß und fertigte „die zahmen, faſt ſeelenloſen Stände“ Württembergs,
die Unfruchtbarkeit der übrigen ſüddeutſchen Landtage mit der äußerſten
Geringſchätzung ab. Nachdem alſo die beiden entgegengeſetzten Syſteme
ſich vernutzt hätten — ſo fuhr der Bericht fort — müſſe das Naturgeſetz
wieder in Kraft treten, „welches den höheren Genius zum Regenerator
der Geſellſchaft beruft. Männer werden wieder auf dem Schauplatz auf-
treten und verſtanden werden;“ ſie werden die Bundespolitik mit einem
neuen Geiſte erfüllen, die Mindermächtigen zum Gefühle ihrer Kraft er-
heben — und was der orakelhaften Andeutungen mehr war. Bignon, der
ſchreibſelige Anwalt der Rheinbundsfürſten beeilte ſich, in einem Buche
„die Kabinette und die Völker“ die Welt auf die unermeßliche Bedeutung
dieſes Stuttgarter Manifeſtes aufmerkſam zu machen.
Daß König Wilhelm von der neuen Schrift ſeines literariſchen Ver-
trauten nichts gewußt haben ſollte, ließ ſich ſchwer glauben; unzweifelhaft
aber war jeder Satz des Berichtes, der nach ſeiner ganzen Faſſung dem
großen Publikum völlig unverſtändlich bleiben mußte, auf die perſönlichen
Leidenſchaften des ehrgeizigen Fürſten berechnet. Die diplomatiſche Welt
ſollte vorbereitet werden auf irgend eine rettende That des Stuttgarter
Hofes. Worin dieſe Großthat eigentlich beſtehen würde — das wußten freilich
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